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SITZUNGSBERICHTE
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
JAHRGANG 1908.
ERSTER HALBBAND. JANUAR BIS JUNI.
STUCK I—XXXI MIT NEUN TAFELN
UND DEM VERZEICHNISS DER MITGLIEDER AM 1. JANUAR 1908.
BERLIN 1908.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.
41964
—
N
RR
SA er
A a FE
PNEISIEER
Seite
Verzeichniss der Mitglieder am 1. Januar 1908 . . . . eg I
Nersst: Zur Theorie der galvanischen Polarisation; Anwendung zur Sehne He Reiz-
wirkungen elektrischer Ströme . . . a a ee De 3
Meyer: Das erste Auftreten der Arier in der (Beechichee, ee © Er td
1. Rosentnau: Zerlegung hochcomplieirter chemischer Verbindungen im Eeheankendenn magne-
tischen Kraftfeld. . . . . u: 5 5 ee 20
Diers: Der Schlüssel des Artemistampels zu nee (hieraa Taf. D. ee 27
Rusxer: Das Wachsthumsproblem und die Lebensdauer des Menschen und einiger Säuge-
thiere vom energetischen Standpunkte aus betrachtet . » » 2 2 2 2 2 2.2....82
H. Poroxıe: Über recente allochthone Humusbildungen. . . AS
Koser: Über eine ungedruckte Ode Friedrich’s des Grossen von 1742, eeroruag en!
Jahresbericht über die Sammlung der griechischen Inschriften . » . 2 2 22.2... 81
Jahresbericht über die Sammlung der lateinischen Inschriften . . . m ep:
Jahresbericht über die Prosopographie der römischen Kaiserzeit (1.—3. Jahrhundert) et!
Jahresbericht über den Index rei militaris imperii Romani . ». . 2 2 2 2 22.0.0085
Jahresbericht über die Aristoteles- Commentare . . a ea ler 28D
Jahresbericht über die Politische Correspondenz Parmpnicn! s dee Erosion Se EEE 1.8
Jahresbericht über die Griechischen Münzwerke . © 2 2 2 2 2 2 2 2 2 22 2..86
Jahresbericht über die Acta Borussia . . 5 Pa N NE ENT
Jahresbericht über die Ausgabe der Werke von ee ee N a et
ubresberichtnuberzdiesKAnn-Ausgabe, 2 00 0000 ent
Jahresbericht über die Ausgabe des Ibn Saad. . . . . a A ea Meiste,
Jahresbericht über das Wörterbuch der aegyptischen act SER SE
Bälmesbernichtmüberstdasw Eher ea a9
Jahresbericht über das »Pflanzenreich» . . . ee se N,
Jahresbericht über die Geschichte des Bieeteenhramelu RE N N
Jahresbericht über die Ausgabe der Werke Wırners von Humsormmrs . . 22... 9
Jahresbericht über die Interakademische Leienız-Ausgabe. . » 2 2 2 2 2 22.92
Jahresbericht über das Corpus medieorum Graecorum . » 2 2 2 2 2 2 nn.
Jahresbericht der Deutschen Comniission. . . N en Fe ... 96
Jahresbericht über die Forschungen zur er ehichte der neuhuchdentchen SeHnesprache = 105
nimESberichigde ak uNtEorDn Stun nr 110%
EIpSbenichtgder SAvIGnva Stun are ee een ee 20
Jahresbericht der Borr-Stiftung . . ee (0)
Jahresbericht der Hersann und Erıse N wi ENTZEL- kung u I ((,
Jahresbericht der Kirchenväter- Commission . . 5 oh
Jahresbericht der Commission für das Wörterbuch er dankschen eache) 9,112
Jahresbericht der Akademischen Jubiläumsstiftung der Stadt Berlin . . . 2... .. 115
Übersicht der Bensunalveranderungengen en a en ee ee
Inhalt.
Scnorixy: Über Beziehungen zwischen veränderlichen Grössen, die auf gegebene Gebiete
beschränkt sind. Zweite Mittheilung. . . ö E 6 5
Fıscner und F. Wrepe: Über die Bestimmung der Verbrennungewaune een ve
bindungen mit Benutzung des Platinwiderstandsthermometers
Warzurs und G. LerrnÄuser: Über die Analyse der Stickoxyde durch ihre Ansorpnee
speetra im Ultraroth . . . » eh et kn ae, Br ee ee
H. Poroxır: Eine Classification der Kaustobiolithe Eon 0.-0 0 0
O. Scnurrze: Zur Histogenese des Nervensystems . . . 38
E. Sıes: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus Ohsnesisch Tarkistan (hier Taf. II)
E. Rascn: Bestimmung der kritischen Spannungen in festen Körpern . . . ...
W.Gorsan: Zur Entstehung des Gagats :
Penex: Der Drakensberg und der Quathlambabruch.. :
Branca: Vorläufiger Bericht über die Ergebnisse der Trinil- "Expedition se Atndenizeiieh
Jubiläumsstiftung der Stadt Berlin ne
Rusens und E. Lavengung: Das Reflexionsvermögen de RER
Koser: Aus der Vorgeschichte der ersten Theilung Polens
Munk: Über die Funetionen des Kleinhirns. Dritte Mittheilung (Schluss)
von Wıramowırz-MoELLENDoRFF: Pindar’s siebentes nemeisches Gedicht . . . . . .
Lanporr: Untersuchungen über die fraglichen Änderungen des Gesammtgewichtes cheniseh
sich umsetzender Körper. Dritte Mittheilung .
Branca: Nachtrag zur Embryonenfrage bei Iechthyosaurus
A. vox Le Cog: Ein manichäisch-uigurisches Fragment aus Idiqut- Schahri en Tat. 1m
Scnuzze. F.E.: Die Lungen des africanischen Strausses (hierzu Taf. IV)
van’r Horr: Untersuchungen über die Bildung der oceanischen Salzablagerungen. (Schluss.)
LI. Der Verband für die wissenschaftliche Erforschung der deutschen Kalisalz-
lagerstätten R
PıscHer: Ins Gras beissen - NG
Fropenıus: Über Matrizen aus ol Flementen. re er ehe N
Hannack: Die angebliche Synode von Antiochia im Jahre 324/5
Hernmerr: Trigonometrische Höhenmessung und Rekrachonsrosiknenen in nr Nähe des
Meeresspiegels NE
Koser: Jahresbericht über die babe der Mens Conaae hiakcerea See
Adresse an Hrn. Anorr vox BaEyEr zum fünfzigjährigen Doctorjubiläum am 4. Mai 1908 .
A. Euckex: Über den Verlauf der galvanischen Polarisation durch Condensatorentladung;
Anwendung auf die Nervenreizung
Fıscuer: Synthese von Polypeptiden. . . . ; RER;
-J. Stark: Über die Spectra des Sauerstofts (Doprtane Effect bei Katalseanlen ©
J. Stark und W. Sızvsiıse: Über die spectrale Intensitätsvertheilung der Kanalstrahlen
in Wasserstoff ee
Scnuzze, F.E.: Zur Anatomie der Cetsceenlungs (hierzu Taf.V) . .
Warpeyer: Die Magenstrasse BR:
Senurze. W.: Wortbrechung in den een enden va.‘ o
M. Werisann: Pseudodemocritea Vaticana . 5 en
Prasck: Über die kanonische Zustandsgleichung Eon ee Erste Mittheilung.
Meyer: Die Bedeutung der Erschliessung des alten Orients für die geschichtliche Methode
und für die Anfänge der menschlichen Geschichte Iiherhau pt ver
I. Scnur: Über die Darstellung der er Gruppe durch lineare homogene
Substitutionen. . . ae
G. Mörrter: Bericht über die Aufnahme ar hieroglyphlachen, mi) een Felsen-
inschriften im Alabasterbruch von Hatnub in Mittelaegypten. . . . . SE
Kexure vox Sıranosirz: Die Geburt der Helena aus dem Ei (hierzu Taf. vIaRX).
679
691
N
Si lz72leT=1-72IT- ET T=ISTelSTelerelsTelerelerelereleTSeT=lerzierSler=lor=jerzJeTJETSlSTelSTJSTJST=JST=lerSlerelSTSlSTelSTelere in}
5 1908. | I.
SITZUNGSBERICHTE
c DER
4 KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Gesanmtsitzung am 9. Januar. (S. 1)
Nernst: Zur Theorie der galvanischen Polarisation; Anwendung zur Berechnung der Reizwir-
kungen elektrischer Ströme. (S. 3)
Meyer: ‚Das erste Auftreten der Arier in der Geschichte. (S. 14)
J. Rosentaan: Zerlegung hochcomplieirter chemischer Verbindungen im schwankenden magneti-
schen Kraftfeld. (S. 20)
Diers: Der Schlüssel des Artemistempels zu Lusoi (hierzu Taf. I). (S. 27)
MIT TAEEL 1.
MIT DEM VERZEICHNISS DER MITGLIEDER DER AKADEMIE
AM 1. JANUAR 1908.
BERLIN 1908.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.
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HSONIAN DEN;
nn
Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften.
Aus Sl.
Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei
fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte
der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «
und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie
der Wissenschaften.
Aus $ 2.
Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die
»Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka-
demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel
das.druckfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nicht-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.
83.
Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheiluug soll
in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32,
bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift
der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen
von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand-
lungen nicht übersteigen.
Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung
der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt-
haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu
beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver-
muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde,.
so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen
von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lassen.
ga.
Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder
auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die
Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original-
aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch
auf getrennten Blättern, einzureichen.
Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in
der Regel «lie Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten
aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so
kann die Akademie dazueine Bewilligung beschliessen. Ein
darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be-
treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage
eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu
richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und
weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln.
Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka-
demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten
ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren
handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen
beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er-
forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark,
bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung
durch das Secretariat geboten.
Aus $ 5.7
Nach der Vorlegung und Einreichung des
vollständigen druckfertigen Manusceripts an den
zuständigen Seoretar oder an den Archivar
wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen
Schriften und zwar, wenn eines der anwesenden Mit-
glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt.
Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder
der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die
Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine
Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Niehtmitgliedes
in die dazu bestimmte Abtheilung der » Abhandlungen«,
so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die
Gesammt-Akademie.
Aus $6, ; i
Die an die Druckereiabzuliefernden Manuseriptemüssen,
wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus-
reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes
und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen
Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden
Mitgliede vor Einreichung des Manuscripts vorzunehmen.
Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser _
seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. i
Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die |
Verfasser. Fremde haben diese erste Gr an das |
vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correctur soll nach
Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern
' und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfä ingliche
' Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi-
| girenden Seeretars vor der Einsendung an die Druckerei,
und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehı-
kosten verpflichtet.
| Aus 88.
| Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen
aufgenommenen wissenschaftliehen Mittheilungen , ‚Reden,
Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von
wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im
Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sonder-
abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be-
treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden,
Von Gedächtnissreden werden ebenfallsSonderabdrucke
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn. die
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. x
89.
Von den Sonderabdrucken aus den Siisungeb erteilen
erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akaderse ist, ; >
zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei- &
enlares er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke :
auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis
zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Seeretar an- q
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr X:
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei- z
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem s
redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare” auf ihre R
Kosten abziehen lassen. RR
Von den Sonderabdrucken aus ‚den Abhandlungen De
hält ein Verfasser, welcher Mitglied der . Akademie TR
‘zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 'rei- 3:
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem: Zwecke
auf Kosten der Akademie weitere "Exemplare. bis zur "Zahl J
' von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis
| zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen, |
.
sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar an-
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
"Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu ax
der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be-
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 Frei-
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
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En
redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare auf ihr
Kosten abziehen lassen. nn ie
$ 17. er
Eine für die See een Schriften ber
stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf
in keinem Falle vor ihrer Ausgabe anjener
Stelle anderweitig, sei es auch nur auszugs-
(Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.) . 5%
1
RE
VERZEICHNISS
DER
MITGLIEDER DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
AM 1. JANUAR 1908.
I. BESTÄNDIGE SECRETARE.
Gewählt von der
Hr. Auwers phys.-math. Classe .
- Wahlen . phil.-hist. -
- Dies . . phil. -hist. -
- Waldeyer . phys.-math. -
I. ORDENTLICHE MITGLIEDER.
Physikalisch-mathematische Classe Philosophisch-historische Classe
Hr. Adolf Kirchhoff
Hr. Arthur Auwers . Be RE",
- Johannes Vahlen .
- Eberhard Schrader
- Alexander Conze .
- Simon Schwendener
- Hermann Munk . NEN
- Adolf Tobler
- Hermann Diels
- Hans Landolt
- Wilhelm Waldeyer . ee
- Heinrich Brunner .
- Franz Eilhard Schulze a
- Otto Hirschfeld
- Eduard Sachau
- Gustav Schmoller .
- Wilhelm Diüthey .
- Karl Möbius . VE
- Adolf Engler OB AN
- Adolf Harnack
- Hermann Amandus Schwarz Mes
Datum der Königlichen
Bestätigung
1878 April 10.
1893 April 5.
1895 Nov. 27.
1896 Jan. 20.
Datum der Königlichen
Bestätigung
—
1860 März 7.
1866 Aug. 18.
1874 Dee. 16.
1875 Juni 14.
1877 April 23.
1879 Juli 13.
1880 März 10.
1881 Aug. 15.
1881 Aug. 15.
1881 Aug. 15.
1884 Febr. 18.
1884 April 9.
1884 Juni 21.
1885 März 9.
1887 Jan. 24.
1887 Jan. 24:
1887: Jan. 24.
1888 April 30.
1890 Jan. 29.
1890 Febr. 10.
1892 Dee. 19.
1
Physikalisch - mathematische Classe
". Georg Frobenius
Emil Fischer
Oskar Hertwig .
Max Planck .
Emil Warburg
Jakob Heinrich van’t Hoff
Theodor Wilhelm Engelmann .
Wilhelm Branca
Robert Helmert .
m
Philosophisch -historische Classe
oo
Hr. Karl Stumpf .
- Erich Schmidt .
- Adolf Erman .
- Reinhold Koser
- Max Lenz .
donitz a
- Ulrich von Wilamowitz-
Moellendorff .
Heinrich Müller-Breslau .
Friedrich Schottky .
Robert Koch .
Hermann Struve
- Heinrich Zimmer .
- Heinrich Dressel .
- Konrad Burdach .
- Richard Pischel
- Gustav Roethe .
- Dietrich Schäfer
- Eduard Meyer .
- Wilhelm Schulze
- Alois Brandl
Hermann Zimmermann
Adolf Martens
Walther Nernst .
Max Rubner .
Johannes Orth
Albrecht Penck
Heinrich Rubens
- Friedrich Müller .
- Andreas Heusler .
(Die Adressen der Mitglieder s. S. IX.)
- Reinhard Kekule von Stra-
Datum der Königlichen
Bestätigung
—
1893 Jan. 14.
1893 Febr. 6.
1893 April 17.
1894 Juni 11.
1895 Febr. 18.
1895 Febr. 18.
1895 Febr. 18.
1895 Aug. 13.
1896 Febr. 26.
1896 Juli 12.
1896 Dec. 14.
1898 Febr. 14.
1898 Juni 9.
1899 Aug. 2.
1899 Dec. 18.
1900 Jan. 31.
1901 Jan. 14.
1902 Jan. 13.
1902 Mai 9.
1902 Mai 9.
1902 Juli 13.
1903 Jan. 5.
1903 Jan. 5.
1903 Aug. 4.
1903 Aug. 4.
1903 Nov. 16.
1904 April 3.
1904 Juni 1.
1904 Aug. 29.
1904 Aug. 29.
1904 Aug. 29.
1905 Nov. 24.
1906 Dec. 2.
1906 Dec. 2.
1906 Dec. 2.
1906 Dec. 24.
1907 Aug. 8.
1907 Aug. 8
II. AUSWÄRTIGE MITGLIEDER.
Physikalisch- mathematische Classe Philosophisch -historische Classe
De
Hr. Eduard Zeller in Stuttgart
- Theodor Nöldeke in Strass-
burg
- Friedrich Trhosf: Dh in
Winterthur .
- Theodor von Sickel in en
- Pasquale Villari in Florenz .
- Franz Bücheler in Bonn
Hr. Wilhelm Hittorf in Münster i.W..
- Eduard Swess in Wien
- Eduard Pflüger in Bonn RT a Ehe:
Rochus Frhr. von Lilieneron in
Schleswig -
Hr. Leopold Delisle in Paris ;
Sir Joseph Dalton Hooker in
Sunningdale F
Hr. Giovanni Virginio Schiaparelli
in Mailand
- Adolf von Baeyer in München
IV. EHRENMITGLIEDER.
Earl of Crawford and Balcarres in Haigh Hall, Le
Hr. Max Lehmann in Göttingen eh ;
- Friedrich Kohlrausch in Marbure :
Hugo Graf von und zu Lerchenfeld in Borlin
Hr. Friedrich Althoff in Steglitz . :
- Richard Schöne in Berlin
Frau Elise Wentzel geb. Heckmann in Bern
Hr. Konrad von Studt in Berlin
- Andrew Dickson White in Ithaca, N. S
III
Datum der Königlichen
Bestätigung
——
1895 Jan. 14.
1900 März 5.
1901 Jan. 14.
1902 Nov. 16.
1904 Mai 29.
1904 Oet. 17.
1905 Aug. 12.
Datum der Königlichen
Bestätigung
1883 Juli 30.
1887 Jan. 24.
1895 Aug. 13.
1900 März 5.
1900 März
1900 März
1900 März
1900 März 1
1900 Dee. 1
vg
Hr.
V. CORRESPONDIRENDE MITGLIEDER.
Physikalisch-mathematische Classe.
Alexander Agassiz in Cambridge, Mass.
Henri Becquerel in Paris
Ernst Wilhelm Benecke ın Sue
Eduard van Beneden in Lüttich .
Oskar Brefeld in Charlottenburg .
Heinrich Bruns in Leipzig .
Otto Bütschli in Heidelberg
Stanislao Cannizzaro in Rom
Karl Chun in Leipzig
Gaston Darboux in Paris :
Richard Dedekind in Braunschweig .
Nils Christofer Duner in Upsala
Ernst Ehlers in Göttingen .
Rudolf Fittig in Strassburg
Max Fürbringer in Heidelberg
Albert Gaudry in Paris .
Archibald Geikie ın London
. Woleott Gibbs in Newport, R.]1. .
David Gill in London
. Paul Gordan in Erlangen
Karl Graebe in Frankfurt a.M.
Ludwig von Graf in Graz .
Gottlieb Haberlandt in Graz .
Julius Hann in Wien
Vietor Hensen in Kiel
Richard Hertwig in München .
William Huggins in London
. Adolf von Koenen in Göttingen
Leo Koenigsberger in Heidelberg .
Henry Le Chatelier in Paris
Michel Levy in Paris.
Franz von Leydig in Bockenbes 0. a T..
Gabriel Lippmann in Paris BR
Hendrik Antoon Lorentz in Leiden
Hubert Ludwig in Bonn.
Datum der Wahl
1895
1904
1900
1887
1899
1906
1897
1888
1900
1897
1880
1900
1897
1896
1900
1900
1889
1885
1890
1900
1907
1900
1899
1889
1898
1898
1895
1904
1893
1905
1898
1887
1900
1905
1898
Juli
Febr.
Febr.
Nov.
Jan.
Jan.
März
Dee.
Jan.
Febr.
März
Febr.
Jan.
Oct.
Febr.
Febr.
Febr. :
Jan.
Juni
Febr.
Juni
Febr.
Juni
Febr. ?
Febr.
April
Dec.
Mai
Mai
Dee.
Juli
Jan.
Febr.
Mai
Juli
18.
18.
Sir
Physikalisch-mathematische Classe.
. Eleuthere Mascart in Paris .
Franz Mertens in Wien .
Henrik Mohn in Christiania
Alfred Gabriel Nathorst in Stoc rein
Karl Neumann in Leipzig :
Georg von Neumayer in Nensiadt a. Ba asdti.
Simon Newcomb in Washington .
Max Noether ın Erlangen u
Wilhelm Ostwald ın Eros ächen Kar Sachsen
Wilhelm Pfeffer in Leipzig .
Emile Picard in Paris ;
Edward Charles Pickering in Ceperdpe, ae ;
Henri Poincare in Paris .
Georg Quincke in Heidelberg .
Ludwig Radlkofer in München
William Ramsay in London
Lord Rayleigh in Witham, Essex .
Hr.
Friedrich von Recklinghausen ın Sarg
Gustaf Retzius in Stockholm
Wilhelm Konrad Röntgen in München
Heinrich Rosenbusch in Heidelberg
Georg Ossian Sars in Christiania
Friedrich Schmidt in St. Petersburg .
Hugo von Seeliger in München
Hermann Graf zu Solms- Laubach in Strassburg .
Hr.
Johann Wilhelm Spengel in Giessen .
Eduard Strasburger in Bonn
Johannes Strüver in Rom
Julius Thomsen in Kopenhagen
August Toepler in Dresden .
Melchior Treub in Buitenzorg .
Gustav Tschermak in Wien.
William Turner in Edinburg
. Woldemar Voigt in Göttingen .
Karl von Voit in München .
Johannes Diderik van der Waals in Amsterdam
Otto Wallach in Göttingen .
Eugenius Warming in Kopenhagen
Heinrich Weber in Strassburg .
August Weismann in Freiburg i. B. .
Julius Wiesner in Wien .
Adolf Wüllner in Aachen
Ferdinand Zirkel in Leipzig
Datum der Wahl
1895
1900
1900
1900
1893
1896
1883
1896
1905
1889
1898
1906
1896
1879
1900
1896
1896
1885
1893
1896
1857
1898
1900
1906
1899
1900
1889
1900
1900
1879
1900
1881
1898
1900
1898
1900
1907
1899
1896
1897
1899
1889
1887
Juli
Febr.
Febr.
Febr.
Mai
Febr. :
Juni
Jan.
Jan.
Dee.
Fehr. :
Jan
Jan.
März
Febr.
Oct.
Oct.
Febr. 2
Juni
März
Oct.
Febr.
Febr.
Jan.
Juni
Jan.
Dee.
Febr.
Febr.
März
Febr.
März
März
März
Febr.
Febr.
Juni
Jan.
Jan.
März
Juni
März
Oct.
18.
22.
22.
VI
Philosophisch-historische Classe. ee
———
Hr. Wilhelm Ahlwardt in Greifswald . - - : » 2..2.2...1888 Febr. 2.
=# “Karl von Amsıra in München - .- .. 7... 22% 7575190043 Jan8218%
- Ernst Immanuel Bekker in Heidelberg . . . . . . . 1897 Juli 29.
- Friedrich von Bezold in Bonn. -. . . : 2 2.2. ...1907 Febr. 14.
- Eugen Bormann in Wien . . en ea. Zu
- „James Henry Breasted in Char A ee OT
= Ingram Byywaler-in Oxford - . - = . . Pri.0 0.771887 Novi
- Rene Cagnat in Paris. . - - re. 1 ETIOAON See
- Arthur Chuquet in Villemomble (Seine). FE Er IIOTFREepr IT
A Tous: Duchesnem Rom. . . 2 002 ATS IST
= Benno‘ Erdmann-ın’ Bonn . „u 2.2.2282 „aan I0eTaree
- eg BEariing in Strassburg . -» - : .7 20. 22. 2.1907 Jun 13.
- Paul Foucart in Parıs . . er A il
- Ludwig Friedländer in Sach RE denk 1er
- Theodor Gomperz in Wien. . . TE ERS OCTd
- Francis Llewellyn Griffith in Bd ll) Alain E
- Gustav Gröber ın Strassburg - . : 0.0... 22%. 1900 Tann:
- Ignazio Guidi in Rom . . nr INTER
- Georgios N. Hatz dakis in Athen en äinie 0:-
= Albert Hauck in\.eipieg . » . 202 20% DIS
- Bermard Haussoullier in Paris. : : : : : 2 2 2... 19077 Ma 7 72
- Johan Ludvig Heiberg in Kopenhagen . . . . . . . 1896 März 12.
- Karl Theodor von Heigel in München . . . . . ..... 1904 Noy. 3.
- Max Heinze in Leipzig . . N is.
- Antoine Heron de Villefosse in Paris ee SI SMHebr
= Ton Heuzeyın Paris = 2 2 2m. Zur. 2 ei AORTA
- Edvard Holm in Kopenhagen . . . . 2... ... 1904 Nov. 3.
= />-Thöophsle‘ Homolle in Pas’: 2: 22... WI EIEHBSTENova
- Christian Hülsen n-Rom- » = > 2... 2". 2 2» 1907 Mai 02:
- Vatroslav Jagie n Wien. . . tete ae MLESUFDEEEEIN:
- William James in Cambridge, ae er aka ie
- Karl Theodor von Inama-Sternegg in Innsbruck = nr 1900:
= Adolf Jühcher in Marburg ; „0:72 5° „a an. ie SA I0BE NE
- Karl Justi in Bonn . . SEE TE SI3ENDFERNE
- Panagiotis Kabbadias in Athen. NEN ABEN ISERNo ve?
- Frederie George Kenyon in London . . . . . . . .. 1900 Jan. 18.
- Franz KRielhorn in Göttingen -. - = © #222... 1880 Dec. 16.
- Georg Friedrich Knapp in Strassburg . . . . . . . 1893 Dec. 14.
- Basü Latyschew in St. Petersburg . . . » ». . . .. 1891 Juni 4.
= Friedrich Leo ın Göttingen‘ » = „meer 7791906 Nov
- August Leskien in Leipzig . -. - » » 2 2... .. 1900 Jan. 18.
- “Hanse Devasseur in Paris . - 3 2.2.0 % 2. 1900 Tamzsriss
- Friedrich Loofs in Halle a.S.. 2 x » „un 2 2- 1WE Non.
- Giacomo Lumbroso in Viareggio. » » = = 2... 1874 Nor. 12.
Philosophisch-historische Classe.
Hr. Arnold Luschin von Ebengreuth in Graz
- John Pentland Mahaffy in Dublin
- Gaston Maspero in Paris . ;
- Wilhelm Meyer- Lübke in Wien
- Adolf Michaelis in Strassburg .
- Ludwig Mitteis in Leipzig .
- Gabriel Monod ın Versailles
- Benedictus Niese in Halle a.S.
- Heinrich Nissen in Bonn
- (Georges Perrot in Paris . :
- Wilhelm Radloff in St. Petereburg
- Moriz Ritter in Bonn ;
- Karl Robert ın Halle a.S. . ;
- Victor Baron Rosen in St. Petersburg .
- Anton E. Schönbach in Graz 5
- Richard Schroeder in Heidelberg .
- Emil Schürer in Göttingen .
- Eduard Schwartz in Göttingen
- Emile Senart in Paris
- Eduard Sievers in Leipzig .
- Henry Sweet in Oxford . ;
Sir Edward Maunde Thompson in Tod 5
Hr. Vilhelm Thomsen in Kopenhagen .
- Grirolamo Vitelli in Florenz .
- Heinrich Weil in Paris i
- Julius Wellhausen in Göttingen
- Wilhelm Wilmanns ın Bonn.
- Ludvig Wimmer in Kopenhagen .
- Wilhelm Windelband in Heidelberg
- Wilhelm Wundt in Leipzig . . . . . .» Se
vn
Datum der Wahl
1904
1900
1897
1905
1888
1905
1907
1905
1900
1884
1895
1907
1907
1900
1906
1900
1893
1907
1900
1900
1901
1895
1900
1897
1896
1900
1906
1891
1903
1900
INHABER DER HELMHOLTZ-MEDAILLE.
Hr. Santiago Ramon y Cajal in Madrid (1904).
- Henri Becquerel in Paris (1906).
INHABER DER LEIBNIZ-MEDAILLE.
a. Der Medaille in Gold.
Hr. James Simon in Berlin (1907).
db. Der Medaille in Silber.
Hr. Karl Alexander von Martius in Berlin (1907).
- A. F. Lindemann in Sidmouth, er a
Juli
Jan.
Juli
Juli
Juni
Febr.
Febr.
Febr.
Jan.
Juli
Jan.
Febr.
Mai
Jan.
Juli
Jan.
Juli
Mai
Jan.
Jan.
Juni
Mai
Jan.
Juli
März
Jan.
Juli
Juni
Febr.
Jan.
21.
18.
I)
6.
21.
16.
14.
16.
18.
17
10.
14.
2.
18.
5.
18.
20.
2.
18.
18.
6.
2.
18.
15.
12.
18.
18.
VII
BEAMTE DER AKADEMIE.
Bibliothekar und Archivar: Dr. Köhnke.
Wissenschaftliche Beamte: Dr. Dessau, Prof. —Dr. Ristenpart. — Dr. Harms, Prof.
— Dr. Czeschka Edler von Maehrenthal, Prof. — Dr. von Fritze. — Dr. Karl
Schmidt, Prof. — Dr. Frhr. Miller von Gaertringen, Prof.
WOHNUNGEN DER ORDENTLICHEN MITGLIEDER
UND DER BEAMTEN.
Hr. Dr. Auwers, Prof., Geh. Ober-Regierungs-Rath, Lindenstr. 91. SW 68.
- = Branca, Prof., Geh. Bergrath, Lutherstr. 47. W 62.
- - Brandl, Professor, Kaiserin Augusta-Str. 73. W 10.
- = Brunner, Prof., Geh. Justiz-Rath, Lutherstr. 36. W 62.
- = Burdach, Professor, Grunewald, Schleinitzstr. 6.
- = (Conze, Professor, Grunewald, Wangenheimstr. 17.
- - Diels, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Nürnberger Str. 65. W 50.
- - Dilthey, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Burggrafenstr. 4. W 62.
- - Dressel, Professor, Charlottenburg, Uhlandstr. 193.
- = Engelmann, Prof., Geh. Medicinal-Rath, Neue Wilhelmstr. 15. NW 7.
- - Engler, Prof., Geh. Ober-Regierungs-Rath, Steglitz, Neuer Botanischer
Garten.
- - Erman, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Steglitz, Friedrichstr. 10/11.
- - Fischer, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Hessische Str. 1—4. N 4.
- = Frobenius, Professor, Charlottenburg, Leibnizstr. 83.
- - Harnack, Prof., Wirkl. Geh. Ober-Regierungs-Rath, Fasanenstr. 33.
W 15.
- = Helmert, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Potsdam, Geodätisches Institut.
- - Hertwig, Prof., Geh. Medieinal-Rath, Grunewald, Wangenheimstr. 28.
- - Heusler, Professor, Eisenacher Str. 103. W 30.
- - Hürschfeld, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Charlottenburg, Carmerstr. 3.
- - van’t Hof, Professor, Lietzenburger Str. 54. W 15.
- = Kekwe von Stradonitz, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Landgrafen-
Str Hl 9m W262:
- = Kirchhoff, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Matthäikirchstr. 23. W 10.
- = Koch, Prof., Wirkl. Geh. Rath, Exe., Kurfürstendamm 52. W 15.
- - Koser, Wirkl. Geh. Ober -Regierungs- Rath, Charlottenburg, Carmer-
Sins Ö) -
- = Landolt, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Kaiserallee 222. W 15.
- = Lenz, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Augsburger Str. 52. W 50.
- = Martens, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Gross -Lichterfelde-West,
Fontanestr. 22.
- = Meyer, Professor, Gross-Lichterfelde-West, Mommsenstr. 7/8.
- = Möbius, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Sigismundstr. 8. W 10.
- - Müller, Professor, Zehlendorf, Albertinenstr. 3.
- - Müller-Breslau, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Grunewald, Kurmär-
kerstr. 8.
- = Munk, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Matthäikirchstr. 4. W 10.
- = Nernst, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Am Karlsbad 26a. W 35.
- - Orth, Prof., Geh, Medieinal-Rath, Grunewald, Humboldtstr. 16.
- = Penck, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Knesebeckstr. 48/49. W 15.
>
Pischel, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Halensee, Joachim - Friedrich-
Str. 47.
Planck, Professor, Grunewald, Wangenheimstr. 21.
Roethe, Professor, Westend, Ahornallee 30.
Rubens, Professor, Neue Wilhelmstr. 16. NW.7.
Rubner, Prof., Geh. Medicinal-Rath, Kurfürstenstr. 99a. W. 62.
Sachau, Prof., Geh. Ober-Regierungs-Rath, Wormser Str. 12. W 62.
Schäfer, Prof., Grossherzogl. Badischer Geh. Rath, Steglitz, Fried-
richstr. 7.
Schmidt, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Augsburger Str. 57/58. W 50.
Schmoller, Professor, Wormser Str. 13. W 62.
Schottky, Professor, Steglitz, Fichtestr. 12a.
Schrader, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Kronprinzenufer 20. NW 40.
Schulze, Franz Eilhard, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Invalidenstr. 43.
NA.
Schulze, Wilhelm, Professor, Kaiserin Augusta-Str. 72. W 10.
Schwarz, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Grunewald. Humboldtstr. 33.
Schwendener, Prof.. Geh. Regierungs-Rath, Matthäikirchstr. 28. W 10.
Struve, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Enckeplatz 3a. SW 48.
Stumpf, Prof., Geh. Regierungs-Ratlı, Augsburger Str. 61. W 50.
Tobler, Professor, Kurfürstendamm 25. W 15.
Vahlen, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Genthiner Str. 22. W 35.
Waldeyer, Prof., Geh. Medieinal-Rath, Lutherstr. 35. W 62.
Warburg, Professor, Charlottenburg, Marchstr. 25b.
von Wilamowitz- Moellendorf', Prof., Geh. Regierungs-Rath, Westend,
Eichenallee 12.
Zimmer, Prof., Geh. Regierungs-Ratlı, Halensee, Auguste-Victoria-Str. 3.
Zimmermann, Wirkl. Geh. Ober-Baurath, Calvinstr. . NW 532.
Ozeschka Edler von Maehrenthal, Professor, Wissenschaftlicher Beamter,
Stendaler Str. 3. NW 5.
Dessau, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Charlottenburg, Car-
merstr. 8.
von Fritze, Wissenschaftlicher Beamter, Courbierestr. 14. W 62.
Harms, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Friedenau, Ringstr. 44.
Freiherr Hiller von Gaertringen, Professor, Wissenschaftlicher Beamter,
An der Apostelkirche 8. W 30.
Kölmke, Bibliothekar und Archivar, Charlottenburg, Goethestr. 6.
Ristenpart, Wissenschaftlicher Beamter, Oldenburger Str. 42. NW 21.
Schmidt, Karl, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Bayreuther
Str. 20. W 62.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
SITZUNGSBERICHTE 1908.
l.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
9. Januar. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
l. Hr. Nersst las über die Theorie der galvanischen Polari-
sation und ihre Anwendung zur Berechnung der Reizwir-
kungen elektrischer Ströme.
In dem Vortrage wurden zunächst die Gleichungen für die Polarisation löslicher
Metallelektroden besprochen und sodann die Anwendung der so gewonnenen Formeln
auf die physiologischen Reizwirkungen durch elektrische Ströme erörtert. Insbesondere
wurde gezeigt, dass sich für den durch Stromstösse ausgeübten Reiz eine einfache
Formel ergibt, indem der Strom, der gerade noch einen Reiz ausübt, der Quadratwurzel
aus seiner Zeitdauer umgekehrt proportional ist. Durch die Versuche verschiedener
Forscher konnte dieses Gesetz quantitativ geprüft werden.
2. Hr. Fıscner legte eine von ihm und Dr. F. Wrepe ausgeführte
Untersuchung vor: Über die Bestimmung der Verbrennungs-
wärme organischer Verbindungen mit Benutzung des Platin-
widerstandsthermometers. (Ersch. später.)
Durch die verbesserte thermometrische Messung wurde eine grössere Genauigkeit
in der Bestimmung der Verbrennungswärme von Benzoesäure und Rohrzucker erreicht.
3. Hr. Meyer machte eine Mittheilung über das erste Auf-
treten der Arier in der Geschichte.
Bemerkungen zu den von H. Wınckter aus den chetitischen Urkunden von Bo-
ghazkiöi nachgewiesenen arischen Götternamen in Mitani (nordwestliches Mesopotamien)
aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts.
4. Hr. Branca überreichte die weitere Ausarbeitung seiner Mit-
theilung vom 25. Juli 1907 zu der Frage, ob Ichthyosaurus gleich-
zeitig vivipar und stirpivor gewesen sei. Die Abhandlung
wird noch in den Jahresband 1907 aufgenommen werden.
5. Hr. Fıscuer legte eine Mittheilung von Prof. J. RosentHAL in
Erlangen vor: Zerlegung hochcomplicirter chemischer Ver-
bindungen im schwankenden magnetischen Kraftfeld.
Chemische Verbinduugen von der Art, wie sie durch Enzyme hydrolytisch ge-
spalten werden — Proteine, Glukoside, Poly- und Disaccharosen —. zerfallen in ganz
Sitzungsberichte 1908. 1
2 Gesammtsitzung vom 9. Januar 1908.
ähnlicher Weise unter Bildung der gleichen Spaltungsproducte, wenn sie in das Innere
eines von starkem, in regelmässigen Intervallen unterbrochenem Gleichstrom oder von
Wechselströmen durchflossenen Solenoids gebracht werden. Die Zahl der dazu er-
forderlichen Stromunterbrechungen oder Stromwechsel ist für verschiedene Substanzen
verschieden — bei Stärke z.B. gleich 340— 380 in der Secunde. Die Zerlegung dieser
Substanz wird genauer beschrieben und die Übereinstimmung mit der durch diastatische
Enzyme bewirkten nachgewiesen. Schliesslich wird auf die Analogie mit den chemi-
schen Wirkungen des Lichts hingewiesen und die Ansicht ausgesprochen, dass es sich
um eine Übertragung der Energie des Aethers auf die materiellen Molekeln handle,
welche dadurch zum Zerfall in kleinere Bestandtheile angeregt werden.
6. Die folgenden Druckschriften wurden überreicht: durch Hrn.
ScnhmorLzer Acta Borussica. Denkmäler der Preussischen Staatsver-
waltung im 18. Jahrhundert. Behördenorganisation. Bd. 4. Hälfte ı. 2
(1723 — 1729). Bearb. von G. ScnumoLzLer und W.Sroıze. Berlin 1908,
Bd. 9 (1750— 1753). Bearb. von G. Scumorter und O. Hıyrze. Berlin
1907; durch Hrn. Dies Bd. 2 Hälfte ı der zweiten Auflage seiner
Ausgabe der Fragmente der Vorsokratiker. Berlin 1907; ferner Ferpı-
NAND Von Rıcatnuoren’s Tagebücher aus China. Ausgewählt und heraus-
gegeben von E. Tıessen. Bd. ı. 2. Berlin 1907.
Weiter wurden die zwei Unternehmungen der Humgorpr-Stiftung
betreffenden Schriften überreicht: zwei Arbeiten enthaltend Ergebnisse
der Reise des Hrn. Prof. Tiuuıwentus nach Polynesien und Neu-Seeland,
E. SAuERBEcK, Eine Gehirnmissbildung bei Hatteria punctata. Halle 1905
(Aus den Nova Acta der Kaiserl. Leop.-Carol. Deutschen Akademie der
Naturforscher. Bd. 85), und Jura Gist, Das Gehirn von Hatteria punctata.
Naumburg a. S. 1907; und drei Berichte des Hrn. Prof. H. Kraarsch
über seine Reise nach Australien in den Jahren 1904—-1907.
7. Die Akademie hat aus ihrem Fonds für wissenschaftliche Unter-
nehmungen bewilligt: durch ihre physikalisch-mathematische Classe
500 Mark Hrn. Prof. Dr. Anorr Scnmmmr in Potsdam zur Beschaffung
von Instrumenten für magnetische Messungen auf hoher See;
durch ihre philosophisch-historische Classe 500 Mark Hrn. Prof.
Dr. Gustav Beexwans in Erlangen zur Herausgabe des Liber diurnus
curiae Romanae des Andrea da Santa Croce, und 500 Mark Hrn. Privat-
docenten Dr. Koxrar Ziesrer in Breslau zu einer Reise nach Italien
behufs Vergleichung von Handschriften der Biographien Plutarch’s.
Die Akademie hat das auswärtige Mitglied der physikalisch-
mathematischen Classe Lord Kervıy in Largs (Schottland) am 17. De-
cember 1907 durch den Tod verloren.
Nernst: Polarisation und Nervenreizung. 3
Zur Theorie der galvanischen Polarisation; An-
wendung zur Berechnung der Reizwirkungen elek-
trischer Ströme.
Von W. Nerssrt.
I. Wir betrachten zunächst eine lösliche Metallelektrode, die in
eine beliebige Lösung taucht; durch einen hindurchgeschickten Strom
wird dann je nach der Stromrichtung Metall in Lösung gehen oder
abgeschieden werden. Die Änderung der elektromotorischen Kraft
der Elektrode wird in diesem Falle durch die Änderung der Kon-
zentration der Ionen des betreffenden Metalls bestimmt, und letztere
hängt einerseits von der hindurchgeschicekten Strommenge, anderseits
von dem durch Diffusion bedingten Ausgleich der Konzentrations-
differenzen ab.
Die Differentialgleichungen, denen diese Konzentrationsänderungen
unterworfen sind, wurden bereits von H. F. Wesrr' aufgestellt und
für einzelne Fälle diskutiert; neuerdings (1896) gelang es bekanntlich
Warsgurg”’, durch Integration derselben für Wechselströme weitgehende
Folgerungen für das Verhalten sogenannter unpolarisierbarer Elek-
troden aus jenen Gleichungen herzuleiten.
Auch die Konzentrationsänderungen, die an der Grenze zwischen
zwei nicht miteinander mischbaren Lösungsmitteln infolge elektrolyti-
scher Überführung auftreten, sind denselben Differentialgleichungen
unterworfen’; daß derartige Konzentrationsänderungen ferner für ge-
wisse physiologische Prozesse maßgebend sind, glaube ich schon vor
einiger Zeit wahrscheinlich gemacht zu haben‘.
Im folgenden seien zunächst die erwähnten Differentialgleichungen
für gewisse Grenzbedingungen näher behandelt und hierauf einige An-
wendungen der so gewonnenen Resultate auf die Vorgänge der elektri-
schen Reizung gemacht.
! WıEDEmAnNns Annalen 7 540 (1879).
® Ebenda 67 495 (1899).
3 Nernsr und Rırsenrero, ebenda. Vierte Folge 8 600 (1902).
* Gött. Nachr. Math.-physik. Klasse, Heft ı (1899) S. 104.
1*
4 Gesammtsitzung vom 9. Januar 1908.
2. Der Strom fließe der x-Achse parallel, zur Flächeneinheit der
Elektrode wirke der Strom i zur Zeit t.
(1) i= fl);
bei Beginn (= 0) herrsche in der Lösung, die wir uns in Richtung
der x-Achse unendlich ausgedehnt denken, die konstante Konzen-
tration @,. Überall gilt dann die bekannte Diffusionsgleichung
dc 0°C
(2) Be
wenn ferner der Strom i in der Zeitheit die Salzmenge vi zur Elek-
trode transportiert, so gilt
(3) k—- =vi für 2=o,
was lediglich die Bedingung dafür ist, daß an der Elektrode die
Diffusion nur nach einer Seite hin erfolgen kann.
Anstatt (2) setzen wir, indem wir nach x differentiieren,
0°C u de
dadt 9@’
und indem wir als neue Variable!
dc 2
(4) a — m
einführen, wird
dm 27
(5) a
wo für m nunmehr die Grenzbedingungen gelten:
für = o und beliebige x gilt m=o;
für <= oo und beliebige t gilt m=o;
fürs —torgill; m—=m= fl).
Durch diese einfache Substitution erreichen wir, daß wir nun
ohne weiteres die vielen Lösungen verwenden können, die FourIEr
und spätere für das Problem der Wärmeleitung in einem unendlich
ausgedehnten Stabe bei verschwindender äußerer Wärmeleitung für
verschiedene Randbedingungen gegeben haben.
Ist so m als Funktion von x und ? gefunden, so haben wir zwei
Wege zur Berechnung der gesuchten Konzentrationen. Einmal gilt
! Kırcanorr, Theorie der Wärme, S.25; ScHeve, Dissertation, Berlin 1895, S.8.
Nernsr: Polarisation und Nervenreizung. 5
= z
(6) e—=6+ [m da;
sodann aber ist auch
de
=6+ dt
ot
und bei Berücksichtigung von (2)
t
0)
(7) (— e de.
dx
o
3. Als erstes Beispiel betrachten wir den Sinusstrom; wir setzen
N T j av
ce=asin|n!-+- — |), somit m, = —-cos nt
2» k
(n gleich 2” mal Zahl der ganzen Stromwechsel pro Sekunde). Als
Lösung finden wir bei RıEmann-Weser, Differentialgleichungen II, S. 109
nach einigen einfachen Umformungen
av = ve nn ze (e—2)? er (« +9?
Se a
hr T 2
o
worin & eine Integrationsvariable bedeutet.
Das zweite Glied der rechten Seite verschwindet für große Werte
von Z, d.h. das erste Glied liefert die Lösung für den stationären Zu-
stand. Durch Integration nach (6) oder einfacher nach (7) folgt dann
leicht für = 0, d. h. für die an der Elektrode herrschende Kon-
zentration
(9) G— sinne 7)
als Lösung für den stationären Zustand. Dies ist der bereits von
WaRrgure (a.a. O.) erhaltene Ausdruck.
Betrachten wir nunmehr die Wirkung unreiner Sinusströme. Ein
derartiger Strom läßt sich bekanntlich ausdrücken durch eine Summe
von der Form
= a cos nt a, cos 2ni+ a, cosz3ni—+...;
6 Gesammtsitzung vom 9. Januar 1908.
worin n die Schwingungszahl des Grundtons bedeutet. Die Lösung
für den stationären Zustand ergibt sich analog Gleichung (9) zu
(10) c=6+ I sin ar nee
VnVk 4 & 4
Die mittlere Stromstärke, wie sie durch ein Wechselstrominstru-
ment (Dynamometer, Hitzdraht) gemessen wird, ist in diesem Falle'
Re —n m a, 2 a, 2
(4) Ve+®@+ad+...=ay ı+ a
Nun hat der Ausdruck, der in Gleichung (10) in der Klammer
steht, wenn wir y= ni setzen, die Form F(y). Das Maximum dieser
Funktion muß, weil n dann nicht mehr darin vorkommt, von n un-
> . r E a 5
abhängig sein und für bestimmte Werte der Verhältnisse — usw. einen
Fir a
ganz bestimmten Wert besitzen. Da nach Gleichung (11) andrerseits
a
die mittlere Stromstärke bei gegebenen Werten der Verhältnisse —
a
usw. der Amplitude des Grundtons proportional ist, so erkennen wir,
daß auch für unreine Sinusströme die Konzentrationsdifferenzen c— c,
der Quadratwurzel aus der Frequenz proportional sein müssen, wenn
nur die Bedingung erfüllt ist, daß mit der Änderung der Schwingungs-
zahl n die Amplitudenverhältnisse der Obertöne zum Grundton sich
nicht ändern.
Dieses Resultat ist insofern von praktischer Bedeutung, als das
obige Quadratwurzelgesetz demnach auch für jeden beliebigen rotie-
renden Wechselstromerzeuger gelten muß, wenn nur mit wachsender
Tourenzahl der betreffenden Maschine die Form der Stromkurve sich
nicht ändert; diese Voraussetzung wird in Wirklichkeit immer nahe
erfüllt sein, und es werden besonders dann, wenn die Grundscehwingung
stark ausgeprägt ist, die geringfügigen Deformationen, welche die
Stromkurve mit der Tourenzahl etwa doch erfährt, praktisch zu ver-
nachlässigen sein.
4. Konstanter Strom. Die Lösung für diesen Fall läßt sich ohne
weiteres den Formeln entnehmen’, die früher bei einem analogen
Problem bereits entwickelt wurden; wir haben hier die Bedingung
VIE
T— m = const.
' Vgl. z.B. Beperı und Ürenore, Wechselströme S.143ff. Berlin bei Springer 1895.
2 Nernst und RıEsEnFeLp, a.a. 0.
Nernsr: Polarisation und Nervenreizung. 7
und entnehmen der Gleichung (13a) der erwähnten Arbeit die Lösung!
‚YV-
(1 2) —o=WnN 6
rk
Für manche experimentelle Untersuchungen wird sich in erster
Linie die Benutzung der Kondensatorentladung empfehlen, die bekannt-
lich bei fehlender Selbstinduktion der Gleichung
7 t
7%
ı= —e
gehorcht. Mit der rechnerischen Behandlung dieses Problems ist
Hr. Dr. Eucken beschäftigt, der, wie ich auch hier mit Dank erwähnen
möchte, mich u. a. auf das für unsre Zwecke so wichtige Integral
Gleichung (8) aufmerksam machte.
5. Schließlich wollen wir noch kurz den Fall eines Stromstoßes
beliebiger Form besprechen. Wir können einen solchen nach Fourıer
stets in eine Summe von Sinusströmen auflösen und finden dann als
Lösung eine der Gleichung (8) entsprechende Summe.
Da uns wesentlich nur die Lösung für & = 0 interessiert, so er-
halten wir für c—c, eine Summe aus Gliedern der Form
worin, wie sich durch einfache Rechnung ergibt,
” = cos |nt+ = [ee ad,
Tore — 7 77 Ss — - — — 2 .p t ade.
0% z=o k k lt, 4 2Vr kest5, ak
zu setzen ist. Damit haben wir die allgemeine Lösung des in Rede
stehenden Problems; freilich wird sich wegen der Schwierigkeit, die
beiden Integrationen für den zweiten Ausdruck durchzuführen, im
speziellen Fall mit dieser Lösung meistens wenig anfangen lassen.
Anwendungen.
6. Die obigen Gleichungen liefern zugleich eine Theorie der Rei-
zung durch Stromstöße, wenn man die Annahme macht, daß die Reiz-
schwelle erreicht wird, sobald an der Grenzfläche des Protoplasmas
der Zellen durch den Strom eine gewisse Konzentrationsdifferenz
A = (—(6,
! Die obige Gleichung findet sich ferner abgeleitet und auf die Polarisation von
Metallelektroden angewandt in einer sehr bemerkenswerten Arbeit von S. R. MıLner
(Philosoph. Mag. Mai 1905).
8 Gesammtsitzung vom 9. Januar 1908.
hervorgerufen ist. Ein Reiz würde hiernach gerade dann eintreten,
wenn durch den Strom eine Konzentrationsdifferenz in einem A er-
reichenden oder übersteigenden Betrage sich eingestellt hat.
So ergibt sich nach Gl. (9), daß ein Wechselstrom dann einen
Reiz ausübt, wenn die Gleichung
av
See m Dei
(13) A<c a
erfüllt ist, und so finden wir das Gesetz, wonach der Strom, der ge-
rade noch einen Reiz ausübt, der Quadratwurzel aus der Schwingungs-
zahl proportional ansteigt (NERNsT, a. a. O0. 1399).
Dieses Gesetz ist innerhalb gewisser Grenzen durch die Versuche
von Zeynek', Nernstr und BArrart”, Reıss® gut bestätigt worden. Die
obigen Betrachtungen haben nun aber gelehrt, daß es nicht einmal
nötig ist, reine Sinusströme zu verwenden, sondern daß das obige
Quadratwurzelgesetz für jeden beliebigen Wechselstromerzeuger gelten
muß, wenn nur die Schwingungsform mit der Frequenz sich nicht
ändert. Dies wird aber offenbar, wie bereits oben betont, für jeden
rotierenden Wechselstromerzeuger mit großer Annäherung zutreffen.
Bei den ersten Versuchen, die auf meine Veranlassung ausgeführt
wurden, nämlich denen von Zeynzck, wurde auf diesen Punkt zunächst
weniger geachtet, und man verglich die Reizwirkung zweier verschie-
dener Wechselstrommaschinen direkt miteinander, was offenbar strenge
nicht statthaft ist. Im folgenden sind die mit beiden Maschinen er-
haltenen Resultate getrennt aufgeführt; Tabelle I bezieht sich auf
die mit einem Sinusinduktor nach Konrrauscn erhaltenen Zahlen, Ta-
belle II enthält die mit einer Hochfrequenzmaschine gewonnenen Er-
Tabelle 1.
m \i beob. | i ber. iVm
| | |
5-3 5.8 5-5 2.51
12 8.2 8.3 2.36
32 12.6 13.6 2.23
44 15.1 15.9 2.27
75 22.0 20.8 2.54
84 23.2 22.1 2.54
100 25.3 24.0 2.53
110 25.5 25.3 2.42
i=2.4Vm
! Gött. Nachr., Math.-physik. Klasse, Heft 7 (1899).
? Zeitschr. f. Elektrochemie 1904, S. 664.
® Prrücers Archiv 117 578 (1907).
Nernsr: Polarisation und Nervenreizung. 9
Tabelle II.
der Messungen m i beob. | i ber. iVm
|
I 571 43.2 39.5 1.80
8 899 51.6 49.3 1.72
11 1320 62.3 60.0 1.71
8 1928 7146 | 725 1.70
3 2587 86.7 83-8 1.70
5 3540 97-7 98.0 1.64
5 4474 106 I1O 1.59
i= 1.65 Ym
n : x
m=—_ bedeutet die Zahl der ganzen Stromwechsel.
T
gebnisse. In letzterer Tabelle sind immer eine Anzahl nahestehender
Werte zu einem Generalmittel vereinigt. Bemerkt sei noch, daß überall
nur diejenigen Messungen benutzt wurden, bei denen der Strom mit
Hilfe eines Dynamometers gemessen wurde, weil diese Messungen
offenbar die genaueren sind.
Die obigen Tabellen lehren, daß für jede Versuchsreihe einzeln
das Quadratwurzelgesetz gut stimmt; der Unterschied zwischen den
Wellenformen beider Maschinen zeigt sich aber darin, daß in den
beiden durchaus vergleichbaren Zahlreihen der Quotient — —- im ersten
L
Vm
Falle stets größer ist als im zweiten und daß im Mittel die Reiz-
fähigkeit des Wechselstroms der zweiten Maschine fast das andert-
halbfache derjenigen der ersten ist.
Gleichzeitig ersehen wir somit, daß für die sensibeln Nerven der
Fingerspitzen, worauf sich die obigen Messungen beziehen, das Quadrat-
wurzelgesetz bis zu relativ kleinen Schwingungsdauern herab gültig
bleibt; ein Resultat, das sich übrigens in vollem Einklang mit den
neuern Ergebnissen von Rerıss (a. a. O.) befindet.
7. Die Berechnung des Reizeffekts durch einen konstanten Strom i,
der während der Zeit / wirkt, liefert uns Gleichung ı2, indem nach
dieser Formel dann ein Reiz auftreten wird, wenn die Bedingung
t
A<Zze— es, =VWuV —-
Fu "Vak
erfüllt ist. Für die Reizschwelle selber ergibt sich demnach
(14) ıVt = const.
Zur Prüfung dieser Gleichung liegen zunächst die Versuche von
Weıss' vor, der bekanntlich diese Art der Reizung zuerst eingehend
! Archives italiennes de Biologie 35 Fasc. III ı (1gor).
10 Gesammtsitzung vom 9. Januar 1908.
studiert hat, indem er eine bestimmte elektromotorische Kraft während
einer gewissen sehr kleinen, aber genau meßbaren Zeit in einen großen
selbstinduktionsfreien Widerstand schloß; das zu untersuchende Prä-
parat befand sich ebenfalls im Stromkreise. Man kann dann annehmen,
daß ein nach dem Onuschen Gesetze zu berechnender Strom ö während
der Zeit £ in konstanter Stärke gewirkt hat. Der genannte Forscher
fand bei seinen Versuchen innerhalb gewisser Grenzen als gültig die
Formel:
Es ist von vornherein klar, daß. meine Formel mehr besagt als
diejenige von Weiss, weil letztere zwei, erstere nur eine von der Natur
des untersuchten Objekts abhängige Konstante enthält. Für kleinere
Variationen von Zeit und Stromstärke können naturgemäß beide Formeln
stimmen, für größere differieren sie hinreichend, um ohne weiteres eine
Entscheidung zwischen ihnen zu erlauben. Aber auch in den Fällen,
wo beide Formeln etwa gleich gut stimmen, würde die Formel von
Werıss als die weniger leistungsfähige angesehen werden müssen, weil
sie eben unnötig viel willkürliche Konstante enthält, auch abgesehen
davon, daß die Formel von Weiss rein empirisch ist.
Versuche von Weıss.
Die in den folgenden Tabellen angegebenen Zeiten ? sind mit
0.000077 zu multiplizieren, um Sekunden zu erhalten; als Strom-
stärken £ sind die damit proportionalen Spannungen angegeben; der
in jeder Versuchsserie konstante Widerstand betrug meistens gegen
500000 Ohm.
Rana esculenta.
t ibeob. über. evt
|
———
6 | 147 136 | 360
8 | 124 119 351
Io 110 106 349
12 94 97 326
16 81 84 324
20 | 13 | 75 326
30 62 | 61- | 340
el saltally ss:
Nernst: Polarisation und Nervenreizung.
Rana esculenta.
t | i beob. | i ber. | eVi
|
4 | (185) 177 (370)
6 142 145 348
8 123 126 348
10 Men 112 355
12 | 103 102 358
14 97 95 | 364
20 86 N ro 384
40 77 BO Er 487
re
rt
Frosch. Frosch (kurarisiert).
t | i beob. | i ber. | iVt t | ö beob. | über.
1 | |
6 87 | 82 213 5 | (136) 112 |
8 ( 195 10 Domaeı 85
10 62 63 | 203 15 70 79
12 57 58 | 198 20 58 60
14 54 | 54 202 25 53 54
__ 200 30 50 49
TE 3, De
ve
Rana temporaria.
it | öbeob. | iber | ie
I |
4 (78) 72 (156)
10 | 42 46 133
IS | .36 37 140
20 | 32 32 143
0 | 27 23 171
a,
V
Kröte. Schildkröte.
———— — ——— —— —
t i beob. i ber. evt t | i beob. i ber.
| | |
4 (175) 137 (350) 4 (122) 105
10 84 87 282 Io | 66 | 66
15 70 71 272 15 | 52 54
20 59 61 264 20 | 45 47
40 45 44 284 40 36 33
Zen ;_ 210
Vt vt
11
12 Gesammtsitzung vom 9. Januar 1908.
Zunächst fällt in den obigen Tabellen eine Abweichung zwischen
Theorie und Versuch bei {=4 auf, die immer im gleichen Sinne
liegt und ziemlich konstant 10 bis 20 Prozent beträgt; da Weıss aus-
drücklich bemerkt (a.a. ©. S.2ı), daß die Fehler der Zeitbestimmung
erst bei {=5 bis 6 zu vernachlässigen sein werden, so liegt die
Vermutung nahe, daß hier in der Tat eine einseitige Fehlerquelle
aufgetreten ist, und ich hielt mich daher für berechtigt, die auf
= 4 und 5 bezüglichen Werte einzuklammern. Bei längeren Zeiten
tritt in einigen Fällen eine Abweichung in dem Sinne auf, daß hier
der Strom schwächer wird, als er nach unsern Formeln wirken sollte.
Dies war aber nach den Voraussetzungen der Theorie zu erwarten,
indem bei länger dauernden Reizen! die Konzentrationsdifferenzen in-
folge Störung durch benachbarte Membranen verringert werden. Hier-
von abgesehen, ist aber die Übereinstimmung zwischen Versuch und
Theorie so gut, als nur zu erwarten war.
Versuche von LarıcguE”.
Froschmuskel, erregt durch den Nerv. = 12°5
| |
t103 | i beob. iber. | i Vt.103
| |
0.33 175 165 IOI
0.66 115 116 93
I 91 95 91
1.5 Tl 93
2 68 67 97
2.5 64 60 101
3 61 55 106
38
Yt
Dasselbe; = 2495
t- 103 i beob. i ber. i VE 103
|
|
0.33 270 270 155
0.60 187 191 152
I [me 725155 155
1.5 Tr26 | 126 155
2 m | a Ne ee
2.5 112.5 98 % 178
3 II2 | 90 194
=
rt
ı NernstT, a. a. O. S. 107 (1899).
®2 Journ. de Physiologie et Pathologie, Juli 1907, Bd. 9.
Nernsst: Polarisation und Nervenreizung. 15!
Aplysia punctata‘.
|
| | |
t.10? ibeob. iber. | iVtıo? | Formel
| | von Weıss
0.4 9.0 9.5 5.8 17.0
0.6 8.0 7.8 6.2 11.7
N 5.6 5.5 6.1 6.5
2 3.9 3.8 6.0 3-9
3-4 3-4 3-3 6.3 3-1
7-8 2.5 2.8 5.5 2.6
7.8 2.1 2.2 5.9 2.1
6.0
= —-
Vt
Die Versuche von LarıcquE sind zweifellos mit außerordentlicher
Präzision ausgeführt; entsprechend ist die Übereinstimmung zwischen
Rechnung und Versuch eine derartige, wie sie bisher wohl nur in
den Versuchen von BArrAarr und mir (S. 8) erreicht wurde; es darf
wohl als überraschend bezeichnet werden, daß sich für den phy-
siologischen Reiz nicht nur Messungen, sondern auch Gesetze von
solcher Exaktheit erbringen lassen. Die Abweichungen, welche die
Versuche von Weiss für die Zeiten 4 -0.000077 = 0.308 10° zeigten,
fehlen in den letzten Tabellen bei den entsprechenden Zeiten =0.33-. 10°.
Hingegen finden wir auch hier, wenigstens bei den Froschpräparaten,
die oben erwähnte und begründete Abweichung, wonach bei länger
dauernden Reizen der Strom schwächer wird, als es die nur für
Momentanreize gültigen Formeln verlangen.
Besondere Hervorhebung verdient, daß, wie die fünfte Kolumne
der letzten Tabelle zeigt, die Formel von Weıss gänzlich versagt,
während meine einfachere Formel die Beobachtungen sehr gut wiedergibt.
! Larıcquz, Bulletin de la Station biologique d’Arcachon 1904/05, S. 12.
14 Gesammtsitzung vom 9. Januar 1908.
Das erste Auftreten der Arier in der Geschichte.
Von EpvArD MEYER.
E den vor wenigen Tagen erschienenen » Vorläufigen Nachrichten über
die Ausgrabungen in Boghazkiöi im Sommer 1907 «' hat Huco WinckLer
einen äusserst inhaltreichen Bericht über den Inhalt der zahlreichen
Thontafeln gegeben, welche aus den Archiven der Hauptstadt des
alten Chetiterreichs erhalten sind, die er in Boghazkiöi im nordöst-
lichen Kleinasien, im Centrum -der Landschaft, die seit der Perserzeit
Kappadokien heisst, aufgedeckt hat. Sie gehören der Zeit von rund
1400 bis 1200 v. Chr. an. So wenig WınckLer daran denken konnte,
in dieser Zusammenstellung der Ergebnisse einer ersten raschen Durch-
sicht der Funde ihren Inhalt auch nur annähernd vollständig wieder-
zugeben, so dankenswerth und lehrreich ist das, was er uns bereits hat
bieten können. Unter der Fülle des Neuen befindet sich ein Document,
welches die Aufmerksamkeit in ganz hervorragender Weise in Anspruch
nimmt; und an dieses möchte ich eine kurze Bemerkung anknüpfen.
Als in dem Thontafelfund von Tell el Amarna die Correspondenz
des Pharao Amenophis’ III. (ca. 1415— 1380) und seines Sohnes Ame-
nophis’ IV. mit ihren »Brüdern«, den Königen der asiatischen Reiche,
und mit ihren Vasallen in Syrien zu Tage trat, hat es sofort die Auf-
merksamkeit erregt, dass unter den Namen der Fürsten und Dynasten
Syriens (bis nach Palästina hinab) und des nördlichen Mesopotamiens
zahlreiche Namen vorkamen, welche deutlich iranisches Gepräge haben’.
Ich habe im letzten Frühjahr das gesammte für die älteste Geschichte
der Iranier zu Gebote stehende Material zusammengestellt und ge-
sichtet in einem Aufsatz, der jetzt in der Zeitschrift für vergleichende
Sprachwissenschaft gedruckt wird. Ich kam zu dem Ergebniss, dass
die Iranier etwa im 18. oder 17. Jahrhundert in ihre späteren Wohn-
sitze eingerückt und einzelne Schaaren, sei es auf Raubzügen, sei es
! Mittheilungen der Deutschen Orientgesellschaft Nr. 35.
® Sie sind zuerst von Houmer, Hethiter und Skythen und das erste Auftreten
der Iranier, Ber. Böhm. Ges. d.W. 1898, zusammengestellt worden, der aber viele sicher
nicht hierher gehörige Namen heranzieht und dessen Schlussfolgerungen ich nicht bei-
stimmen kann.
Meyer: Das erste Auftreten der Arier in der Geschichte. 15
als Soldtruppen, weit darüber hinaus nach Mesopotamien und Syrien
vorgedrungen sind und hier, inmitten einer fremdsprachigen Bevölke-
rung, Dynastien gegründet haben, ähnlich den Germanen im römischen
oder den Türken im islamischen Reich. Ich schloss daran die Ver-
muthung, dass das Pferd, das bekanntlich der älteren Zeit Babyloniens
eben so fremd ist! wie der Ägyptens, dagegen seit dem 16. Jahrhun-
dert uns in der ganzen vorderasiatisch-ägyptischen Culturwelt und
ebenso in Kreta und Mykene als Kriegsross am Streitwagen überall
entgegentritt — dass es noch Jahrhunderte lang keinerlei andere Ver-
wendung findet, zeigt seinen fremden Ursprung eben so deutlich wie
die Schreibung »Esel des (östlichen) Berglandes« für Pferd im Baby-
lonischen —, dass das Pferd durch die Iranier in die vorderasiatische
Welt gekommen sei. Speeiell lässt sich behaupten, dass die Dynastie,
dieim 15. und 14. Jahrhundert in Mitani herrschte, d.i. in dem zu beiden
Seiten des Euphrat in dem Lande Naharain (TTararıotamia) der Semiten
und Ägypter (= Chanigalbat der Assyrer) gelegenen Reiche, irani-
schen Ursprungs sei; ihre Könige heissen Artatama, Artasuwara, Su-
tarna, Dusratta, wozu jetzt noch Sa-us-Sa-tar, mit Satar — khsatra,
und Mattiwaza kommen’. Die letzten Nachkommen dieser Iranier sind
die Könige Kundaspi (854 v. Chr.) und Kustaspi (743 v. Chr.) von
Kommagene (Kummuch).
Diese Annahmen ‘werden jetzt in der willkommensten und über-
raschendsten Weise bestätigt und erweitert durch Wincxter’s Angaben
über die Urkunden von Verträgen, die der Ühetiterkönig mit dem
König von Mitani zu Anfang des 14. Jahrhunderts geschlossen hat.
Als Schützer der Verträge werden die Götter der beiden Reiche an-
gerufen; und in der Götterliste erscheinen, nach zahlreichen baby-
lonischen und einheimischen Gottheiten, unter den Göttern von Mi-
tani nach Winckter’s Mittheilung
! Uncnap, Orientalistische Litteraturzeitung X 1907, 638f., hat jetzt das Pferd in
einer babylonischen Urkunde nachgewiesen, die »ihrer Schrift und ihrem ganzen Aus-
sehen nach etwa in die Zeit Hammurabi’s oder Samsuiluna’s gesetzt werden muss« —
das wäre nach der jetzt meines Erachtens völlig feststehenden babylonischen Chrono-
logie um 1900 v. Chr. Das würde also nichts gegen meine These beweisen, sondern
nur zeigen, dass um diese Zeit die Iranier im Vorrücken waren und das Pferd sich
bereits über das von ihnen besetzte Gebiet hinaus zu verbreiten begann. Denn dass
der Zeit Chammurabi’s das Pferd noch fremd war, beweist sein Gesetz, das es nir-
gends erwähnt. Besonders entscheidend sind Stellen wie $ 7 und 8, wo ausser Silber
und Gold, Knechten und Mägden als beweglicher Besitz »Rind oder Schaf, Esel oder
sonst etwas« ($8 fügt noch Schwein und Schiff hinzu) genannt wird, während das
Pferd fehlt. Ebenso behandelt $ 224 f. der Thierarzt nur Rind und Esel; das Pferd
ist auch hier nicht genannt. — In den Urkunden der Kossaeerzeit dagegen (seit 1760)
wird das Pferd häufig erwähnt.
2 WinckLEr S. 37.
16 Gesammtsitzung vom 9. Januar 1908.
(iläni) mi-it-ra-as-Si-il (iläni) u-ru-w-na-as-Si-el
Variante: a-ru-na-as-Si-il
(ilu) in-dar (iläni) na-sa-alt-ti-ia-a]n-na
Variante: in-da-ra na-S[a]-at-ti-ia-an-na.
Die Suffixe -assil und -anna müssen der chetitischen Sprache ange-
hören und werden wohl in Zukunft von hier Aufklärung finden. In
den drei ersten Gottesnamen hat WınckLer mit vollem Recht Mithra,
Varuna und Indra erkannt; zu dem vierten macht er den Zusatz:
»Nasatya die ‘Zwillinge’? (F. ©. Anpreas)«. Diese Gleichsetzung ist
zweifellos richtig; sie führt aber noch einen Schritt weiter. Nasa-
tya (Dual) ist im Veda der ständige, seiner Bedeutung nach freilich
noch ganz dunkle Beiname der beiden Asvin’s, der den Dioskuren
und den verwandten Gestalten entsprechenden hilfreichen Gottheiten.
Einmal, Rigveda VIII 26, 8, werden Indra und die beiden Nasatya
zu dem Compositum Indra-nasatya (Dual) zusammengefasst; sie werden
hier angerufen, das Opfer des Sängers entgegenzunehmen (@ me asya
pralivyam indranasalya galanı).
Das Nebeneinanderstehen dieser vier Götternamen und vollends
ihre Gruppirung schliesst jede Möglichkeit eines Zufalls aus. Wie
Indra' und die beiden Nasatya, so bilden bekanntlich auch Mitra und
Varuna ein, im Veda sehr oft zu dem Dvandvacompositum Mitra-
Varuna zusammengesetztes, Paar”. Die beiden Paare haben in der
iranischen Religion ganz verschiedene Schicksale gehabt. Während
Varuna, wenn auch nicht unter diesem Namen, so doch unter dem
Namen Ahura (= Asura) von Zarathustra als der höchste Gott aner-
kannt und mit seiner abstracten Neuschöpfung Mazdao, der »grossen
Weisheit«, identifieirt wurde, und Mithra von seiner Religion wenig-
stens als populäre Gottheit geduldet und dann von Artaxerxes Il.
neben Anähita officiell unter die grossen Götter des Parsismus auf-
genommen worden ist, sind Indra® und die Nasatya’s (letztere in der
Form Näonhaithya als männliches Einzelwesen‘) zu Teufeln (daeva)
degradirt worden (Vend. 10, 17. 19, 43).
! Ob man aus der Schreibung In-dar, In-da-ra folgern darf, dass damals wirk-
lich die im Rigveda noch häufig vom Metrum geforderte Form Indara gesprochen
wurde, oder ob hier lediglich die Unmöglichkeit gewirkt hat, eine Häufung von drei
Consonanten in Keilschrift wiederzugeben, wird sich kaum entscheiden lassen.
®2 Hängt damit zusammen, dass vor jedem der beiden das Gottesdeterminativ im
Plural (iläni) steht, und dass beide Namen dasselbe Suffix 32 oder assil haben? Vor
Indra steht das Gottesdeterminativ richtig im Singular (dw), vor Nasatya im Plural.
® Dass die richtige Lesung im Awesta Indra (nicht Andra) ist, ist jetzt, wie mir
Pıscaer mittheilt, durch GeLDner festgestellt.
* Auch in der späteren indischen Mythologie ist Näsatya Singular und Eigen-
name des einen der beiden ASvin’s; der andere heisst Dasra.
MEYyvER: Das erste Auftreten der Arier in der Geschichte. 17
Wir können den Stammbaum der Könige von Mitani über Dus-
ratta, der um 1400 v.Chr. regierte, drei Generationen bis zu Saus-
Satar hinauf verfolgen. Spätestens zu Anfang des 15. Jahrhunderts
hat mithin eine arische (iranische) Dynastie' hier, im nordwestlichen
Mesopotamien, die Herrschaft gewonnen, vielleicht aber noch beträcht-
lich früher”. Mithin müssen die arischen Stämme damals schon in
Iran gesessen haben. Man sieht, die Ausbreitung der Arier aus der
gemeinsamen Heimath nach Südosten ins Indusgebiet, wo wir sie in
der vedischen Zeit antreffen, und nach Westen nach Iran, bis nach
Medien und Persien und in einzelnen Schaaren noch weit darüber
hinaus, ist ungefähr gleichzeitig erfolgt, in den ersten Jahrhunderten
des zweiten Jahrtausends. Der letzte Ausgangspunkt der grossen
Bewegung kann nur das Gebiet des Oxus und Jaxartes gewesen sein,
wie bei dem Vordringen der Indoskythen und der Türken; doch
möchte ich es nicht mehr mit der Bestimmtheit, mit der es gewöhn-
lich geschieht, als gesicherte historische Thatsache hinstellen, dass
die Arier in diesem Gebiete längere Zeit hindurch als einheitliches
Volk auf beschränktem Raum gesessen haben; die Invasion kann
sehr wohl auch von weiter her erfolgt sein und Baktrien lediglich
das letzte vorübergehende Durchgangsgebiet gebildet haben.
Die Vergleichung der Sprache, Religion und Litteratur der Inder
und Iranier hat gezeigt, dass beide sich erst in relativ recht später
Zeit aus dem einheitlichen, geschichtlich völlig greifbaren Volk der
Arier differenzirt haben, und zwar wesentlich in Folge der von den-
selben Grundanschauungen ausgehenden, dann aber in diametral ent-
gegengesetzter Richtung verlaufenden religiösen Entwickelung der bei-
den Zweige, die in Indien zum Brahmanismus führt, in Iran durch
die neue von Zarathustra geschaffene speculative Religion bestimmt
! In charakteristischem Gegensatz zu den arischen Namen der Könige stehen
die Namen ihrer Töchter, Giluchipa und Tatuchipa, die der einheimischen Volkssprache
angehören und mit dem Namen einer einheimischen Göttin Chipa (Wınckter S. 48)
gebildet sind.
?2 Nach mehreren, im einzelnen noch sehr dunklen Mittheilungen Wınckter’s
(S. 32 f. 37 ff. 49 f.) scheint das Element, welches in Mitani damals die Herrschaft führte,
in diesen Texten mit dem Namen Charri bezeichnet zu werden; das würden dann also,
wie WInckLEr S. 52 annimmt, die Arier sein. Dagegen kann ich seine weitere An-
nahme nicht für richtig halten, diese Charri seien mit den Choritern identisch, die im
A.T. als Urbewohner Edoms und in den isolirten Texten Gen. 34,2 und Jos. 9,7
(LXX ö xorrAloc, im hebräischen Text in Chiwwiter geändert) sowie in einzelnen
Sagenspuren als Urbevölkerung Palästinas erscheinen (s. Die Israeliten und ihre Nach-
barstämme, S. 330 ff. 339 f. 345. 406), bei den Ägyptern des neuen Reichs in der Form
Charu, Chör Palästina bezeichnen. Hier scheint lediglich ein zufälliger Gleichklang
vorzuliegen; im übrigen müssen wir hier die weiteren Aufschlüsse abwarten, welche
die vollständigen Texte bringen werden.
tv
Sitzungsberichte 1908.
15 Gesammtsitzung vom 9. Januar 1908.
wird!. Unser Text führt uns in diese arische Periode hinein; oder
vielmehr, er stellt uns die von der Forschung erschlossene vollständige
Übereinstimmung der Vorfahren der Inder und Iranier in Sprache” und
Religion lebendig vor Augen und zeigt, dass sie auch im 14. Jahr-
hundert noch bestanden hat’. Dieselben Götter, welche die Bewohner
des Pendjäb in der vedischen Zeit als Hauptgötter verehrten, treten
uns hier, 400 Meilen weiter westlich, in derselben Zeit als die Götter
der Arier in Mitani entgegen. Die Differenzirung ist erst in der fol-
genden Zeit eingetreten, vor Allem durch das Auftreten des Propheten
Zarathustra.
Zum Schluss möchte ich, gegenüber den auf diesem Gebiete viel-
fach begegnenden ganz unklaren und verwirrten Vorstellungen, darauf
hinweisen, dass dies Vordringen der arischen Stämme nach Westen
mit dem Einbruch der Indogermanen von Westen her in Kleinasien
gar nichts zu thun hat. Soviel wir jetzt sehen können, hat Klein-
asien bis zum Ende des ı3. Jahrhunderts eine im Wesentlichen ein-
heitliche, wenn auch in mehrere Volksstäimme gespaltene, vorindo-
germanische Bevölkerung gehabt — darüber dürfen wir ja jetzt aus
den chetitischen Urkunden genauere Aufschlüsse erhoffen. Aber die
älteste Cultur dieser Gebiete, welche uns in den Denkmälern von Troja,
Phrygien, Cypern entgegentritt, hat mit den Indogermanen gar nichts
zu thun; und vollends verkehrt ist es, diese, oder gar speciell ein
geschichtlich so junges Volk wie die Phryger, in die älteste Gultur
Kreta’s und die dortigen Bevölkerungsverhältnisse hineinzutragen. Über
die Meerengen mögen thrakische Volksstämme schon früher gegangen
sein. Aber die grosse Völkerverschiebung, durch die die Mitte der
Halbinsel von dem thrakisch-indogermanischen Volk der Phryger be-
setzt wurde (von denen dann wieder, noch etwa 6 Jahrhunderte später,
die Armenier ausgegangen sind), ist erst durch die grosse Völker-
! Den von mir schon früher kurz angedeuteten Nachweis, dass die Meder im
Jahre 715 Mazdajasnier, d.h. Bekenner der Religion Zarathustra’s, waren, dieser also
beträchtlich früher, etwa um 1000 v.Chr., gelebt haben muss, habe ich in der er-
wähnten Abhandlung weiter ausgeführt.
2 Denn die Form Naßatia zeigt, dass der iranische Übergang von s in h damals
noch nicht eingetreten war. Daher liegt jetzt auch kein Grund mehr vor, die Annahme
von SchrrıeLowrrz (Z. f. vergl. Sprachw. XXXVIIl 1902) zu verwerfen, dass der
kossäische Gottesname Suria$, den das kossäische Glossar (Derırzsch, Die Sprache der
Kossäer S. 25) als Sonnengott erklärt, — skr. surya(s) ist. Dasselbe Wort, in der
Form sizra, steckt in dem palästinensischen Dynasten Suwardata der 'Amarnabriefe
und in dem Mitanikönig ArtaSuwara.
® Für die Ausbreitung derselben, dialektisch kaum differenzirten Sprache über
ein gewaltiges Gebiet, die uns bei den Iraniern in Iran wie den iranischen Stämmen
der Skythen, Sauromaten, Jazygen entgegentritt, bietet die gleichartige Erscheinung
bei den türkischen Stämmen die beste Analogie.
Meyer: Das erste Auftreten der Arier in der Geschichte. 19
wanderung zu Anfang des ı2. Jahrhunderts herbeigeführt worden,
welche wir seit langem aus den Berichten und Wandgemälden Ram-
ses’ III. kennen. Dieser Völkerwanderung ist, wie Ramses Ill. erwähnt,
auch das grosse Chetiterreich erlegen, dessen Urkunden daher nach
Winckter’s Angaben um eben diese Zeit mit Arnuanta, dem Enkel
des um 1300 zur Regierung gekommenen Chattusil, des bekannten
Zeitgenossen Ramses’ II., abbrechen.
20 Gesammtsitzung vom 9. Januar 1908.
Zerlegung hochkomplizierter chemischer Verbin-
dungen im schwankenden magnetischen Kraftfeld.
Von J. RosEnTHAL
in Erlangen.
Vorgelegt von Hrn. Fischer.
geleg
E; ist bekannt, daß chemische Verbindungen durch Zufuhr von
Energie zerlegt werden können. Neben der durch Wärmezufuhr be-
wirkten sogenannten Dissoziation sind besonders die Zerlegungen durch
Licht (aktinische Wirkung) als Beispiele derartiger Einwirkung zu
nennen!.
Eine eigenartige Stellung nehmen jene Gruppen hochkomplizierter
chemischer Verbindungen ein, welche durch Enzyme hydrolytisch ge-
spalten werden. Eine gute Theorie der Enzymwirkung fehlt noch.
Vielleicht gilt für sie dasselbe, was nach Hrn. W. Ostwarn das Wesen
der Katalyse ausmachen soll, nämlich daß Reaktionen, welche sehr
langsam verlaufen, in ihrem Ablauf beschleunigt werden. Aber auch
wenn wir dies annehmen, bleibt noch immer die Frage offen, worauf
diese beschleunigende Wirkung beruht und wie es zu erklären ist,
daß jedes Enzym nur auf einen bestimmten Stoff oder auf eine Gruppe
von Stoffen zerlegend einwirkt, was Hr. Emır Fıscuer durch das schöne
Gleichnis von dem Schlüssel, der in das Schloß passen muß, anschau-
lich gemacht hat.
Beim Nachdenken über die Enzymwirkungen gelangte ich zu der
Ansicht, daß es möglich sein müsse, die hydrolytische Zerlegung jener
Körper durch Einwirkung elektromagnetischer Schwingungen herbei-
zuführen, welche ja nach allgemein anerkannten Anschauungen mit
den Lichterscheinungen dem Wesen nach identisch sind, und so eine
Brücke zu schlagen von den Enzymwirkungen zu den im Eingang
! Der »aktinischen« Wirkung nahe verwandt sind jedenfalls auch die bisher frei-
lich noch unvollkommen studierten »photodynamischen« Wirkungen. Die Literatur
über die hierhergehörigen Untersuchungen findet man zusammengestellt in der Ab-
handlung des Hrn. Hıpryo Nosucaı in: Studies of the Rockefeller Institute. Bd. 5.
Journal of Experimental Medieine 1906, S. 252ff.
J. RosentuaL: Hydrolyse durch elektrische Schwingungen. 21
erwähnten aktinischen und photodynamischen Erscheinungen. Nur
müsse, so nahm ich an, die Art und Weise der elektromagnetischen
Einwirkung den besondern Umständen jener Stoffe angepaßt werden.
Als wesentlich glaube ich ansehen zu müssen den Umstand, daß alle
durch Enzyme zerlegbaren Stoffe (Proteine, Glukoside, Saecharosen)
einen oder mehrere asymmetrische Kohlenstoffe enthalten, denen sie
nach der Hypothese der HH. Le Ber. und van'r Horr die Fähigkeit
verdanken, die Polarisationsebene des Lichts zu drehen.
Ich ging bei meinen Versuchen von der bekannten, schon vor
61 Jahren von M. Faranay gemachten Entdeckung des Zusammen-
hangs von Licht und Magnetismus aus'. Die Polarisationsebene eines
Lichtstrahls, welcher sich in einem magnetischen Kraftfeld parallel zur
Achse des Feldes fortpflanzt, wird gedreht, und zwar entweder nach
rechts oder nach links, je nachdem die Fortpflanzung der Lichtschwin-
gungen vom Nord- zum Südpol oder umgekehrt erfolgt. In einem
solchen Kraftfeld hat man sich, sagte ich mir, den Äther als in einem
Zustand der Spannung befindlich vorzustellen. Wenn aber das
Kraftfeld schwankt, so müssen Ätherschwingungen eigner Art
entstehen. Von diesen vermutete ich, daß sie auf jene Körper zer-
legend wirken werden’.
Ich brachte deshalb die zu verändernden Stoffe entweder in wäß-
riger Lösung oder, wenn sie unlöslich waren, in Wasser aufgeschwemmt
in ein Solenoid und leitete durch dessen Windungen elektrische Ströme,
welche in regelmäßiger Folge entweder einfach unterbrochen oder in
ihrer Richtung gewechselt wurden. Solange die Ströme nach Inten-
sität und Richtung konstant blieben, konnte, wie zu erwarten war,
keine Veränderung der eingeführten Stoffe beobachtet werden. Waren
aber die Ströme schwankend, so traten Zerlegungen ein, wie
sie bei den betreffenden Substanzen durch Enzyme hervorgerufen
werden.
Hauptbedingung für die Erzielung eines positiven Erfolges ist
unter allen Umständen eine ganz bestimmte Zahl der Unter-
breehungen oder Richtungswechsel. Ist diese nieht getroffen,
so bleibt der Erfolg aus. Statt dessen tritt als Folge der Absorption
der Schwingungen nur Erwärmung ein. Hat man aber die richtige
D
ı M. Farapay, Experimental Researches. XIX. series. Philos. Transactions 1846.
S.ı. Übersetzung von S. Karıscher. Bd. Ill. S. ı ff.
2 Diese Schwingungen sind, wie man sieht, von etwas andrer Art als die ge-
wöhnlich mit dem Namen »elektrische Schwingungen« belegten, die ich als Herrz-
sche Schwingungen bezeichnen möchte. Sie kommen mit dem überein, was in
benachbarten Leitern die Induktionserscheinungen hervorruft. Da es sich um periodisch
verlaufende Zustandsänderungen des Äthers handelt, so dürfen wir aber für sie un-
zweifelhaft auch die Bezeichnung »Schwingungen« gebrauchen.
22 Gesammtsitzung vom 9. Januar 1908.
Frequenz getroffen, so fällt bei gleicher Stärke des benutzten Stromes
die Erwärmung auffallend gering aus. Ganz zu vermeiden ist sie
niemals. Erstlich entsteht in den Windungen des Solenoids Jousesche
Wärme, welche zum Teil auf die innerhalb des Solenoids befindliche
Substanz übergeht.‘ Zweitens entstehen in der Flüssigkeit durch In-
duktion kreisförmig verlaufende Wirbelströme. Denn wenn auch die
Substanzen, mit denen gearbeitet wird, Nichtelektrolyte und deshalb
Nichtleiter der Elektrizität sind, so ist doch das benutzte destillierte
Wasser nicht in dem Maße chemisch rein, um ein vollkommener
Isolator zu sein. Immerhin müssen diese Wirbelströme sehr schwach
sein und können nur wenig Wärme liefern. Daneben aber wird ein
großer Teil der Energie der Schwingungen, um deren Wirkungen es
sich bei unsern Versuchen handelt, von der in das Solenoid einge-
führten Substanz absorbiert. Wenn die Frequenz richtig getroffen
ist, dann wird der größte Teil dieser Energie in diejenige geordnete
Bewegung übergeführt, welche den Effekt hat, die Substanz zu zer-
legen, und nur ein kleiner Teil tritt als ungeordnete Bewegung
in Gestalt vermehrter Energie der unzerlegten Molekeln, d. h. als
Temperatursteigerung, auf.
Durch diese Erfahrung wird jeder Verdacht beseitigt, daß die
beobachtete Zerlegung eine Folge der Erwärmung sein könnte. Ab-
gesehen davon, daß gelinde Erwärmung, wie sie in den gut gelungenen
Versuchen eintritt, innerhalb der Versuchsdauer nachweislich keine
hydrolytische Spaltung herbeiführt, zeigt sich ja eben, daß Spaltung
und Erwärmung zwei differente Wirkungen der Stromschwankungen
sind, zwei Summanden, von denen der eine um so geringer wird,
je mehr der andre wächst.
Aus demselben Grunde ist es auch ausgeschlossen, daß irgend-
welche andre Nebenwirkungen der elektrischen Schwankungen sekundär
die Zerlegung bewirken. Man könnte daran denken, daß in den Win-
dungen des Solenoids durch Induktion hohe Spannung entsteht und
diese in der Flüssigkeit Ionen freimacht, oder daß die Ionisation in
der Flüssigkeit selbst durch die oben erwähnten, wenn auch schwachen
Wirbelströme entsteht. Aber alle diese Vermutungen halten nicht
Stich vor der Grundtatsache, daß eben nur bei einer ganz be-
stimmten Frequenz die Zerlegung eintritt, bei einer zu geringen
oder zu hohen dagegen ausbleibt. Aus alledem folgt, daß die Er-
scheinungen, von welchen ich spreche, nichts mit elektrolytischen oder
sekundär elektrolytischen Vorgängen zu tun haben. Ganz abgesehen
! Um diesen Teil der Wärmeentwicklung in mäßigen Grenzen zu halten, muß
der Onnsche Widerstand des Solenoids möglichst gering und die Zahl der Windungen
nicht zu groß sein.
J. RosentuaL: Hydrolyse durch elektrische Schwingungen. 23
davon, daß die wirkenden Ströme nur allein in den Solenoidwindungen
verlaufen und die Stoffe, auf welche gewirkt wird, Nichtelektrolyte
sind, können auch die schwachen sekundär entstehenden Ströme nicht
für die Wirkung verantwortlich sein, da diese Wirkung dann nicht
ausschließlich an eine ganz bestimmte Schwingungszahl gebunden
sein könnte.
Diese wirksame Schwingungszahl festzustellen, ist sehr schwierig.
An theoretischen Anhaltspunkten, sie im voraus zu bestimmen, fehlt
es ganz und gar. Man ist daher vollkommen auf das Probieren an-
gewiesen. Ich habe außerordentlich viel Zeit verloren dadurch, daß
ich anfangs mit hochfrequenten Schwingungen arbeitete, wie man sie
nach den Methoden von Herrz u. a. erhält. Die Intensität dieser
Ströme ist ja an und für sich gering; außerdem werden sie durch
die Selbstinduktion des zu meiner Anordnung notwendigen Solenoids
sehr geschwächt, ja bei sehr hohen Frequenzen vollkommen ausge-
löscht, da dann das Solenoid als Drosselspule wirkt. Ich ging dann
zu Schwingungen von sehr geringen Frequenzen über. Entweder
leitete ich den von der städtischen Zentrale gelieferten Strom direkt
durch die Solenoidwindungen unter Einschaltung eines hydrolytischen
Unterbrechers und einer passenden Selbstinduktion. Oder ich brachte
das Solenoid in den Nebenschluß eines Flammenbogens zusammen
mit einer Kapazität und einer veränderlichen Selbstinduktion. Oder
ich schaltete das Solenoid direkt in den Stromkreis zusammen mit
einem Grissonschen Unterbrecher und einer sehr großen Kapazität.
Im ersten Falle erhält man unterbrochenen Gleichstrom, im zweiten
Wechselströme von wenigstens annähernd sinuodalen Verlauf, im dritten
entweder unterbrochenen Gleichstrom oder Wechselstrom, je nachdem
man das Solenoid zwischen Stromquelle und Kommutator oder zwischen
diesen und den Kondensator schaltet. Die Frequenzen, welche man
mit der ersten und dritten Methode erhalten kann, können auf einige
hundert in der Sekunde getrieben werden; bei der zweiten Methode
gelangt man, je nach der Größe der eingeschalteten Kapazität und
Selbstinduktion, bis zu sehr hohen Schwingungszahlen. Die Strom-
stärke wurde durch einen veränderlichen Vorschaltwiderstand passend
abgestuft. In den Wirkungskreis wurde ein Hitzdrahtamperemeter
eingeschaltet. Dieses gestattet zwar, da es sich um veränderliche
Ströme handelt, keine sichere Messung der benutzten Stromstärken,
gibt aber doch eine ungefähre Vorstellung von denselben. Die in
meinen Versuchen benutzten, am Hitzdrahtamperemeter abgelesenen
Stromstärken lagen zwischen 5 und 10 Ampere.
Die so erhaltenen Schwingungen erwiesen sich als wirksam für
fast alle von mir bisher geprüften Stoffe. Es zeigte sich aber, wor-
24 Gesammtsitzung vom 9. Januar 1908.
auf ich schon hingewiesen habe, daß für jeden Stoff eine be-
stimmte Frequenz wirksam ist, daß also die für einen Stoff ge-
fundene Frequenz bei andern Stoffen ganz unwirksam bleibt. Diese
charakteristische Frequenz für alle Stoffe zu bestimmen, ist aus den
angeführten Gründen äußerst schwierig und zeitraubend. Ob Zer-
legung eingetreten ist, wird je nach der Natur der Stoffe entweder
durch chemische Reaktionen oder durch die Änderung des Drehungs-
vermögens für polarisiertes Licht festgestellt.
Die für Stärke wirksame Frequenz liegt zwischen 440 und 480
Schwingungen in der Sekunde. Das gilt ebensowohl für unter-
brochenen Gleichstrom wie für Wechselstrom. Eine ganz genaue An-
gabe über die Frequenz vermag ich nicht zu machen, da ich leider
mit den mir zu Gebote stehenden Mitteln eine absolute Konstanz der
Frequenz nicht erreichen konnte. Hat man eine passende Frequenz
getroffen, so kann man den allmählichen Zerfall der Stärkemolekeln
in kleinere Gruppen mit dem Auge verfolgen. Der anfangs dicke
Stärkekleister wird dünnflüssiger; die großen Klumpen zerfallen zu
einem feinkörnigen Schlamm, dessen Körnchen sich beim Stehenlassen
senken und von einer fast klaren Flüssigkeit abscheiden. Letztere
wird anfangs bei Zusatz von Jod noch rein blau, in spätern Stadien
rosenrot, endlich bleibt sie ganz ungefärbt. Die gewöhnlichen Zucker-
proben fallen anfangs vollkommen negativ aus, dann treten sie an-
deutungsweise auf, später werden sie ganz deutlich. Dabei fand ich
sehr häufig, daß in einem gewissen Stadium bei Zusatz von verdünn-
tem Kupfersulfat zu der alkalisch gemachten Probe kein Kupferoxyd-
hydrat ausgefällt wurde, sondern mit tiefblauer Farbe gelöst blieb,
aber bei Erhitzung nicht reduziert wurde. Auf dieses Stadium folgte
ein andres, in welchem die Reduktion zwar eintrat, aber erst nach
dem Kochen der Probe, ähnlich wie man das bei Anstellung der
Tromnerschen Probe mit Maltose sehen kann. Später erst trat starke
Reduktion schon bei mäßiger Erwärmung ein, wie es für Glukose
charakteristisch ist. Aus alledem geht hervor, daß die hydrolytische
Spaltung der hochkomplizierten Stärkemolekeln in kleinere Gruppen
ganz allmählich erfolgt und ganz in der gleichen Reihenfolge, wie es
bei der Einwirkung diastatischer Enzyme der Fall ist.
Um die Wirkung an einem Beispiel zu erläutern, gebe ich einen
Auszug aus einem meiner Versuchsprotokolle:
ıı. Januar 1906. Stärkekleister von 2.5 Prozent Stärke, welcher schon einmal
der Wirkung unterbrochener Ströme ausgesetzt war. Eine Probe wird filtriert, was
sehr langsam geht. Das Filtrat wird bei Jodzusatz tief blau; Trommersche Probe ne-
gativ — also kein Dextrin — kein Zucker vorhanden.
Inzwischen ist der Kleister von ro®ı5' bis 12"45', also 2% Stunden, der Ein-
wirkung der Ströme ausgesetzt worden. Der gleichgerichtete Strom ist mit Hilfe eines
J. RosenvH#aL: Hydrolyse durch elektrische Schwingungen. 25
Wennerr-Unterbrechers fortwährend unterbrochen worden. Unterbrechungsfrequenz
geschätzt auf nahezu 480 in der Sekunde. Die an einem eingeschalteten Hitzdraht-
amperemeter abgelesene Stromstärke schwankt zwischen 9 und 8.5 Ampere.
Der Rleister ist sehr dünnflüssig geworden. Er trennt sich beim Stehen in eine
kleistrige Masse und eine darüberstehende klare Flüssigkeit. Letztere läuft schnell
durch ein Faltenfilter, auf welchem der Kleister zurückbleibt.
Das Filtrat wird bei sehr geringem Jodzusatz (verdünnte Lucorsche Lösung)
schwach gelb, bei etwas mehr Zusatz rein weinrot, bei noch mehr bräunlich — deutet
auf Erythrodextrin.
Der auf dem Filter befindliche noch dünnflüssige Kleister gibt mit Jod blau-
violette Färbung — Mischung von Dextrin und noch unveränderter Stärke.
Eine Probe des Filtrats gibt mit der Trommerschen Probe sehr deutliche Zucker-
reaktion (Abscheidung von rotem Cu,O) schon bei mäßigem Erwärmen.
Fentınssche Probe. (roocm3 der Fenrıneschen Flüssigkeit entsprechen
0.5 Glukose). ıocm3 werden entfärbt durch:
8.38 — 9.2 — 8.7 — 3.6.cm3 des Filtrats.
Mittelwert 8.3 Daraus berechnet sich der Zuckergehalt des Filtrats auf
0.568 Prozent Glukose.
Das klare Filtrat dreht im ro cm langen Rohr die Polarisationsebene um 0° 56'.
Neben Glukose müssen offenbar noch rechtsdrehende, aber nicht reduzierende Stoffe
im Filtrat gelöst sein.
Ich habe mich bei den Versuchen mit Stärke länger aufgehalten,
weil es mir an ihr am besten gelungen ist, den Verlauf der hydro-
lytischen Spaltung in ihren einzelnen Stadien zu verfolgen. Das liegt
wohl zum Teil daran, daß ich die hierzu erforderliche Frequenz mit
den mir zu Gebote stehenden Hilfsmitteln herstellen konnte, ohne die
Stromstärke auf ein zu geringes Maß herabzudrücken'.
Niedrigere Frequenzen als für die Stärke habe ich bisher nur
für Proteine wirksam gefunden, welche bei 320—-360 Wechseln in
der Sekunde in Albumosen und Peptone zerlegt werden konnten.
Alle andern von mir untersuchten Körper (Glukoside, Disaecharosen)
erforderten viel höhere Frequenzen; doch unterlasse ich es Zahlen-
werte anzugeben, da ich diese erst durch erneute Versuche sicher-
stellen möchte.
Nichtsdestoweniger glaube ich als Ergebnis meiner bisherigen Ver-
suche schon jetzt behaupten zu dürfen, daß die verschiedensten
hochkompliziert gebauten Stoffe, welche durch Enzyme hy-
drolytisch spaltbar sind, in ganz analoger Weise zerlegt
werden durch die Finwirkung elektromagnetischer Schwin-
gungen von der Art, wie sie in meinen Versuchen benutzt
wurden.
! Daß die Stromstärke für die zu erzielende Wirkung in Betracht kommen
müsse, glaubte ich von vornherein annehmen zu dürfen, da auch die Drehung der
Polarisationsebene, wie schon Faravay beobachtet hat, mit der Stromstärke wächst.
Sitzungsberichte 1908. 3
26 Gesammtsitzung vom 9. Januar 1908.
Es liegt nahe, diese Übereinstimmung für eine Theorie der Enzym-
wirkung zu verwerten. Ich will jedoch auf derartige Spekulationen
vorerst nicht eingehen, sondern begnüge mich mit einigen naheliegen-
den Betrachtungen. Wir sind wohl berechtigt, in Fällen, wo, wie bei
der Wirkung von Licht, chemische Verbindungen in ihre Bestandteile,
Atome oder Atomgruppen, zerlegt werden, dies als Folge der Über-
tragung der Energie des Äthers auf die materiellen Atome anzusehen.
Die intramolekulare Bewegung der Atome oder Atomgruppen,
welche wir neben den schwingenden Bewegungen der ganzen Molekeln
voraussetzen, wird so weit verstärkt, daß schließlich der chemische Zu-
sammenhang gelockert wird. Diese Energieübertragung kann nur statt-
finden, wenn die Lichtstrahlen, wenigstens zum großen Teil, absorbiert
werden. Die zerlegende Wirkung ist aber auch abhängig von der
Schwingungszahl und, bei gewissen Körpern eigentümlicher chemischer
Struktur, von der Form der Schwingungen. Solche Überlegungen hatten
mich veranlaßt, den Einfluß gerade solcher elektromagnetischer Schwin-
gungen zu untersuchen, wie sie der von mir gewählten Versuchs-
anordnung eigentümlich sind. Nachdem nun die von mir vermutete
Wirkung durch die Versuche bestätigt worden ist, liegt es nahe, sie
zur Aufklärung über jene vorausgesetzten intramolekularen Bewegungen
der Atome oder Atomgruppen zu verwerten. Ich hoffe deshalb, daß
die neuen Tatsachen den Anstoß zu weitern Untersuchungen geben
werden, aus denen Aufschlüsse für die molekulare Physik zu er-
warten sind.
|
18%)
u |
Dıiers: Der Schlüssel des Artemistempels zu Lusoi.
Der Schlüssel des Artemistempels zu Lusoi.
Von H. Diers.
(Vorgetragen am 12. Dezember 1907 [s. Jahrg. 1907 S. 909].)
Hierzu Taf. 1.
Ei: ist jetzt ziemlich allseitig anerkannt, daß das von Homer öfter
erwähnte und beschriebene Verschlußsystem, nach dem die Öffnung
der Doppeltür durch einen großen hakenförmigen Schlüssel, ihre
Schließung durch einen Lederriemen erfolgte, sich auch dann, als
vollkommenere Verschlußeinrichtungen im gewöhnlichen Leben Platz
gegriffen hatten, lange Zeit im Tempeldienst erhalten hat'!. Dieser
Tempelschlüssel ist das ständige Attribut der Priesterinnen bis in die
römische Kaiserzeit hinein, wie dies vom 6. Jahrhundert an zahl-
reiche Terrakotten, Grabreliefs, Münzen und Vasen bekunden. Es
war daher etwas auffällig, daß bisher ein solcher Schlüssel sich nie-
mals in den Ausgrabungen der antiken Heiligtümer gefunden hat,
wobei freilich erwogen werden muß, daß diese Schlüssel nicht im
Heiligtum selbst, sondern in der Wohnung des Priesters oder der
Priesterin aufbewahrt wurden.
Nun hat sich endlich ein solcher Tempelschlüssel, und zwar aus
einem der berühmtesten Tempel Griechenlands, gefunden, nämlich aus
dem Heiligtum der Artemis Hemera in Lusoi in Arkadien. Ich
verdanke den Hinweis auf seine Existenz Hrn. Truomas D. Seymour,
Professor der Yale University, durch dessen gütige Vermittelung mir
der Direktor des Bostoner Museum of Fine Arts, Hr. Arrnur FaArrBanks,
nicht nur bereitwilligst über das seiner Obhut anvertraute Objekt
Auskunft gab, sondern auch die Veröffentlichung der mir gleichzeitig
übersandten Photographien gestattete. Die Akademie ist den beiden
! Siehe meinen Exkurs Über griechische Thüren und Schlösser in Parmenides gr. u. d.
Berlin 1897 S. 123ff.; Brınkuann, Sitz.-Ber. d. Altertumsges. Prussia 21 (1900), 298fl.;
Ta. D. Seymour, Life in the Homeric Age (N. York 1907) 194. Etwas abweichend
Daweıns, Annual of Br. School at Ath. IX (195). Vgl. auch Pernıcr, Jahrb. XIX
(1904) 20 f.
28 Gesammtsitzung v. 9. Januar 1908. — Mittheilung v. 12. December 1907.
Herren für diese liebenswürdige Zuvorkommenheit zu besonderem
Dank verpflichtet.
Der Bronzeschlüssel, der eine Länge von 40.5 cm hat, stammt
aus den zahlreichen Funden des Heiligtums in Lusoi, die vor und
während der österreichischen Ausgrabung 1898/99' durch Privat-
grabungen der Einwohner gewonnen wurden. Die Hauptmuseen
Zuropas haben damals wertvolle Stücke erwerben können. Jener
Sehlüssel hat seinen Weg über den Ozean gefunden. Er wurde im
Jahre 1901 für das Bostoner Museum gekauft. Wie die Abbildung
(Taf. ı) zeigt, ist das kurze Griffende mit einer hölzernen oder
elfenbeinernen Hülse versehen gewesen, wie es der Homerischen
Schilderung entspricht (e 6):
EINETO AEC KAHIA EYKAMTIEA XEIPI TIAXEIHI
KANHN XANKEIHN " KWTIH A ENESANTOC ETIÄEN.
Die Zugehörigkeit zu dem. Artemistempel in Lusoi ist nicht durch
den Händler, sondern lediglich durch die Inschrift festgestellt, die auf
dem längeren Unterteile des Schlüssels in schöner linksläufiger Schrift,
etwa des 5. Jahrhunderts, angebracht ist. Sie lautet:
31OSVOAV\33AT:3ZOTIMATAAZAT
Die Querbalken, die man auf der Photographie unter dem P und
dem ersten ı erblickt, scheinen nicht von dem Graveur herzurühren,
sondern hellere Stellen der Bronze wiederzugeben. Denn der von
Hrn. Farrsanks mitgesandte, vortrefflich gelungene Stanniolabdruck
der Inschrift gibt keine Spur jener Querstriche. Das N zeigt die rechte
Hasta nach oben gespalten. Offenbar ist der Stichel nach rechts aus-
geglitten. Es ist dann der richtige Strich daneben gesetzt und der
kurze zweite Balken des A daran gefügt worden. Die Variationen
des x, das bald vierstrichig, bald dreistrichig, bald mit abgerundeten
Ecken (am Schluß) erscheint, deuten auf das Schwanken des Graveurs
hin, der den heiligen Gegenstand offenbar nach altem Muster formend
(daher auch die linksläufige Richtung) doch modernere Formen nicht
vermeiden wollte.
Nach dem Urteile der Epigraphiker unserer Akademie ist weder in
der Form noch in dem Inhalt der Inschrift ein Anlaß, Zweifel an der
Echtheit zu äußern, obgleich ja bei Objekten dieser Art, die nicht
bei den offiziellen Ausgrabungen zutage gekommen sind, Vorsicht ge-
boten erscheint. Eine volle Sicherheit hat freilich nur der Sachver-
ständige, der den Gegenstand selbst in Augenschein zu nehmen Ge-
! Val. den ausgezeichneten Fundbericht von W. Reıcher und A. WırseLm, Das
Heiligtum der Artemis zu Iaısoi in d. öst. JahresheftIV (1901) ıff. Vorher FurtwwÄNGLER,
Münchn. Sitz.-Ber. (philos., phil.-hist.) 1899 11 S. 566 ff.
Diers: Der Schlüssel des Artemistempels zu Lusoi. 29
legenheit hat. Jedenfalls ist die Interpunktion, durch die sich bis-
weilen Fälscher verraten, richtig gesetzt. Nach griechischer Auf-
fassung kann der Wortkomplex
tAc APptAmıtoc TAc En AoyYcoıc
nur so, wie es geschehen ist, interpungiert werden. Die Form Apri-
miıroc entspricht den Lusiatischen Inschriften ı4. ı5 der Wirnern-
schen Sammlung (a. a. 0. S. 83).
Vielleicht möchte es auffallend erscheinen, daß die Artemis aus-
drücklich als die von Lusoi bezeichnet wird. Man erwartet einfach
tAc ArtAmıtoc (wie Lus. Inschr. 14) oder tAc Arrämıtoc TAc "Hmerac
(wie Nr. 15) oder ohne Artikel (wie Nr. 16). Was nun zunächst den
Artikel betrifft, der in solehen Fällen ein vertrauteres Verhältnis zur
Göttin auszudrücken scheint (deutsch etwa unserer Artemis), so ist in
der älteren Zeit der Artikel bei Weihungen ebenso oft gesetzt wie weg-
gelassen, ja, es kommt beides bei denselben Objekten vor, wie z. B. auf
den korinthischen Täfelchen (Rönt, I. A. 20, 17. 18) bald Tröı TToreıaänı,
bald TTorteıaAnı steht. Wenn nun aber die heilende Göttin, der das auf
hoher Alp gelegene Heiligtum geweiht war, ausdrücklich noch als die
von Lusoi bezeichnet wird, so liegt darin ein gewisser Stolz der
Priester auf ihre sagenberühmte Gottheit, die schon in der Melam-
podie durch die reinigende Kraft des Lusosquells die wahnsinnbehaf-
teten Proitiden geheilt hatte. So weiht eine dort ansässige Frau,
deren Namen nicht sicher gelesen werden kann, in ungefähr derselben
Zeit (Nr. 16 Wırnerm-Kırennorr, Berl. Sitz.-Ber. 1887, 992) ein Bronze-
gefäß TAı Arptemı TAı Aovciatı'.
Bei dem Schlüssel darf man nicht außer acht lassen, daß er
nicht wie die Anatheme an Ort und Stelle aufbewahrt (wodurch für
jene eine genauere Bezeichnung der Gottheit wegfallen konnte), son-
dern mit nach Hause genommen wurde. Es läßt sich leicht denken,
daß in der Stadt Lusoi, wo die Priesterin gewohnt haben dürfte,
noch andere Artemisheiligtümer vorhanden waren; es mußte ferner
daran gedacht werden, daß der Schlüssel, an dem sich ja von alters her
die magische Vorstellung von der » Schlüsselgewalt« knüpft”, nach außen
entführt werden konnte. So ist also für alle Fälle die genauere Be-
zeichnung des Eigentümers wohl begreiflich.
Was die Gestalt des Schlüssels betrifft, so zeigt er nicht die in
der Biegung zweimal rechtwinklig absetzende Form, die auf den
! Nicht ganz kongruent sind die Weihungen in Olympia Zi T@AyMrmio, Rönt,
I. A. ııı, die Rhetra ııo T81 Ai ‘Onymrioı oder das Beil des Qyniskos ebenda 543
(Calabr.) TAc “Hpac TAc En TreAlm.
2 W.Könrer, Die Schlüssel des Petrus, Arch. f. Religionsw. VIll 214 ff.
Sitzungsberichte 1908. 4
30 Gesammtsitzung v. 9. Januar 1908. — Mittheilung v. 12. December 1907.
Grabsteinen Attikas und auf einem Teil der Vasenbilder' erscheint,
sondern eine leise geschwungene Form, die uns namentlich aus den
Vasen geläufig ist”. Diese Verschiedenheit ist zwar wohl haupt-
sächlich durch ästhetische Motive bestimmt, ist aber für die
Rekonstruktion des dazu gehörigen Schlosses nicht ganz unwichtig.
Denn wenn man daran gedacht hat, den Schlüssel bei der Krüm-
mung so in dem Schlüsselloch zu bewegen’, daß diese Krümmung
gleichsam der Mittelpunkt einer kreisförmig wirkenden Hebelbewe-
gung darstelle, durch die das lange Ende einen Riegel oder einen
Fallklotz nach oben stoße, so bildet die gewundene Form unseres
und des ähnlich gebildeten Schlüssels der Vasen eine Instanz gegen
ein solches System. Denn diese geschwungene Form des Mittelteils
ist meiner Rekonstruktion des Systems, wonach der Riegel durch
einen seitlichen Stoß von oben nach unten zurückgestoßen wird,
ebenso günstig, wie sie die angenommene Drehung im Schlüssel-
loche erschweren oder unsicher machen würde.
! Siehe Parmenides S. 124 f. Fig. 5—8, 14, —17.
2 Ebenda Fig. g. 10. 12. 13.
® Siehe die Berliner Hydria Parm. Fig. 22 (S. 133).
Ausgegeben am 16. Januar.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
ji Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1908. Taf. 1.
er ya...’
Disıs: Der Schlüssel des Artemistempels zu Lusoi.
Sp52525252525252525252 5
II. I.
SITZUNGSBERICHTE
DER]
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
ng der ihysilältgch maaihematischen Classe am 16. Januar. (S. 31)
UENER: Das Wachsthumsproblem und die Lebensdauer des Menschen und einiger Säugethiere
vom energetischen Standpunkte betrachtet. (S. 32)
. Porosit: Über recente allochthone Humusbildungen. (S. 48)
Pre a der Ba arishen Classe am 16. Januar. (S. 59)
Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften.
Aus $1.
Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei
fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte
der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «
und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie
der Wissenschaften.
Aus $ 2.
Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die
»Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka-
demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel
das druckfertige Manuscript zugleich einzuliefernist. Nicht-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.
$ 3.
Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll
in der Regel in den Sitzungsberiehten bei Mitgliedern 32,
bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift
der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen
von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand-
lungen nicht übersteigen.
Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung
der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt-
haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu
beantragen. Lässt der Umfang eines Manuseripts ver-
muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde,
so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen
von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lassen.
SA.
Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder
auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die
Vorlagen dafür (Zeichnungen, Photographische Original-
aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch
auf getrennten Blättern, einzureichen.
Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in
der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten
aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so
kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein
darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be-
treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage
eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu
richten, dann zunächst im Secretariat vorzuberathen und
weiter in der Gesanımt-Akademie zu verhandeln.
Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka-
demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten
ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren
handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen
beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er-
forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark,
bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung
durch das Secretariat geboten.
Aus $5.
Nach der Vorlegung und Einreichung des
vollständigen druckfertigen Manus eripts an den
zuständigen Secretar oder an den Archivar
wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen
Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit-
glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt.
Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder
der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die
Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine
Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Nichtmitgliedes
in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen«,
so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die
Gesammt-Akademie.
- (Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.) IR N
|
Be
nee
Aus $ 6. .
Die an die Druckerei abzuliefernden Manuseripte müssen,
wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus-
reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes!
und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen!
Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden ||
Mitgliede vor Einreichung des Manuscripts vorzunehmen, I)
Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser |
seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. N
Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die
Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das)
vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach | |
Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Drucktehle
und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche I!
Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- I
girenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerei, |
und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr-
kosten verpflichtet. .
Aus $8. eh
Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen
aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden,
Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von
wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im
Druck 4 Seiten übersteigt, auch fürden Buchhandel Sonder- ı
abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be= |
treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden,
Von Gedächtnissreden werden ebenfallsSonderabdrucke |
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die |
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erkläre
89. =
Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberichter
erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei:
exemplare; er ist indess berechtigt, zu Tre di zur Zul
Ze > =
auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl |
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis }
zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitir dem redigierenden Secretar an-
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch _ mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be.
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei-
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen lassen. RE -
Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er-
hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei-
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis.
zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar an-
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf‘ ‚es dazu
der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be-
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 Frei-
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen lassen. Br
‘ Sr e
Eine für die akademischen Schriften be-
stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf
in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener
Stelle anderweitig, sei es auch nur auszugs-
31
SITZUNGSBERICHTE 1908.
nl.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. Rugner las: Das Wachsthumsproblem und die Lebens-
dauer des Menschen und einiger Säugethiere vom energeti-
schen Standpunkt betrachtet.
Es wird nachgewiesen, dass in der intra- und extrauterinen Zeit für die Bildung
von ı% Lebendgewicht der Organismen bei Thieren ganz übereinstimmende Summen
von Energie aufgewendet werden. Ganz ähnlich verhält es sich auch, wenn man die
von 1% ausgewachsenem Thier während des Lebens umgesetzten Energiemengen unter-
sucht. Nur der Mensch nimmt gegenüber allen untersuchten Thieren eine Ausnahme-
stellung ein. Die vorgetragenen Beobachtungen geben die Möglichkeit, gewisse theo-
retische Fragen hinsichtlich der maximalen Lebensdauer zu erörtern.
2. Hr. BrancA legte eine Arbeit von Hrn. Prof. Dr. H. Poronıe vor
»Über recente allochthone Humusbildungen.«
Bei der Aufsuchung der, gegenüber den autochthonen so sehr seltenen allo-
chthonen Humusbildungen hat sich ergeben, dass auch der, bezüglich seiner Genesis noch
unklar gebliebene »Alpenmoder« hierher gehört; denn er hat sich als ein aus Alpen-
trockentorf ausgeschlemmtes und thalabwärts geführtes Humusgestein, d. h. als Schlämm-
moder, ergeben. Der besonders von den Ufern des Bodensees her bekannte, sogenannte
Schwemmtorf ist kein Torf, sondern ebenfalls als Moder, d.h. als Schweminmoder, an-
zusprechen.
3. Hr. Branca übergab ferner seine nunmehr ausgearbeitete Ab-
handlung: Fossile Flugthiere und der Erwerb des Flugver-
mögens, über deren Inhalt eine vorläufige Mittheilung in der Sitzung
der Classe am 7. Juli 1904 gemacht wurde. (Abh.)
Sitzungsberichte 1908. 5
32 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Januar 1908.
Das Wachsthumsproblem und die Lebensdauer des
Menschen und einiger Säugethiere vom energeti-
schen Standpunkte aus betrachtet.
Von Max Rupner.
Das Waehsthum in Thier- und Pflanzenwelt ist eine der fundamen-
talsten und markantesten Erscheinungen der belebten Natur. Den
allbekannten sichtbaren Vorgängen der Massenzunahme entsprechen
eigenartige mikroskopisch nachweisbare Veränderungen im Zellinnern,
mit denen uns vor Allem die Entwicklungslehre bekannt gemacht hat.
Sie hat durch die morphologische und experimentelle Bearbeitung der
Befruchtungsvorgänge überraschende Fortschritte erzielt und die Ver-
erbungslehre in neue Bahnen gelenkt.
Im Gegensatz zu diesem kraftvollen Aufschwung histologischer
Forschung, insbesondere auf dem Gebiete des intrauterinen Lebens, hat
man den Erscheinungen des extrauterinen Wachsthums, vor Allem, was
die allgemeinen Äusserungen desselben und die ernährungsphysiolo-
gischen Processe anlangt, wenig Interesse entgegengebracht. Weder
die Art der Massenzunahme noch die Dauer derselben, noch die Vor-
bedingungen des Wachsthums oder die Gründe desselben sind genauer
untersucht worden.
Eine nähere Betrachtung der Physiologie der Wachsthumsver-
hältnisse scheint mir nicht nur im allgemeinen Interesse der Wissen-
schaft zu liegen, sondern auch mit Rücksicht auf die specielle Förde-
rung der Säuglingsernährung dringend geboten. Eine vergleichende
physiologische Betrachtung kann zweifellos zur besseren Stütze un-
serer gegenwärtigen Anschauungen beitragen.
Von früheren Bemühungen, die Frage des Wachsthums verglei-
chend zu behandeln, ist nicht viel zu berichten; das Wichtigste ist
wohl der Versuch Burrow’s, das Wachsthum, d.h. die Jugendperiode
aller Thiere in eine nähere Verbindung zu deren maximalem Alter
zu bringen. Gerade in der damaligen Zeit eines lebhaften Auf-
sehwungs naturwissenschaftlichen Denkens, in den letzten Jahrzehnten
des ı8. Jahrhunderts konnte die offenkundige Thatsache der un-
Rusner: Das Wachsthumsproblem und die Lebensdauer. 33
gleichen Lebenslänge grosser und kleiner Thiere sich der speculati-
ven Betrachtung nicht entziehen, und es war in der Erwartung der
Auffindung von Naturgesetzen am Ende nicht verwunderlich, wenn
man sich den Lebensgang jedes Thieres nach einem bestimmten Schema,
in welchem der Wachsthumszeit, der Periode kräftigster Entwicklung,
dem Alter, gewisse Theile der ganzen Lebenszeit zugewiesen waren,
geordnet dachte. So glaubte Burros, die maximale Lebensdauer währe
sechs mal so lang wie die Jugendzeit.
Fast ein Jahrhundert später, 1856, hat dann Frovurens diesen
Gedanken wieder aufgegriffen und durch einige Untersuchungen über
die Dauer des Lebensalters und der Jugendzeit, letztere gemessen nach
bestimmten anatomischen Charakteren der Thiere, zu belegen gesucht.
Sein Material, ausschliesslich Beobachtungen an Säugern, ist aber sehr
spärlich und nicht gerade sehr beweisend gewesen; ja, das Burrox-
Fıourens’sche Gesetz hat bei den Zoologen der späteren Zeit keinen
Beifall gefunden, weil man es durch Verallgemeinerung leicht ad ab-
surdum führen konnte. Wersmann (Über die Dauer des Lebens, Jena
1832) begründet die Ablehnung dieser Anschauungen mit dem Hin-
weise, dass es Gruppen von gleich langlebigen Thieren gebe, bei
denen unmöglich solch constante Zahlenbeziehungen zwischen Dauer
der Jugendzeit und gesammter Lebensdauer bestehen könnten. In
der Gruppe der Thiere, welche 200 Jahre erreichen sollen, finden
wir den Elephanten, Hecht und Karpfen, in der Gruppe der 4oJjährigen
das Pferd, Kröte und Katze, in der Gruppe der 2oJjährigen Schwein
und Krebs.
Will man also nach Frourens annehmen, die Jugendzeit währe ein
Fünftel der ganzen Lebensdauer, so müsste diese bei den 200 jährigen
40 Jahre dauern, es widerspricht aber jeder Erfahrung, dass Hecht und
Karpfen erst nach 40 Jahren ausgewachsen sein sollen, ja soviel Zeit
braucht nicht einmal der zu dieser Gruppe gehörige Elephant.
Die Jugendperiode kann demnach, wie man jetzt annimmt, in
keinem gleichbleibenden Verhältniss zur Lebenslänge in der Thier-
welt stehen, den inneren Grund der verschiedenen maximalen Lebens-
zeit sucht man vielmehr in den Eigenheiten der Fortpflanzungsweise,
die zum Zwecke der sicheren Erhaltung der Species verschiedene
Lebenszeiten nothwendig macht. Ist durch die Production der Fort-
pflanzungsstoffe ausreichend für die Species gesorgt, so erlischt die
Nothwendigkeit der Individualexistenz, der Organismus altert und stirbt.
Der Burron-FrLourens’sche Gedanke ist somit entbehrlich geworden.
Schalten wir aber zunächst die Fragen der Lebensdauer von
der Betrachtung ganz aus und wenden wir uns dem Problem der
Wachsthumsperiode allein zu, so scheinen in dieser Hinsicht, wie
5°
34 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Januar 1908.
man glaubt, sehr einfache Verhältnisse bei den Thieren gegeben. Da
die verschiedenen Organismen durch die Natur mit verschiedener
Körpergrösse gebildet werden, so sieht man in der Wachsthumsdauer
einen zwar numerisch noch nicht überall exact bestimmten, aber doch
sehr einfachen Vorgang, man setzt voraus, dass die Bildung grosser
Thiermassen eben mehr Zeit erfordert als jene der kleinen Organismen.
Wie gesagt, näher begründet und analysirt ist diese Anschauung bis-
her nicht. Man könnte aber wenigstens für die Säugethiere ihre
Wahrscheinlichkeit mit dem Hinweis auf die gleichheitlichen quanti-
tativen Aufgaben des Wachsthums stützen, da das Gewichtsverhältniss
vom Mutterthier und Neugeborenen sich durchschnittlich wie 100:8
verhält, also die Leistungen der Wachsthumsperiode in analoger Ver-
mehrung des Anfangsgewichtes um ein gleiches Multiplum bestehen.
Für die ungleiche Dauer der Wachthumszeit in Abhängigkeit von der
Masse des Thieres liesse sich als Beispiel anführen, dass die Fliegen-
made schon in ı Tage, die Maus in 2ı Tagen, der Elephant in 8766
Tagen (= 24 Jahren) ihre maximalen Körpergewichte erreichen. .
Die Annahme der Massenbildung als entscheidendem Factor der
Jugendzeit ist von bestrickender Einfachheit, und wenn man so extreme
Beispiele wählt, ein besonders schlagendes Argument. Schliesslich
aber möchte man, dem eausalen Denken folgend, gerade wissen, warum
das eine Wesen eben in dem Wachsen fortfährt, wo das andere sein
Wachsthum mit Bruchtheilen eines Grammes Leibessubstanz abschliesst.
Es ist auch ausserdem gar nicht erwiesen, dass Made, Maus
und Elephant nach ganz den gleichen Lebensgesetzen wachsen und
in einheitlicher Stoffwechselthätigkeit dem Endziel sich nahen. Die
Resultate könnten das Ergebniss sehr verschiedener Processe von Wachs-
thumsvorgängen sein. Man darf nicht nur das Endergebniss unge-
heuer verschiedener Endgewichte betrachten, sondern man muss die
relativen Leistungen ins Auge fassen durch die Bestimmung
der Zeit, in welcher gleichartige Gewichtsveränderungen erzielt
werden. Eine solche Feststellung des relativen Wachsthums einzelner
Speeies könnte zu wichtigen physiologischen Ergebnissen führen, weil
möglicherweise in der Ähnlichkeit gleicher Weachsthumsgesetze
auch verwandtschaftliche Beziehungen einzelner Species zum Ausdruck
kommen könnten. Das Wachsthum ist eine Grundeigenschaft der Zelle
und in seiner Zeitfolge ursächlich mit der Geschwindigkeit der Zell-
theilung verbunden.
Leider besitzen wir nur ein sehr spärliches Material über die Dauer
der gesammten Jugendzeit bei Säugethieren, ja so wenig sicheres, dass
sich hierauf eine einigermaassen befriedigende vergleichende Be-
rechnung nicht gründen lässt.
ic
Rusner: Das Wachsthumsproblem und die Lebensdauer. 35
Dagegen sind vor Allem von Busse und seinen Schülern einige
Angaben über die Zeiten, welche zur ersten Verdoppelung des Ge-
wichts von neugeborenen Thieren nothwendig sind, gemacht worden.
Wenn wir damit auch nur einen Theil der ganzen Jugendzeit hin-
sichtlich der Wachsthumsleistung kennen lernen, so erfahren wir gerade
durch sie über die Periode des raschesten Wachsthums einiger Species
etwas Näheres. Das Ergebniss dieser Beobachtungen ist ein ein-
deutiges und zwingendes; die Zeiten der Verdoppelung sind nicht
eonstante Werthe, sondern ausserordentlich verschieden, sie betragen:
beim Kaninchen 6 Tage beim Menschen ı80 Tage
bei der Katze 9% i» » Schaf 15 #63
beim Hund eo» » Rind 47 »
» Schwein 14 » » Pferd 60 »
Die Wachsthumsintensität ist in hohem Maasse ungleich. Diese
Ungleichheit der relativen Intensität kann sich unmöglich nur auf die
Periode unmittelbar nach der Geburt beschränken, vielmehr ist mit
Bestimmtheit anzunehmen, dass für die weiteren Verdoppelungszeiten
zwar nicht dieselben, aber specifisch und gleichmässig steigende Zeit-
werthe sich ergeben müssen. Die obigen Verdoppelungszeiten sind
Constanten der betreffenden Species, sie schwanken zwischen Kaninchen
und Mensch um das 30 fache. Wenn man weiter erwägt, dass manche
Bacterien eine Verdoppelung ihrer Masse in 20 bis 30 Minuten er-
reichen, so beweist dies, dass, wenn wir uns bisher mit der Vor-
stellung haben genügen lassen, es bestimmte die absolute Grösse der
Lebewesen die Wachsthumszeit, wir an einer sehr wichtigen und
fundamentalen Eigenschaft der Lebewesen, der specifischen Wachs-
thumsintensität, achtlos vorübergegangen sind.
Bei den einzelligen Wesen hatte man sogar schon lange
der ungleichen Geschwindigkeit, mit der die Zelltheilung erfolgt, Be-
achtung geschenkt. Dies Problem der specifischen Wachsthums-
intensität näher in seinem Wesen aufzuklären, dürfte daher wohl eine
nicht unwichtige Aufgabe sein; ich will zunächst in dieser Abhandlung
nur einige Säugethiere, für welche ich nähere Zahlenangaben besitze,
und den Menschen einer genaueren Analyse unterziehen.
Die ungleiche Geschwindigkeit, mit der die verschiedenen Orga-
nismen ihre Jugend durchlaufen, muss uns zunächst vom teleolo-
gischen Standpunkte aus in hohem Maasse befremden, denn es
scheint sich in dieser Erscheinung offenbar ein ungleicher Aufwand
an Nährmaterial für ein und denselben Endzweck auszudrücken. Das
eine Wesen muss lange leben, um seine Gewichtsverdoppelung zu ge-
winnen, ein anderes hat in Kürze dieselbe Entwickelungsstufe erreicht;
36 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Januar 1908.
wenn ein Organismus wie der Mensch aber 30mal so lange braucht,
wie ein Kaninchen, um seine Masse zu verdoppeln, so muss er eben
3omal so lange Nahrung verzehren, um relativ so viel Leibessubstanz
zu erwerben wie das Kaninchen.
Welche Wege die Natur thatsächlich in den quantitativen Ver-
hältnissen einschlägt, kann man a priori nicht sagen; ich habe daher
versucht für diese Vorgänge einen genaueren zahlenmässigen Belag
zu finden.
Ich stelle fest, wie gross die Lebensleistungen jedes der oben
in der Tabelle aufgeführten Organismen ist, wenn je ı kg durch
Wachsthum in den näher verzeichneten Zeiten auf das Gewicht von
2 kg ansteigt. Die Berechnung kann folgenden Weg einschlagen:
Die Lebensvorgänge bei der Ernährung lassen sich bekanntlich
messen, indem man die beim Ernährungsvorgange verbrauchte Energie-
menge als Ausgangspunkt nimmt; ebenso lässt sich der Wachsthums-
gewinn einheitlich statt in Gewichten, in der Verbrennungswärme aus-
drücken, welche es repräsentirt. Auf Grund von verschiedenen Thier-
analysen bin ich zu der Annahme gekommen, dass ı kg Anwuchs mit
rund 1722 kgeal. zu bewerthen ist. Hierzu haben wir noch den Ener-
gieaufwand, den das Thier durch seinen Stoffwechsel während
der Verdoppelungszeit von I zu 2 kg zu leisten hat, zu rechnen.
Die Summe beider — Wachsthumsgrösse und Ernährungsumsatz —
giebt uns einen Ausdruck für den Gesammtenergieaufwand für
die Verdoppelung, woraus man dann die specifischen Eigenthüm-
lichkeiten ersehen könnte.
Für eine Reihe der in Betracht kommenden Säuger und den
Menschen verfüge ich über eigene Messungen des Kraftwechsels, für
einige der fehlenden Werthe konnte ich aus der Litteratur die nöthigen
Grundlagen schaffen. Wenn es auch nicht immer Neugeborene waren,
die der Stoffwechseluntersuchung unterzogen sind, so wissen wir auf
Grund des von mir erwiesenen Oberflächengesetzes, dass bei den Säugern
ihr Stoffwechsel nicht der Masse, aber genau der Oberfläche pro-
portional verläuft. Man kann daher die gewünschten Grössen des
Energieverbrauchs für jede beliebige Kleinheit der Thiere, also auch
für die Neugeborenen, durch Rechnung finden. Wenn die Thiere
wachsen, so müssen sie natürlich auch um eine bestimmte Masse mehr
an Nahrung aufnehmen, als wenn sie ausgewachsen sind. Dieses Mehr
an Nahrung wird zunächst erfordert, um die Gewichtsvermehrung zu
bestreiten. Da aber im Allgemeinen nicht jeder Überschuss über den
dringenden Bedarf zum Wachsthum zurückgehalten werden kann,
sondern durch die Ernährung selbst die Wärmebildung etwas steigt,
so muss dieser Umstand auch noch Berücksichtigung finden. Diese
Russer: Das Wachsthumsproblem und die Lebensdauer. 3m
letztere Steigerung der Wärmeproduction habe ich als speeifisch dyna-
mische Wirkung der Nahrung bezeichnet, sie hängt von der Zusammen-
setzung der Kost ab, von dem Mischungsverhältniss der Eiweiss-
stoffe, Fette und Kohlehydrate. Für die säugenden Thiere sind diese
Verhältnisse dadurch wohl bekannt, dass man ja die Milchen, mit
denen sie sich ernähren, kennt. Somit lässt sich auch berechnen,
welche die Wärme steigernde Wirkung ihre Nahrung besitzt.
Nenne ich die Gesammtnahrungsmenge des Thieres in der Ver-
doppelungsperiode als Unbekannte « (in Calorien ausgedrückt), das
gewonnene Körpergewichtswachsthum (in Cal.) a, die Erhaltungsdiät,
die durch Versuche bekannt ist, e (in Cal.) und % eine Constante für
die Wärmesteigerung durch die genossene Kost (specifisch dyamische
Wirkung), so lässt sich x ableiten, denn = e-+k-x-+a, wovon e,
k und a bekannt sind.
Führt man auf Grund dieser Betrachtung die Bereehnung durch
und bestimmt den Energieverbrauch in Kilogrammealorien, um unter
sich vergleichbare Zahlen zu erhalten für ı kg Lebendgewicht bis
zur Verdoppelung auf 2 kg, so gewinnen wir den gesuchten spe-
eifischen Energieaufwand beim Wachsthum verschiedener Speeies.
Das Resultat für den Energieaufwand bei der Verdoppelung war
folgendes, ausgedrückt in Kilogrammealorien (Reincal.)':
Pferd 4512 | Schwein 3754
Rind 2243 und 4304
Schaf 3926 | Katze 4554
Mensch 28864 | Kaninchen 5066
Das Ergebniss ist ein wohl ganz unerwartetes:
Die zur Verdoppelung des Lebendgewichtes eines Thieres
aufgewendete Kräftesumme ist mit Ausnahme des Menschen
dieselbe, gleichgültig, ob die Thiere rasch oder langsam
wachsen.
Man könnte dies Wachsthumsgesetz das Gesetz des constanten
Energieaufwandes heissen. Zur Bildung von ı kg Thiergewicht werden
rund 4808 kgeal anNahrungsmaterial aufgewendet, bei der Entwickelung
des Menschen gerade sechsmal soviel. Bei dem langsam wachsenden
Pferd findet keinerlei » Verschwendung« von Energie statt, sondern der
gleiche Verbrauch wie bei dem schnell wachsenden Kaninchen oder der
Katze, obschon diese Thiere zur Zeit ihrer Geburt um das Tausendfache
im Körpergewicht verschieden sind. Der auf natürlichem Wege bei der
Muttermilchernährung vollzogene Anwuchs kostet bei allen Thieren
! D.h. die Gesammtenergie der Nahrung abzüglich des Energieinhalts von Harn
und Koth.
38 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Januar 1908.
relativ genau das Gleiche. Die Natur arbeitet bei den verschiedenen
Species nach dem gleichen ökonomischen Prineip, und nur für den
Menschen ist es durchbrochen. Wie sich die dem Menschen nahe-
stehenden Anthropoiden verhalten, ist leider nicht sicher zu sagen,
nach der Meinung eines Sachkundigen würde das Wachsthum dieser
ein ziemlich rasches sein. Es wäre daher wichtig, diese Frage durch
besondere Untersuchungen, am besten im Heimathlande der Anthro-
poiden, aufzuklären.
An diese wichtige Thatsache knüpft sich gleich die weitere, in
welcher Art denn die Natur dieses energetische Grundgesetz zur Durch-
führung bringt, ob sich die einzelnen Organismen etwa dadurch unter-
scheiden, dass die einen verhältnissmässig mehr oder andere weniger
von der Nahrung für das Wachsthum erübrigen.
Prüft man, wieviel von dem gesammten aufgenommenen Energie-
inhalt der Nahrung bei den verschiedenen Species als Wachsthum er-
worben wird — ich nenne dies den Wachsthumquotienten —, so findet
man Folgendes:
Von ıo0 kgeal. der Zufuhr sind im Anwauchs:
beim Pferd 33.3 Procent beim Schwein 40.0 Procent
» Rind BET » » Hund 34.9 »
» Schaf 38.2 » ı bei der Katze 33.0 »
» Menschen 5.2 » | beim Kaninchen 27.7 »
Der Mensch nimmt wieder eine Sonderstellung ein, er er-
übrigt nur 5.2 Procent der Zufuhr während der ersten Verdoppelungs-
periode, die Säugethiere dagegen im Mittel 34.3 Procent, also über das
Sechs-, fast das Siebenfache. Die Säugethiere verhalten sich, was diese
Verwerthung des Nährmaterials für das Wachsthum anlangt, ganz ähn-
lich den bestwachsenden Bacterien z. B. wie bacillus pyocyaneus und
bact. coli, bei denen ich bei ersterem 27.7, bei letzteren 30.38 Procent
der Energie der Nahrung als Wachsthum erübrigen sah.
Die Lebewesen wachsen nur bei einem zureichenden Überschusse
der Nahrung über die Erhaltungsdiät. Auch über diese Grösse ertheilt
uns das energetische Wachsthumsgesetz genaue Auskunft. Wenn man
die Energiemenge des Erhaltungsfutters = 100 setzt, so findet sich
für die Gesammtnahrungsaufnahme bei den beobachteten Säugern:
beim Pferd 189 | beim Schwein 212
» Rind | » Hund 202
» Schaf 2.11 bei der Katze 197
» Menschen 120 beim Kaninchen 194
Mittel der Thiere 202.
Rusner: Das Wachsthumsproblem und die Lebensdauer. 39
Die Thiere bewältigen behufs des Wachsthums doppelt
soviel Nahrung, als sie im einfachen Erhaltungsfutter zu sich
nehmen müssen, der Mensch dagegen nimmt in dieser Lebensperiode
stärksten Wachsthums nur um ein Fünftel mehr an Stoffen auf, als er
sonst im ausgewachsenen Zustand bedürfte. Die geringe Nahrungsauf-
nahme des Säuglings liegt nicht in der kleinen Leistungsfähigkeit seiner
Verdauungsorgane; wie man aus dem späteren Leben ersehen kann,
sind die letzteren sogar recht leistungsfähig.
Leuxarr und HERBERT Spencer haben behauptet, dass die ernäh-
renden Flächen des Magendarmkanals der Thiere mit steigender
Körpergrösse nur im Quadrat wachsen, während das gewicht im
Cubus zunähme, woraus folge, dass, je grösser ein Thier sei, desto
schwieriger die Gewinnung eines Nahrungsüberschusses sich gestalte,
und dass die grossen Thiere sich deshalb langsamer fortpflanzten. Diese
Anschauungen werden durch meine Versuche widerlegt. Die jungen
Thiere jeder beliebigen Grösse von der Maus bis zum Fohlen sind
in der Lage, in gleicher Weise ihre Wachsthumsdiät zu bestreiten.
LeUKART und Spencer haben nur die anatomischen Verhältnisse
beachtet, dagegen ausser Acht gelassen, dass die physiologischen
Leistungen bei gleichem anatomischen Substrat ganz andere sein
können.
Bei dieser ausserordentlichen Gleichheit der ernährungsphysiolo-
gischen Leistung der Säugethiere und der exceptionellen Stellung des
Menschen ist es von grösster Bedeutung, die Nahrung der ÖOr-
ganismen näher zu betrachten. Die einzige Zufuhr besteht in dieser
hier in Frage kommenden Zeit in Muttermilch; die Milchen der hier
besprochenen Organismen sind in ihrer Beschaffenheit genau bekannt.
Berechnet man sich die Vertheilung der Energie der ganzen Milchen
auf die einzelnen Componenten, wie Eiweiss, Fett, Milchzucker, so
findet man, dass hinsichtlich der Eiweissstoffe, die ja in erster
Linie bei der Wachsthumszunahme von Bedeutung sind, nur die Zu-
sammensetzung der menschlichen Milch, durch ihre ausserordentliche
Eiweissarmuth eine besondere Stellung einnimmt, also ganz und gar
im Einklang mit dem sonstigen eigenthümlichen Verhalten des mensch-
lichen Säuglings im Wachsthumsgesetz, während die übrigen Orga-
nismen sehr gleichmässige Eiweissvorräthe besitzen; nur beim Ka-
ninchen, das sehr rasch wächst, finden wir etwas mehr Eiweiss als
im Durchschnitt bei den übrigen Thieren.
Die Milchen spiegeln in ihrer procentigen Zusammensetzung die
Aufgaben wieder, die ihnen die Natur im Wachsthum zuweist. Fett-
und Zuckergehalt der Milch haben nur die Function den Eiweiss-
umsatz in Thieren, wie auch beim Säugling, auf das tiefste Niveau
40 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Januar 1908.
herabzudrücken, um dadurch die maximalste Menge von Eiweiss für
das Wachsthum zu erübrigen.
Das energetische Grundgesetz des Wachsthums giebt die Erklärung
für eine bisher schwer deutbare Beziehung zwischen den Salzen
der Milch und der Zusammensetzung der Asche der da-
von ernährten Organismen. Buner (Lehrbuch der physiol. und
patholog. Chemie 1894, S. 97) hat darauf hingewiesen, dass das Ver-
hältniss der verschiedenen anorganischen Stoffe zu einander in der
Milch fast genau der Aschezusammensetzung des Thierleibes ent-
spreche. Die Milchdrüse sammelt alle anorganischen Bestandtheile
genau in dem Gewichtsverhältnisse, in welchem der Säugling ihrer
bedarf, um zu wachsen und dem elterlichen Organismus gleich zu
werden. Später zeigte BunGe, dass der Aschegehalt der Milch bei solchen
Thieren, die rasch wachsen, grösser sei als bei langsam wachsenden.
Sehen wir vom letzten Punkte ab, so hat sich das obige Gesetz
Bunge’s insofern nicht vollkommen bestätigen lassen, als zwischen Salz-
gehalt des Neugeborenen beim Menschen und der Muttermilch keine Über-
einstimmung besteht. Man nimmt jetzt mit vollem Rechte an, dass
bei dem so sehr langsamen Wachsthum des Menschen viel Salze durch
die Ausscheidungen zu Verlust gingen. Aber diese Erklärung be-
friedigt nicht, denn dann müssten sich auch bei den anderen Säugern,
die doch recht verschiedene Wachsthumsgeschwindigkeiten haben, auch
Differenzen, und zwar sehr erhebliche, ergeben.
Dagegen erläutert das energetische Grundgesetz diese Verhältnisse
aufs beste. Da die Säuger, den Menschen ausgenommen, für die gleiche
Menge Anwuchs die gleiche Menge Calorien nöthig haben, nehmen
sie auch annähernd die gleichen Milch- und Salzmengen auf, und aus
diesem Vorrath wählt die neuwachsende Masse so viel aus, als sie
Salze braucht; der Rest geht durch den Harn und Koth im Stoff-
wechsel nach aussen, und diese Verluste werden sich alle gleichmässig
gestalten müssen. Nur der Mensch zeigt durch die enorme Nahrungs-
quantität, die er wegen der abnormen Dauer der Wachsthumszeit
zur Erhaltungsdiät nothwendig hat, die bekannte, auch in anderen
Beziehungen schon berührte Ausnahme.
Sehen wir so das extrauterine Wachsthum unter der Herrschaft
des energetischen Wachsthumgesetzes, so ist es ein naheliegender Ge-
danke, auch das intrauterine Leben im Mutterleibe auf ähnliche
Beziehungen hin zu untersuchen. Denn es wäre der Vernunft wider-
sprechend, geradewegs mit dem Acte der Geburt den einheitlichen
Entwickelungsgang entzwei zu schneiden. Der Beweis des ener-
getischen Gesetzes in der Fötalperiode ist sehr schwierig. Vor
Allem ist die Grösse des Stoffwechsels im Mutterleibe noch
Rusner: Das Wachsthumsproblem und die Lebensdauer. 41
umstritten, doch kann man meines Erachtens es als gesichert er-
achten, dass der Embryo mehr Wärme pro Körpergewichtseinheit
bildet als das erwachsene Mutterthier.
Zunächst liess sich feststellen, dass die Wachsthumsgeschwin-
digkeitdesNeugeborenenund dieEntwickelungsdauer zweifel-
los zusammenhängen, wie folgende Beispiele zeigen:
Zeitdauer der Verdoppelung
beim Wachsthum Entwickelungsdauer
Tage Tage
Pferd 60 333 — 343
Kuh 47 285— 290
Schaf 15 144 — 150
Mensch 180 280
Schwein ı4 116
Hund 8 63
Katze 9 56
Die Entwickelungsdauer nimmt auch im Allgemeinen mit der
Grösse des Thieres ab. Eine Ausnahmestellung hat der Mensch.
Schaf und Mensch haben gleiches Geburtsgewicht. Beim Schaf dauert
die Entwickelungsdauer nur halb so lange als beim Menschen. Noch
weit stärker differirt allerdings das extrauterine Wachsthum.
Unter gewissen berechtigten Annahmen kann man den Energie-
verbrauch im intrauterinen Leben schätzen, und wenn diese
Zahlen auch nicht so genaue sind wie für die Neugeborenen in der
Periode ihrer ersten Gewichtsverdoppelung, so berechtigen sie doch
zur Annahme der Gültigkeit des energetischen Wachsthumsgesetzes.
Ich finde als Wärmeentwicklung während der Bildung von ı kg
Lebendgewicht im intrauterinen Leben beim
Pferd 2028 kgeal.
Rind 1915
Schaf 2728} 2240 kgeal. im Mittel
Schwein 2210
Hund 2318 kgeal.
Addirt man hierzu den Gewinn von ı kg Lebendgewicht in kgeal.,
so findet man als Wachsthumsquotienten 40.5 Procent, also mehr als im
extrauterinen Leben, was sich daraus zum grossen Theil erklärt, dass
im intrauterinen Leben das Mutterthier eine ganze Reihe von Leistungen
für Rechnung des Embryo mitbesorgt, wodurch relativ mehr für den
Ansatz übrig bleibt.
Das energetische Grundgesetz der Wachsthumsgeschwindigkeit
klärt uns also über eine ganze Reihe von Erscheinungen und Eigen-
thümlichkeiten der Wachsthumsernährung auf.
42 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Januar 1908.
Was bedeutet das Wachsthumsgrundgesetz aber seinem
inneren Wesen nach? Da bei dem Wachsthum der Säuger die
Producte aus Zeitdauer des Wachsthums und Kraftwechsel constant
sind — den Menschen ausgenommen —-, so sind eben die Anwuchs-
zeiten bis zur Verdoppelung des Thieres genau umgekehrt pro-
portional dem Kraftwechsel. Je weniger Tage zum Anwuchs
nothwendig sind, desto intensiver ist der Kraftwechsel,
und ebenso beschleunigt ist aber auch das Wachsthum.
Das Wachsthum ist also eine Funetion des Stoffwechsels
der Neugeborenen, die Wachsthumsquote constant. Ein Thier, das
einen intensiven Stoffwechsel hat, erübrigt durch das gleichsinnig ge-
steigerte Wachsthum in kürzerer Zeit so viel, um seine Gewichts-
verdopplung zu erreichen, wie ein anderes mit kleinerem Stoffwechsel
in langer Zeit. Der Wachsthumstrieb, wie er sich in der Wachs-
thumsquote ausdrückt, ist bei den Thieren in der gleichen Wachs-
thumsperiode derselbe.
Die zweite Bedingung, welche zu dem Ergebniss des ener-
getischen Wachsthumsgesetzes führt, ist der Kraftwechsel, wel-
cher in demselben Maasse ansteigt, wie die Verdopplungszeit kürzer
wird. Diese Erfahrung lässt sich nun auch anders formuliren, da
uns die Beziehungen der Kraftwechselintensität zur Masse des
Thieres genau bekannt sind. Beide folgen streng dem Oberflächen-
gesetz. Dem intensiveren Kraftwechsel der kurzen Verdopplungszeit
entspricht pro Kilo Thier eine proportional gesteigerte Oberfläche.
Damit ist auch das absolute Gewicht der Thiere scharf bestimmt.
Der grösseren Wachsthumsgeschwindigkeit entspricht zwar immer ein
kleineres Thier, aber nicht Körpergewichte, die etwa umgekehrt
proportional zu diesen Zeiten stehen, sondern solche Gewichtsmassen
der Thiere, die sich rechnerisch nach dem Oberflächengesetz aus dem
Kraftwechsel berechnen lassen.
Das energetische Wachsthumsgesetz hängt also in seinem Ergeb-
niss eben von der absoluten Grösse des jeweiligen Neugeborenen mit
ab. Wachsthumsquotient und die von der relativen Oberfläche ab-
hängige Intensität des Kraftwechsels der Körpergewichtseinheit be-
stimmen das zahlenmässige Ergebniss des Wachsthumsgesetzes.
Extrauterines und intrauterines Leben unterscheiden sich hinsicht-
lich der wirksamen Factoren keineswegs, nur quantitativ mit Bezug
auf den Wachsthumsquotienten.
Den letzteren könnte man geradezu als einen Ausdruck des
Wachsthumstriebes ansehen, den man gerne als eine Äusserung
vererbter Grundeigenschaften der Zelle betrachten wird. Beim Men-
schen ist dieser Wachsthumstrieb klein. Um eine blosse Zu-
Pape
Russer: Das Wachsthumsproblem und die Lebensdauer. 43
rückhaltung des Wachsthums bei demselben durch einen abnorm nie-
drigen Eiweissgehalt der Kost kann es sich nicht handeln. Wenn die
menschliche Milch geringe Eiweissmengen führt, so hat sie sich eben
dem geringen Wachsthumstrieb angepasst. Würde es sich nur um ein
künstliches Niederhalten der Wachsthumsgrösse während der Brust-
nahrung handeln, so würde zweifellos später bei anderer Nahrung das
Kind einholen, was es früher an Wachsthumsmöglichkeit eingebüsst
hatte. Davon ist aber nichts bekannt. Auch wenn man von Anfang
an Kuhmilch reicht, hat die Mehrzufuhr an Eiweiss keine andere
Folge, als dass der den Wachsthumsbedarf überschreitende Eiweiss-
antheil einfach zersetzt wird.
Ein Vortheil des langsamen menschlichen Wachsthums liegt mög-
licherweise in der Begünstigung der Entwicklung des Gehirnes, das
bei der langsamen Ausbildung der übrigen Organe des Körpers erst
spät mit nervösen Apparaten belastet wird, welche zur Innervirung
der vegetativen Organe bestimmt sind.
Im normalen Lebensverlauf beginnt die Entwicklung der Orga-
nismen im intrauterinem Leben mit der Erweckung eines Wachsthums,
das durch einen hohen Wachsthumsquotienten ausgezeichnet ist, beim
Neugebornen ist der Quotient bereits niedriger und sinkt dann weiter
von Periode zu Periode bis zur Vollendung des Wachsthums, dem Ende
der Jugendzeit. Bis zu diesem Momente hat die Schaffung der Körper-
gewichtseinheit bei den Thieren einen gleichheitlichen Energie-
aufwand gekostet, nur der Mensch nimmt durch den grossen Energie-
aufwand eine andere Stellung ein.
Wenn also alle Thiere in das Stadium der Vollendung des Wachs-
thums treten, nachdem sie bis dahin pro Kilo dieselben Energiemengen
verbraucht haben, so ist der Gedanke naheliegend, auch zu fragen,
wie sich denn dann die entsprechenden Werthe des relativen
(pro ı Kilo Körpergewicht berechneten) Energieverbrauchs bis
zum Lebensende verhalten; mit anderen Worten, ob irgend eine
Beziehung zwischen dem Verbrauch an Energie und Lebens-
dauer besteht und welcher Art dieselbe ist. Dieser Gedanke ent-
wickelt sich logisch aus dem energetischen Wachsthumsgesetz; es fusst
dieses auf experimentellen Thatsachen, nämlich der Feststellung eines
gleichartigen relativen Energieverbrauchs in der ganzen Jugendperiode.
Der Versuch, hierüber Aufklärung zu gewinnen, kann naturgemäss
sich nur auf den Umfang der oben angestellten Beobachtungen er-
strecken. Bis jetzt sind Bemühungen, die verschiedene Lebensdauer
der Species zu erklären, überhaupt nicht gemacht worden. Allenfalls
könnten als Versuche dieser Art nur zwei Vorkommnisse in der Litte-
ratur hier genannt werden.
44 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Januar 1908.
Das Burron-Frourens’sche Gesetz ist aus dem Grundgedanken
eines schematischen Aufbaues der Altersperioden der Thiere entstanden;
es besagte aber nichts über die Gründe einer solehen Ordnung.
Da Burron starb, ehe die neue Aera der Entdeckung des Sauerstoffs
und seiner physiologischen Functionen ein Gemeingut der Wissen-
schaft geworden war, konnten seinen Erwägungen natürlich auch keine
präciseren Vorstellungen über die Art der maassgebenden Lebens-
processe zu Grunde liegen.
Es liess sich aber dieses Gesetz auch späterhin als keine physio-
logische Nothwendigkeit voraussehen, da ja der Aufbau der lebenden
Substanz in der Jugendperiode keineswegs auf denselben ernährungs-
physiologischen Grundlagen beruht wie das Leben des ausgewachsenen
Individuums. Die Neubildung der Organmasse und die Lebenserhaltung
des erwachsenen Thieres sind verschiedene Processe. Es hat sich das
Gesetz nach der Meinung der späteren Autoren überhaupt auch nicht als
empirisches Mittel der Lebensdauerbemessung verwerthen lassen. Auch
wenn man die hypothetische Voraussetzung hätte machen wollen, dass
die Langsamkeit oder die Schnelligkeit des Wachsthums eine be-
stimmte Function der Stoffwechselintensität im Sinne eines gleich-
artigen Wachsthumsquotienten sei, was ja nicht a priori bewiesen ist,
würde man über die Dauer des Lebens des ausgewachsenen Thieres
aus rein physiologischen Gründen keine Aussage haben machen können.
Die durch die allgemeine Erfahrung anscheinend begründete
längere Lebensdauer der Thiere mit grosser Körpermasse hat später
LorzE veranlasst, wenn man so sagen darf, eine Consumtions-
hypothese aufzustellen. Der Erklärungsversuch, der sich wesentlich
auf die Verschiedenheit der Grösse der mechanischen Arbeits-
leistung gründete, ist aber ein sehr primitiver geblieben und wäre
wohl auch bei näherer Betrachtung schwer zu begründen gewesen.
Lorze meinte: »Grosse und rastlose Beweglichkeit reibt die
organische Masse auf, und die schnellfüssigen Geschlechter der jagd-
baren Thiere, der Hunde, selbst der Affen stehen an Lebensdauer
sowohl dem Menschen als den grossen Raubthieren nach, die durch
einzelne kraftvolle Anstrengungen ihre Bedürfnisse befriedigen.« Auch
diese Hypothese ist namentlich von WEısmanx zurückgewiesen worden,
indem er betonte, dass schnelllebige Vögel sogar träge Amphibien
an Lebenslänge übertreffen können.
Weder für die Frourens’schen noch für Lorze’s Anschauungen
haben sich genügende Beweise finden lassen.
Wenn man aber auch alle Einwände gegen diese Hypothesen
wird gelten lassen müssen, so schliesst dies doch nicht aus, dass
sich vielleicht im Thierreiche Gesetzmässigkeiten für die Lebens-
Russner: Das Wachsthumsproblem und die Lebensdauer. 45
dauer finden lassen, die aber nur für bestimmte, vielleicht
aber recht grosse Gruppen von Species Geltung haben
könnten. Nur von diesem Gesichtspunkt ausgehend, habe ich bei
den Säugethieren und dem Menschen versucht, ein Bild ihres Energie-
verbrauchs während ihres ganzen Lebens festzustellen.
Hier stösst man aber auf ausserordentliche Schwierigkeiten, die in
der ungenügenden Feststellung des wahren Lebensalters liegen.
Dies gilt weniger für den Menschen als vielmehr vor Allem hinsicht-
lich des Alters der Thiere. Immerhin habe ich für einige Fälle ein
verwendbares, wennschon nicht völlig einwandfreies Material gefunden,
das in folgenden Zahlen sich wiedergegeben findet:
Gewicht Lebensdauer Jugendzeit nee
Pferd 450 kg 35 5 30
Rind 450 » 30 4 26
Mensch 60 » So 20 60
Hund 2, RR ST 2 9
Katze 3°,» 9-5 1-5 8
Meerschweinchen 0.6 » 027 0.6 6
Zur Feststellung des mittleren Energieverbrauchs für das ganze
Leben nach der Jugendzeit kann man, um Vergleichszahlen zu er-
halten, diese Berechnung am besten für den Ruhezustand durchführen,
wobei aber zu bedenken ist, dass die wahren Werthe durch ge-
legentliche Arbeitsleistung höher ausfallen können. Das Resultat war
folgendes:
Reincalorien (Kgrel.) pro Kilo für die
Lebenszeit nach beendigtem Wachsthum
Pferd 163900
Rind 141090
Mensch Mittel der Thiere
Hund 164000
Katze 223800
Meerschweinchen 265000
Soweit man es also bei der noch etwas unsicheren Altersbe-
stimmung, besonders der kleineren Thiere, erwarten konnte, gehen
die Werthe des Gesammtenergieverbrauchs wenigstens insoweit über-
ein, dass man behaupten darf, ı kg Lebendgewicht der Thiere
nach dem Wachsthum verbraucht während der Lebenszeit
annähernd ähnliche Energiemengen. Nur der Mensch zeich-
net sich durch seine ganz besonders hohen Zahlen des
Energieumsatzes vor allen übrigen Organismen aus. Mit
Rücksicht auf das für die Jugendzeit festgestellte Energiegesetz, das
46 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Januar 1908.
die gleichen Verhältnisse zum Ausdruck brachte, zeigt sich das Leben
der Thiere durch einen weit niedrigeren, zwischen den Species wenig
differirenden Krafteonsum gegenüber dem viel höheren Energieconsum
des Menschen charakterisirt.
Die lebende Substanz des Menschen bleibt ihrer ganzen
Leistung nach durchaus nicht, wie man gewöhnlich mit Bedauern
sagt, hinter den Leistungen anderer Warmblüter zurück, son-
dern steht diesen im Gegentheil weit voran.
Soweit reichen die Thatsachen. Mit ihrer Wiedergabe allein kann
man sich nicht genügen lassen, denn es ist einleuchtend, dass bei einem
so merkwürdigen gesetzmässigen Verhalten der lebenden Substanz doch
tiefere Gründe, die auf das Wesen der letzteren sich gründen, voraus-
gesetzt werden müssen. Das Protoplasma versagt seinen Dienst, wenn
es bestimmt begrenzte, bei vielen Säugern gleichmässig grosse Leistungen
vollzogen hat.
Die Ergebnisse legen also ‚die Vermuthung nahe, es möchte die
Begrenzung des Lebens vielleicht seine ursächliche Erklärung in
dem Zusammenbruch der Zerlegungsfähigkeit des Proto-
plasmas finden. Die Spaltung der Nahrungsstoffe und die damit ver-
knüpfte Umwandlung der potentiellen Energie derselben ist mit fort-
währenden Stellungsänderungen der Atomgruppirung des Protoplasmas
verknüpft, mit Arbeitsleistungen in der lebenden Substanz auf Kosten
der Nahrung, wobei sich die Nahrungsstoffe nach ihrem physiolo-
gischen Verbrennungswerth vertreten. Die vorliegenden Zahlen würden
also annähernd der Vorstellung entsprechen, dass die lebende Sub-
stanz nur eine begrenzte Zahl von Lebensactionen der Zer-
störung von Nahrungsstoffen ausführen kann, der schliesslich eine
vollkommene Erschöpfung folgt. Bei kleinen Thieren ist die Summe
dieser möglichen Leistungen schnell, bei grösseren erst in langen In-
tervallen gegeben. Das Lebenssubstrat des Menschen zeichnet sich
durch eine ganz besonders grosse Widerstandskraft aus, es ist aber
kaum anzunehmen, dass es den einzigen Fall von Langlebigkeit in
der Natur darstellen wird.
Bei dem Kraftwechsel und der beständigen Bewegung innerhalb
der lebenden Substanz müssen allmählich Schädigungen und irreparable
Nachtheile eintreten, welche der absoluten Grösse des Energieumsatzes
proportional gehen und allmählich zum Tode führen.
Eine solehe Consumtion trotz genügender Ernährung ist vielleicht
ein Gedanke, der uns nicht sehr wahrscheinlich klingen mag. Schliess-
lich geht doch die Lebensbewegung und der Kraftwechsel weiter, seit-
dem es Belebtes in der Natur giebt, ohne dass eine Erschöpfung dieser
Leistungen anzunehmen wäre.
Rusner: Das Wachsthumsproblem und die Lebensdauer. 47
Die Erklärung ist, wenn man überhaupt eine Schwierigkeit des
Verständnisses hier finden will, sehr einfach. Bei den einzelligen
Wesen, die sich durch einfache Theilung fortpflanzen, giebt es, so
sagt man, keinen Tod, jedes neu gebildete Wesen ist in gleicher
Weise wieder tauglich zum Leben.
Dieses Verhältniss wird nach Beobachtungen, die ich an Hefe-
zellen angestellt habe, ein ganz anderes, wenn man durch einen
Kunstgriff die Zellen zwingt, ohne Wachsthum zu leben.
Man kann ihnen dieselbe Nahrung bieten, mit der sie sonst wachsen
könnten, kommen sie aber nicht zur Vermehrung, so altern sie und
gehen in wenigen Tagen zu Grunde. Sie sind jetzt in diesem wachs-
thumslosen Zustand erstaunlich kurzlebig geworden. Nur das Wachs-
thum, die Umformung und neue Mischung der Materie ist
der Urquell des Lebens, nur sie können die Folgen einer ein-
seitigen Lebensäusserung, wie der Kraftwechsel eine ist,
beseitigen.
Bei dem erwachsenen Säugethier ist aber diese Umformung und
Mischung völlig ausgeschlossen. Mit der Erreichung des Endes der
Jugendzeit, ja, schon einige Zeit vorher, wird die Potenz des Wachs-
thums in den Fortpflanzungsorganen concentrirt.
Von einem bestimmten Zeitintervall ab treten die das Wachs-
thumsprineip enthaltenden Potenzen an die Geschlechtsorgane, und die
übrigen Zellen des Organismus verlieren die Fähigkeit, weiter sich zu
entfalten. Die maximale Grösse der Species ist erreicht.
Ob wir nun diesen Termin als etwas einfach in der Organisation
Liegendes betrachten wollen oder ob die lebende Substanz der Zellen
des Körpers nach einer gewissen energetischen Leistung das Wachs-
thumsprineip leichter an die Geschleehtsdrüsen abgibt, mag unent-
schieden bleiben.
Es wird Aufgabe der Zukunft sein, die Gültigkeit dieser Gesetze
näher zu erforschen; voraussichtlich werden sich verschiedene Gruppen
gleich eonstruirter »lebender Substanzen« ergeben, deren gegenseitiger
Vergleich uns vielleicht dann weitere Gesichtspunkte zu erneuter
Forschung giebt.'
! Die ausführlichen Mitteilungen meiner Untersuchungen werden an anderer
Stelle erfolgen.
Sitzungsberichte 1908. 6
48 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Januar 1908.
Über rezente allochthone Humusbildungen.
Von Prof. Dr. H. Poronıe.
(Vorgelegt von Hrn. Branca.)
Seit Jahren beschäftigte ich mich mit den rezenten Humus- und
verwandten Ablagerungen, ursprünglich nur in der Absicht, aus dem
Vergleich der Entstehung dieser rezenten Bildungen mit den Tat-
sachen, die die fossilen Humus- usw. Ablagerungen bieten, für die Genesis
der letzteren Daten zu gewinnen.
Im Hinblick auf die noch vielfach hervortretende Neigung, die
Steinkohlenlager als allochthon anzusehen, d. h. als entstanden aus an-
geschwemmtem Pflanzenmaterial (Pflanzenteile an zweiter Lagerstätte),
ist es daher von besonderem Wert, nun wirklich einmal einige
rezente Vorkommnise dieser Art in ihrer Erscheinungs- und ihrer
Entstehungsweise genauer kennen zu lernen. Zu dem Zwecke habe
ich in 1906 zwei Fälle näher untersucht. Der Darlegung schicke
ich die folgenden Definitionen voraus:
Wo es sich um einen Transport von lebendem oder im Absterben
begriffenem oder eben abgestorbenem Material handelt, sei von Ver-
schwemmung die Rede bzw. von Sschwemmhumus für das ent-
stehende Gestein, das sein kann Schwemmoder oder Schwemm-
torf; findet jedoch eine durch Wasser bewirkte Umlagerung von
bereits gebildetem Humus statt, so sei von Schlämmhumus ge-
sprochen, der sein kann Schlämmoder oder Schlämmtorf. Hier-
bei erfolgt ein Ausschlämmen und Schlämmen eines bereits
durch Zersetzung entstandenen brennbaren Bioliths, eines Kausto-
bioliths, womit naturgemäß eine mehr oder minder weitgehende Sepa-
ration der Bestandteile nach ihrem Gewicht und nach ihrer Größe
verbunden ist.
H. Poronız: Über recente allochthone Humusbildungen. 49
1. Schwemmhumus.
Über Schwemmtorf verweise ich auf die Darlegungen, welche
ich in meiner Klassifikation und Terminologie der rezenten brenn-
baren Biolithe und ihrer Lagerstätte 1906 S. 71 gegeben habe".
Schwemmoder. Wie die allbekannte Tangstranddrift auffällige
Strandwälle erzeugen kann, so können dies auch angeschwemmte
Pflanzenreste, die, ursprünglich dem Lande angehörend, ins Wasser
geraten sind und nun von diesem wieder auf ein Ufer gebracht
werden. Bei uns ist besonders auffällig die aus Röhrichtbestand-
teilen, besonders Stengelteilen von Rohrschilf (Arundo phragmites)
zusammengesetzte Stranddrift, die in mehr oder minder mächtigen
Ansammlungen vorkommt, freilich oft genug nur von niederge-
legten und zu natürlichem Häcksel mehr oder minder zerkleinerten
Massen der an demselben Ufer wachsenden Röhrichtpflanzen her-
stammend. Dieses Material kann sich ebenfalls zu Strandwällen an-
häufen; sie begleiten die Ufer unserer havelländischen und anderer
Gewässer, wie z. B. die Ufer des Müggelsees. Nur selten erhalten
sich solche Ansammlungen in bemerkenswerteren Schichten, da oft
genug alles verwest; insbesondere aber, weil diese Stranddrift von
der Kultur beseitigt wird, und zwar dort, wo sie bis 1.5 m mächtig
werden kann, wie an der Südküste des Stettiner Haffs, durch Ver-
brennung, damit die bedeckten lebenden — oft zum Schutz der
Küste und im Interesse von Landgewinnung” erst angepflanzten —
Röhrichtbestände nicht »erstickt« werden. Freilich ein wirkliches
vollständiges Ersticken des Rohrschilfes speziell würde nur bei aus-
nahmsweise mächtigen Aufschüttungen erfolgen können, da Arundo
phragmites die Fähigkeit besitzt, durch recht dicke Schichten wieder
durchzustechen; aber die durchstechenden Sprosse bleiben doch zu-
nächst kleiner und nehmen erst nach und nach wieder nutzbringende
Größe an.
Eine natürliche mächtigere Ablagerung von Landpflanzenstrand-
drift hat C. Schröter in der von ihm gemeinsam mit O. Kırcaner her-
ausgegebenen Arbeit: »Die Vegetation des Bodensees«° beschrieben.
Er bezeichnet die Ablagerung als »Schwemmtorf«, und zwar setzt er
hier das Wort selbst in Anführungsstriche; weiter unten sagt er dann
nur: »Überführung mit Gesteinsmaterial würde zweifellos solche An-
! Von dieser Schrift erscheint von der Königlich Preußischen Geologischen
Landesanstalt herausgegeben eine sehr erweiterte 2. Auflage unter dem Titel »Die
rezenten Kaustobiolithe«.
2 So z.B. am Stettiner Haff, am Kurischen Haff, am Bodensee usw.
® Bodenseeforschungen, Neunter Abschnitt II. Lindau 1902. S. 39—42-
6*
50 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Januar 1908.
häufungen zu einer ‚torfähnlichen‘ Schicht zusammenpressen.« J. Frün
hingegen' nennt das Material solcher Ablagerungen ohne Beschränkung
Schwemmtorf. Ich erwähne das, weil aus dem Weiteren hervor-
gehen wird, daß es besser zu den Moderbildungen (Schwemmoder)
gerechnet wird.
Schröter beschreibt a. a. OÖ. die größeren der in Rede stehenden
Ablagerungen wie folgt:
»Die braunen Pflanzentrümmer bestehen aus abgerollten Holz-
stücken, Zweigfragmenten, Rindenfetzen, Rhizomteilen usw. und bilden
eine über metertiefe Aufschüttung, in welcher die sukzessiven Wasser-
stände ihre parallel verlaufenden ‚Strandlinien‘ hinterlassen haben.
Die Masse hat das Aussehen eines lockeren Torfs; sie ist von Wasser
durchtränkt, und man sinkt tief darin ein; die Grundlage bildet der
vollständig zerriebene feinere Detritus; eingestreut sind größere Pflan-
zenfragmente, die am Wasserrande von den Wellen hin- und herge-
tragen werden.« Kırcnser” hat auch bernsteinähnliche Gerölle von
»Fichtenharz« im Schwemmoder von Langenargen gefunden.
Ich habe zum Studium solcher Ablagerungen das Ufer des Boden-
sees untersucht und kann danach das Folgende berichtigen.
Was zunächst die mächtigste Ablagerung angeht, die sich zwischen
der Schussenmündung und Langenargen (im Württembergischen) be-
findet, so stammt ihr Material von den Ufern der in den Bodensee
mündenden Schussen, die bei Hochwasser zeitweilig viel Pflanzen-
material erhält, wie ich das selbst noch zu beobachten in der Lage
war, was aber nach Vervollständigung der begonnenen Regulierung
ganz hintangehalten werden wird. Die Überschwemmungen schaffen
auf den anliegenden Streuwiesen Abraum, der zum Teil mitgenommen
wird, und das bewegtere Wasser des Flußbettes selbst bringt an den
Steilküsten Bäume zum Sturz und reißt sie zum Teil mit sich fort.
Als ich Ende August 1906 dort war, waren noch die Folgen aus
dem Frühjahr zu beobachten. Der Fluß hatte durch reißende Gewalt
von einer östlichen Steiluferstrecke ganze Stücke mit Vegetationsbe-
stand, darunter große und ziemlich viele Bäume zum Sturz gebracht.
Sobald das verschwemmte Material in das Wasser des Bodensees
gerät, beginnt der Kampf zwischen der im Norden einmündenden
Schussen, die es hinauszuführen bestrebt ist, wie ihr bereits eine
mächtige Sandbank im Bodensee vorgelagert ist, und zwischen dem
von dem vorherrschenden West- und Südwestwinde gepeitschten
Bodenseewasser. So kann’ bei Sturm in einem einzigen Tage
! Frün und Scarörer: Die Moore der Schweiz, 1904, S. 213.
2a OMSFAONU TAT:
® Nach zuverlässiger Mitteilung des Hrn. Handelsgärtners Albert Schöllhammer.
ar
H. Poronıe: Über recente allochthone Humusbildungen. 51
so viel Pflanzendetritus an den Strand geworfen werden,
daß 2m mächtige Ablagerungen entstehen; wesentlich aus
Material, das namentlich im Frühjahr, von der Schussen herausgeführt,
Zeit hatte, sich voll Wasser zu saugen und daher vor der Sandbank
unterzusinken, um auf dem Boden des hier flachen Seewassers abge-
lagert zu werden. Das Material wird naturgemäß mehr oder minder
separiertt an den Strand geworfen und wird von den Anwohnern
»Seekot« auch »Gemür« genannt.
Das in Rede stehende Lager befindet sich im Besitze des Hrn.
SCHÖLLHAMMER, der es zur Verwendung bei seinen Kulturen als »Garten-
erde« abbaut. Zu der Zeit, als ich dort war, war es ziemlich tief ganz
ausgetrocknet: ist es doch durch seine Lage am Nordufer des Sees
der direkten Sonnenwirkung stark ausgesetzt. Hiermit dürfte es zu-
sammenhängen, daß es mir bei diesem und überhaupt bei so expo-
nierten Lagern nicht gelungen ist, in ihnen auch nur einen Regen-
wurm zu finden; auch Hr. ScnörLLuammer hat in seinem Lager nie
einen solchen gesehen. Es steht dies ganz in Gegensatz zu den Ab-
lagerungen gleicher Art an vor der Sonne geschützteren Stellen am Süd-
ufer des Bodensees (auf der Schweizer Seite), z. B. östlich von Rorschach,
wo ich im Schwemmoder zahlreiche Regenwürmer auffand, während in
bergfeuchtem Torfe (unentwässerter Reviere) eben Regenwürmer und ihre
Begleiter niemals vorhanden sind. Die Ablagerungen sind verschieden,
je nachdem ihr Material eine geringere oder größere Verschwemmung
bzw. Wassereinwirkung erlitten hat. Ist dieser Einfluß gering, so
sind die Materialien weit weniger ausgelaugt als die z. B. von der
Schussen gelieferten. Aber auch da, wo die Auslaugung eine ge-
ringere ist, ist doch der Einfluß der Atmosphärilien meistens ebenso
weitgehend wie dort, wo sich — wie in geeigneten Wäldern — Moder
bildet. Schwemmtorf könnte aus Pflanzendetritus nur da entstehen,
wo dieser frisch in gehörigen Lagen an den Strand kommt und schnell
genug, wie bei der Torfbildung, zum hinreichenden Abschluß vor den
Atmosphärilien gelangt oder wo er unter stagnierendes Wasser gerät.
Außer Rohrschilfresten finden sich in den in Rede stehenden
Schwemmoderlagern, deren Bestandteile alle den Charakter von natür-
lichem Häcksel tragen, Holzstücke und Gerölle, Blattreste der ver-
schiedensten Pflanzenarten, Kiefern- und Fichtenzapfen und andre
Früchte und Samen. Die Samen, wenn nicht gerade ganz frisch her-
zugeführt, nur von solchen Arten, die eine resistentere Schale be-
sitzen. So ist es bemerkenswert, daß von Quercus-, Corylus-, Aesculus-
Samen sich nur die hohlen, leeren Schalen finden, ein Hinweis auf
die reichlicheren Verwesungsbedingungen, die herrschen, so dal das
zurückbleibende Gesamtmaterial in der Tat als Moder anzusprechen
52 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Januar 1908.
ist. Diese vielen, oft nur kleinen, zuweilen ohne bemerk-
bare Öffnungen versehenen leeren Schalen geben eine gute
Erklärung ab für die Entstehung der so häufigen fossilen
Samensteinkerne, z.B. des Karbons. Alles leichter Zersetzliche
überhaupt ist in diesem Schwemmoder verschwunden, sehr gegen-
sätzlich zum Torf, in dem sich, sofern die Objekte von vornherein
unter reine Fäulnisbedingungen geraten, noch leichtzersetzliche Teile
vorfinden'.
Auch ich war in der Lage, bernsteinähnliche Harzgerölle
in diesem rezenten Schwemmoder, von der Fichte und wohl
auch der Kiefer, zu beobachten, sowie von harzigen Substanzen, mit
denen die Schiffe bestrichen werden. Bei der Veränderung, die diese
Harzstücke erlitten haben, werden sie von Anwohnern direkt wie Ko-
lophonium für Streichinstrumente benutzt.
Hr. ScuöLLuanmer machte mich darauf aufmerksam, daß alter,
sehr stark zersetzter Schwemmoder, einmal ausgetrocknet, kein Wasser
mehr annimmt. Bei der schweren Zersetzbarkeit von Harz ist diese
Erscheinung wohl auf eine Anreicherung an harzigen Substanzen zu-
rückzuführen, und das gibt einen Wink, wie man sich die Ent-
stehung des rezenten Denhardtits” und des tertiären Pyro-
pissits vorzustellen hat.
2. Schlämmhumus. a
EBERMAYER hat seinerzeit unter dem Namen Alpenhumus’ auf einen
fast pulverförmigen Humus der nördlichen Kalkalpen hingewiesen, der
bisweilen meterdicke Schichten bildet, auf denen Hochwald stockt.
Regenwürmer sind höchst selten, nur ganz vereinzelt vorhanden. Nach
dieser und der weiteren Beschreibung EsBEruAYERS ergibt sich nichts
über die Genesis des Alpenmoders, die auch bis heute unbekannt ge-
blieben ist‘. Ich habe daher die Kalkalpen, und zwar den Rätikon
besucht, um den Versuch zu machen, die schwebende Frage aufzu-
klären. Die Auffindung des Gesteins selbst machte keinerlei Schwierig-
keiten; es fand sich in kleinen, gelegentlich auch größeren Ansamm-
lungen und entsprach in jeder Hinsicht der Beschreibung EBERMAYERS.
Die Genesis des von mir untersuchten Alpenmoders findet nun
die folgende Erklärung:
! Vgl. die bezügliche Zusammenstellung sowie über die Begriffe Fäulnis usw.
meine vorn zitierte Klassifikation, besonders die 2. Auflage derselben.
®2 Vgl. meine Klassifikation S. 81.
Alpenmoder, Powonız, Klassifikation S. 76.
* Vgl. z.B. Ramanns Bodenkunde, 2. Auflage 1905, S. 156 und 177.
H. Poronı£: Über recente allochthone Humusbildungen. 53
Die dicht in Polstern und Rasen aufwachsenden Pflanzen haben
die Neigung, Trockentorf (= Rohhumus) zu bilden, in hervorragendem
Maße. Aber nicht die stoffliche Zusammensetzung solcher Arten ist
es, die sie zur Humusbildung prädestiniert, sondern nur die Tatsache,
daß sie durch ihren Aufbau die Wirkung der Atmosphärilien auf den
Boden durch die Bildung einer diehten Decke mehr oder minder ab-
zuhalten vermögen. Gerade unter den Alpenpflanzen sind nun polster-
und rasenbildende Arten bekanntlich eine gewöhnliche Erscheinung
und daher ebenso die Bildung von Trockentorf aus diesen Arten dort,
wo die Bedingungen für eine Humusbildung günstige sind. An sol-
chen Örtlichkeiten bilden auch solche Pflanzenarten Trockentorf, die
auch gern in großen Beständen und unter Umständen vorwiegend dort
leben, wo die Bedingungen zur Humusbildung fehlen. Das ist z.B.
der Fall mit Nardus stricta, die auf dem St. Gotthard Trockentorf er-
zeugt, besonders zwischen den dortigen »roches moutonne@es« und auch
auf diesen. Es beteiligen sich hier die verschiedensten Pflanzen an
der Trockentorfbildung, wie Carex curvula und Goodenoughü, Salix,
Eriophorum Scheuchzeri. Man kann ihn als Alpentrockentorf bezeich-
nen, wenn man Wert darauf legt, auszudrücken, daß dieser Trocken-
torf in den Alpen u.a. wesentlich aus Alpenpflanzenarten hervorge-
gangen ist. Noch weitergehend könnte man von Carex curvula-Trocken-
torf usw. sprechen, wenn einmal ein ausschließlicher oder fast aus-
schließlicher Bestand einer bestimmten Art vorhanden ist. Der Florist
wird aus solchen Bezeichnungen vielfach entnehmen können, woher
der 'Trockentorf stammt, z.B. wenn er Carex firma-Trockentorf hört,
daß es sich um einen Trockentorf der Kalkalpen handelt und wenn
von Carex curvula-Trockentorf die Rede ist, daß dieser seine Lager-
stätte auf Urgestein gehabt haben dürfte. Aber eine weitere Bedeu-
tung haben solche Zusätze zu dem Begriffe » Troekentorf« im allge-
meinen nicht, zumal da der auf die Eigenart der Bodenbeschaffenheit
gebotene Wink nicht unbedingt stets zu entnehmen ist; denn wenn
auch die betreffenden Arten freilich meist in ihrem Vorkommen auf die
genannten Gesteine beschränkt sind, so ist es doch nicht immer sicher
der Fall. So kommt das das Urgebirge liebende Rhododendron fer-
rugineum auch gern auf Humus vor neben dem kalkholden Rhododen-
dron hirsutum in den Kalkalpen, wenn nur hier eine genügende Humus-
lage gebildet worden ist, wie z.B. am Lüner See, wo ich übrigens
auch den Bastard zwischen beiden Arten fand. Es ist dabei wohl
zu beachten, daß wir über die Eigenschaften, die die einzelnen Pflanzen-
arten dem Trockentorf geben, meist gar nicht unterrichtet sind; und
dann ist noch zu berücksichtigen, daß durchaus nicht gesagt ist, daß
ein Vorkommen z.B. von Carex curoula auf einem Trockentorf diesen
54 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Januar 1908.
nun als aus der genannten Pflanze entstanden ergibt, denn es kann
die Vegetation gewechselt haben. Es hat also wenig Wert, von Carex
curvula-, Eriophorum alpinum- usw. Trockentorf zu sprechen. Vor der
Hand — bis sich die Notwendigkeit weiterer Gliederung ergibt —
würde es daher genügen, von Alpentrockentorf zu reden.
Besondere Einflüsse können nun aus dem Trockentorf die Ent-
stehung bemerkenswerter Moderbildung veranlassen.
Geeignet für eine solche Untersuchung über die Genesis des
Alpenmoders fand ich im Rätikon die Strecke zwischen Brand und
dem in 1924 m Meereshöhe liegenden höchstgelegenen größeren Alpen-
see, dem Lüner See, und noch weiter hinauf auf dem Wege zum
Scesaplanagipfel. Bei der Schattenlaganthütte (auf dem Wege von
Brand nach dem Lüner See) findet sich ein Alpenmoderlager bis $ m
mächtig mit Waldbestand.
Die Entstehung dieses Moders ist dort die folgende.
An hinreichend steilen Hängen drückt der im Winter auflagernde
Sehnee auf die Trockentorfdecke nach abwärts, so daß diese Decke
zu kleineren oder größeren Schollen auseinanderreißt; sie erhalten
dadurch zwischen sich freie Bahn für die Wirkung der Atmosphä-
rilien. Wo nun vermöge größerer Steilheit des Gehänges die Schnee-
decke das Bestreben einer stärkeren Abwärtsbewegung aufweist, kippt
er die Schollen um, indem sie dabei vielfach um 90° nach abwärts
gedreht werden. Die Pflanzendecke dieser Scholle ist nunmehr senk-
recht zum Gehängewinkel gerichtet, und der Humus selbst liegt dann
zu Tage. Die dadurch bedingte leichtere Zugänglichkeit des Humus
für die Atmosphärilien ist die Ursache für seine Umarbeitung zu
Moder und für seine leichtere Angreifbarkeit durch herabfließendes
und rieselndes Wasser; daher denn auch die häufigen Andeutungen
von vertragenem Humus (Schläimmhumus) in den geeigneten Gebieten.
Vielfach findet sich solcher Schlämmhumus, und zwar speziell Schlämm-
moder, z. B. auf dem Wege zwischen dem Lüner See und einem kleinen
See vor dem Scesaplanagipfel. Sogar auf tieferliegenden Schnee-
feldern kann man solchen aus Trockentorf hervorgegangenen und
nicht nur durch Wasser transportierten, sondern auch durch Wind
dislozierten Alpenmoder beobachten. Solche Schneefelder sind dann
mit einem schwarzschmutzigen Anfluge behaftet, der, wie es scheint,
hier und da mit Kryokonit verwechselt worden ist. Ein schönes Bei-
spiel bot mir Ende August 1906 das als Miniaturgletscher entwik-
kelte Schneefeld, das in den kleinen See mündet, der sich bei der
toten Alpe vor dem Scesaplanagipfel befindet.
Der Schneedruck des nächsten Winters arbeitet in dem ange-
gebenen Sinne fort, d.h. schiebt und überkippt die Humusschollen
H. Poronıe: Über recente allochthone Humusbildungen. 55
weiter talabwärts. An ruhigeren, weniger steilen Stellen häuft sich
der wandernde Humus durch Ausschlämmung und Wassertransport,
vermengt mit Gesteinsblöcken, zum großen Teil Steinschlag, an und
bildet Lager, die einen Hochwald zu tragen vermögen. Daß der
Humus solcher Lager kein typischer Torf werden kann, ist klar; denn
die Atmosphärilien haben hier weitgehenden Zugang, und Torf for-
dert für seine Entstehung möglichsten Abschluß derselben.
Ist ein Hang so steil, daß er einer Vegetation, die Trockentorf bildet,
nicht oder nur untergeordnet, etwa an Treppenvorsprüngen, Halt ver-
leiht, so ist Alpenmoder am Fuße eines solchen Hanges nicht zu finden.
Der Alpenmoder ist pulverig, krümelig, er kann aber auch bei
dichter Packung von torfähnlichem Habitus sein; er ist dann zwar
dicht, aber zerfällt außerordentlich leicht. Die in dem Moder vor-
kommenden Steine charakterisieren sich durch ihre frische und eckig-
kantige Beschaffenheit, wie gesagt, als Steinschlag, als frisches Bruch-
material.
Regenwürmer müssen im Alpenmoder in der Tat selten sein,
obgleich sie eigentlich in demselben auftreten müßten; ich selbst habe
keine beobachtet: vielleicht ist aber die Durchschnittstemperatur in den
Regionen, in denen Alpenmoder auftritt, für diese Würmer zu kalt,
die für die Gestaltung der Humusböden so überaus wichtig sind.
So entsteht denn aus Trockentorf durch weitere Zerset-
zung und durch Verschleppung des gebildeten Materials
typischer Moder ohne jede Mitwirkung von Regenwürmern,
wie das in gleicher Weise der Fall ist bei der Entstehung von Torf-
moder (Staubtorf, Bunkerde) aus Moortorf nach der Entwässerung
von Mooren auf ihrer Oberfläche, der dann aber meist sehr bald eine
Besiedelung von Regenwürmern erfährt.
Wo die Bodenbewegung durch die periodischen Einflüsse des
Wassers zu lebhaft ist — und das ist in den Alpen meist der Fall
— vermag sich natürlich kein Alpenmoder zu halten, wenigstens
nicht in mächtigeren Ablagerungen. Diese finden sich daher wesent-
lich an dem Fuß der Hänge, an den Grenzen zwischen Talsole und
Steilhängen, wie das schon erwähnte Vorkommen bei der Schatten-
laganthütte. Der in dem Moder stockende Wald selbst erzeugt durch
seine Streu Trockentorf und etwas (autochthonen) Moder; so daß zwar
der Schlämmoder den bei weitem überwiegenden Teil ausmacht, je-
doch noch anderes hinzukommt. In diesem Alpenmoder sind also
vorhanden:
a) Allochthone Bestandteile:
I. Schlämmoder,
2. Steinschlag;
1
Sitzungsberichte 1908.
56 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Januar 1908.
b) Autochthone Bestandteile:
3. Waldtrockentorf,
4. Waldmoder.
Die Tatsache, daß es gerade die Kalkalpen sind, die
dureh solche Ablagerungen ausgezeichnet sind, steht aber
mit dem Kalk an sich in keinem Zusammenhange, etwa durch
irgendeinen chemischen Einfluß, den dieser auf die Bildung des Moders
ausüben möchte. Wie denn auch in den Kalkalpen auf dem Moder
bzw. Trockentorf kalkfliehende Pflanzenarten wachsen, vorausgesetzt,
daß die Moder- bzw. Trockentorfschicht eine genügende Isolierschicht
bildet. Findet sich doch, wie gesagt, unter solchen Bedingungen
selbst Rhododendron ferrugineum in den Kalkalpen. Das Vorkommen
von reichlicherem Alpenmoder gerade in den Kalkalpen erklärt sich
vielmehr dadurch, daß bei der vergleichsweise leichten Verwitterbar-
keit des Kalkes Steilhänge und dadurch bewegte Verhältnisse hier
ständig sind, also für eine Bewegung des Trockentorfes seine Um-
bildung zu Moder und für die Verschleppung desselben die günstig-
sten Bedingungen herrschen.
Ist dem so, so muß unter Umständen auch in Gebirgen
aus anderem Gesteinsmaterial — etwa Granit oder Sandstein
— »Alpenmoder« entstehen können, wenn auch meist nicht
in so auffälliger Entwicklung wie in Kalkgebirgen. In der Tat ist
dies der Fall, wie mich Beobachtungen im Buntsandsteingebiet des
Schwarzwaldes lehrten, wo sich vielfach geringere Mengen von » Alpen-
moder« derselben Entstehung aus Trockentorf —- wenn auch hier na-
türlich nicht von Alpenpflanzen — vorfinden.
Anschließend sei darauf hingewiesen, daß die ruhelosen Boden-
verhältnisse, die in geologisch jüngeren und daher noch stark der Ab-
tragung und starker Wasserzirkulation unterliegenden hohen Gebirgen
vorhanden sind, die Hauptursache dafür abgeben, daß sie Moorbildun-
gen nur untergeordnet entwickeln, sowohl in ihren ständigen feuchten
Höhenlagen, als auch in ihren Tälern. Im Gegensatz zu den ursprüng-
lich ebenfalls hohen, aber jetzt alten und älteren Gebirgen, wie dem
Riesengebirge, dem Harz und dem Schwarzwald, die durch ihre ruhi-
geren Oberflächenformen in ihren feuchten Höhen günstige Bedingungen
für die Entstehung und das Festhalten von Moortorf bieten, der freilich
durch die künstliche Entwässerung der Moore immer mehr reduziert
wird. Werden erst einmal die Alpen in ihr Altersstadium getreten sein,
so werden auch sie die Bedingungen für die Entstehung größerer Moore
erreicht haben. Einen schönen Beleg hierzu bietet die von Frün'
! Frün und Schrörer, Die Moore der Schweiz. 1904.
-
H. Poronıe: Über recente allochthone Humusbildungen. 57
gegebene Moorkarte der Schweiz, auf der zwar sehr zahlreiche und
große Moore im Vorlande der Alpen, im »Mittellande« der Schweiz,
angegeben sind, jedoch nur sehr spärliche, kaum beachtenswerte
Torfvorkommen in den Alpen selbst.
Aus der vorausgehenden Darstellung ergibt sich, daß von rezenten
Humusbildungen, sofern sie allochthon sind, unterschieden werden
können:
I. Von Moderarten:
a) Schlämmoder (= Alpenmoder) und
b) Schwemmoder (= sogenannter Schwemmtorf‘).
II. Von Torfarten:
a) Schlämmtorf und
b) Schwemmtorf.
Im vorstehenden ist also für zwei Fälle wirklich das
Vorhandensein von Allochthonie dargetan worden. Aber
selbst zusammen mit den anderen bekannten Fällen soleher
Art handelt es sich doch immer nur um beschränkte Vor-
kommnisse gegenüber der ungeheuren Menge und Ausdeh-
nung autochthoner Bildungen: der Moore. Dasselbe aber
gilt doch auch sicher bezüglich der Genesis der fossilen
Kohlen.
Ausgegeben am 23. Januar.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei
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59
SITZUNGSBERICHTE 1908.
In.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Vorsitzender Secretar: Hr. Diers.
* Hr. Stumer trug vor: »Zur Theorie des inductiven
Schlusses.«
Der Schluss von Thatsachen auf Gesetze setzt in dreifacher Weise apriorische
Erkenntnisse voraus: ı. sofern der Begriff eines Gesetzes überhaupt nur aus der Ver-
gegenwärtigung apriorischer Wahrheiten gewonnen werden kann, 2. sofern die Wahr-
scheinlichkeitsprineipien, nach denen sich die Glaubwürdigkeit der Gesetzeshypothese im
einzelnen Falle bemisst, aus dem Begriffe der Wahrscheinlichkeit analytisch, also aprio-
risch, einleuchten, 3. sofern der Zusammenhang zwischen den Prämissen und dem
Schlusssatze, wie in jedem richtigen Schlusse, so auch im inductiven einen a priori ein-
leuchtenden Satz ergeben muss, wenn man jenen Zusammenhang zum Inhalt eines
Urtheiles macht.
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Sitzungsberichte 1908.
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ahre esberichte über die akademischen Unternehmungen und Jahresberichte der Stiftungen. (S. 81)
die ‚Personalveränderungen. (S. 116)
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RK GLICHEN. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
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1 | COMMISSION BEI GEORG REIMER.
Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften.
Aus $1l.
Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei
fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte
der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «
und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie
der Wissenschaften «.
Aus $ 2.
Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die
»Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka-
deimischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel
das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nicht-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.
83.
Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll
in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32,
bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift
der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen
von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand-
lungen nicht übersteigen.
Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung
der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt-
haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu
beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver-
muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde,
so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen
von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lassen.
SA.
Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder
auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die
Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original-
aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch
auf getrennten Blättern, einzureichen,
Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in
der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten
aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so
kann die Akademie dazueine Bewilligung beschliessen. Ein
darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be-
treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage
eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu
richten, dann zunächst im Secretariat vorzuberathen und
weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln.
Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka-
demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten
ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren
handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen
beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er-
forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark,
bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung
durch das Secretariat geboten.
Aus $5.
Nach der Vorlegung und Einreichung des
vollständigen druckfertigen Manuseripts an den
zuständigen Secretar oder an den Archivar
wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen
Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit-
glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt.
Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder
der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die
Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine
Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Nichtmitgliedes
in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen«,
so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die
Gesammt-Akademie. -
(Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.)
Aus $6. }
Die an die Druckerei abzuliefernden Manusceriptemüssen,
wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus-
reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes
und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen
Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden
Mitgliede vor Einreichung des Manuscripts vorzunehmen,
Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser
seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht.
Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die
Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das
vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach
Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern
und leichten Schreibversehen hinausgehen, Umfängliche
Correcturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- -
girenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerei,
und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr-
kosten verpflichtet. 1
Aus $8. \
Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen
aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden,
Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von
wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im 1}
Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sonder- .
abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- .
treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden. i |
Von Gedächtnissreden werden ebenfallsSonderabdrucke
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die 4
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. 1
89. #
Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberiehten 3 1
1
erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei- |
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis |
zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, |
sofern er (liess rechtzeitig dem redigierenden Seeretar an- j j
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
Abidrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be-
treffenden Classe. — Nichtmitglieder ethalten 50 Frei-
exemplare uni dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Seeretar weitere 200 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen lassen. 2
Von den’Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er-
hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei-
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis
zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar an-
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be-
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 Frei-
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen lassen. I
My 2
Eine für die akademischen Schriften be-
stimmte wissenschaftliche Mittheilung dar
in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jene:
Stelle anderweitig, sei es auch nur auszugs-
SITZUNGSBERICHTE 1908.
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
23. Januar. Öffentliche Sitzung zur Feier des Geburtsfestes Sr. Majestät
des Kaisers und Königs und des Jahrestages König Frıeprıcn’s 1.
Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER.
Der Vorsitzende eröffnete die Sitzung, welcher der vorgeordnete
Minister, Se. Excellenz Hr. Dr. Horrr, beiwohnte, mit einer Ansprache,
in der unter Hinweisen auf die Feiern der Königlichen Geburtstage
in den Jahren 1808 und 1858 dem Kaiserlichen und Königlichen
Protector die Glückwünsche der Akademie und der Dank für die im
Jahre 1907 bewilligten wichtigen dauernden Zuwendungen darge-
bracht wurden.
Sodann hielt Hr. Koser den nachstehenden wissenschaftlichen
Festvortrag:
Die Mitteilung, die ich dieser Versammlung an dem heutigen
zwiefachen Festtage zu bieten habe, wird den beiden erhabenen Fürsten,
denen unsere Feier gilt, zu gleichen Teilen gedankt. Durch die Huld
Seiner Majestät des Kaisers, der aus seinem Dispositionsfonds die er-
forderlichen Geldmittel freigebig zur Verfügung stellte, ist die Staats-
archivverwaltung in die Lage versetzt worden, den größten Teil der
Originalbriefe König Frırprıcns Des GroszEn an VOLTAmE von den
Erben des Dichters anzukaufen. Ergänzungen zu dieser überaus wert-
vollen Erwerbung ließen sich bei vier verschiedenen Gelegenheiten
auf dem antiquarischen Markte gewinnen. So ist jetzt ein beträcht-
licher Teil des Nachlasses von VorrAme in preußischen Archiven ge-
borgen, nachdem andere Teile schon bald nach dem Tode des Dichters
in den Besitz der russischen Regierung übergegangen waren. Wie
Vorrame selber bei Lebzeiten auf dem Boden seines Vaterlandes keine
bleibende Stätte gefunden hat, ist jetzt also auch diesen hinter-
lassenen Schriftensammlungen in der Fremde eine Unterkunftsstätte
bereitet worden.
Sitzungsberichte 1908. 9
ID
6 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Es ist nicht meine Absicht, heute über die neue Ausgabe des
Briefwechsels zwischen Frırprıcn DEM (ROSZEN und VOLTAmRE zu be-
richten, die auf Grund der von uns erworbenen Handschriften vor-
bereitet wird und demnächst erscheinen soll. Auch will ich nicht
unternehmen, den sich über zweiundvierzig Jahre hin erstreckenden
Verkehr zwischen dem König und dem Dichter zu schildern, wie
das oft und an andrer Stelle auch von mir selber versucht worden
ist. Vielmehr soll aus der Masse der neu gehobenen Schätze nur
ein einzelnes Stück, eine bisher unbekannte Dichtung des Königs,
herausgegriffen und mitgeteilt werden. Eine Ode, die in mehr als
einer Richtung Stoff zur Betrachtung und Anlaß zur Erörterung bietet.
Indem dieses Gedicht hier zur Mitteilung gelangt, wird für den heu-
tigen Tag lediglich eine alte Überlieferung der Akademie wieder auf-
genommen; denn mehr als einmal sind zu Lebzeiten des Großen
Königs, der nicht nur der Wiederhersteller und Schirmherr der Aka-
demie, sondern auch ihr eifriger Mitarbeiter war, Erzeugnisse seiner
Feder hier in diesem Kreise an die Öffentlichkeit getreten; ich darf
an die denkwürdige Festsitzung des 27. Januar 1772 erinnern, in der
in Gegenwart der erlauchten Schwester des königlichen Verfassers,
der Königin Lusse Urrıke von Schweden, hier die Abhandlung »Über
den Nutzen der Wissenschaften und Künste in einem Staate« durch
eines der Mitglieder verlesen wurde.
Wir wußten aus einem Briefe König Frienrıchs an VOLTAIRE
vom 25. Juli 1742, daß dem Briefe eine Ode angeschlossen war, eine
poetische Rechtfertigung «des Breslauer Friedens, den der König soeben
mit der Königin MaArıa Tueresıa abgeschlossen hatte, eine Recht-
fertigung überhaupt der preußischen Politik im Ersten Schlesischen
Kriege. Den Veranstaltern der Kehler Gesamtausgabe der Werke
Vorrames hat diese Ode in dessen Nachlasse noch vorgelegen; sie
führen den Titel an »Über die Urteile, die das Publikum über
diejenigen fällt, die mit dem unglückseligen Beruf der
Politiker betraut sind«'. Die Ode selbst teilten sie nicht mit.
Sie galt seitdem als verschollen; der Herausgeber unserer akademischen
Ausgabe der (Euvres (de Frederic le Grand, J. D. E. Preusz, hat sich
um die Mitte des vorigen Jahrhunderts vergeblich bemüht, ihrer hab-
haft zu werden. Jetzt endlich ist sie zum Vorschein gekommen und
zu uns gelangt.
Der Verfasser hatte die Ode von der Sammlung seiner litera-
rischen Werke, die er einige Jahre vor dem Siebenjährigen Kriege
! Sur les jugements que le publie porte sur ceux qui sont charges dans la societe
eivile du malheureux emploi de politiques. Die Worte dans la societe eivile ergänze
ich aus dem Original.
Koser: Festrede. 6:
als (Euvres du philosophe de Sanssouci drucken ließ, ausgeschlossen.
Vielleicht hatte er nicht einmal eine Abschrift zurückbehalten. Es
mag zweifelhaft erscheinen, ob der Philosoph von Sanssouei «damit
einverstanden sein würde, wenn er sähe, daß man, wie es jetzt üblich
ist, die von ihm beiseite geschobenen ersten Entwürfe seiner Ge-
dichte hervorzieht und ihre Varianten den endgültig angenommenen
Texten gegenüberstell. Im vorliegenden Falle aber darf für die
Veröffentlichung gerade dieser Ode der nämliche Umstand noch heute
geltend gemacht werden, mit dem einst ihr Dichter die Abfassung
und weiter die Mitteilung an Vorrame begründete. Er meinte, daß
nicht leicht zuvor in einer Ode so viel von Politik gesprochen
worden sei, und dieses politische Interesse ließ ihn sich darüber hin-
wegsetzen, daß seine Alexandriner, wie er bekannte, nicht so har-
monisch wären, wie man es wünschen könnte.
Die Ode, eine Verteidigung der Berufspolitiker, ist dieser ihrer
allgemeinen Tendenz nach ein Seitenstück zu der poetischen Epistel
von 1749, die in den (Euvres du philosophe de Sanssouei als » Ver-
teidigung der Könige« (Apologie des rois) erscheint. Sie entspricht
ihrem besonderen Inhalt nach der Flugschrift, die der König zur Recht-
fertigung seines Friedensschlusses wenige Tage nach der Abfassung
der Ode unter dem Titel » Brief des Grafen ““ an einen Freund « nieder-
schrieb, um sie insgeheim zu Köln drucken und demnächst in Frank-
reich verbreiten zu lassen, die er dann zurückzog, um die französische
Empfindlichkeit zu schonen, und die ich, nachdem 1742 die Druck-
legung eingestellt worden war, vor jetzt dreißig Jahren im Auftrage
der Akademie in der Sammlung der »Preußischen Staatsschriften aus
der Regierungszeit Frreprıcns II.« veröffentlicht habe. Die Ode ist
weiter ihrem Inhalt nach ein Vorläufer zu den zeitgeschichtlichen Denk-
würdigkeiten des Königs, zu der Histoire de mon temps, ein Memoire
vor den Memoiren. Daß Frırprıcn in dem Augenblick, wo er die
Ode verfaßte, sich bereits mit dem Plane trug, seine eigne Geschichte
zu schreiben oder zu diktieren, wissen wir aus einem Briefe des
Freiherrn von Pörısırz vom 7. April 1742. Unsre Ode erscheint in
ihren erzählenden Strophen geradezu als eine Skizze zu der Geschichte
des Ersten Schlesischen Krieges; und wenn in der Entwieklung der
nationalen Literaturen insgemein der prosaischen Historie eine histo-
rische Poesie vorangegangen ist, so weist also FRIEDRICHS DES GROSZEN
historiographische Betätigung, dank einem Zufalle, die gleiche Ab-
folge auf.
Ein Prolog zu der Histoire de mon temps, ist unsre Ode weiter
ein Epilog zum Antimacchiavell. Ein Epilog, aber keine Palinodie,
kein Widerruf. Der Kampfeston gegen den Macchiavellismus der Staats-
92
64 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
lenker wird in der Ode kräftig und scharf angeschlagen wie zwei
Jahre früher im Antimacchiavell; ja noch schärfer, denn die Polemik
der Ode erhält eine persönliche Spitze. Und zwar nach einer schon
im Antimacchiavell vorgezeichneten Richtung.
Dem Verfasser des Antimacchiavell haben bei seiner Abrechnung
mit der politischen Moral des Florentiners zwei Franzosen vor Augen
gestanden. Der eine, der erste Bourbonenkönig, in der idealen Ver-
klärung des Vorrameschen Heldenepos, der Hrxrı IV der Henriade.
Eine Nachwirkung der Henriade nannte der preußische Kronprinz seinen
Antimaechiavell. Die hochherzigen Gesinnungen Heikricas IV. sollen
dem politischen Urteil Maßstäbe und dem politischen Verhalten Ge-
setze geben '.
Der andre Franzose weilte noch unter den Lebenden. Es war
der alte Kardinal Freurv, ehedem der Erzieher und damals bereits
seit mehr als einem Jahrzehnt der »Prinzipalminister« König Lup-
wıcs XV., der dritte in der Reihe der großen Prälaten, die im 78
und ı8. Jahrhundert die Geschicke Frankreichs gelenkt haben. Gegen
Fıeurv enthält der Antimacchiavell einen unverhüllten Angriff; der
preußische Kronprinz nennt ihn dort »den weisen und geschiekten
Minister, der in Frankreich am Staatsruder sitzt und dem es bei den
Lehren MaccutaveErzs viel zu wohl geworden ist, als daß er auf halbem
Wege sollte einhalten wollen.«e Gegen Frrury richtet sich auch
unsre Ode.
Der Kronprinz hatte sich sein Urteil über den‘ Leiter der fran-
zösischen Politik beim Ausgang des Krieges von 1733 bis 1735 ge-
bildet. Frankreich hatte damals seine Verbündeten, Spanien, Sardinien
und den König StanısLaus Leszezynskı von Polen, verlassen, um sich
durch einen Sonderfrieden mit dem Wiener Hofe die Erwerbung von
Lothringen zu sichern, obgleich bei Beginn des Kampfes das französische
Kriegsmanifest verkündet hatte, daß König Lupwıs keine Vorteile für
sich begehre, sondern lediglich für die Freiheit der polnischen Königs-
wahl, zugunsten des Piasten SranısLaus gegen den von Rußland und
Österreich unterstützten sächsischen Kurfürsten die Waffen erhebe. Die
überraschende Schwenkung der französischen Politik, der Sonderfriede
von 1735, berührte den Kronprinzen von Preußen um so peinlicher,
als er selbst an die Schilderhebung Frankreichs gegen Österreich poli-
tische Entwürfe angeknüpft hatte. Die schwere Erkrankung Frieprıcn
Wirnerns I. im Herbst 1734, gegen das Ende des ersten Feldzugs,
ließ wenig Hoffnung für das Leben des Königs; der zweiundzwanzig-
! FriEDRICH an VorrAıRE, 26. Juni 1739: »Ce que je medite contre le machia-
velisme est proprement une suite de la Henriade. C'est sur les grands sentiments de
Henrı IV que je forge la foudre qui &ecrasera Cesar Borgia.«
Per
Br
Koser: Festrede. 65
Jährige Thronerbe mußte sich die Frage vorlegen, wie er, während
dieses Krieges zur Nachfolge berufen, seine Stellung zu den krieg-
führenden Mächten wählen wolle. Er näherte sich dem bei seinem
Vater beglaubigten französischen Gesandten mit der gewichtigen An-
deutung, daß er den Franzosen ein Bundesgenosse werden könne wie
einst Gustav Aporr, vorausgesetzt daß man ihn seinen Vorteil finden
lassen wolle. Die Genesung des Königs ließ für politische Erörterungen
dieser Art keinen Raum, aber als im folgenden Herbst Frankreich
jenen Sonderfrieden schloß, durfte der Kronprinz sich dazu beglück-
wünschen, jetzt nicht zu den Verbündeten zu zählen, denen die selbst-
herrliche, rücksichtslose Großmacht das Nachsehen gelassen hatte. Er
bezeichnete damals in einem vertraulichen Brief an einen der Staats-
männer seines Vaters, den General Grumskow, diesen Friedensschluß
des Kardinals Fırury als eine Probe der feinsten Hinterlist, zu der
je ein Minister gegriffen habe; denn Frankreich habe seine Erklärung
zugunsten der polnischen Wahlfreiheit nur als Deckmantel für seine
Umtriebe und seine unersättliche Vergrößerungsgier benutzt. Er blieb
dabei, den Frieden von 1735 einen schimpflichen zu nennen, der den
Franzosen bei den spätesten Geschlechtern schaden werde. Er eiferte
sieh in die Stimmung hinein, aus welcher der Antimaechiavell er-
wachsen ist; er schalt das ganze Getriebe der Politik jener Tage mit
seinen Listen und Ränken ein kindisches Spiel, in welchem der ge-
winne, der am feinsten täusche. Der Kardinal Freurv aber hieß ihm
seitdem der Maechiavell in der Kutte, der Macchiavell in der Mitra, der
geweihte Maechiavell, der »dem Himmel dient und die Welt betrügt'«.
Diesem Staatsmanne also, der ihm als der Typus des falschen
Freundes und unzuverlässigen Verbündeten galt, sah der junge Fürst
sich gegenübergestellt, als er am 31. Mai 1740 den preußischen Thron
bestieg. »Wer wird sich künftig diesen Leuten anvertrauen dürfen!«,
so hatte er vor fünf Jahren empört ausgerufen. Jetzt sah er sich
von eben diesen Franzosen umworben. Man versteht, daß er nur
zögernd die ihm zum Bündnis dargebotene Hand ergriff und schnell
sie wieder losließ. Ohne einen Verbündeten in den Kampf gegen
Österreich eingetreten, wäre er doch bereit gewesen, an Österreichs
und Englands Seite seine Waffen gegen Frankreich zu kehren, wenn
ihm unter englischer Vermittelung Niederschlesien abgetreten worden
! Man findet die einschlägigen Äußerungen nachgewiesen in »Friedrich der
Große als Kronprinz« S. 264 (2. Aufl... In dem jetzt für das Geheime Staatsarchiv
erworbenen Brief Frırprıcns an VorrAırE vom 6. Juni 1740 finden sich die Worte »le
vieux Machiavel mitre« dick mit Tinte überzogen, offenbar durch den Empfänger, der
nicht darauf verzichten wollte, den Brief herumzuzeigen, aber nicht wünschen konnte,
daß Freury erfuhr, wie er und seine Staatskunst in diesem Briefwechsel gekenn-
zeichnet wurden.
66 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
wäre; noch nach der ersten Schlacht kam er auf diesen Vorschlag
zurück. Die starr ablehnende Haltung des Wiener Hofes veranlaßte
dann den König von Preußen, sich auf die entgegengesetzte Seite zu
stellen. Aber noch kurz vor Unterzeichnung des preußisch-franzö-
sischen. Bündnisses vom 5. Juni 1741 sagte er zu dem französischen
Gesandten im Rückblick auf den Frieden 1735: »Mein Freund, ich
habe immer den König von Sardinien vor Augen, dem Frankreich
Mailand versprochen hatte, und der nichts bekommen hat.«
Er war entschlossen, sich nicht in derselben Weise betrügen zu
lassen. »Ungläubig, ungläubig, das sei Euer Wahlspruch!« schärft
er bei Beginn des Krieges einem seiner Gesandten ein, und »trompez les
trompeurs« lautet aus dem Feldlager sein lakonisches Marginal auf
einen Bericht des Auswärtigen Amtes. »Dupons les plutöt que d’etre
dupe« lesen wir als eigenhändigen Zusatz unter einer diplomatischen
Instruktion eben aus diesen Tagen vor der militärischen und politischen
Entscheidung’. Sich nieht überlisten zu lassen, ist für den jungen König
geradezu ein Ehrenpunkt. Während der Verhandlungen von 1741
mit dem britischen Kabinett schreibt er an seinen Minister Popewırs
über den König von England: »Der Cäpten« — so nennt er Georg II.
— »glaubt uns hinter das Licht zu führen, als Westfale, das heißt
mit aller denkbaren Plumpheit; ich, der ich mich schämen würde,
von einem Italiener genarrt zu werden, ich würde mich selbst de-
mentieren, wenn ich das Spielzeug in der Hand eines Mannes aus
Hannover würde«. 3
In dem Briefwechsel mit Vorrame aus den Tagen des Ersten
Schlesischen Kriegs knüpft der Verfasser des Antimacchiavell an die
Ideengänge dieser seiner Streitschrift unmittelbar an. »Ich habe
augenblicklich mit etwa zwanzig, mehr oder weniger gefährlichen
Macchiavellen zu argumentieren« schreibt er am 8. Januar 1742.
In kühner Zusammenstellung, die er sich als Souverän erlauben darf,
setzt er hinzu: »Ich stelle mir vor, daß Gott die Esel, die dorischen
Säulen und die Könige geschaffen hat, um die Lasten dieser Welt
zu tragen; die liebenswürdige Poesie steht vor der Tür, ohne Audienz
zu erhalten. Der eine spricht nur von Grenzen, der andre von Rechten,
noch ein andrer von Indemnisation:; wieder einer von Hilfstruppen,
von Ehekontrakten, von Schuldenabtragung, von Intrigen, von
Empfehlungen, von Dispositionen. Man verkündet, daß Ihr etwas
getan, woran Ihr niemals gedacht habt; man vermutet, daß Ihr ein
' In diesen Zusammenhang gehört auch der von den Österreichern aufgefangene,
oft zitierte Brief vom 12. Mai 1741; Politische Korrespondenz Friedrichs des Großen
1,244.
Koser: Festrede. 67
Ereignis übel aufnehmen werdet, worüber Ihr Euch freut; man schreibt
aus Mexiko, daß Ihr den und den angreifen wollt, den Ihr doch zu
schonen interessiert seid; man zieht Euch ins Lächerliche; man kritisiert
Euch, ein Zeitungsschreiber verfaßt eine Satire auf Euch, die Nachbarn
zerfleischen Euch; ein jeder wünscht Euch zum Teufel und überhäuft
Euch dabei mit Freundschaftsbeteuerungen — das ist die Welt.« Der
nächste Brief, aus dem Hauptquartier zu Olmütz vom 3. Februar 1742,
spinnt diesen Faden weiter: »Die Hinterlist (supercherie), die Unzuver-
lässigkeit und die Doppelzüngigkeit sind unglücklicherweise der vor-
herrschende Charakter der meisten der Leute, die an der Spitze der
Nationen stehen und die ihnen zum Beispiel dienen sollten. Es ist
eine gar demütigende Sache um das Studium des menschlichen Herzens
bei solehen Anlässen. «
Aus Vortaıres Antworten erklingt ein durch leise, behutsame
Kritik gedämpftes Echo dieser Klagen und Anklagen. Vorraıke spricht
die Befürchtung aus, daß der König auf diesem Wege zu allzu starker
Menschenverachtung gelangen wird: »Eure Majestät malt so trefflich
die edlen Schelmenstreiche der Politiker, die eigennützigen Bemühungen
der Höflinge, daß Sie damit enden wird, an der Zuneigung der Menschen
jeglicher Art irre zu werden.« Und indem er in verständnisvollen Versen
die Schwierigkeiten der Aufgabe des Staatsmannes anerkennt, deutet
er doch zugleich an, daß sein Held mit diesen Schwierigkeiten
bei glücklichem Anpassungsvermögen sich abzufinden weiß. Die
Gloire und die Politik, so ruft er ihm zu, seien die Tyrannen, denen
er jetzt diente:
La Politique a son cöte
Moins eblouissante, aussi forte,
Meditant, redigeant ou rompant un traite,
Vient ınesurer vos pas que cette Gloire emporte.
L’Interet, la Fidelite
Quelquefois s’unissant, et trop souvent contraires,
Des amis dangereux, de secrets adversaires,
Chaque jour des desseins et des dangers nouveaux,
Tout €ecouter, tout voir, et tout faire a propos,
Payer les uns en esperance,
Les autres en raisons, quelques-uns en bons mots;
Aux peuples subjugues faire aimer sa puissance,
Que d’embarras! que de travaux!
Regner n’est pas un sort aussi doux qu’on le pense;
Qu’il en coüte d’etre un heros.
In einem anderen dieser an den König von Preußen gerichteten,
halb prosaischen und halb gereimten Briefe erteilt Vorrame den
andern Diplomaten einfach den Rat, es mit diesem Meister der Kunst
lieber nicht aufzunehmen:
68 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Ministres cauteleux, ou pressants ou jaloux,
Laissez-läa-tout votre art, il en sait plus que vous.
Il sait quel interet fait pencher la balance,
Quel traite, quel ami convient a sa puissance,
Et toujours agissant, toujours pensant en roi,
Par la plume et l’epee il sait donner la loi.
Der Kronprinz Frırprıcn hatte seine Streitschrift gegen Mac-
CHAVELL unter dem Eindruck der ersten europäischen Haupt- und
Staatsaktion, der er zugeschaut hatte, schnell niedergeschrieben, in
starker, überzeugter Ergriffenheit, in einer Art Enthusiasmus'. Er
hatte die Feder angesetzt, ohne zureichende Kenntnis weder der Zu-
stände und Erfahrungen, aus denen einst Maccnıveur seine Ratschläge
ableitete, noch der Bedingungen, Hemmnisse und Fährlichkeiten des
politischen Handelns überhaupt. Die Zustimmung zur Drucklegung
dieser improvisierten Kritik hatte Vorramrr, dem die Handschrift
zunächst nur zur persönlichen Einsicht übersandt wurde, dem Ver-
fasser abgeschmeichelt. Als darüber der Regierungsantritt kam, wollte
der nunmehrige König sein Imprimatur zurückziehen und die ganze
Auflage des in Holland schon zur Hälfte abgesetzten Werkes auf-
kaufen, ohne doch, als der den Druck vermittelnde VorrAıreE Einwände
erhob, ein bindendes Verbot auszusprechen. Denn offenbar war in-
mitten ganz neuer Interessen, im Drange der Regierungsaufgaben,
diese Frucht seiner Rheinsberger Muße aus seinem Gesichtskreis schon
herausgetreten, und er hoffte vielleicht, das Geheimnis des anonym er-
scheinenden Traktats gewahrt zu sehen. Es konnte nicht ausbleiben,
daß seine Gegner aus dem Arsenal des Antimacchiavell alsbald Waffen
gegen den Verfasser entnahmen und den Theoretiker gegen den
Praktiker auszuspielen versuchten. Als wenige Wochen nach dem
Antimaechiavell die Deduktion der preußischen Ansprüche auf Schle-
sien im Druck erschien, bemerkte eine österreichische Gegenschrift
aus der spitzigen Feder des Freiherrn von BArtenstein ironisch: »Der
Urheber der Deduktion hätte vielleicht in dem Macchiavello, welchen
Herr Vorrame mit Anmerkungen, die aber nicht die seinigen sind,
herausgegeben hat, nähere und eigentlichere Beweistümer für seine
! Stärker noch als im Antimacchiavell äußert sich dieser Enthusiasmus in der
langen Ode, die Frıevrıcn am 9. September 1739 anläßlich der Greuel des damaligen
Türkenkrieges an Vorraıre sandte ((Euvres des Frederie le Grand r, 316; in der dem-
nächst vorzulegenden neuen Ausgabe des Briefwechsels mit VorrAıre 1 295): eine
flammende Philippika gegen die Politik des Ehrgeizes, mit der Beschwörung
Monarques malheureux, ce sont vos mains fatales
Qui nourrissent les feux de ces embrasements;
La Haine, l’Interet, deites infernales,
Preeipitent vos pas dans ces egarements.
Koser: Festrede. 69
Sache gefunden.« Und als am 11. Juni 1742 Frieorıcn II. zu Breslau
seinen Frieden mit Marıa Tnurresıa geschlossen und das Bündnis mit
Frankreich verlassen hatte, schrieb der französische Marschall Beuır-
Isıe, daß der König von Preußen MaccntveLL in seinen politischen
Grundsätzen zum Führer gewählt habe.
Berrtr-Iste hat in eben der für den König von Frankreich be-
stimmten Denkschrift', in der sich dieses Urteil findet, einen wesent-
lichen Faktor in dem Zersetzungsprozeß des preußisch-französischen
Bündnisses selber scharf hervorgehoben: die Langsamkeit und die
Fehler der Kriegführung auf seiten der Verbündeten Preußens — die
alte und ewig neue Ursache des Mißerfolgs und der Auflösung
der Koalitionen. Die militärischen Leistungen der einen Partei ent-
sprachen nicht dem, was die andre erwartete und was ihr versprochen
war. Wenn man nicht alles erfülle, was man verheiße, so hatte der
König von Preußen bald nach Unterzeichnung des Bündnisses dem
französischen Gesandten in erregter Rede erklärt, so könne man sich
auf ihn nicht mehr verlassen, als auf das Laub im November. Er hatte
mit dürren Worten hinzugesetzt: Ein langer Krieg kann mir nicht
zusagen. Darin lag der Schlüssel seines Handelns. Zwischen den
politischen Ansprüchen und Bestrebungen der Franzosen und ihren
militärischen Leistungen bestand ein Mißverhältnis. Argwöhnte der
preußische König auf der einen Seite, daß sie den Koalitionskrieg
gegen die bisherige Vormacht des Reiches benutzen wollten, um in
Deutschland die französische Schutzherrschaft über eine Anzahl »Klein-
könige« (reguli)’, über eine lose Gemeinschaft ungefähr gleich starker
Mittelstaaten, aufzurichten, so überwog doch bei ihm angesichts jener
schlaffen und wirkungslosen Kriegführung die Besorgnis, daß er in
dem allgemeinen Schiffbruch der Koalition seinen bereits gesicherten,
mit den eignen Waffen erstrittenen Gewinn wieder verlieren könne.
In solehen Erwägungen hat er unter Benutzung britischer Dienst-
willigkeit die Fühlung mit dem Wiener Hofe nie ganz aufgegeben.
Die Ende April 1742 ihm zugehende Meldung seines Vertreters am
Hof des neuerwählten Wittelsbachischen Kaisers, daß ein französischer
Agent Farcıs seit vier bis fünf Wochen wegen des Friedens in Wien
verhandle, ließ ihn in jenem Augenblick den Vorsatz aussprechen,
um jeden Preis den Franzosen zuvorzukommen‘. Doch bedurfte es
noch des Sieges von Chotusitz, um die Abneigung Marıı 'Tuerestas
gegen einen Frieden mit dem Verlust von Schlesien zu überwinden.
! 2o. Januar 1743; bei Brocır, Frederie II et Marie-Therese 2, 390.
® Politische Korrespondenz Friedrichs des Großen 2, 13.
3 Ebenda 2, 142. Zur Sache vgl. meine Darstellung »König Friedrich der Große«
I, 180 (3. Aufl.).
70 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Der Kardinal Freurv hat immer beteuert, daß die Nachricht von
der Sendung jenes Farcıs nach Wien des Grundes entbehre, auf einem
Mißverständnis beruhe, und wir werden in der Tat anzunehmen haben,
daß Fargis eine mythische Gestalt und kein historisches Seitenstück
zu dem Fürsten von Wırn gewesen ist, durch dessen geheimnisvolle
Vermittlertätigkeit Fraury im Jahre 1735 seinen Sonderfrieden mit
Wien geschlossen hat. Der König von Preußen hatte an seinem Teile
alle Veranlassung, mit der durch einen seiner diplomatischen Bericht-
erstatter ihm zugehenden so weittragenden Meldung politisch zu rechnen.
Immerhin ist diese Meldung für seinen Friedensschluß nur ein Grund
unter vielen gewesen und nicht der entscheidende geblieben; daß er
diesen Grund bei Abwehr der ungünstigen Beurteilungen, die der
Breslauer Friede fand, in das Vordertreffen führte, war unter dem
publizistischen Gesichtspunkt das Gegebene.
In unsrer Ode über die unbilligen Urteile des Publikums, denen
die Staatslenker ausgesetzt sind. wird die Unzuverlässigkeit der fran-
zösischen Politik einseitig und ausschließlich als Beweggrund für den
Friedensschluß hingestellt'. Nach der strategischen Regel, die FrreprıcHh
seinen Generalen oft eingeschärft hat, daß die stärkste Form der Defensive
die Offensive sei, hat der Verfasser der Ode seinem alten tiefgewurzelten
Mißtrauen gegen den Kardinal Freury noch einmal lebhaften Ausdruck
gegeben. Um so mehr, als eben jetzt Vorraıre den Leiter der fran-
zösischen Politik als den Mann des Schicksals angesungen hatte. Denn
Vorrames Ode auf den Krieg von 1741, durch die der König von
Preußen unmittelbar zu seiner poetischen Behandlung desselben Gegen-
standes veranlaßt wurde, richtet sich nicht nur »an die Königin von
Ungarn, Maria Theresia von Österreich«, wie die Überschrift besagt,
sondern ebenso oder noch mehr an den Kardinal Freury. Nur in den
beiden ersten Strophen wird Maria Theresia angeredet, die Tochter
' In dem eigenhändigen Schreiben an den Kardinal Freury vom 12. September,
das sich mit der Ode in der apologetischen Tendenz berührt, erwähnt König Frıeorıch
die angebliche Verhandlung von Farcıs nicht, sondern sagt: »Je veux ne point croire
des choses ä demi prouvees, je veux meme tächer de me persuader que je me suis
abuse sur bien des choses.« Dagegen enthält der Brief nach andrer Richtung eine
scharfe Spitze. Freury hatte in eineın Schreiben an den österreichischen Feldmar-
schall Graf Könıssese vom rr. Juli 1742, das zur Anbahnung von Friedensverhandlungen
bestimmt war, über die Einflüsse geklagt, durch die er bestimmt worden sei »a entrer
dans une ligue qui etait si contraire a mon goüt et a mes prineipes«. Dieser Brief war
dureh den österreichischen Gesandten im Haag alsbald in die Presse gebracht worden.
Auf die angeführte Stelle bezieht sich in jenem Schreiben des Königs von Preußen an
Freury die schneidende Frage: »et, en un mot, peut-on m’accuser d’avoir si grand
tort de me tirer d’une alliance que celui qui gouverne la France avoue d’avoir con-
tractee a regret?« Politische Korrespondenz 2, 270. Preußische Staatsschriften aus der
Regierungszeit Friedrichs Il., ı, 331#.
Koser: Festrede. 71
der Helden, die dem Deutschen Reich Herren waren, die hochherzige
Prinzessin, die der Achtung aller ihrer Feinde sich erfreut und die der
Franzose (»dont le goüt de la gloire est le seul goüt durable«) be-
kämpft und bewundert, anbetet und bedrängt. Vorrames Ode enthält
des weiteren das Verdammungsurteil über den Krieg der Koalition
gegen diese Fürstin: das stolze Deutschland ist durch befremdliche
Bande, wider seinen Willen, an das französische Reich geknüpft und
gibt in diesem Zustand für ganz Europa einen Gegenstand des Be-
dauerns ab; der lange Kampf zwischen Deutschland und Frankreich
war hundertmal weniger grausam als jetzt ihre traurige Freundschaft.
Könige, die Wohltäter heißen wollen, geben den Befehl zur Ver-
heerung aus, künden die Ruhe an und entfesseln den Sturm; sie
vermeinen die zitternden Völker zum Glück zu führen auf den blutigen
Pfaden des Unheils. Darum wird Freurv aufgefordert, mit seiner
allgeachteten Hand die blutbefleckte Pforte des Janustempels zu
schließen. Frrurv, der verehrungswürdige Greis, dem das Geschick
die Jahre des glücklichen Nestors zuteilte, der Weise, den nichts be-
unruhigt und nichts überrascht, er soll die Welt des tiefen Friedens,
der seine eigne Seele erfüllt, nieht berauben. Und endlich werden
die Künste, die Töchter des Himmels, des Friedens und der Grazien,
gepriesen, die Künste, deren Fortschritte das Pfand der Unsterblichkeit
sind, während alle jene Staatsverträge, die gebrochen werden und
das Gemetzel nach sich ziehen, jene gepriesenen, aber eitlen Eintags-
triumphe vergehen und in die Nacht des Grabs sinken.
VorrAmEe mußte sich sagen, daß diese seine Ode in mehr als
einer Beziehung seinem erlauchten Gönner, dem preußischen Könige,
nicht gefallen würde. Es galt also, eine unbefangene Miene anzu-
nehmen. Der Abschluß des preußischen Friedens mit Österreich
bietet eine Anknüpfung, eröffnet dem findigen Poeten eine Hintertür.
Der Augenblick ist günstig, dem König diese flammende Deklamation
gegen den Krieg, ehe sie ihm von dritter Hand zugetragen wird,
zu überreichen. »Hier eine Ode,« schreibt ihm Vorrame Anfang
Juli, »die ich gegen Euch Monarchen hinkritzelte, die Ihr damals
darauf versessen schient, meine Mitbrüder, die Menschen, zu ver-
nichten. Der Herr der Nationen', Friedrich der Große, hat meine
Wünsche erhört, und kaum war meine Ode, gut oder schlecht, ge-
macht, als ich erfuhr, daß Eure Majestät einen sehr guten Vertrag
gemacht hat.« VorramrE scheint geglaubt zu haben, daß mit dieser
kühnen Wendung seine Ode hinreichend sicher eingeführt sei; denn
! Die Ausgaben haben die blutige Lesart »le saigneur des nations«. Das Original
des Briefes ist nicht erhalten.
72 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
er wagte bereits, dieser Entschuldigung zwischen den Zeilen sofort,
wieder zwischen den Zeilen, eine Anschuldigung folgen zu lassen:
»Ein sehr guter Vertrag. Sehr gut für Sie ohne Zweifel; denn Eure
Majestät hat Ihren tugendhaften Geist geschult, auch sehr politisch
zu sein. Aber ob dieser Vertrag gut für uns Franzosen ist, darüber
zweifelt man in Paris. Die eine Hälfte schreit, daß Ihr unsre Leute
dem Belieben des Waffengottes preisgebt, die andre Hälfte schreit
auch, und weiß nicht, worum es sich handelt; ein Paar Abbes von
Saint-Pierre' segnen Euch inmitten der Schreierei. Ich bin einer dieser
Philosophen, ich glaube, daß Sie alle Mächte zwingen werden, Frieden
zu schließen, und daß der Held des Jahrhunderts der Friedenspender
für Deutschland und Europa sein wird. Ich schätze, daß Sie an
Schnelligkeit übertrumpft haben — und nun zitiert VorLTAırE sich
selbst, seine zu Freurys Ruhme angestimmte Ode —:
Ce vieillard venerable a qui les destinees
Ont de l’heureux Nestor accorde les ann&es.
Achill ist geschiekter gewesen als Nestor; glückliche Geschicklichkeit,
wenn sie zum Glück der Welt beiträgt. «
König Frıeprıcn also blieb die Antwort auf diese Ode und diesen
Begleitbrief keinen Augenblick schuldig. »Mein lieber Voltaire, «
schreibt er am 25. Juli 1742, »ich bezahle Sie nach Art der großen
Herren, d. h. ich gebe Ihnen eine sehr schlechte Ode für die gute,
die Sie mir geschickt haben, und noch mehr, ich verdamme Sie
dazu, sie zu korrigieren, um sie besser zu machen ... Die Königin
von Ungarn ist höchst glücklich, einen Sachwalter gefunden zu haben,
der sich so trefflich wie Sie auf die Spitzfindigkeit und die Ver-
führungskünste der Sprache versteht. Ich beglückwünsche mich, daß
unsre Händel nicht vor Gericht geschlichtet werden; denn in An-
betracht Ihrer Gesinnungen für diese Königin und in Anbetracht
Ihrer Talente hätte ich gegen Apoll und Venus nicht stichhalten
können. «
Der königliche Dichter läßt seine poetische Gegenrede einsetzen
mit einem kräftigen Quousque tandem’:
! Auch der Abbe von Tiron, Castel de Saint-Pierre, der Verfasser des »Projet
pour rendre la paix perpetuelle en Europe« von 1712, hatte gegen Friedrich geschrieben.
Vel. J. G. Drovsen, Über die Schrift Anti-Saint-Pierre und ihren Verfasser; Monats-
bericht der K. Akademie vom August 1878.
= Dites, jusques A quand votre lyre immortelle
Pour les Autrichiens se profanera-t-elle?
Die Mitteilung des französischen Textes muß der in den »Publikationen aus den preußi-
schen Staatsarchiven« (Leipzig, S. Hirzel) demnächst erscheinenden neuen Ausgabe des
Koser: Festrede. 12
Wie lange noch, sag’ an, wird sich die Leier dein,
Der Ewigkeit geweiht, für Österreich entweihn?
Sag’ an, welch falscher Gott ergriff dich statt des wahren?
Als Kämpe frohndest du der Tochter der Cäsaren!
Ward denn in diesem Rausche
Die Liebe dir zum Tausche,
Als die Vernunft dahingefahren ?
Von Vortame, dem Lobredner der Königin von Ungarn, geht
die Ode unvermittelt über auf die Verbreiter trüber Kunde und die
Münzer schiefer Urteile, die Journalisten. Die Presse hatte während
des Ersten Schlesischen Krieges da, wo sie zu jenen Zeiten bereits
größere Bewegungsfreiheit besaß, d.h. in Holland, England und in
einzelnen deutschen Reichsstädten, gegen Preußen überwiegend eine
feindselige Haltung eingenommen und sich für die Verbreitung von
Nachrichten, Urteilen und Stimmungen der offiziösen Preßpropaganda
der gegnerischen Kabinette zur Verfügung gestellt. König Frieprıcn
ist in jüngeren Jahren gegen die seinem Staate, seinem Heere
und ihm persönlich geltenden Preßangriffe keineswegs unempfindlich
gewesen bis er zu der Losung »Niediger hängen«, zu seinem stolzen
»Il faut mepriser cela« gelangte'; er hat noch im Siebenjährigen Krieg
einen Discours sur les satiriques und einen Diseours sur les libelles
als anonyme Antworten auf öffentliche Verunglimpfungen, die er
nicht ohne Grund als bestellte Arbeit betrachtete, drucken lassen.
Auf‘ den gleichen Ton wie diese späteren Prosaschriften® ist unsere
Ode gestimmt:
»„Briefwechsels zwischen Friedrich dem Großen und Voltaire« vorbehalten bleiben.
Die oben gebotene Verdeutschung in den Maßen des Originals glaubt in möglichster
Anlehnung an den Wortlaut den Sinn getreu wieder zu geben.
! Dem Herausgeber der französichen Gazette de Cologne hat manim Jahre 1741
durch Vermittlung eines handfesten Kölners eine empfindliche körperliche Züchtigung
zuteil werden lassen, von der König Frıeorıcn nachmals (1780) an der Tafelrunde
zu Sanssouci erzählt hat, er betrachte sie als einen Ausfluß seines jugendlichen Feuers,
habe aber zeigen wollen, daß der König von Preußen lange Arıne habe; vgl. J. G.
Droysen in der Zeitschrift für preußische Geschichte 13, S.9—ır, und Gespräche
Friedrichs des Großen mit H. de Catt und dem Marchese Lucchesini (1885) S. 269.
In Friedrichs Discours sur les libelles von 1759 wird einem Libellisten der wohl-
meinende Rat erteilt: »A votre place je craindrais ces hommes puissants qui ont les
bras si longs«. (Euvres de Frederic le Grant 9, 57.
2 In dem Discours sur les libelles sagt der Verfasser von den Libellisten: »Ils
trafiquent de ces injures, et il les distribuent au gr& des protecteurs qui savent re-
connaitre leurs services«; er läßt einen von diesen Leuten bekennen: »J’ai des
correspondances secretes A plus d’une cour, et je tiens ä quantite de seigneurs qui
me craignent et me recherchent; je me suis fait un empire par mon industrie, je
domine sans Etat, et je regne despotiquement sans puissance .... Ce qui me rend
redoutable, c’est que je suis le precepteur du publie; je dirige ce que je veux qu’il
pense.«
74 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Hört ihr den feilen Schwarm? Gewinnsucht läßt sie schreien.
Schamlose Schwätzer sind’s, der Lüge Papageien.
Dies Hohepriestertum, bestellt von Mammons Gnaden,
Verpestet alle Welt mit seinen Opferfladen.
Und alle Winde eilen,
Die Düfte zu verteilen,
Mit Lug und Fabeln schwer beladen.
Der Aufnahme dieser Botschaft, der Entstehung einer öffentlichen
Meinung und ihren Schwankungen gilt die nächste Strophe:
Der Pöbel hängt am Schein. Leichtfertig allezeit,
Schwimmt er im breiten Strom der Oberflächlichkeit?.
Im Spiel der Leidenschaft läßt er dahin sich treiben
Und wird sich allemal dem Überschwang verschreiben.
Was gestern hat gegolten,
Wird heute schon gescholten —
Der Tadel aber wird dir bleiben.
Von der urteilslosen und zum Urteil nicht. berufenen Menge
beruft sich der Dichter auf die Wissenden, auf die großen Staats-
männer des vorangegangenen Jahrhunderts:
Ich ruf’ Euch, Richelieu! Don Haro! große Seelen!
Hellt auf, was Nacht und Graun bedecken und verhehlen.
Laßt dringen unsern Blick bis in die Herzensfalten
Der Männer, welche heut an Eurer Stelle walten.
Laßt unser Auge schauen,
Was Eure Jünger brauen
Und was sie tief verborgen halten.
Die Entlarvung des Verbrechens erfolgt zunächst nur allegorisch, ohne
daß der Mann des Trugs, der Fourbe politique, mit Namen genannt
wird:
Schon hat den Mann des Trugs mit ihrer sichern Hand
Die Wahrheit zum Gericht aus Nacht hervorgebannt.
Wie täuschte uns das Bild, das sich von außen bot!
Wer unterdrückt erschien, erweist sich als Despot;
Entlarvt wird der Verbrecher,
Der eben noch mit frecher
Gewalt die Unschuld hat bedroht.
! »Effrontes babillards, perroquets de mensonge.« Ähnlich in dem Begleitbriefe
zu der Ode: »Je m’embarrasse tres peu des cris des Parisiens, ce sont des frelons qui
bourdonnent toujours; leurs brocards sont comme les injures des perroquets et leurs
jJugements aussi graves que les deeisions d’un sapajou sur des matieres metaphysiques.«
®2 Zu den Versen »Le vulgaire leger nage toute sa vie sur la frele apparence ou
la superfieie« ist die Stelle im »Discours sur les libelles« zu vergleichen: »Si le peuple
etait sense, on pourrait se rire des libelles, quels qu’ils fussent; mais ces indignes £cerits
sont un mal reel, parce que le monde peu instruit, enclin ä eroire le mal plutöt que
le bien, regoit avidement de mauvaises impressions, qu’il est diffieille de deraciner.«
Die Parallelstellen würden sich häufen lassen.
2
Koser: Festrede. 75
Jetzt wird die Mythologie aufgeboten, um die Handlung aus der
Allegorie in das Leben, in die Gegenwart hinüberzuführen. Noch im
Angesicht des Olymp wird l’Etendard prussien aufgeptlanzt:
Doch horch! Wer ruft mir zu? Ich höre Pallas’ Stimme:
»Belehre, kläre auf sie alle, die die schlimme
»Verleumdung hat berückt. Den Trug gilt’s aufzudecken.
»Das Preußenbanner will die Hölle Dir beflecken.
»Dein Vaterland zu rächen,
»Laß laut die Wahrheit sprechen,
»Laß sie die Lüge niederstrecken. «
Für die in den nächsten fünf Strophen auf Athenas Gebot enthaltene
historische Erzählung muß vorausgeschickt werden, daß Frieprıen
hier von einer Geschiehtsauffassung ausgeht, die ihm gleichsam in
Fleisch und Blut übergegangen war und die sich allgemein kennzeich-
nen läßt als der damalige Standpunkt des deutschen Protestantismus
und der deutschen Libertät, d. h. des landesfürstlichen Anspruchs auf
Selbständigkeit gegenüber dem Ausgreifen der kaiserlichen Machtfülle.
Von diesem Standpunkt aus erschien ihm der ganze Verlauf der neueren
deutschen Geschichte als ein fortgesetzter Kampf der Reichsstände
gegen die Vergewaltigungsversuche der Habsburgischen Kaiser‘. Nicht
nur Kart V. und die Ferdinande, auch seinen älteren Zeitgenossen,
den letzten Habsburgischen Kaiser, hat Frieprıcn solcher tyrannischen
Gelüste geziehen, wie er in der Folge gegen seinen jüngeren Zeit-
genossen Joseph I. diese Anklage wiederholt hat. Unter diesem Ge-
sichtspunkte erscheint ihm in unsrer Ode der europäische Koalitions-
krieg gegen Österreich, der sich neben andern Zwecken den gesetzt
hat, den Erben der österreichischen Macht. den Herzog von Lothrin-
gen, von dem Kaisertum auszuschließen, als eine bewaffnete Erhebung
gegen die österreichischen Anschläge auf tatsächliche Vererblichung
der deutschen Wahlkrone. Und somit wird Österreich angerufen und
angeklagt:
Du stolzes Österreich, vom Römeraar getragen,
In Eisen möchtest du die armen Deutschen schlagen.
Der Schmied ist schon am Werk, die Sklavenkette droht,
Doch anders ordnet es des Schicksals Machtgebot.
Um Hilfe uns zu schaffen,
Steht eine Welt in \Waffen;
Ringsum bist du von Glut umloht.
Nachdem so der weite Hintergrund gezeichnet ist, behandelt
die nächste Strophe den besonderen Streit zwischen Österreich und
! Vel. über Frıeprıcns Anschluß an diese Auffassung meinen in der Akademie
vorgetragenen Aufsatz »Brandenburg-Preußen in dem Kampfe zwischen Imperialismus
und reichsständischer Libertät«, Historische Zeitschrift 96, 122fl.
76 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Preußen und seine Anlässe. Die preußischen Ansprüche auf Schle-
sien, die Unterdrückung der schlesischen Protestanten durch die
österreichische Landesherrschaft, die von FrIEDRIcH oft hervorgehobene
Förderung, die seine Sache durch die freudige Zustimmung dieser
evangelischen Schlesier erfahren hat, alles das findet in vier Zeilen
von treffsicherer Prägnanz Platz:
Ein altes Erbe war an dein Gebiet gebunden,
Der Väter Schwäche einst durch Übermacht entwunden,
Dein Zepter drückte hart das mir selbeigne Land.
Jedoch der Unschuld Recht lieh Stärke meiner Hand:
Für Ungarns Königin
Fuhr Schlesien dahin
In zweier harten Schlachten Brand.
Und jetzt erst wird uns die Gestalt vorgeführt, gegen welche die
Ode ihre Spitze richtet, der neunundachtzigjährige Kardinal Frrury:
Im alten Königsbau, des Louvre Prachtpalast,
Trägt Frankreichs Atlas stark des großen Reiches Last.
Unsterblich ist sein Leib, die Seele göttlich-hell,
Dank Isis und Apoll und dank Macchiavell.
Mit gleißender Gebärde
Täuscht Himmel er und Erde,
Der Falschheit unergründ’ter Quell.
Es folgt die dem Verfasser der Ode stets gegenwärtige Erinnerung
an Freurvs Untreue gegen die Verbündeten von 1735; aus ihrer Zahl
wird hier nur der König von Spanien, ein König für drei, genannt,
dessen damaliges Schicksal Freury jetzt dem Wittelsbachischen Kaiser,
für dessen Kur und Krone der Waffenbund zusammengetreten ist,
bereiten zu wollen scheint:
Des Bunds Gefährten hält er hundertfach umsponnen,
Lohn lockt und Ehrgeiz sie; der Sieg scheint ihm gewonnen,
Europa sieht er schon im Bann der Dienstbarkeit.
Da wendet sich das Glück, und schnell ist er bereit,
Wie Spanien noch eben,
So heute preiszugeben
Des Kaisers Thron im Waffenstreit.
Noch einmal, auf dem Höhepunkt der Handlung, führt der Dichter
sich selber redend ein:
Ich sah voraus! Und eh’ der Blitzstrahl niederfuhr,
3egegn’ ich dem Verrat auf seiner finstern Spur.
Auf Fargis dort in Wien! kann zum Beweis ich zeigen —
Ich scheid’ aus Fleurys Bund und aus dem blut’gen Reigen;
Im Kampf um die Beute
Laß ich die grimme Meute,
Mir ward des Friedens Los zu eigen.
! Im Original hat der König zu »Fargis a Vienne« die Anmerkung gegeben:
»De Fargis, furet politigue dont le Cardinal s’est servi a Vienne.«
Koser: Festrede. ii
Dann wird der Grundgedanke der Ode, die Abwehr der unbilligen
Urteile über die mit dem unglücklichen Beruf des Staatsmannes be-
trauten Personen, wiederaufgenommen und in melancholischer Klage
zusammengefaßt:
Triebfedern spielten hier, profaneın Blick verhüllt,
Chimären wirr und wild, Entwürfe trugerfüllt.
Ihr armen Sterblichen! Als dieser Erde Götter
In Anbetung verehrt, und doch das Ziel der Spötter!
Den Lästerzungen allen
Als Opfer heimgefallen,
Harrt Ihr umsonst auf einen Retter.
Eine Schlußstrophe kehrt, wie es dem 18. Jahrhundert geläufig
ist, zur Mythologie zurück. Das Beispiel Phaethons mag uns warnen
vor allzu hohem Flug der Entwürfe. Die Strophe fällt aus der Ten-
denz des Ganzen heraus, aber sie entspricht Stimmungen und Er-
wägungen, die für den Augenblick bezeichnend waren und für das Ge-
samturteil über den Breslauer Frieden nicht übersehen werden dürfen.
Der junge, soeben dreißigjährige Fürst, der siegreiche Führer der
unbedingt besten Truppen in Europa, besaß bei starkem Selbstbewußt-
sein ebenso viel Selbstbeherrschung und übte Selbstkritik. Er besaß
die Fähigkeit, im gegebenen Augenblick innezuhalten, die Mäßigung,
die dem echten Staatsmann unentbehrlich ist und die das Gegengewicht
gegen den dem Wesen der Macht innewohnenden Drang nach immer
weiterer Machtentfaltung bilden muß. Er hatte das Augenmaß für
das Erreichbare. Wie denn Maccnrverr die wahre staatsmännische
Größe darin gesehen hat, daß man nur das will, was man kann. Und
nicht umsonst hatte Frırprıcn in seiner Schrift gegen MaccHrAvELL
von dem Eroberer aus Notwendigkeit den Eroberer aus Leidenschaft
geschieden, als dessen Typus ihm Kaxı XI. erschien. Mit Karr XL.
hatte man den Eroberer Schlesiens bereits vergleichen wollen. Jetzt,
im Augenblick der Unterzeichnung des Friedens, schrieb Frıevrıcn
aus seinem letzten böhmischen Feldlager an seinen Freund JorDas,
er hoffe, daß man ihn nicht mehr für so unsinnig halten werde, wie
er im Anfang des Krieges verschrieen worden sei.
In demselben Briefe hat Frreprıcn auf Grund seiner ersten
praktischen Erfahrungen die vielumstrittene, aber im Antimacchiavell
von ihm noch nicht gewürdigte Grenze zwischen öffentlicher und
privater Moral zu bestimmen versucht. Er will den Stoikern und
ihrem Prinzipieneifer antworten, daß für ihre starre Moral vielmehr
das Land der Romane als der von uns bewohnte Kontinent sich eigne.
Daß es sich bei dem Privatmann nur um seinen individuellen Vorteil
handle, der unbedingt dem Wohle der Gesellschaft untergeordnet
werden müsse. Bei einem Souverän gelte es den Vorteil einer ganzen
Sitzungsberichte 1908. 10
78 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Nation, den zu sichern seine Pflicht sei. So müsse er sich selbst und
seine Verpflichtungen opfern, wenn diese dem Wohlergehen seiner Unter-
tanen zu widerstreiten anhöben. Daß auch Privatleute mitunter ge-
neigt seien, nicht nach den Geboten der bürgerlichen Moral, sondern
nach den Grundsätzen der verschrieenen Staatsraison zu handeln,
darauf hat Frieprıcn bei Übersendung seiner Ode den Friedensapostel
VorraımrE mit der Erinnerung geführt: »Sie deklamieren nach Ge-
fallen gegen die, welche ihre Rechte und Ansprüche mit bewaffneter
Hand vertreten; aber ich erinnere mich einer Zeit, zu der, wenn
Sie ein Heer gehabt hätten, dies unfehlbar gegen die Desfontaines,
die Jean-Baptiste Rousseau, die van Duren usw. usw. marschiert
wäre. «
VOLTAIRE, mit diesem launigen Winke an seine nicht immer phi-
losophischen Fehden mit literarischen und buchhändlerischen Gegnern
erinnert, hat sich begnügt, auf die Ode und den begleitenden Prosatext
dem Verfasser zu erwidern, daß diese Ode ein ganz neuer Stoff sei,
voll wahrer und hoher Poesie und Philosophie.
Noch ganz im Tone des Antimacchiavell gehalten, noch keine
Absage an den Antimacchiavell, bezeichnet die Ode doch schon eine
Abkehr von ihm — mit ihrem stillschweigenden Zugeständnis, daß
es nicht klüglich, nicht ratsam ist, anders zu handeln als die andern.
Diese Nutzanwendung, welche die Ode, die Vorläuferin der histori-
schen Denkwürdigkeiten des Verfassers, dem Leser überläßt, sie macht
der König das Jahr darauf in dem Vorwort zu dem ersten Entwurf
seiner Memoiren! ohne Rückhalt, mit schneidender Schärfe. Das Po-
litische Testament von 1752 hat dann dem vierzehn Jahre früher so
hart angelassenen Maccmmaverr eine Art Genugtuung gegeben: »Mac-
chiavell sagt, daß eine uneigennützige Macht inmitten ehrgeiziger
Mächte unfehlbar zugrunde gehen würde; es tut mir sehr leid, aber
ich bin genötigt einzugestehen, daß Macchiavell recht hat.« Die
»Apologie des Rois« endlich, die ich im Eingang mit unserer Ode
zusammenstellte, sagt mit durchsichtiger Beziehung wieder auf Mac-
CHIAVELL, daß man aus den Freveltaten eine Wissenschaft, eine Lehre
abgeleitet habe; es folgen dann zwei Verse, die der Verfasser über
die Ode von 1742 hätte als Motto setzen können:
! Nach einer Abschrift aus dem zu Petersburg befindlichen Teile des VoLrA1rE-
schen Nachlasses mitgeteilt von H. Drovsen im Programm des Königstädtischen Gym-
nasiums zu Berlin von 1904. Der vorangestellte Satz: »Du plus petit Etat jJusqu’au
plus grand, l’on peut compter que le prineipe de s’agrandir est la loi fondamentale
du gouvernement« — findet sich ähnlich bereits in den Considerations sur l’etat pre-
sent du corps politique de l’Europe von 1738: »Le prineipe permanent des princes
est de s’agrandir, autant que leur pouvoir le permet« usw. (Euvres 8, 15.
=]
Koser: Festrede.
Die Weisheit selbst begann den Lehren zu entsprechen
Und ward verbrecherisch im Kampf mit den Verbrechen !.
VOoLTARE hat sich beim Erscheinen des Antimacchiavell gerühmt,
daß allein seinem Rate die Drucklegung dieses einzigen Werkes zu
danken sei; er freue sich, daß ein König auf diese Weise, ihm in
die Hand, den Eid vor der Welt geleistet habe, gut und gerecht zu
sein. Der Philanthrop glaubte dem jungen Herrscher eine Fessel an-
gelegt, den Jünger der Aufklärungsphilosophie auf ihre Staatstheorie
und ihren Moralkodex verpflichtet zu haben.
Noch einmal ist ein preußischer Kronprinz bei der Staatstheorie
in die Schule gegangen. Wie der Einsiedler von Rheinsberg sich
mit jugendlicher Begeisterung unter das Banner der philosophischen
Aufklärung stellte, so ist hundert Jahre später der nachmalige König
Frieprıcn Wırnerm IV. in den Zauberkreis der Romantik getreten,
hat der Predigt Harrers mit Andacht gelauscht und auf die Worte
des Meisters geschworen. Ihr Ideal suchten beide in entgegenge-
setzter Richtung; die Leidenschaft, mit der sie Partei ergriffen, war
die gleiche. Ganz verschieden aber wieder bei dem einen und bei
dem andern das Verhältnis, in das ihr Handeln, ihre praktische
Politik zu der ihnen anempfohlenen Theorie trat. Dem Monar-
chen des 19. Jahrhunderts ist die Theorie stets eine Fessel, ein
»Gebot« geblieben, und seine dogmatische Gebundenheit durch dieses
Gebot ließ ihn zum Nachteile seines Staates auf Waffen verzichten,
deren die Nachbarn Preußens sich unbefangen bedienten. Ja, es
ist treffend bemerkt worden, daß diesem Könige unter dem Gedanken-
ballast seiner Theorie die Fähigkeit zu einheitlichem Handeln über-
haupt verloren gegangen ist”. Sein großer Vorgänger hat die Fessel,
in die ein Vortamr ihn verstricken wollte, zerrissen wie eine fläch-
serne Schnur. Auf den Irrfahrten über das stürmische Meer der Meta-
physik, von denen Frirprıcn spricht, war er zu der Überzeugung
gelangt, daß der Mensch nicht geschaffen sei, zu philosophieren, da
ihm die Natur dazu ausreichende Organe nicht verliehen habe, son-
dern zu handeln; der Philosoph auf dem Throne, mit seiner durch-
aus reflektierenden Art, hat doch die frische Farbe der Entschließung
! (Euvres de Frederic le Grand, 10, 209:
Et de tant de parfaits on fit une science;
Le monde fut peuple d’illustres scelerats;
Pestes du genre humain et fleaux des Etats;
La sagesse elle-m&eme adopta ces maximes
Et devint eriminelle en combattant les crimes.
2 Vorraıre an den Präsidenten HrnAurr, 31. Oktober 1740.
3 Fr. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat (1908) S. 248, 249, 262.
s0 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
nicht verloren, er besaß den Willen und die Kraft, nach dem Wahl-
spruch aus der Renaissancezeit »resolut zu leben«. Als ein Jugend-
traum ihn trog, als das Leben ihn lehrte, daß er nicht hoffen könne,
die Welt zu bessern und zu bekehren, war er keinen Augenblick
darüber zweifelhaft, daß er die Welt nehmen müsse, wie sie sei, und
sich an die Gewohnheit der andern anzupassen habe'. Er hielt, was
er schon als Kronprinz sich vorgesetzt hatte: jedenfalls solle man ihn
daraus nicht anklagen dürfen, seine Interessen fremden Mächten ge-
opfert zu haben’. Den sentimentalen Idealismus VoLrAmes ersetzte
Friepricn für sein Handeln durch einen Idealismus härterer Art, durch
die unbedingte Unterwerfung seiner Persönlichkeit unter das Gebot des
Staatswohls, durch die Betätigung des antiken Wortes, daß das die
edelsten Seelen sind, die bei der vollen Empfänglichkeit für den Genuß
und bei klarer Vorstellung von bevorstehenden Mühsalen und Opfern
sich doch nicht verleiten lassen, der Gefahr aus dem Wege zu gehen.
Mit seinem Friedensschluß von 1742 war der junge König von
dem Wege der Gefahr abgelenkt.: Aber das Friedenslos, das er am
Schlusse seiner Ode preist, war noch nicht verdient. Dem gleichsam
spielenden Anfang dieser Regierung mit ihren glänzenden, schnell
geborgenen Erfolgen reihten sich die Zeiten schwerster Anfechtung
an, die den Nachweis der echten Größe von ihm erst forderten. In
seinen jüngst bekannt gewordenen gedankenreichen Betrachtungen
über das Wesen historischer Größe hat Jako Burckuarpr neben der
»abnormen Leichtigkeit in allen geistigen Funktionen, im Erkennen
sowohl wie im Schaffen« als »kenntlichste und notwendigste Er-
gänzung« des großen Mannes feststellen wollen: »die Seelenstärke,
die es allein vermag, im Sturm zu fahren«. »Schicksale von Völkern
und Staaten«, sagt der schweizerische Historiker, »Riehtungen von
ganzen Zivilisationen können davon abhängen, daß ein außerordent-
licher Mensch gewisse Seelenspannungen und Anstrengungen in gewissen
Zeiten aushalten kann«. Daß Frieprıch DER GroszE dies im Sieben-
Jährigen Krieg »in so supremem Grade« vermocht habe, darin sieht
BuroxmAarpr alle zeitherige mitteleuropäische Geschichte bedingt‘. In
seiner moralischen Widerstandskraft unter den zermalmenden Schlägen
des Schicksals hat Frıeprıcn die härteste Probe der Mannhaftigkeit
bestanden und den Satz bewährt, daß es die Kraft des Gemüts ist,
die den Sieg erringt.
! »De pareilles r&ilexions et bien d’autres mürement pesces ım’ont oblige a me
eonforıner a la coutume des princes« (aus dem ersten Avantpropos zu der Histoire
de mon temps).
2 Publikationen aus den Staatsarchiven 72, 170. (1. Nov. 1737).
> J.Burcknaror, Weltgeschichtliche Betrachtungen, herausgeg. von ÖRrr, S. 236, 237.
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. s1
Frieprıcn hat vorausgewußt, daß Größe erst im Unglück voll
sich offenbart‘. Er hat nachmals wehmütig bemerkt, daß das Glück,
das die Jugend begleite, oft dem vorgerückten Alter sich versage.
Gewiß hatten auf den steilen Höhen, über die sein Lebenspfad führte,
von den Begleitern seiner Jugend viele sich verloren, vor allen auch der
Frohsinn, der, nach VorrA1kes artigen Versen, auf Frieprıcns schlesischer
Kriegsfahrt von 1740 mit auf die Reise gegangen war. Aber nicht
alle Begleiter waren untreu geworden. An einer denkwürdigen Stelle
in seiner Geschichte des Siebenjährigen Krieges stellt Frreprıcn sich
das Zeugnis aus, daß ihm nur zwei Verbündete geblieben seien, um
mit ihrer Hilfe einen ehrenvollen Ausweg zu finden: Mut und Aus-
dauer. Das Blatt, auf dem diese Worte stehen, ist wohl das stolzeste
seiner Geschichtschreibung. Es steht so hoch über dieser gereimten
ersten Skizze seines historisch-politischen Rechenschaftsberichts, die
ich heute hier mitteilen durfte, wie den jugendfrohen Eroberer von
Schlesien der herbe Held des Siebenjährigen Krieges überragt, welcher
der Mann des Jahrhunderts geworden war.
Es folgten die Jahresberichte über die wissenschaftlichen Unter-
nehmungen der Akademie sowie über die ihr angegliederten Stiftungen
und Institute; für die physikalisch-mathematische Classe gab Hr.
Auwers, für die philosophisch-historische Classe Hr. Dirrs diese Be-
richte in abgekürzter Form. Die ausführlichen Berichte folgen hier.
Sammlung der griechischen Inschriften.
Bericht des Hrn. von WıLamoWwITz-MOELLENDORFT.
Die Inschriften von Amorgos (XI 7) sind vollendet und werden
in diesen Tagen ausgegeben. Der wissenschaftliche Beamte der Aka-
demie, Freiherr HırLer von GAERTRINGENn, hat das Manuskript endgültig
redigiert und zum Drucke gebracht, woran der Verfasser, Hr.
DELAMARRE, durch Krankheit verhindert war. Auch die Indices hat
Freiherr HırıLer von GAERTRINGEN verfaßt. Der Abschluß ward zu-
! Ode sur la fermete ((Euvres ro, 16):
Ce n'est point dans un sort prospere
Que brille un noble caractere,
Dans la foule il est confondu;
Mais si son c@ur croit et s’eleve
Lorsque le destin se souleve,
C'est l’eEpreuve de la vertu.
82 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
letzt noch dadurch verzögert, daß ein amorginischer Stein mit der
längsten Inschrift der Insel in das Athenische Museum kam und von
der dortigen Verwaltung mit dankenswerter Zuvorkommenheit uns
zur Bearbeitung überlassen ward; die Inschrift erscheint gleichzeitig
in der athenischen Ephemeris.
Auch die thessalischen Inschriften (IX 2), bearbeitet von Hrn.
OÖ. Kern, sind ausgedruckt: die Indices hat auch hier Freiherr Hirrer
VON GAERTRINGEN übernommen und so weit gefördert, daß der Band
um Ostern erscheinen wird.
Hr. Professor Kırcnner hat im Sommer die große Aufgabe so
gut wie vollendet, die nacheuklidischen attischen Inschriften in Attika
aufzunehmen oder zu revidieren. Das würde nicht möglich gewesen
sein, wenn nicht das vorgeordnete hohe Ministerium ihm für ein
Jahr Urlaub gewährt hätte und sämtliche Behörden und Fachgenossen
Griechenlands ihm das größte Entgegenkommen bewiesen hätten.
Außer dem Generalinspektor Hrn. KagsBanıas, unserem korrespon-
dierenden Mitgliede, müssen wir die Abteilungsdirektoren in dem
Zentralmuseum, die HH. Stars und Leoxarnos, mit besonderer Dank-
barkeit hervorheben. Hr. Lroxarnes, Direktor der Epigraphischen
Abteilung, hat in gewissem Sinne geradezu mitgearbeitet. Ein be-
sonderer Glücksfall war es, daß Hr. A. Wırneıu eine Zeitlang sich
auch in Athen befand und seine unvergleichliche Kenntnis der
attischen Steine bereitwillig Hrn. Kırcmner zur Verfügung stellte.
Wie das Deutsche, so haben auch alle übrigen archäologischen In-
stitute unser Unternehmen in jeder Weise gefördert, so daß wir nach
allen Seiten nur zu danken haben.
Die Insel Chios ist von Hrn. Dr. JacosstuarL mit gutem Erfolge
bereist worden, und da ihre Steine sich ohne Heranziehung der be-
nachbarten Küste nicht genügend bearbeiten lassen, hat er auch das
Gebiet von Erythrä besucht, wo andauernd wichtige Steine zutage
treten, aber im höchsten Grade gefährdet sind. Auch da ist Wichtiges
gewonnen worden. Andere Inschriften von Erythrä verdanken wir
der freundlichen Fürsorge von Hrn. Direktor Tu. Wıreann. Über
diese Ergebnisse wird im Laufe des nächsten Jahres berichtet werden.
In demselben wird voraussichtlich Hr. Dr. Freprıcn den Druck seines
Heftes (XII S) beginnen. Eine Bereisung von Euböa durch Hrn.
Dr. Erıcn Zıesarrn erfolgt in diesem Frühjahr. Über den energischen
und höchst erfreulichen Fortgang, den die überaus schwierige Samm-
lung der delischen Inschriften nimmt, haben uns die HH. M. Horrzaux
und F. Dürrsacn, in deren Händen diese Unternehmung der fran-
zösischen Akademie liegt, in liebenswürdigster Weise immer auf dem
laufenden erhalten.
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 83
Frau Geheimrat DiTTENBERGER, die Witwe unseres hochverdienten
Mitarbeiters, hat unserm Archive eine sehr wertvolle Sammlung von
Scheden, namentlich für die nordgriechischen Landschaften, aus dem
Nachlasse ihres verewigten Gemahles überwiesen, Hr. W. Hasıvck
ebenso den Abklatsch einer archaischen Inschrift von Prokonnesos,
wie denn überhaupt unser Unternehmen von mehr Seiten Förderung
empfängt als wir einzeln aufzählen können. Gewiß läßt sich ein
Werk dieser Art, das allen zugute kommen soll, nur durch all-
gemeine Teilnahme durchführen; aber auf Dankbarkeit hat auch der
kleinste Beitrag Anspruch, und wir können versichern, daß er sie findet.
Sammlung der lateinischen Inschriften.
Bericht des Hrn. Hırscureın.
Auch in diesem Jahre hat Hr. Hürsen die Hauptarbeit auf die
Fortführung der Namenindices zu Band VI gerichtet. Der Index cogno-
minum ist fertiggestellt, der Index nominum bis zum Anfang des Buch-
stabens D ausgearbeitet. An dieser Arbeit beteiligten sich, abgesehen
von gelegentlichen Helfern, wiederum Hr. Dr. Aurısenma und nach
dessen anderer Verpflichtungen wegen erfolgtem Rücktritt Frl. Dr.
Cesano, Privatdozentin an der Universität Rom, ferner zwei Mit-
glieder der American School, Miß Taxzer und Miß Bkucr, die in
dankenswerter Weise fast zwei Monate unentgeltlich die Arbeit eifrig
gefördert haben. — Die Vorarbeiten für das Auctarium Addendorum
sind stetig fortgesetzt worden.
Der Druck des Namenindex zu Band XI mußte aus Mangel an
Typen vor längerer Zeit unterbrochen werden, soll aber jetzt, nach-
dem Hr. Bormann das Verzeichnis der Nomina peregrina, mit dankens-
werter Unterstützung von verschiedenen Seiten, insbesondere von Hrn.
WirHern ScHuze, fertiggestellt hat, wieder aufgenommen werden. —
Auf wiederholten Reisen in Italien hat der Herausgeber die Addita-
menta mit Unterstützung früherer Schüler im wesentlichen erledigt
und den Index Auctorum erheblich gefördert. Hr. Bormann hofft den
Satz der Indices und der Additamenta ohne Verzögerung zu Ende zu
führen.
Von Band XII ist der zweite Faszikel des zweiten Teils erschie-
nen. Er enthält die Inschriften von Germania inferior in der Bear-
beitung des Hrn. v. Domaszewskı, ferner die Meilensteine von Gallien
und Germanien in der Bearbeitung der HH. Monusen (7), HirscHhreLn
und v. Domaszewskı. Letzterer hat mit Unterstützung des Hrn. Finke
in Heidelberg die Addenda zu den Steininschriften von Germanien
fertiggestellt, doch wird die Drucklegung derselben erst später er-
84 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
folgen können. — Hr. Bony hat die Sammlung und teilweise Aus-
arbeitung der Nachträge zu Band XII, 3 fortgesetzt.
Über die gallisch-germanischen Ziegel berichtet Hr. Srriser, daß
von größeren Sammlungen nur noch die in Mainz und Trier, ferner
die belgischen und ein Teil der schweizerischen nicht aufgenommen
sind. Der Endtermin der Arbeit sei vorläufig noch nicht sicher zu
bestimmen, doch sei die Sammlung des massenhaften Materials hin-
reichend vorgeschritten, um eine erschöpfende Auskunft über die
Fundplätze und Aufbewahrungsorte der Ziegel zu ermöglichen. —
Die bereits im vorigen Jahre begonnenen Indices sind besonders von
Hrn. M. Bang weitergefördert worden.
Von Band XV (Instrumentum der Stadt Rom) hat Hr. Dresser im
vergangenen Jahre die lateinischen Broncestempel zum Druck gebracht;
für die griechischen wie auch für die umfangreiche Abteilung der
Gemmen und Ringe liegt das Manuskript druckfertig vor. — Für die
Nachträge sind die Descemetschen Scheden und Durchreibungen ohne
großen Ertrag durchgearbeitet warden.
Hr. Lonmnarzscn hat nach längerer Unterbrechung die Drucklegung
der Neubearbeitung der republikanischen Inschriften (1°) bei den In-
strumenta publica wieder aufgenommen und hofft dieselbe jetzt stetig
weiterzuführen.
Hr. Mau hat die Nachträge zum IV. Supplementband zum Druck
gebracht. Die Indices sind fertiggestellt und der Druckerei übergeben.
Der Druck des von Hrn. Dessau mit Hrn. Cacnar redigierten
Supplements der afrikanischen Inschriften ist bis zu Bogen 162 ge-
langt; die Abteilungen Tripolitana und Byzacena sind ausgedruckt.
Die Herausgeber hatten sich nach wie vor der Unterstützung des
Hrn. Merry in Tunis zu erfreuen. Verzögernd wirkten die vielen
neuen Funde, die wiederholt nicht nur zur Umarbeitung des Manu-
skripts, sondern selbst zur Umstoßung des Satzes nötigten. — Hr.
Dessau hofft im Jahre 1908 den größten Teil der noch restierenden
Masse der afrikanischen Inschriften zum Druck zu bringen.
Das unter Leitung des Hrn. Dessau stehende epigraphische Archiv
ist aus der Kgl. Bibliothek nach den provisorischen Räumen der Aka-
demie (Potsdamer Straße 120) überführt worden, wo es wie bisher
am Dienstag, 1ı2—2 Uhr, der Benutzung offenstehen wird.
Prosopographie der römischen Kaiserzeit.
Bericht des Hrn. Hırscarern.
Hr. Kress ist im abgelaufenen Jahre durch die amtlichen Ge-
schäfte seiner neuen Stellung in Marburg so sehr in Anspruch ge-
nommen worden, daß es ihm nicht möglich war, seine Arbeit an
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 55
der Prosopographie zum Abschluß zu bringen. Auch Hr. Dessau hat
sich darauf beschränken müssen, die ihm übertragenen Beamtenlisten
auf dem laufenden zu erhalten und die Nachträge zu dem alpha-
betischen Teil durch Eintragung der neuen Funde zu vervollständigen.
Index rei militaris imperiü Bomani.
Bericht des Hrn. Hırscnreı».
Hr. Rırteruıng hat die Namenliste der römischen Offiziere aus
dem Ritterstande weiter vervollständigt. Mit Rücksicht darauf, daß
die höheren Offiziere, namentlich im ersten und dritten Jahrhundert,
aus dem Centurionenstande hervorgegangen sind, wurde auch eine
Namenliste der Centurionen hinzugefügt. Im übrigen konnte die Arbeit
infolge längerer Krankheit des Bearbeiters und der nach seiner Rück-
kehr eingetretenen größeren Inanspruchnahme durch seine Berufstätig-
keit wenig gefördert werden.
Aristoteles - Kommentare.
Bericht des Hrn. Diers.
Im abgelaufenen Jahre wurden zwei Bände vollendet: VII. Sim-
plieius in Categorias, herausgegeben von K. Karsrrriscn, und XXI. 1.
Eustratius in Posteriora, bearbeitet von M. Havover. Das letzte
Heft des XII. Bandes und zugleich das letzte des gesamten Kom-
mentatorenwerks Philoponus’ Kommentar in Analytica Posteriora mit
dem Anonymus in der Bearbeitung von M. Waruies, ist im Druck
bis zum 18. Bogen fortgeschritten. Der Abschluß des ganzen Unter-
nehmens ist also in kurzem zu erwarten.
Politische Correspondenz Frırvrıcn's des Grossen.
Bericht der HH. Scumorzer und Koser.
Die Drucklegung des 32. Bandes hat Hr. Dr. Vorz so weit ge-
fördert, dass dessen Ausgabe unmittelbar bevorsteht. Die 760 hier
vereinigten Nummern erstrecken sich auf die Zeit von Anfang März
bis Ende October 1772 und betreffen in ihrer überwiegenden Mehr-
zahl die Verhandlungen, die nach Unterzeichnung des preussisch-
russischen Vertrages vom Februar 1772 zwischen den beiden Sig-
natarmächten und dem Wiener Hofe geführt wurden und in den Ver-
trägen vom 5. August zum Abschluss kamen. Neben der damit bei-
gelegten Frage der polnischen Theilung galt die Aufmerksamkeit der
86 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
preussischen Politik insonderheit den russisch-türkischen Friedens-
verhandlungen, die durch die Auflösung des Congresses von Fok-
schani unterbrochen wurden, und, seit dem Staatsstreich König Gus-
tav’s III. von Schweden im August 1772, dem dadurch verursachten
Zwist zwischen den Höfen von Stockholm und St. Petersburg, durch
den der König von Preussen als Bundesgenosse Russlands in einen
Krieg mit Schweden hineingezogen zu werden besorgte.
Griechische Münzwerke.
Bericht des Hrn. Dkesser.
Die Arbeiten für die griechischen Münzwerke sind während des
verflossenen Jahres im Allgemeinen nicht so gefördert worden, wie
es wünschenswerth gewesen wäre.
Hr. GAEBLER hat nach der Ende 1906 erfolgten Publication des
ersten Fascikels des macedonischen Bandes (III) die weitere Bear-
beitung unterbrochen. Hr. Münzer war wiederum durch amtliche
Verpflichtungen derart in Anspruch genommen, dass er der zweiten
Abtheilung der thraeischen Münzen (Band I, 2) nur wenige Ferien-
wochen widmen konnte, und in ähnlicher Weise war auch Hr. Kv-
BITSCHEK nicht in der Lage, die für den verflossenen Sommer in Aus-
sicht gestellte Drucklegung des karischen Bandes zu beginnen.
Ein Fortschritt, wenn auch kein besonders erheblicher, ist für
die übrigen Theile des nordgriechischen und kleinasiatischen Münz-
werks zu verzeichnen.
Hr. Resume hat für Band I, 2 die sehr ausführliche Einleitung
zu den Münzen von Tomi vollendet und die Bearbeitung der Prä-
gungen dieser Stadt weitergeführt, soweit es seine durch Habilitation
und andere Öbliegenheiten in Anspruch genommene Zeit gestattete;
auch die immer noch zahlreich eingehenden Nachträge zu diesem
Bande wurden verarbeitet.
Für die erste Abtheilung des thraeischen Bandes (II, ı) hat Hr.
Strack die Beschreibung der Münzen von Abdera fertig gestellt und
die Bearbeitung der Münzen von Aenus begonnen; im Sommer dieses
Jahres denkt er das Manuseript für Abdera, Aenus und Anchialus der
Akademie vorlegen zu können.
Die zeitraubenden Vorarbeiten für die Gebiete von Mysia und
Troas hat Hr. von Frıtze so weit zum Abschluss gebracht, dass mit
der Herstellung des Manuscripts für den mysischen Band bald be-
gonnen werden kann; es ist zu wünschen, dass diese Arbeit nun-
mehr rasch durchgeführt wird.
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 87
Acta Bborussica.
Bericht der HH. ScnmoLLer und Koser.
Die Thätigkeit unserer sämmtlichen Mitarbeiter, der H. H. Prof.
Dr. Hıwtze, Dr. Freih. von ScuröTTER, Dr. StoLze, Dr. Rıcner, Dr. Hass
und Dr. SkarLweır ging in gewohnter Weise rüstig voran. Wir sind
in der Lage, Anfang 1908 drei fertige Bände auszugeben; ı. von
Dr. Hırze Band XI der Behördenorganisation, der vom August 1750
bis Ende 1753 reicht, und endlich der wissenschaftlichen Welt den
auf die innern Verhältnisse bezüglichen Theil des politischen Testa-
ments von Frieprıca d. Gr., nach dem Original gedruckt, vorlegt; 2.
von Dr. Storze die zwei Bände IV, erste und zweite Hälfte der Be-
hördenorganisation, welche die Acten von 1723 bis 1729, die Zeit
der definitiven Durchführung der großen Reformen von 1718 bis 1722
enthalten. Die Fortsetzung von Dr. Srorze, Behördenorganisation,
Band V, 1730, ist bis zum 14. Bogen vorangeschritten. Der zweite
Band der Münzgeschichte von Dr. von ScHRÖTTER, welcher die wichtige
Zeit der Einführung des Graumasv’schen Münzfusses enthält (1740 bis
1756) ist in seinem ersten Theile, der Darstellung, bereits gedruckt;
der zweite Theil, die Acten, sind schon bis April 1753 gelangt. Die
drei anderen Mitarbeiter sind in Materialsammlung und Vorarbeiten
emsig vorangeschritten: Dr. Racner in der Bearbeitung der Zoll-Aceise
und Handelspolitik vor und nach 1713, Dr. Skarwzır in der Aus-
arbeitung der Getreide- und Magazinverwaltung von 1740 bis 1756,
Dr. Hass in der Behördenorganisation vom siebenjährigen Kriege an.
Ausgabe der Werke von WEIERSTRASS.
Über den Fortgang der Herausgabe von Wriersrrass’ Mathema-
tischen Werken wurde zuletzt vor drei Jahren hier berichtet. Der
damals angekündigte Druck der Vorlesungen über Elliptische Func-
tionen hat erst im abgelaufenen Jahre begonnen werden können und
ist gegenwärtig bis zum 13. Bogen vorgeschritten.
Kant- Ausgabe.
Bericht des Hrn. VAuren.
In der Abteilung der Werke ist Band VI (Religion innerhalb der
Grenzen der bloßen Vernunft und Metaphysik der Sitten) veröffentlicht.
Das Erscheinen von Band V und IX in diesem Jahre ist gesichert.
Der Druck des handschriftlichen Nachlasses (Band XIV) hat be-
gonnen.
Die Ausgabe ist den HH. Antiquaren Ex Hırscn und S. Harrer
in München für Mitteilung von zwei ungedruckten Briefen Kants
dankbarlichst verpflichtet.
s8 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Ibn Saad- Ausgabe.
Bericht des Hrn. Sacnav.
Während des verflossenen Jahres sind die folgenden zwei Bände
im Druck fertig geworden und werden demnächst zur Ausgabe ge-
langen:
Band VI, Biographien der berühmtesten Männer des
ältesten Islams, welche aus der Stadt Küfa in Westbaby-
lonien gebürtig waren. Herausgegeben von Prof. Dr. K. ZETTERSTEEN,
Upsala.
BandIV, 2. Abteilung, Biographien derjenigen Muslims,
welche sich nach der Schlacht am Berge Ohod im Jahre 627
Muhammed angeschlossen haben. Herausgegeben von Prof. Dr.
J. Liepert, Berlin. Beiden Herren sei an dieser Stelle der Dank der
Akademie bezeugt.
Alle übrigen Teile des Werkes sind im Druck befindlich. Von
diesen dürfte Band II, ı. Abteilung: Über die kriegerischen
Expeditionen Muhammeds, herausgegeben von Hrn. Prof. Dr.
J. Horovırz, zur Zeit Professor an der muhammedanischen
Universität zu Aligarh in Ostindien, in der ersten Hälfte dieses
Jahres (1908) erscheinen.
Wörterbuch der ägypüschen Sprache.
Bericht des Hrn. Erman.
Das Berichtsjahr gehörte zum ersten Male der Ausarbeitung des
Manuskriptes an, an der die HH. Ermav und GArDImER den größten
Teil des Jahres und die HH. Junker, ROEDER und SETHE vorüber-
gehend tätig waren. Die Leitung lag in den Händen des Hrn. Erman,
während Hr. Serue das Manuskript einer Revision unterzog. Im ganzen
wurden 828 Seiten des vorläufigen Manuskriptes fertiggestellt, die 537
ägyptische Worte behandeln. Der Eindruck, den wir von dieser ersten
Jahresarbeit gewonnen haben, läßt sich dahin zusammenfassen, daß
der wissenschaftliche Fortschritt unsern Hoffnungen entspricht, daß
aber die Schwierigkeiten der Arbeit unerwartet große sind. Sie liegen
in der langen Geschichte der Sprache, in der Vieldeutigkeit der Schrift
und vor allem darin, daß die ägyptischen Schreiber seit der Mitte
des zweiten Jahrtausends einander ähnliche Worte in unerhörter Weise
miteinander vertauschen und vermischen; nur bei sehr behutsamem
Vorgehen und eindringender Untersuchung können wir dieses Wirrwars
Herr werden. Daher hat es sich auch als untunlich herausgestellt,
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 89
die Worte in ihrer alphabetischen Reihenfolge durchzuarbeiten, wir
müssen sie vielmehr zunächst gruppenweise behandeln, so wie sie ein-
ander inhaltlich oder äußerlich erläutern. Und weiter sehen wir uns
genötigt, das vorläufige Manuskript ausführlicher zu gestalten, als dies
eigentlich in unsrer Absicht liegt; denn wir können noch nicht über-
sehen, was sich bei dem einzelnen Worte einmal als wesentlich zeigen
wird. Unsre Arbeit wird daher zunächst weit langsamer vonstatten
gehen, als wir es dachten, indessen dürfte jedes weitere Jahr unsre
Bahn glatter machen.
Neben der Verarbeitung gingen die Verzettelung und die Neben-
arbeiten in beschränktem Maße fort; an den letzteren arbeiteten die
HH. Burcnuarpotr, RuscHh, Storck und Frl. MorsEnstern. Es wurden
verzettelt 4428 Stellen und alphabetisiert 181427 Zettel. Im ganzen
sind bisher verzettelt 45985 Stellen, die etwa 1018000 Zettel ergeben
haben, davon sind bisher 976019 alphabetisiert, die bis auf 31933
der Benutzung zugänglich gemacht sind.
Um auch die Eigennamen für die Verarbeitung nutzbar zu machen,
müssen deren rund 90000 Zettel, die bisher nur im groben geordnet
sind, neu durchgesehen werden; diese Aufgabe wurde von Hrn. GrArow
zunächst für die Namen der Orte, Götter und Könige erledigt, für die
Personennamen wurde sie von Hrn. Erıan begonnen.
Neues Material verdankten wir in diesem Jahre hauptsächlich
Hrn. Garviner, der die Papyrus der Pariser Sammlung und solche von
Leiden und Liverpool für uns kopierte.
Im einzelnen wurden verzettelt:
Religiöse Literatur: Libro dei funerali (Hr. VogELsang). —
Zaubertext Salt 825 (Hr. BurcnAarpr). — Buch vom Durchwandeln der
Ewigkeit nach der Stele des Vatikans (derselbe).
Ältere Literatur: Die neuen Handschriften des Sinuhe und
der Bauerngeschichte (Hr. Garpıner). — Veterinärpapyrus Kahun
(Hr. Wreszisski).
Geschäftliche Papyrus des neuen Reichs: Papyrus Mayer A,
die Papyrus der Bibliotheque nationale und Fragmente aus Gurob
(Hr. GARDINER).
Späte Papyrus: Geographischer Papyrus aus Tanis und Faijum-
papyrus (Hr. Burcnarpr).
Tempelinschriften: Fortgesetzt wurden Medinet Habu (HH.
GarDIner und Raske), Karnak (HH. Serue, Roerper und Grarow). Ab-
geschlossen Derelbahri und Gurna (Hr. Rorprr).
Grabinschriften: Königinnengräber (Hr. Srrue).
Tempel griechischer Zeit: Hr. Junker setzte Edfu unter Mit-
wirkung des Hrn. Boyrav fort.
90 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Einzelne Denkmäler: Dariusstelen (Hr. BurenAarpr). — Ein-
zelnes aus dem British Museum und den Museen zu Kairo, Stockholm,
Berlin (HH. Burenarprt, GARDINER, RANKE, ROEDER, SETHE).
Das Tierreich.
Bericht von Hrn. F. E. Scauurze.
Obwohl schon am Schluß des Vorjahres mit der Drucklegung
der von den HH. Prof. von Darza TorrE und Kırrrer bearbeiteten
24. Lieferung begonnen wurde, gelang es nicht, diese Bearbeitung
von erheblichem Umfange im Berichtsjahre zur Veröffentlichung zu
bringen. Bei der Anwendung der internationalen Nomenklaturbe-
stimmungen auf die behandelte Gruppe der Gallwespen (Cynipidae)
wurden zeitraubende formale Änderungen des sonst abgeschlossenen
Textes notwendig.
Der Hauptgrund der verlangsamten Herausgabe des » Tierreichs«
liegt aber in der Teilung des Arbeitsprogramms durch die Inangriff-
nahme eines Nomenklators der Gattungen und Untergattungen. Die
Dringlichkeit dieses zweiten Unternehmens, welches die Grundlage
für die erfolgreiche Durchführung einer nicht gering zu schätzenden
Aufgabe des »Tierreichs« zu bilden hat, und die besonderen Schwierig-
keiten, die hierbei zu bewältigen sind, habe ich in den beiden letzten
Jahresberichten schon angedeutet. Ich freue mich, über einen guten
Fortgang dieser Arbeit berichten zu können und halte mich zu der
Hoffnung berechtigt, noch vor dem Jahre ı9ıo über Plan und Um-
fang des abgeschlossenen Werkes einen eingehenden Bericht vorlegen
zu können. Eine besondere Förderung hat das Unternehmen vor
kurzem durch das Entgegenkommen des Hrn. Prof. von Darra TorRE
in Innsbruck gefunden, der sich in dankenswerter Weise bereiterklärte,
an den mühsamen Vorarbeiten teilzunehmen, die zur Prüfung der
Richtigkeit und Vollständigkeit der bisher registrierten Gattungsnamen
erforderlich erscheinen.
Das Pflanzenreich.
Bericht des Hrn. En6Ler.
Von dem Pflanzenreich, Regni vegetabilis conspectus, das sich
immer mehr zu einer Sammlung vollständiger Monographien ent-
wickelt, sind im Jahr 1907 sechs Lieferungen mit insgesammt 61 Druck-
bogen erschienen, mit den Bearbeitungen der Polemoniaceae von Prof.
A. Branp, der Calceolarieae von Prof. Kränzuıs, der Erythroxylaceae von
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 91
O. E. Scuurz, der Styracaceae von Dr. Jaser Perkıss, der Potamogeto-
naceae von Prof. AscHErsoxn und Dr. GRAEBNER, der Orchidaceae- Coelo-
gyninae von dem verstorbenen Prof. Prırzer und Prof. Kränzuın. Ausser
diesen ausgegebenen Lieferungen sind noch fünf andere im Druck, von
denen namentlich die Sarraceniaceae und Nepenthaceae hervorgehoben
sein mögen, welche von Prof. MacrArrane in Philadelphia bearbeitet
werden.
Geschichte des Fixsternhimmels.
Aus der für das Unternehmen eingesetzten Commission sind im
Jahre 1907 die Mitglieder vo Brezorp und Vocrr durch den Tod
ausgeschieden.
Die Sammlung der Catalogörter wurde, nachdem in der ersten
Hälfte des Jahres noch 54362 Werthe eingetragen waren, vorläufig
geschlossen, und dann der zweite Abschnitt der Arbeit: die Über-
tragung der zusammengestellten Örter auf das Aequinoctium 1875 be-
gonnen. Diese Übertragung ist gegenwärtig bis zur Reetascension
2"ı2” vollendet, mit einstweiligem Ausschluss der sehr nahe an den
Polen stehenden Sterne.
Zu dem Druck des Fehlerverzeichnisses hatte Hr. A. F. Liwpemann
wiederum die Güte einen Beitrag, in Höhe von 3000 Mark, zu ge-
währen. Der Druck ist bis zum Bogen 4S fortgeschritten; es stehen
nur noch die Govurn’schen Cataloge für 1875 und der grösste Theil
der auf ein späteres Aequinoctium gestellten Cataloge aus.
Commission für die Herausgabe der „Gesammelten Schriften
Wirnuerm von Humskorors‘“.
Bericht des Hrn. Scauipn.
Die beiden 1907 erschienenen Abtheilungen des sechsten Bandes
der von Hrn. Prof. Dr. Leırzmanx bearbeiteten »Werke« greifen mit
ihren letzten Stücken aus dem linguistischen ins ästhetische Gebiet
hinüber und zeigen wiederum einen bedeutenden Zuwachs. Schon
ausgedruckt ist die grosse Studie über die » Verschiedenheiten des
menschlichen Sprachbaus« u. s. w. (VII, 1); im Manuscript abge-
schlossen eine Sammlung von Paralipomenis, die wegen ihrer Kürze
oder ihres fragmentarischen Zustandes nicht wohl eingereiht werden
konnten, sowie von anderen Nachträgen nebst Auskünften über ver-
lorene oder weggebliebene Schriften (VII,2). Die folgenden Bände,
ohne Vorarbeit aus grossen handschriftlichen Massen zu schöpfen,
gebieten ein langsameres Tempo.
92 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Empfindliche Versäumnisse in Gebhardts nachgelassenem Katalog
der Briefbestände des Staatsarchivs heilt jetzt revidirend und ergän-
zend Hr. Dr. Srraneer, dem sich dabei auch die Nothwendigkeit er-
geben hat, kleine Supplemente zu den Politischen Denkschriften zu
liefern. Neben ihm sind wir Hrn. Privatdocenten Dr. S. Krrrer in Bonn,
Fräulein Marızr von Bunsen in Berlin und der Publie library in Boston
(für photographische Mittheilung eines langen werthvollen Schreibens
an Körner über Schiller) verpflichtet.
Interakademische LEısN1Z- Ausgabe.
Bericht des Hrn. Lenz.
Hr. Warpever hat in der öffentlichen Sitzung am 27. Juni 1907
(vgl. Sitzungsberichte 1907 S. 617 ff.) einen ausführlichen Bericht über
die Entstehung und Entwicklung des Planes dieser Ausgabe gegeben;
ich kann mich also darauf beschränken, an die Hauptpunkte jener
Darstellung zu erinnern und den gegenwärtigen Stand der Arbeit
zu bezeichnen.
Der Gedanke einer kritischen Gesamtausgabe der Werke von
Leiwssız wurde von der Academie des Sciences morales et politiques
zu Paris auf der ersten Generalversammlung der internationalen Asso-
ziation der Akademien (Paris 1901) angeregt. Er fand allgemein
Beifall, und die Assoziation beauftragte die Academie des Seiences
und die Academie des Sciences morales et politiques zu Paris und
unsre Akademie, sich über den Umfang des Unternehmens zu orientieren
und an der Hand eines Verzeichnisses der für die Publikation in
Betracht kommenden Stücke der nächsten Generalversammlung einen
Plan vorzulegen, der die Grundlage für die Entscheidung des Ob und
Wie der Ausgabe bilden könnte. Die drei Akademien widmeten sich
dieser Arbeit während der Jahre 1902 und 1903. Von französischer
Seite wurden Frankreich, Belgien, Holland und England auf Leibniziana
bereist, von unsrer Seite ein Katalog aller gedruckten Stücke an-
gefertigt, dann gemeinsam ein Aufruf an die Archive, Bibliotheken
und zahlreiche Privatpersonen erlassen — der zum Teil zu über-
raschenden Entdeckungen führte — und endlich und vor allem die
genaue Verzeichnung des in Hannover liegenden Nachlasses von Leısyız
unternommen. Besonders die letzte Arbeit zeigte, daß man den Umfang
und die kritischen Schwierigkeiten des Werkes unterschätzt hatte.
Infolgedessen ersuchten die drei Akademien die zweite Generalver-
sammlung der Assoziation (London 1904), ihnen ihren Auftrag auf
weitere drei Jahre zu verlängern, indem sie in Aussicht stellten, bis
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 93
zu der dritten Tagung das bisher gesammelte Material revidieren und
als einen kritischen Katalog der Leisnız-Handschriften veröffentlichen
zu können. Die Assoziation erklärte sich hiermit einverstanden. In
der Tat wurde bis zum Frühjahr 1906 dieser kritische Katalog im
Manuskript ziemlich vollendet. Es stellte sich aber auch heraus,
daß er etwa zehn Bände in Quarto zu je 60 Bogen umfassen und
seine Drucklegung etwa drei Jahre und rund 80000 Mark Kosten
beanspruchen würde. Angesichts dieser Tatsache kam unsre Akademie
zu dem Entschluß, auf diese Drucklegung eines immer doch nur vor-
bereitenden Werkes zu verzichten und vielmehr sobald wie möglich
an die Ausgabe selbst zu gehen. Zu derselben Auffassung gelangten
die beiden französischen Akademien. Man verständigte sich also über
die weitere Behandlung des Kataloges und über Ziel, Teilung und
Organisation der Arbeit für die Ausgabe, und unterbreitete der dritten
Generalversammlung der Assoziation (Wien 1907) den Vorschlag:
»Von der Drucklegung des geschriebenen Katalogs soll abgesehen
werden, dagegen ist letzterer mechanisch zu vervielfältigen insoweit,
daß den Bibliotheken der zur Vereinigung gehörigen Akademien so-
wie einigen andern Bibliotheken Exemplare zugestellt werden können.
Mit der vollständigen Ausgabe der Werke Leisnizens soll alsbald be-
gonnen werden, und sind die genannten drei Akademien damit zu
betrauen.« Die Assoziation hat demgemäß beschlossen und damit
das Unternehmen gesichert.
Die interakademische Leisnız-Ausgabe wird also von der Academie
des Seiences und der Academie des Sciences morales et politiques zu Paris
und unsrer Akademie im Namen der Assoziation der Akademien aus-
geführt. Die drei Akademien haben sich überzeugt, daß eine schlechter-
dings vollständige Ausgabe, die alles, was je von und an Lrızsız ge-
schrieben worden ist, enthielte, in absehbarer Zeit und mit den zur Ver-
fügung stehenden Mitteln nicht geleistet werden kann, aber auch für
die Bedürfnisse der Wissenschaft nicht notwendig und nicht einmal
wünschenswert ist. Sie haben also nur eine » wissenschaftlich voll-
ständige« Ausgabe ins Auge gefaßt. Auch bei dieser Beschränkung wird
freilich das Werk rund 50 Quartbände umfassen und erst in 30 bis
40 Jahren vollendet sein. In die Leitung und in die Kosten der Arbeit
haben sich die drei Akademien so geteilt, daß den beiden französischen
Akademien die mathematischen, erkenntnistheoretischen und logischen,
die naturwissenschaftlichen und medizinischen, die juristischen und
naturrechtlichen Schriften, unsrer Akademie dagegen die politischen,
staats- und volkswirtschaftlichen und die historischen und sprach-
wissenschaftlichen Schriften, und außerdem die gesamten Briefe und
Denkschriften überwiesen sind; über die metaphysischen und theolo-
Sitzungsberichte 1908. 11
94 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
gischen Schriften hat man noch keine Vereinbarung getroffen. Die
Arbeit selbst wird gemeinsam bleiben, so zwar, daß zum Teil fran-
zösische Mitarbeiter unter unsre, und deutsche Mitarbeiter unter fran-
zösische Leitung treten werden.
Auf unsrer Seite haben wir uns zunächst zur Bearbeitung der
Briefe und Denkschriften, als der unsres Erachtens wichtigsten und
notwendigsten unter den uns überwiesenen Abteilungen, entschlossen.
Die Leitung liegt in den Händen unsrer »Leıssız-Kommission«, die
zur Zeit aus den HH. Dirrury, Harnack, Koser, Lexz (als Vorsitzendem),
Pranck, ScHhmipT, Schwarz und Stumer besteht; Hr. Dıers ist, nach-
dem er von 1901—1906 den Vorsitz geführt hatte, im Frühjahr
1906 wegen seiner Überhäufung mit andern Geschäften ausgeschie-
den. Als Mitarbeiter stehen uns einstweilen die seit 1902 für uns
in dieser Sache tätigen HH. Dr. Kasırz und Dr. Rırter, und dazu
die französischen HH. Rıyaunp, SırE und Vesıor zur Verfügung. Mit
der Leitung der Arbeit im einzelnen haben wir Hrn. Dr. Rırrer be-
traut. Diese Herren sind seit dem Sommer 1907, auf Grund eines
von Hrn. Dr. Rırter entworfenen Planes, mit der Bearbeitung der
ersten drei Bände beschäftigt, welche die Briefe und Denkschriften
von 1662— 1672 (bis zur Übersiedelung des jungen Lrisxız nach
Paris) umfassen werden. Hr. Dr. Kasırz, der die philosophischen
und theologischen Briefe übernommen hat, ist bereits an die Her-
stellung des kritischen Apparates gegangen und hofft, bis Ostern
1909 sein Manuskript vollendet zu haben. Hr. Dr. Rırrer ist noch
in der Sammlung und Kollation der Drucke und Abschriften be-
griffen; er bearbeitet die politischen und biographischen Stücke,
also im wesentlichen auch sämtliche Denkschriften (unter ihnen die
zum Ägyptischen Plan gehörigen, die den ganzen dritten Band be-
anspruchen werden). Über den Stand der Arbeit bei den französi-
schen Herren werden wir demnächst Nachricht erhalten; sie haben
bereitwilligerweise die naturwissenschaftlichen Briefe übernommen.
Im allgemeinen hoffen wir diese ersten drei Bände so zu beschleunigen,
daß sie 1g9ıı erscheinen können.
Die Vorbereitungen für die Vervielfältigung des Katalogs werden
inzwischen auf beiden Seiten fortgesetzt. Nachdem die einzelnen Be-
arbeiter desselben schon im Laufe des Jahres 1906 ihre ausführlichen
Konzepte in Reinschriften auf Oktavzetteln kondensiert haben, han-
delt es sich jetzt um die kritische Kombination dieser (acht) parallelen
Anteile. In diese Arbeit haben sich die HH. Kasırz, Rırrer und
Rıvaup in der Weise geteilt, daß jeder die Zusammenstellung und
Verantwortung für bestimmte Perioden übernommen hat. Leider wird
auch die Umschrift des Ganzen mit autographischer Tinte zu einem
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 95
erheblichen Maße von diesen Herren persönlich geleistet werden müssen.
Die erste, von Hrn. Dr. Rırter redigierte Abteilung des vervielfältigten
Katalogs steht daher erst im April d. J. zu erwarten. Die andern
Abteilungen werden voraussichtlich so schnell folgen, daß wir den
wichtigsten Vorteil eines solchen allgemein zugänglichen Katalogs
— auch Außenstehende zur Kontrolle unsrer Arbeit zu veranlassen —
noch für die ersten drei Bände der Ausgabe genießen können. Unsre
Mitarbeiter bedienen sich einstweilen ohne große Beschwerde ihrer
Konzepte und Reinschriften.
Erfreulich ist endlich, daß Zufall oder planmäßiges Verfolgen
neuer Spuren immer noch zu weiteren Funden von Lemxız-Hand-
schriften führen. So sind erst kürzlich die verloren geglaubten Ori-
ginale der Briefe des jungen Leıssız an den Augsburgischen Theo-
logen Spitzel (1668— 1672), und aus seinen späteren Perioden Briefe
an den Wolfenbüttelschen Minister Baron von Steinberg, die Herzogin
Benedicete von Braunschweig und den Abbe St. Pierre zum Vorschein
gekommen. Dagegen sind die Nachforschungen nach der zweiten
Hälfte des Nachlasses Johann Christians von Boineburg — dessen
erste Hälfte seinerzeit im Schönbornschen Archiv zu Wiesentheid ge-
funden wurde — bisher vergeblich geblieben.
Corpus Medicorum graecorum.
Bericht des Hrn. Dirrs.
Die Akademie berichtet heute zum ersten Male über ein neues
Folgeunternehmen, das ihre philosophisch -historische Klasse nach der
Beendigung des Corpus Aristotelicum in Angriff genommen hat. In
Gemeinschaft nämlich mit den Königlichen Gesellschaften der Wissen-
schaften zu Kopenhagen und Leipzig ist eine unter den Auspizien
der Internationalen Assoziation der Akademien stehendes Corpus
medicorum antiguorum begonnen werden, von dem die genannten
drei Akademien den griechischen Teil, das Kuratorium der bei der
Universität Leipzig bestehenden Puschmanv-Stiftung den lateinischen
übernommen haben.
Die Arbeiten für beide Abteilungen stützen sich auf einen von
der Kopenhagener und unserer Akademie aufgenommenen Katalog der
Handschriften der antiken Ärzte, dessen beide Teile in den Abhand-
lungen unserer Akademie 1905 und 1906 veröffentlicht worden sind.
Ein erster Nachtrag dazu ist in den Abhandlungen 1907 erschienen.
Dort ist auch ein ausführlicher Bericht über den ganzen Plan mit-
geteilt, aus dem hier herausgehoben sei, daß die Sammlung des
11
96 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Corpus M. graecorum auf 32 Bände Großoktav berechnet ist, deren
Verlag die B. G. Teubnersche Buchhandlung in Leipzig übernommen
hat. Davon sollen Hippokrates 2, Galen ı3 Bände füllen. 3 Bände
sind für die kleineren Mediziner reserviert, unter denen auch manches
Ungedruckte sich befinden wird. So ist ein Exzerpt aus dem Arznei-
buche des Arztes Philumenos (2. Jahrh. n. Chr.) in der Bearbeitung
von M. Werrmans bereits im Text vollendet und wird als kleine Probe
des Werkes demnächst ausgegeben werden.
Die Leitung des Unternehmens liegt in den Händen einer von
der Assoziation erwählten autonomen Kommission, deren Mitglieder
sind die HH. Gourerz (Wien), Lro (Göttingen), Hrızere (Kopenhagen),
Ivgere (Leipzig), BywAter (London), Krumsacher (München) und der
zum Obmann dieser Kommission ernannte Berichterstatter.
Die Berliner Akademie hat zur Durchführung des Unternehmens
eine aus Hrn. v. Wıramowırz und dem Berichterstatter gebildete be-
sondere Kommission eingesetzt. Sie hat Hrn. Privatdozenten Dr.
J. Mewarpr in Berlin zum Redakteur des Corpus ernannt. Diese
Wahl hat die Bestätigung der autonomen Kommission der Assoziation
gefunden.
Unsere Akademie hat als Arbeitsraum für das Corpus ein Zimmer
in dem Nebengebäude unseres provisorischen Heims eingerichtet, wo
auch die bereits gesammelten Materialien eine übersichtliche Aufstel-
lung gefunden haben.
Deutsche Kommission.
Bericht der HH. BurvAcaH, RoETHE und ScHmipr.
In die Kommission neu eingetreten ist Hr. Hruszer.
Im Juni siedelte die Kommission aus dem Hause Behrenstraße 70
in die zeitweilige Behausung der Akademie, Potsdamer Straße 120,
über; es stehen ihr dort außer einem für die Mitglieder der Kommission
bestimmten Sitzungsraum ein großes und drei kleinere Arbeitszimmer
zur Verfügung, die sich durch Helligkeit und Geräumigkeit vorteilhaft
vor den früheren Räumen der Kommission auszeichnen. Der Umzug
gab Anlaß zu einer erheblichen Ergänzung des bisherigen Inventars,
das sich bei der steten Vermehrung der Aufgaben und Mitarbeiter
der Kommission schon längst als unzureichend erwiesen hatte.
Die Inventarisierung der literarischen deutschen Hand-
schriften schritt ruhig fort. Die Rücksicht auf die verfügbaren
Mittel verbot diesmal eine Steigerung des Tempos; wir haben aber
Grund, zu hoffen, daß die verständnisvolle Förderung des vorgesetzten
Ministeriums es uns ermöglichen wird, im kommenden Jahre mit
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akadeimnie. 97
vermehrten Kräften und Mitteln die Handschriftenaufnahme zu be-
schleunigen.
In der Schweiz war die Arbeit dieses Jahres besonders ergiebig.
Der Leiter der Stiftsbibliothek in Einsiedeln, Hr. P. GAgrıer Mrıerr,
spendete aus dem reichen Schatz der ihm anvertrauten Handschriften
mit gewohnter Gelehrsamkeit weitere Beschreibungen (in der Haupt-
sache Mystik, daneben einiges Medizinische). Die im vorigen Bericht
angekündigte Verbindung der öffentlichen und Universitätsbibliothek
zu Basel mit den Inventarisationsarbeiten der Akademien hat wert-
volle Früchte getragen. Im September des vergangenen Jahres emp-
fing das Archiv die umfängliche, von Prof. Bısz’ sicherer Hand genau
nach unsern Grundsätzen ausgeführte Beschreibung derjenigen Hand-
schriften der Baseler Abteilung A (Theologie, Papier), die in den
Rahmen unsers Inventars fallen. Wie Prof. Binz mitteilte, sind außer-
dem bereits beschrieben, aber für den Baseler Katalog noch nicht
kopiert, auch die in Betracht kommenden Bände der Abteilung B
(Theologie, Pergament) und einige Sammelbände der Abteilung F
(Artes). Das Verzeichnis der Abteilung A erschien dann unter dem
Titel: »Die deutschen Handschriften der öffentlichen Bibliothek der
Universität Basel, erster Band« (Basel 1907) als Festgabe der Baseler
Bibliothek für die Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner
im Druck. Die Vorrede dieser verdienstvollen Publikation, die der
Initiative des Hrn. Oberbibliothekars Dr. Kart Unrıstorm BERNOUILLI
verdankt wird, betont ausdrücklich, daß die Anregung zu der jetzigen
Durchführung der Katalogisierung und ihre Form auf die deutsche
Kommission der Berliner Akademie zurückgehe. Ein Vergleich mit
Hänels summarischen Beschreibungen veranschaulicht sofort, wie trefl-
lich sich das Zusammenwirken der von der Akademie vertretenen rein
wissenschaftlichen und der dortigen bibliothekarischen Interessen be-
währt hat. Es sei insbesondre auf die Abteilungen AX und AXI
verwiesen, die über zahlreiche seit Jahrhunderten unverzeichnet und
vernachlässigt aufgestapelte Handschriftenbände beriehten und manche
für die deutsche und die mittellateinische Literatur interessante Stücke
ans Licht ziehen. Für die deutsche Mystik findet sich dabei freilich
nicht so viel Neues, als bei der Bedeutung Basels für diese Bewegung
vielleicht erwartet werden konnte. — Hr. Prof. Dr. Fernmasn VETTER
in Bern hat noch gegen 60 Beschreibungen von St. Gallener Hand-
schriften eingesendet (Reihen altdeutscher Personennamen, Sprichwörter,
Rätsel, Beichtformeln, Briefe Alkuins und anderer, Schriften des Äneas
Sylvius).
Für Österreich ist die Handschriftenaufnahme leider immer
noch nieht so in Gang gekommen, wie es zu wünschen wäre. Einige
98 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Handschriften der Wiener Hofbibliothek haben Hr. Dr. V. Junk in
Wien und Hr. Prof. Ent Henrıcr in Berlin beschrieben. Aus Graz
sandte eine Beschreibung Hr. Dr. Fernınanp EicHLer.
Rüstigen Fortgang hat dagegen die Handschriftenaufnahme in
der Münchener Hof- und Staatsbibliothek genommen. In das Be-
richtsjahr fallen etwa 120 Beschreibungen, die wir größtenteils wieder
der fortgesetzten treuen Mühewaltung der HH. Dr. Leiiseer und
Dr. Prrzer verdanken. Aus den Arbeiten des Hrn. Prof. vox DER LEYEN
und seines Gehilfen, des Hrn. Dr. Mauszer, für die deutsche Mystik
erwuchsen vier zum Teil sehr umfängliehe Beschreibungen mystischer
und katechetischer Stücke (Meister Eckhart, Tauler, Marquart von Lin-
dau u. a.). Gelegentliche Beschreibungen von Münchener Handschriften
lieferten die HH. stud. Kart Schröper (Berlin) und stud. Erıcn EıcnLer
(Greifswald). — Eindringende Ergänzungen zu seinen vorher summari-
scher gefaßten Beschreibungen mehrerer Kemptener und Passauer
Handschriften steuerte Hr. Prof. Karı. Eure (Königsberg) bei (darunter
Kemptener Bruchstücke des Willehalm Ulrichs von Türheim). — Auf
Baden und Württemberg hat sich bisher die Inventarisationstätigkeit
der Akademie noch nicht erstrecken können. Doch hat Hr. BurpacH
im letzten Sommer einen Aufenthalt in Heidelberg, Karlsruhe, Stutt-
gart und Tübingen benutzt, um durch Beratungen mit den maß-
gebenden Behörden und Personen eine geeignete Organisation vor-
zubereiten. Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen, lassen
aber bei dem Entgegenkommen, das Hr. Burvacn überall, insbesondere
auch bei dem badischen Kultusministerium gefunden hat, einen glück-
lichen Ausgang erwarten. — Eine Handschrift der Hofbibliothek zu
Karlsruhe beschrieb Hr. cand. phil. M. Vorst. — In Dresden setzte
Hr. Dr. Manırıus seine beschreibende Tätigkeit fort.
In Breslau ist dank dem hingebenden Eifer des Hrn. Ober-
lehrers Dr. Krarper die Beschreibung der in Frage kommenden Hand-
schriften der Kgl. und Universitätsbibliothek dem Abschluß nahe-
gebracht: nahezu 200 Aufnahmen sind der Ertrag dieses Jahres.
Die geistige Geschichte Schlesiens ist fast in allen Beziehungen hier
vertreten: voran steht wieder die reiche geistliche Literatur; sonst
fallen ins Auge Fabelliteratur, didaktisch-satirische und Novellen-
diehtung, zahlreiche Pestrezepte.
Ein mittelniederdeutsches Erbauungsbuch aus Calbe a.d. Milde,
das u.a. Dietrich Engelhus’ Ars moriendi enthält, hat Hr. Prof. Borcnuine
in Posen behandelt. — Aus Naumburg hat Hr. Oberlehrer Dr. Hamreı
mehrere Beschreibungen von Rechtshandschriften gesandt. — In den
Fuldaer Manuskripten, die Hr. Oberlehrer Dr. Wırsann in Fraustadt
neu aufgenommen hat, war namentlich das Jesuitendrama sowie die
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 99
neulateinische Kleinpoesie der Epitaphien, Memorialverse, Chrono-
gramme u.ä. reicher vertreten. Ebenso gehörten die Handschriften,
die Hr. Berraror in Frankfurt a. M. erledigt hat, überwiegend in
den Kreis der lateinischen Schulpoesie; doch enthielten sie auch
deutsche Sprüche und Weihnachtspredigten, sowie ein allegorisch-
geistliches » Würzgärtlein« in deutschen Versen. ;
Hr. Dr. Drerrıne, der die systematische Durchforsehung der
kleineren Bibliotheken der Rheinprovinz übernommen hat, hat
die Bibliothek des Bergischen Geschichtsvereins zu Elberfeld, in
Bonn die Universitätsbibliothek, die Stadtbibliothek, die Bibliotheken
der Stiftskirche, Münsterkirche, Remigiuspfarre, ferner die Bibliothek
des Freiherrn von Eltz-Riebenack zu Wahn, die Pfarrbibliotheken
zu Oberkassel, Königswinter, Grau-Rheindorf und Neuß
(hier auch die Bibliothek des Altertumsvereins), endlich die Frei-
herrlich von Mirbachsche Bibliothek zu Harff und andre Privat-
bibliotheken in Mülheim a. d. Ruhr und Neuß besucht und fest-
gestellt, ob und was sie von geeignetem Material enthalten. Eingesandt
hat Dr. Deerrime bisher die Beschreibung einer Handschrift des Stadt-
archivs zu Cleve (Chronik Gerts van Scheuren) und vor allem zweier
wichtiger Codices aus der Fürstlich Salm-Reifferscheidtschen Sehloß-
bibliothek zu Dyck, deren einer u. a. eine niederländische Fassung
von Mandevilles Reisewerk enthält, während der andre neben Maer-
lants »Blume der Natur« einen besonders wertvollen, der Komburger
Handschrift an Alter und Wert bedeutend überlegenen Reinaerttext
bietet, den Dr. Deszrıme demnächst zu publizieren hofft.
Unser eifriger Mitarbeiter für Westfalen, Hr. Bibliothekar Dr.
Böner in Münster, beschrieb aus der Pfarrbibliothek zu Metelen
(Kreis Steinfurt) eine umfängliche mittelniederdeutsche Sammelhand-
schrift, aus der Dechaneibibliothek zu St. Nikolaus in Höxter zwei
kleinere Stücke. Sehr viel reichhaltiger erwies sich die Sayn-Witgen-
steinsche Schloßbibliothek zu Berleburg, in der Dr. Bömer unter
anderem neue Wigaloisfragmente, ein mittelhochdeutsches poetisches
Speeulum humanae salvationis, vor allem eine anscheinend noch un-
bekannte mittelhochdeutsche Dichtung von der Pilgerfahrt des träu-
menden Mönches feststellte. Die Schloßbibliothek des Grafen von
Fürstenberg-Stammheim, die aus Stammheim kürzlich für 50 Jahre
leihweise auf die Universitätsbibliothek zu Münster übergeführt ist,
ergab diesmal neben Stammbüchern des 17. Jahrhunderts mittelfrän-
kische Kartäuserbiographien und eine neue Handschrift von Gottfr.
Hagens Cölner Chronik sowie namentlich von der Weberschlacht, die
bisher nur in einer einzigen recht mangelhaften Handschrift bekannt
war. Im übrigen nahm Dr. Böner die Handschriften der Bibliothek
100 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
des Altertumsvereins zu Paderborn auf, die lateinische und mittel-
niederdeutsche Verse historischen Inhalts, ein mittelniederdeutsches
Gebetbuch aus Marienborn und viel sonstige niederdeutsche Erbau-
ungsliteratur brachte. Sie dominierte auch in den Handschriften der
Universitätsbibliothek zu Münster, die Bömer diesmal beschrieb; her-
vorzuheben ist allerlei mittelniederdeutsche Übersetzungsprosa geist-
lichen Inhalts. Prof. Jostes stellte für die Beschreibung eine mittel-
deutsche geistliche Sammelhandschrift aus seinem Besitze zur Ver-
fügung.
Aus der Stadtbibliothek zu Lübeck beschrieb Hr. Dr. Hasen
mehrere niederdeutsche und niederländische Codices, in denen die
holländische Mystik (Ruusbroek, Gerhard Zerbold) vorantrat. — Hr.
Prof. Borentiıne untersuchte vier Handschriften der Bibliothek des
adligen Damenklosters zu Ebstorf, deren sehr reicher Inhalt das
geistige Leben dieses Frauenstifts im 15. Jahrhundert abspiegelt. —
Den Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Hannover hat für
unsere Zwecke außer Hrn. Bibliothekar Dr. Karı Meyer auch Hr. Ober-
lehrer Dr. Brırı. seine Aufmerksamkeit zuzuwenden begonnen.
Hr. Prof. Dr. Emm Hrnrıcr hat im Berichtsjahre wieder hunderte
von Handschriften der Wolfenbütteler und Braunschweiger Bibliotheken
und Archive sowie des Stadtarchivs zu Hildesheim sorgfältig gemustert.
In Hildesheim wurden vornehmlich Chroniken von ihm durchgesehen;
in Wolfenbüttel und Braunschweig beachtete Prof. Hrxrıer ins-
besondere Handschriften des Cornutus, Facetus, Brevilogus, des De-
cretum Gratiani, Manuskripte von Joh. Caselius und Andr. Mylius;
über einige seiner Funde hat er im »Braunschweigischen Magazin «
Bericht erstattet. Da sich herausstellte, daß der gedruckte Katalog
der Braunschweiger Stadtbibliothek auch für oberflächliche Orientie-
rung nicht ausreiche, hat Prof. Hexrıcı sich entschlossen, nicht nur
in Braunschweig, sondern auch in Wolfenbüttel jede Handschrift,
auch wenn sie nach den Katalogen gar nichts versprach, selbst zu
durehsuchen und diese mühsame Arbeitsweise, die es ihm z.B. auf-
erlegte, die Wolfenbütteler Handschriften Helmstedt 1—500 größten-
teils noch einmal gründlich zu prüfen, blieb nicht ohne Ertrag. Prof.
Hrxrıcıs Beschreibungen sind besonders reichhaltig im Buchen der
Einzelverse, die in Prosatexten eingelegt oder zu Sammlungen ver-
einigt sind.
Kleinere lateinische Dichtungen aus Miscellanhandschriften der
Bodlejana in Oxford, geistlichen und medizinischen Inhalts, sind auch
von Hrn. Dr. Scnaarrs in Liverpool in großer Anzahl verzeichnet
worden; den Inhalt von deutschen Stammbüchern des Britischen
Museums in London analysierte Hr. Dorcn. — Von der zeitweilig
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 101
verschollenen Handschrift des Ebernand von Erfurt, die sich jetzt in
der Privatsammlung von Rob. Garnett zu Baltimore (Maryland) be-
findet, gab Hr. Dr. Gro. Prıersr eine eingehende Beschreibung.
Die Verwaltung des Handschriftenarchivs lag unter der
Oberaufsicht seiner akademischen Leiter auch im verflossenen Jahre
wieder in den Händen des Assistenten Hrn. Dr. Frırz Beurexp, der,
zugleich als Volontär an der Königlichen Universitätsbibliothek tätig,
den Pflichten des doppelten Amtes kaum hätte genügen können, wenn
ihm nicht im Interesse seiner Archivarbeiten durch das vorgesetzte
Ministerium die bibliothekarische Dienstzeit für einen Teil des Jahres
um täglich zwei Dienststunden verkürzt worden wäre. Es ist Aussicht
vorhanden, daß er künftighin seine ganze Arbeitskraft dem Hand-
schriftenarchive der Deutschen Kommission wird widmen können.
Auf dem gesamten Gebiete der Inventarisierung ist ein größeres
Gleichmaß der Beschreibungen angestrebt und gutenteils auch erreicht
worden. In Zukunft soll den Handschrifteneinbänden, aus denen
sich wertvolle Schlüsse ziehen lassen, erhöhte Aufmerksamkeit zu-
gewendet werden. Für die Einbände der Inkunabeln sind bekanntlich
durch die Bemühungen des Hrn. Bibliotheksdirektors Dr. SchwEnkKE
fruchtbare Erkenntnisse gewonnen worden, und durch die von ihm an-
gewendete Methode (Bleistiftschraffierungen auf weichem über den Ein-
band gelegten Papier) lassen sich ohne Mühe ausreichende Abdrucke
herstellen. Stattlich ist die Sammlung der durchgepausten Wasser-
zeichen angewachsen. Alsratsam hat sich herausgestellt, daß künftig bei
den medizinischen Bestandteilen der aufgenommenen Handschriften
kurze Beschreibungen aller etwaigen Zeichnungen gegeben werden.
Um die Gefahr doppelter Beschreibung zu verhüten, die durch
Umsignieren der Bestände oder durch das Wandern von Handschriften
(namentlich privaten Besitzes) entstehen könnte, hat die Deutsche Kom-
mission kleine Zettel des folgenden Musters drucken lassen:
Handschrift
iin Besitz
ist nach den Grundsätzen der Königlich Preußischen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin
von Herrn
UN 19 aufgenommen worden.
102 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Es wäre sehr zu wünschen, daß, wie die Hof- und Staatsbibliothek
zu München das schon getan hat, so auch möglichst alle andern Be-
sitzer von Handschriften gestatteten, diese Zettel auf den Innendeckeln
der für die Akademie beschriebenen Codices anzubringen. Der Ver-
merk würde zudem spätere Benutzer in den Stand setzen, durch An-
frage bei dem Handschriftenarchiv der Akademie sich unter Umständen
lange Arbeit zu ersparen.
Das Archiv besitzt jetzt über 3000 Handschriftenbeschreibungen,
von denen gegen 250, die zunächst in summarischer Form eingereicht
werden mußten, künftiger Ergänzung bedürfen. Gegen 2000 von
diesen Beschreibungen sind bis jetzt auf etwa 110000 Zetteln nach
den in den frühern Berichten angegebenen Gesichtspunkten katalogisiert
worden. An den Verzettelungsarbeiten beteiligten sich unter Leitung
Dr. Bruresps die HH. cand. phil. Trausorr Böune, Dr. FriepemAnn,
cand. phil. GEnseL, Dr. KOTZENBERG, Dr. ARTHUR MÜLLER, Dr. Reıskr,
Dr. Stenmans, cand. phil. Max Voısr. — Zu einem ergänzenden Zettel-
katalog des gedruckten Materials, der für die Zukunft in Aussicht
genommen ist, hat Dr. Sremmann einen Anfang gemacht, indem er
begonnen hat, die gedruckten kleineren erzählenden und lehrhaften
mittelhochdeutschen Dichtungen zu verzetteln.
Mit dem Besitz wächst auch die wissenschaftliche Nutzbarkeit
des Archivs, das im Berichtsjahre vielfach von hiesigen und auswärtigen
Gelehrten befragt worden ist. Dem Direktor des Instituts für Geschichte
der Medizin in Leipzig, Hın. Prof. Dr. Supkorr, wurde auf sein Er-
suchen gestattet, das für die Geschichte der Medizin in Betracht
kommende Material aus den Beschreibungen des Archivs kopieren
zu lassen.
Die Handbibliothek des Archivs umfaßt gegen 300 Nummern,
bleibt also immer noch hinter den bescheidensten Ansprüchen zurück,
zumal die in demselben Hause befindliche Bibliothek der Akademie ihrer
Zusammensetzung nach nur in seltenen Fällen geeignet ist auszuhelfen.
Von wichtigern Zuwendungen seien hier (außer dem schon genannten
Baseler Katalog) dankbar erwähnt: Die deutschen Handschriften der
Großherzoglichen Hof- und Landesbibliothek Karlsruhe (Bd. 3 bis 5,
Beitr. II); Katalog der Handschriften der Universitätsbibliothek in
Heidelberg, Band 2; Bibliotheca apostolica Vaticana Cod. Palat. Lat.
Tom.I; drei Programme des Gymnasiums zu Flensburg.
Von den »Deutschen Texten des Mittelalters« wurden voll-
endet Bd. VIII (Heinrichs von Hesler Apokalypse, aus der Danziger
Handschrift herausgegeben von Karr Herrn), Bd. IX (Thilos von Kulm
Liber de septem sigillis, aus der Königsberger Handschrift heraus-
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 103
gegeben von Kart KocnenDörrrer) und Bd. XII (Der große Alexander,
aus der Wernigeroder Handschrift herausgegeben von Gustav Gurn).
Im Satz weit fortgeschritten sind Bd. X (Der Prediger von Sankt
Georgen, aus der Freiburger und Karlsruher Handschrift heraus-
gegeben von Karr Rırper), Bd. XI (Die Predigten Taulers, aus der
Engelberger und der Freiburger Handschrift, sowie aus Schmidts Ab-
schriften der verbrannten Straßburger Handschriften herausgegeben
von FErDINANnD VETTER) und Bd. XII (Die Meisterlieder des Hans Folz,
aus der Münchener Originalhandschrift, aus der Weimarer und der
Berliner Handschrift herausgegeben von Auscusr Mayer). Begonnen
ist endlich der Satz von Bd. XIV (Die Wolfenbüttler Priamelhandsehrift,
herausgegeben von Karr Eurise). Gefördert wurden die » Texte« durch
die HH. Dr. Bure in Hamburg, Dr. Graunise, Dr. Perzer, Dr. Raske in
München, Prof. Dr. Hrexrıcı in Wolfenbüttel, Prof. Dr. Panzer in Frank-
furt a. M., Prof. Dr. Sıevers in Leipzig; insbesondere aber hat Hr. Prof.
Dr. Karr von Kraus in Prag ihnen dauernd sein fruchtbares und tätiges
Interesse zugewendet. Hr. Prof. Schöngach in Graz hat der Kommission
seine Abschrift des »Belial« Otto Raspes für die »Texte« geschenkt.
Lebhaften Dank verdient endlich die Bereitwilligkeit, mit der die be-
teiligten Bibliotheken durchweg die Leihfrist für ihre Handschriften
so ausgedehnt haben, daß die langwierigen Druckkorrekturen nach
den Handschriften selbst gelesen werden konnten; die Kommission
rühmt insbesondere die Geduld, mit der das Stift Engelberg, sowie
die Großherzogliche Bibliothek zu Weimar und die Herzogliche Biblio-
thek zu Wolfenbüttel den Wünschen der Akademie Rechnung ge-
tragen haben.
Die Wieland-Ausgabe wurde 1907 so weit gefördert, daß ein
Verlagskontrakt mit der Weidmannschen Buchhandlung entworfen und
genehmigt werden konnte, auf Grund dessen nun zunächst in steter
Folge die von Hrn. Dr. Homever in Berlin bearbeiteten Jugendschriften
und aus der zweiten Abteilung die von Hrn. Dr. Staprer in Straß-
burg zum ersten Neudruck gerüstete Shakespeareübersetzung erscheinen
sollen. Um das Briefkorpus hat Hr. Dr. vov KozLowskı durch genaue
Abschriften aus der in Halberstadt liegenden Korrespondenz mit Gleim
sich ein dankenswertes Verdienst erworben.
Der vorjährige Bericht der Kommission mußte melden, daß der
Provinzialausschuß der Rheinprovinz ein Gesuch der Akademie um
finanzielle Unterstützung des »Rheinischen Wörterbuchs« abgelehnt
habe. Inzwischen aber ist eine sehr erfreuliche Wandlung eingetreten:
es darf mit Zuversicht erwartet werden, daß der Provinzialverband von
104 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Ostern 1908 ab dem Wörterbuch eine regelmäßige Subvention auf
eine Reihe von Jahren gewähren werde. An diesem Umschwung hat
ein sehr wesentliches Verdienst die »Gesellschaft für Rheinische Ge-
sehiehtskunde«, die sich entschlossen hat, das Wörterbuch nicht nur
gleichfalls finanziell zu stärken, sondern sich mit der Akademie zu
gemeinsamer Herausgabe des Werkes zu verbinden. Über das Er-
gebnis der noch schwebenden Verhandlungen wird im nächsten Jahre
zu berichten sein. Der geplante Bund der Rheinischen Gesellschaft
mit der Akademie scheint sachlich den besonderen Aufgaben des
Rheinischen Idiotikons so glücklich zu entsprechen, daß diese Gemein-
schaft auch für ähnliche Unternehmungen vorbildlich werden könnte.
Über die Arbeit am »Rheinischen Wörterbuch« berichtet das
auswärtige Mitglied der Kommission, Hr. Fraxck in Bonn, das Folgende:
Im Laufe dieses Jahres wurden ausgegeben: ı. Nummer 2—3
der »Anfragen und Mitteilungen«, deren wissenschaftlicher Inhalt
größtenteils wieder von Dr. Jos. MÜLLER zusammengestellt ist; sie be-
handelt in Proben und Sammlungen die Wörter und Begriffe: groß,
Haar, Kartoffel, Lüge, Kaffee, magerer Mensch, kalt, altes Haus, Stuben-
hocker, Gefängnis, gleich und gleich gesellt sich gern, einträchtig handeln
u.a.; 2. die Probe II, die hauptsächlich den Zweck verfolgte, die
Aufmerksamkeit der Mitarbeiter auf feste Redensarten ohne ausge-
prägtes mundartliches Wortmaterial zu lenken. Außerdem haben
Dr. Trense und Dr. MürLer Anfragen in kleinerem Kreise ergehen
lassen.
Da unsere bisherigen Versuche, die eine etwas ausgedehntere
Tätigkeit und etwas eigenen Antrieb der Mitarbeiter erforderten, doch
nur von beschränktem Erfolg waren, haben wir 2 Fragebogen mit
bestimmten Einzelfragen fertiggestellt, die noch vor den Weihnachts-
ferien zunächst an die Seminare und Präparandenanstalten verschickt
worden sind.
Der im vorigen Bericht erwähnte Erlaß des Kultusministeriums
zur Unterstützung unserer Sache trägt uns zwar noch immer Zu-
schriften von einzelnen Schulbehörden ein, aber es läßt sich doch
schon jetzt feststellen, daß auch er für wichtige Gebiete der Provinz
den gewünschten Erfolg nicht gehabt hat.
In der Hauptsache müssen wir den Kreis unserer Mitarbeiter
jetzt wohl als geschlossen ansehen. Dabei dürfen wir uns nicht ver-
hehlen, daß ein sehr großer Teil der früher Angemeldeten uns nur für
ganz bestimmte Einzelfragen von Nutzen sein wird. So ergibt sich
immer klarer die Notwendigkeit, den Stoff im Laufe der Jahre durch
persönliche Aufnahmen zu ergänzen. Als besonders erfreulich ist
andererseits hervorzuheben, daß an einer Anzahl von Seminaren
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 105
und Präparandenschulen unter der Leitung einzelner Lehrer oder
Lehrerinnen systematisch gesammelt wird.
Neuer Stoff ist weiter eingegangen, aber naturgemäß nicht mehr
in der früheren Höhe, da die arbeitsfreudigen Helfer sich schon mehr
oder weniger ausgegeben haben. Ein genauerer Bericht über die
Tätigkeit unserer sammelnden Mitarbeiter ist in den » Anfragen und
Mitteilungen« S. 50f. gegeben.
Hr. Dr. Gorzex von der Städtischen Bibliothek in Köln hat uns
ein reichhaltiges Verzeichnis der mundartlichen Literatur in uneigen-
nütziger Weise aus bloßem Interesse an der Sache geliefert, wofür
ihm auch hier unser Dank ausgesprochen sei. Mit der Ausnutzung
älterer Texte konnten erst schwache Anfänge gemacht werden, da
es an Arbeitskräften fehlte.
Seit dem 19. März ist Hr. Dr. Hrrmans Teucnerr aus Loppow,
Kreis Landsberg a. W., als Assistent hier in Bonn für das Wörter-
buch tätig, allerdings mit beschränkter Arbeitszeit. Er hat sich mit
schnellem Verständnis in die ihm fremden rheinischen Mundarten hin-
eingefunden. Neben ihm ist seit dem Sommer eine Dame und stunden-
weise eine weitere Hilfskraft beschäftigt.
Die Anzahl der vorläufig im Wörterbucharchiv fertiggestellten
Zettel beläuft sich auf 40000, von denen 30000 alphabetisch ein-
geordnet sind. Dr. Jos. Mürrrr schätzt die noch in seinem Besitz
befindlichen fertigen Zettel auf‘ 25000; Dr. Trexse in Rheydt meldet
20000 fertige und geordnete Zettel an.
Forschungen zur Geschichte der neuhochdeutschen Schrifisprache.
Bericht des Hrn. Burpacn.
Der weite Rahmen meiner im Auftrage der Akademie vorberei-
teten Publikation Vom Mittelalter zur Reformation, die auf die mannig-
fachen Ziele einer aus den Quellen schöpfenden bildungsgeschichtlichen
Forschung gerichtet, verschiedenartige Stoffgebiete durchpflügt, alt-
deutsches wie lateinisches Schrifttum gleichermaßen berücksichtigt
und über die Grenzen zwischen philologischer Edition, Literarhistorie,
Stil- und Sprachgeschichte, Geschichte und Diplomatik hin und her
schreitend, danach streben muß, die Methoden getrennter Disziplinen
zu vereinigen, verlangt an mehreren Stellen gleichzeitig Sammlung,
Sichtung und Zurüstung zerstreutesten Materials. Hierbei stand mir
außer zeitweiliger Unterstützung durch andere jüngere Hilfsarbeiter,
die indessen sich alle meinem Unternehmen nur nebenher widmen
konnten, von Anfang an dauernd und mit ungeteilter Kraft leider nur
106 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Hr. Dr. Pıur zur Seite. Seit dem ı. Oktober 1907 verfügte ich indessen
auch über seine Hilfe nicht mehr unumschränkt, da er zur Siche-
rung seiner Existenz sich genötigt sah, in das Schulamt einzutreten.
Daß ihm darin von den vorgesetzten Behörden auf mein Ersuchen
Diensterleichterung gewährt wird, muß ich im Interesse meiner für
die Akademie unternommenen Arbeiten dankbar anerkennen, und es
ist das diesen zu Gute gekommen. Immerhin war es in Folge der
Weitschichtigkeit meiner Aufgaben und in Folge der Notwendigkeit,
an verschiedenen Orten zugleich vorausarbeitend Hand anzulegen, unter
den bezeichneten Umständen mir im Verein mit meinem Assistenten
auch im verflossenen Berichtsjahre noch nicht möglich, von den für
die einzelnen Abteilungen und Bände vorbereiteten Editionen und
Untersuchungen ein fertiges Ganzes an die Öffentlichkeit zu bringen.
Der gegenwärtige Stand meiner Arbeiten ist folgender:
Abteilung I. Texte und Untersuchungen zur Vorgeschichte des deutschen.
Humanismus.
Band ı. Der Briefwechsel. des Cola di Rienzo: der Text dieser
neuen kritischen, mit Hilfe des Hrn. Dr. Pıur besorgten Ausgabe
(vgl. Sitzungsberichte 1907, S. 78ff.), dessen endgültige Herstellung
noch in letzter Stunde durch die erforderliche nochmalige, zeitrau-
bende Heranziehung weiteren handschriftlichen Materials aus italieni-
schen Bibliotheken und Archiven verzögert worden ist, befindet
sich im Druck; der als besonderer, zweiter Teil erscheinende Kom-
mentar (s. Sitzungsbericht 1907, S. Sof.) ist im wesentlichen abge-
schlossen und kann sogleich nach der Drucklegung des Textes in
den Druck gehen.
Band 2. Aus Petrarcas ältestem deutschen Schülerkreis: diese Pu-
blikation frühhumanistischer lateinischer Denkmäler aus der Hand-
schrift 509 der Olmützer Metropolitankapitel-Bibliothek, deren Druck-
legung bereits 1905 erfolgen sollte (s. Sitzungsberichte 1905, S. 141),
habe ich zurückhalten müssen, da sich das zum Verständnis und zur
Kritik einzelner darin enthaltener Stücke dienende Material vermehrt
hat und so weitere Untersuchungen unumgänglich wurden, bei denen
mich die HH. Dr. Pıur und Dr. Anz zeitweise unterstützten; wenn
ich an diese Arbeit die letzte Hand zu legen bisher durch die an-
schwellende Masse der übrigen Aufgaben verhindert gewesen bin,
so hoffe ich, sie doch im Laufe dieses Jahres in den Druck geben
zu können.
Band 3. Briefwechsel Petrarcas und anderer italienischer Humanisten
des XIV. Jahrhunderts mit deutschen Zeitgenossen: hierfür sind die Vor-
arbeiten zum größeren Teile beendet; auch ist mit der Textherstellung
Jahresberichte der Stiftungen. 107
einer größeren Reihe von Briefen begonnen; für andere sind die
nötigen Abschriften und Kollationen hergestellt. Erforderlich bleibt
noch die Benutzung einiger Florentiner Codices, die teilweise Auto-
graphen sind, und einer Handschrift der Biblioteea Angelica in Rom;
das Erscheinen des Bandes ist nach dem Rienzobande geplant.
Band 4. Privatbriefe Kaiser Karls IV. und seines Kanzlers Johann
von Neumarkt: die Arbeit an diesem Bande, in dem alle rhetorisch
bedeutenden Briefe der berühmten Summa Cancellariae Karoli IV. zum
ersten Male in kritischer Gestalt und viele Briefe Johanns von
Neumarkt aus anderen Sammlungen ans Licht treten, befindet sich
in einem weit vorgerückten Stadium.
Abteilung III. Die deutsche Prosaliteratur im Zeitalter der Luxemburger.
Band ı. Der Ackermann aus Böhmen: der Text dieses von mir
im Verein mit Hın. Dr. Aroıs Berxt (Leitmeritz) herausgegebenen
Werkes (s. Sitzungsberichte 1907, S. Sıf.) ist druckfertig.
Abteilung IV. Texte und Untersuchungen zur Geschichte der ostmittel-
deutschen Kanzleisprache.
Band ı. Ein schlesisch-böhmisches Formelbuch in lateinischer und
deutscher Sprache aus der Wende des XIV. Jahrhunderts: diese Ver-
öffentlichung (vgl. darüber Sitzungsberichte 1907, S. 82 und S. 373)
ist im wesentlichen druckfertig.
Band 2. Aus den Anfängen der schlesischen Kanzleisprache: der
Text ist im wesentlichen druckfertig.
Humsoror- Stiftung.
Bericht des Hrn. WALDEYER.
Die für 1907 verfügbaren Mittel im Betrage von 9000 Mark sind
als zweite Rate Hrn. Dr. WArTtHEeR von Kneger zu seinen vulkano-
logischen Studien auf Island überwiesen worden.
Leider ist die Expedition des Hrn. vos Kxeser durch den Tod
ihres Leiters, der diesen bei der Erforschung des vulkanischen Gebietes
von Askja ereilte, jählings unterbrochen worden. Obwohl keine absolute
Sicherheit vorliegt, muß angenommen werden, daß Hr. vox Kxeser mit
einem seiner Begleiter, dem Maler Ruprorr, beim Befahren eines der
Kraterseen der genannten Gegend ertrunken ist. Es sind, zum Teil auf
Kosten der Stiftung, weitreichende Nachforschungen zur Aufklärung des
Unglücksfalles unternommen worden, haben aber bis jetzt noch nicht zur
Auffindung der Leichen oder zu bestimmten Anzeichen geführt, daß in
108
Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
der Tat der Tod durch Ertrinken erfolgt sei. Nach den Berichten des zur
Zeit der Katastrophe in einer andern Gegend des Askjagebietes tätigen
zweiten Begleiters des Hrn. vos Kseger, des Hrn. SpETHmAns, sowie
des Konsuls Havsrern bleibt aber kaum eine andre Annahme als die
vorhin angegebene bezüglich des Unglücksfalles übrig. Die geologisch-
paläontologische Wissenschaft verliert in Hrn. vox Kxeser eine ihrer
tüchtigsten jungen Kräfte! — Falls noch aus dem Nachlasse des
Hrn. von Knesen wissenschaftliche Mitteilungen über die Expedition
sich ermöglichen lassen, wird über diese später berichtet werden.
Von frühern Unternehmungen der Hungorpr-Stiftung liegen eine
ganze Anzahl von Veröffentlichungen vor:
T.
II.
IV.
vr
Weitere Ergebnisse der Planktonexpedition.
Bd. 2. Ha: Karı ZeLmka, Die Rotatorien.
Bd. 3. La: Karı Branpr, Die Tintinnodeen. Systema-
tischer Teil.
. Lf3: A. Pororskv, Die Acantharia. Teil 2: Acan-
thophracta.
Bd. 3. Lh4: A. BoreerT, Die tripyleen Radiolarien. Me-
dusettidae. Kiel und Leipzig 1906/07.
H. Bückısse, Über die Phonolithe der Rhön und ihre Be-
ziehungen zu den basaltischen Gesteinen. Sitzungsber. d.
Berl. Akad. d. Wiss. 1907, XXXWVLJ, ı8. Juli, S. 669— 699.
Eine zweite Publikation von Hrn. Bückme aus 1907 be-
findet sich lediglich bei den Stiftungsakten.
W. Vorz, Vorläufiger Bericht über eine Forschungsreise zur
Untersuchung des Gebirgsbaues und der Vulkane von Sumatra
in den Jahren 1904— 1906. Sitzungsber. d. Berl. Akad. d.
Wiss. 1907, VI, 7. Februar, S. 127—140.
Derselbe, Das geologische Alter der Pithecanthropusschichten
bei Trinil, Ost-Java. Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geo-
logie und Paläontologie. Festband 1907, S. 256—-271.
L. Scuurzze, Aus Namaland und Kalahari. Bericht an die
Kgl. Preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin über
eine Forschungsreise im westlichen und zentralen Südafrika,
ausgeführt in den Jahren 1903—1905. Jena 1907.
Bd.
Os
Von der durch Hrn. Tuıwextws ausgeführten Forschungsreise
nach Australien, die insbesondere der Untersuchung von
Hatteria gewidmet war, sind eine Reihe weiterer Publi-
kationen, die von Hrn. Prof. BurckuAarvr in Basel und unter
dessen Leitung verfaßt worden sind, eingelaufen.
1. Jura Gist: Das Gehirn von Hatteria punetata, Naum-
burg a. S., Lippert & Co., 1907.
Jahresberichte der Stiftungen. 109
2. Ernst SauerBeck, Basel: Eine Gehirnmißbildung bei
Hatteria punctata. Nova acta. Abh. der Kais. Leop.-
Carol. deutschen Akademie der Naturforscher, Bd. LXXXV
Nr. ı, Halle 1905.
3. Run. Burcxnarpt, Basel: Das Zentralnervensystem der
Selachier. Ebendaselbst, Bd. LXXII Nr. 2, Halle 1907.
Dieses Werk Burcknarprs beruht zum Teil auf‘ Material,
welches ihm durch Hrn. Tuıuextus übergeben worden war.
VI. Eine Reihe von Veröffentlichungen des Hrn. Prof. Dr.
H. Kraarscn in Breslau über die Ergebnisse seiner austra-
lischen Reise, im ganzen zwei weitere Reiseberichte, ab-
gedruckt in der Zeitschrift für Ethnologie 1906 und 1907,
ferner »Ergebnisse meiner australischen Reise«, Korre-
spondenzblatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie,
Ethnologie und Urgeschichte. XXXVII. Jahrgang, Nr.9— 12,
Braunschweig 1907.
Die für 1908 verfügbaren Mittel betragen in runder
Summe 3300 Mark.
Surıenr- Stiftung.
Bericht des Hrn. Brunner.
I. Vom Vocabularium Jurisprudentiae Romanae ist im verflossenen
Geschäftsjahre Band II, Heft ı (daetylotheca — doceo), bearbeitet von
Hrn. GrurEe in Buschweiler erschienen. Von Band III, dessen Be-
arbeitung Hr. Hrsky in Wien übernommen hat, sind die beiden ersten
Bogen (habeo) gedruckt. Bogen 3 ist im Satz. Der Bearbeiter des
vierten Bandes, Hr. Braszıorr in Wien, hat noch kein Manuskript
eingeliefert. Von Band V (v—z) sind die ersten 5 Bogen (radieitus —
rescribo) gedruckt. Mit der Herstellung weiteren Manuskriptes ist der
Bearbeiter, Hr. Vorkmar in Berlin beschäftigt.
II. Über die Neubearbeitung von Homrvers Werk »Die deutschen
Rechtsbücher und ihre Handschriften« berichten die HH. BorchLine
in Posen und Juris Gierke in Königsberg, daß das Verzeichnis der
Handschriften ergänzt und berichtigt und eine Anzahl von Nummern
druckfertig gestellt worden sei. Durch Aufnahme der Handschriften
des alten Kulm und der landläufigen Kulmischen Rechte hat das
Verzeichnis einen Zuwachs von etwa 30 Nummern erfahren. Die im
vorjährigen Berichte in Aussicht genommene Reise nach Schlesien,
Sachsen und Böhmen hat Hr. Borcnuins wegen Erkrankung auf
Ostern 1908 verschieben müssen.
Sitzungsberichte 1908. 12
110 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
IN. Über die Arbeiten an dem zweiten Band der Magdeburger.
Schöffensprüche ist ein Bericht in diesem Jahre nicht eingelaufen.
IV. Von den für das Jahr 1906 verfügbaren Zinsen der SavıcnY-
Stiftung sind 3 200 Mark für die Zwecke des Wörterbuchs der älteren
deutschen Rechtsprache und ı 200 Mark Hrn. Herrmann U. Kantorowicz
für die Herausgabe des inzwischen erschienenen ersten Bandes seines
Werkes: »Albertus Gandinus und das Strafrecht der Scholastik« be-
willigt worden.
Bopp- Stiftung.
Bericht der vorberatenden Kommission.
Am 16. Mai 1907 hat die Königliche Akademie der Wissen-
schaften den Jahresertrag der Borp-Stiftung in zwei Raten verliehen,
und zwar die größere Rate in Höhe von goo Mark Hın. Prof.
Dr. Max WArtEser in Säckingen in Anerkennung und zur Fortsetzung
seiner Arbeit über die philosophische Grundlage des älteren Buddhis-
mus, die kleinere von 450 Mark Hrn. Oberlehrer Dr. Jouanses HERTEL
in Döbeln zur Fortsetzung seiner Arbeiten über die Geschichte des
Paäcatantra.
Herrmann und Erise geb. Hrckmann WEnTzeL- Süftung.
Bericht des Curatoriums.
Aus den im Jahre 1907 verfügbar gewordenen Stiftungserträg-
nissen sind bewilligt worden:
6000 Mark zur Fortführung des Wörterbuchs der deutschen
Rechtssprache,
4000 Mark zur Fortführung der Ausgabe der ältesten grie-
chischen christlichen Schriftsteller,
4000 Mark zur Fortführung der Prosopographie der römischen
Kaiserzeit, Jahrh. IV— VI,
4000 Mark als zweite Rate der Beihülfe zur Herausgabe des
Vorırzkow’schen Reisewerkes,
ı000 Mark als erste Rate eines Zuschusses zur Herausgabe
einer Karte des westlichen Kleinasiens von Prof. A. Prıuippson.
Der letztgenannte Reisende der Stiftung bearbeitet auf Grund
seiner Aufnahmen zunächst eine topographische Karte im Massstab
1:300000, die Kleinasien vom Aegäischen Meer bis 30° 10’ Ost v. Gr.
umfassen und in 6 Blättern bei J. Perthes in Gotha erscheinen soll.
Das Curatorium hat beschlossen, dieses Unternehmen mit dem vom
Jahresberichte der Stiftungen. Ar]
Verleger verlangten Zuschuss zu unterstützen, während weiter eine
geologische Ausgabe nach Vollendung der topographischen Karte von
der Verlagshandlung veranstaltet werden wird.
Der Druck an den Bänden I und IV des Vorsrzkow’schen Reise-
werkes ist fortgegangen, erschienen ist im Berichtsjahr das 2. Heft
von Bd. II mit neun kleineren entomologischen Arbeiten.
Über den Fortgang der älteren Unternehmungen der Stiftung
berichten die hier folgenden Anlagen I und I.
Anl.1.
Bericht der Kirchenväter-Commission für 1907.
Von Hrn. Harnack.
An Stelle des verstorbenen Mitglieds der Commission, Hrn. von
GEBHARDT, wurde Hr. Horr, ordentl. Professor der Kirchengeschichte
an der Universität Berlin, gewählt.
1. Ausgabe der griechischen Kirchenväter.
In dem Jahre 1907 ist der ı7. Band der Kirchenväter- Ausgabe
erschienen, nämlich:
Eusebius, Werke Bd. 2, Teil 2: Die Kirchengeschichte, Buch
VI—X (hrsgeg. von Scnwartz und Monusen t).
Im Druck befinden sich zwei Bände, nämlich:
Der Einleitungsband zur Kirchengeschichte des Eusebius (hrsgeg.
von SCHWARTZ), und
Die Apokalypse des Esra (hrsgeg. von Viorer).
Der Vollendung nahe ist das Manuskript für die Drucklegung
des Werks /Iepi äpxov des Origenes (hrsgeg. von Korrsonav).
Eine größere Unterstützung, um sich ganz der Vollendung der
Ausgabe des Clemens Alexandrinus widmen zu können, erhielt Hr.
Sränzın. Ferner wurden beträchtliche Summen auf Herstellung photo-
graphischer Reproduktionen von Handschriften verwendet (für die
Arbeiten der HH. Enurnarp, Preuscuen, Bipez, PARMENTIER, STÄHLIN
und Frl. von Weper). Durch diese Reproduktionen wurden kostspielige
Reisen, die sonst nötig gewesen wären, vermieden. Unterstützt wurde
endlich Hr. Kırsr zur Vollendung seiner Ausgabe des armenischen
Eusebius.
Von dem » Archiv für die Ausgabe der älteren christlichen Schrift-
steller«, in dessen Redaktion Hr. Carr Scnmivr an Stelle des Hrn. von
GEBHARDT eingetreten ist, wurden sechs Hefte ausgegeben, nämlich:
Bd. XVI (XXXD Heft 2a: Boxnwerscn, Die unter Hippolyts
Namen überlieferte Schrift über den Glauben.
12*
112 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Bd. I(XXXT) Heft 2b: Kocn, Vincenz von Lerinum und Gennadius.
Derselbe, Virgines Christi. Die Gelübde der gottgeweihten
Jungfrauen in den ersten drei Jahrhunderten.
Bd. I (XXXI) Heft 3: Scuervmann, Propheten- und Apostel-
legenden. Nebst Jüngerkatalogen des Dorotheus usw.
Bd. I (XXXI) Heft 4: ScnarkHuausser, Zu den Schriften des
Makarios von Magnesia.
Bd. II (XXXI) Heft 1: Carr Scnmprt, Der erste Glemensbrief
in koptischer Übersetzung.
Bd. II (XXX) Heft 2a: Dousart, Zur Textgeschichte der
Civitas Dei Augustins.
2. Prosopographia imperii Romani saec. IV—VI.
Die Arbeiten gingen in ordnungsgemäßer Weise fort. Hr. Jürıcner,
der Leiter der kirchengeschichlichen Abteilung, ist, nachdem das Ma-
terial so gut wie abgeschlossen vorliegt, mit der Gestaltung und kritischen
Ordnung desselben beschäftigt. Hr. Serex, der Leiter der profange-
schiehtlichen Abteilung, läßt, nachdem die Untersuchung des Libanius
abgeschlossen ist, nunmehr die großen byzantinischen Chronographen
und Literarhistoriker sowie neben den lateinischen auch die griechischen
Inschriftenwerke exzerpieren. Die Arbeit an den letzteren ist durch
Hrn. GroAs und seine Mitarbeiter sehr gefördert worden. Unter der
Leitung der HH. Enrnarn und Preiwscrirrer wurde die Exzerpierung
der Acta Sanetorum fortgesetzt und nähert sich dem Abschlusse.
Anl. Il.
Bericht der Kommission für das Wörterbuch der deutschen Rechtssprache,
für das Jahr 1907.
Von Hrn. Brunner.
Die akademische Kommission in Sachen des Rechtswörterbuchs
trat am 7. April 1907 in Heidelberg zu ihrer siebenten Sitzung zu-
sammen. Anwesend waren die HH. Brunner, FRENSDORFF, ROETHE,
SCHROEDER, Freiherr von Schwinn und die Herren Mitarbeiter Freiherr
Dr. von Künssgere, Dr. Prrers und Dr. Wanur. Die Kommission prüfte
den Stand des Zettelarchivs durch Stichproben, beriet über Quellen,
die noch verzettelt oder ausgezogen werden sollen und über die im
Entwurf vorgelegten Siglenverzeichnisse. Auf Grund der Prüfung des
Archivbestandes beschloß sie die Ausarbeitung der Wortartikel zu-
nächst für die Rechtswörter von A bis Am systematisch in Angriff
zu nehmen. Für/diese soll eine Wortliste angelegt und zum Zweck
der Überprüfung und der Verteilung der Wortartikel in Umlauf ge-
setzt werden.
Jahresberichte der Stiftungen. 13
Berieht des Hrn. ScuroEDER.
Entsprechend den von der Kommission gefaßten Beschlüssen wurde,
unter zeitweiliger Zurückstellung anderer Arbeiten, eine Stammliste
der Rechtswörter von A bis Am angelegt: ebenso eine Liste der
im Wörterbuche zu verwendenden Siglen, nachdem ein erster Ent-
wurf bei der Kommission in Umlauf gesetzt und von dieser begut-
achtet worden war. Beide Listen sollen vervielfältigt und den Be-
arbeitern zugestellt werden. Von den Hilfsarbeitern Dr. von Künssgere,
Dr. Prrers und Dr. Want wurden einzelne, dem Buchstaben A an-
gehörige Probeartikel verfaßt und der Kommission ‚zur Begutachtung
vorgelegt. Am ı. November ist Dr. jur. Fernımann Birser als weiterer
ständiger Hilfsarbeiter eingetreten, so daß die dureh die anderen Auf-
gaben verursachten Rückstände nunmehr werden aufgearbeitet werden
können.
Die Vervielfältigungsarbeiten sind durch Anschaffung einer Schreib-
maschine wesentlich erleichtert worden. Als Grundstock für eine als
unentbehrlich erkannte Handbibliothek wurden verschiedene Wörter-
bücher angekauft, für welche die Kommission die Mittel bewilligt hat.
Die Beschleunigung der Arbeiten hat dadurch eine wesentliche Förde-
rung erfahren.
In den Zettelschatz des Archives wird auch das bisherige Rechts-
wörterverzeichnis aufgenommen, obwohl die Umschreibung auf die für
das Archiv bestimmten Zettelformulare einen großen Arbeitsaufwand
erfordert. Der Umfang des Zettelschatzes hat sich in dem abgelaufenen
Jahre bedeutend vermehrt und dürfte die Zahl von 500000 bereits
übersteigen. Über die im Laufe des Jahres ausgezogenen Quellen gibt
das unten folgende Verzeichnis Auskunft. Das Neuhinzugekommene
ist weniger zahlreich als in den letzten Jahren, weil die ständigen
Hilfsarbeiter sich wegen der anderen Aufgaben weniger mit dem Ex-
zerpieren beschäftigen konnten.
Auch im Jahre 1907 sind uns eine Reihe erwünschter Einzel-
beiträge, zumal solcher aus ungedruckten Quellen, zugegangen, so
insbesondere von den HH. Prof. von Anmıra in München, Dr. Birser in
Wien (jetzt Heidelberg), Landesgerichtsrat H. Brank in St. Peter in
der Au, Dr. Fruume und Dr. Fınkz in Heidelberg, Prof. Förster in
Würzburg, Oberst a. D. Freiherrn von Gurrengere in Würzburg,
Dr. Hrerwacen in Nürnberg, Prof. Hıs in Königsberg, Dr. Könıger in
München, Oberarchivassessor Dr. Menkıne in Stuttgart, Dr. jur. LANBERT
Graf von ÖBernporrr in Heidelberg, Archivar Dr. Scnauss in Wies-
baden, Oberbibliothekar Geh. Hofrat Dr. Wırxx in Heidelberg. Möge der
überaus dankenswerte Vorgang der genannten Herren in immer weiteren
_
114 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Kreisen Nachahmung finden. Bei den Arbeiten der Wiener Kommission
war die Unterstützung durch Hrn. Prof. Zyena in Prag hinsichtlich der
Ausbeutung der deutsch-böhmischen Quellen besonders wertvoll.
Verzeichnis der im Jahre 1907 ausgezogenen Quellen.
(Die Beiträge der österreichischen Kommission sind mit ** bezeichnet.)
Abel, P., Veraltende Bestandteile des mhd. Wortschatzes. 1902: Dr. von KünssBErG.
Althochdeutsche Glossen, gesammelt und bearbeitet von Steinmeyer und Sievers
(fortgesetzt): Dr. von Künsspere.
Augsburg, Stadtrecht (vollendet): Dr. Cosrenzer, München.
Bech, F., Lexikalische Beiträge aus Pegauer Handschriften des 14. und ı5. Jhs. 1887:
Dr. von Künssgere.
**Beiträge zur Kunde steirischer Geschichtsquellen. ı2. bis 26. Jahrg.: jur. Baver,
Wien (Seminar von Schwind).
Berlinisches Stadtbuch, hrsg. v. Clauswitz 1883: Dr. E. Brure, Berlin.
Berthold von Regensburg, hg. Pfeiffer u. Strobl. Wien 1862. 1880: Dr. KotzEngErs,
Berlin.
Bibliothek der ältesten deutschen Literaturdenkmäler, 2. bis 5.: Dr. von KünssgeEre.
Bremen, Urkundenbuch, hrsg. R. Ehmck und W. von Bippen, ı. und 2.: Assessor
W. Ernst, Berlin.
Bogen, Privileg von 1341 (Verh. d. hist. Ver. f. Niederbayern 43, 107): Dr. Paur
Hrapır, Graz.
Chroniken der deutschen Städte, ıo. und ıı.: Dr. Schmeipter, Berlin.
*Egerer Schöffengericht, Achtbuch 1310— 1390, ı. Teil, hrsg. v. Sigl: jur. F. Saupny,
Prag (Seminar Zycha).
Emdener Brücheregister 15. Jh. Jahrb. d. Ges. f. bild. Kunst zu Emden. 7, 14 fl.:
Prof. Hıs, Königsberg.
Fruin, De middeleeuwschen rechtsbronnen der kleinen steden van het sticht van
Utrecht, 1. und 2.: Prof. van VLEUTEN, Lausanne.
Gesamtabenteuer, hrsg. F. H. von der Hagen, 3 Bde.: Dr. Korzengere, Berlin.
Johansen, Chr. Die nordfriesische Sprache. Kiel 1862: Dr. Wanr, Frankfurt a. M.
Kehrein, J., Sammlung alt- und mitteldeutscher Wörter aus lateinischen Urkunden
1863: Dr. von KünssgEre.
Klöntrupp, Alphabetisches Handbuch der Rechte des Hochstifts Osnabrück, 3 Bde.:
Dr. von Künssgere.
Lamprecht, K., Deutsches Wirtschaftsleben, 3.: Privatdozent Dr. von Mörrer, Berlin.
Landshut, Bestätigungsbrief 1321 (Verh. d. hist. Ver. f. Niederbayern 18, 81): Dr.
PAur Hrapvır, Graz.
Liebegott, Der Brandenburgische Landvogt. Halle 1906: Dr. LroroLn Prrers.
“Magdeburger Schöffensprüche für Brüx, hrsg. v. Schlesinger (Mitt. d. Ver. f. Gesch.
der Deutschen in Böhmen 21): jur. W. Langer, Prag (Seminar Zycha).
Monumenta Boica, 45. und 46. (teilweise): Dr. Oserseıper, München.
*Monumenta historica ducatus Carinthiae, 3. und 4.: Prof. Puntscnarr, Graz.
*Monumenta Egrana, hrsg. v. H. Gradl, Bd. 1: jur. J. Gorz, Smichow (Seminar Zycha).
Monumenta Germaniae historica, Diplomatum Karolinorum tomus I: Dr. Lrororn
PErELS.
"*Monumenta Hungariae juridico-historiea, tom. V, pars 2: jur. R. Zankn, Wien
(Seminar von Schwind).
Monumenta Zollerana, 3. und 4.: Dr. H. Hrerwasen, Nürnberg.
Neue Mitteilungen aus dem Gebiet hist.-antiqu. Forschungen, 21. Bd.: Rechts-
praktikant L. Kewuwer, Karlsruhe.
*Olmütz, Stadtbuch des Wenzel von Iglau, hrsg. v. Saliger: jur. F. Bauer, Prag
(Seminar Zycha).
“Privilegien der Stadt Eger, hrsg. v. Gradl: jur. J. Gorz, Smichow (Seminar Zycha).
*Quellen zur Geschichte der Stadt Wien. II, 3: Dr. Paur Hravır, Graz.
Rheinische Urbare, Bd. ı: Dr. Bırger.
Salbücher des Amtes Marburg. Zeitschr. d. Ver. f. hess. Gesch. NF. 29, 172:
Prof. Hıs, Königsberg.
Jahresberichte der Stiftungen. 115
*Salzburg, Landesordnung 1328: jur. R. ZankL, Wien (Seminar von Schwind).
Sankt Gereon, Urkundenbuch von: Dr. Bırcer.
*Schlesinger, Deutsch-böhmische Dorfweistümer: jur. H. Terscn, Prag (Seminar Zycha).
Schück, R., Brandenburg-Preußens Kolonialpolitik. 2 Bde.: Dr. Leororv Pereıs.
Schwabenspiegel, Lehnrecht (vollendet): Assessor W. Ernst, Berlin.
Sello. Beiträge z. Geschichte d. Landes Würden, Oldenburg 1841: Prof. Hıs, Königsberg.
Siegburg. Quellen zur Rechts- u. Wirtschaftsgeschichte der rheinischen Städte.
I. Siegburg: Prof. van Vreuren, Lausanne.
*Stadtbuch von Falkenau, hrsg. v. Rietsch: jur. LAnGHAmmer, Prag (Seminar Zycha).
Steiermark, Urkundenbuch von, hrsg. v. Zahn, 1. und 2.: Dr. von Künssgere.
*Tomaschek, Deutsches Recht in Österreich: jur. Hupzcık (Seminar Zycha).
* Trient, Die ältesten Statuten, hrsg. v. Tomaschek: jur. Zankr (Seminar von Schwind).
Uhland, Alte hoch- u. niederd. Volkslieder: Dr. von Künssgere und E. Rosescekr.
Westfälisches Urkundenbuch, D, 3. und 6.: Dr. von Künssgere.
Wirtembergisches Urkundenbuch, 9. und ro.: Dr. Menrıng, Stuttgart.
Württembergische Geschichtsquellen, hrsg. v. Statist. Landesamt, 1. bis 4.: Dr.
Menrıng, Stuttgart.
Württembergische Geschichtsquellen, hrsg. v. d. Kommission f. Landesgeschichte,
2. bis 4.: Dr. Menrıne, Stuttgart.
Akademische Jubiläums-Stiftung der Stadt Berlin.
Bericht des Hrn. WALDEYER.
Im Jahre 1906 sind die Verhandlungen mit Frau Prof. SeLenkA,
München, über neue Ausgrabungen in Trinil auf Java zum Abschlusse
gekommen. Der Zweck des Unternehmens war einmal, das geologische
Alter der betreffenden Schichten nach Möglichkeit genau festzustellen
und dann nach etwaigen weitern Resten von Pithekanthropus zu
suchen. Da feststand, daß die betreffende Fundstätte noch ein großes
Material wichtiger Fossilien birgt und die Berliner Museen von Trinil
nur wenig besitzen, so erschien das Unternehmen, selbst wenn keine
weitern Pithekanthropusfunde gemacht würden, dennoch empfehlens-
wert.
Frau Serenka hat in Begleitung der HH. Dr. Erserr und Dr.
Moszkowskı im Frühjahr 1907 ihre Reise angetreten, und die Aus-
grabungen sind bis zum 15. Oktober 1907 fortgesetzt worden. Leider
traten zwischen Frau Prof. Serenka und ihren obengenannten wissen-
schaftlichen Beratern Mißhelligkeiten auf; indessen ist eine reiche Aus-
beute von Fossilien gemacht worden, von denen ein Teil bereits in
Berlin eingetroffen ist, der Rest in Kürze erwartet werden darf. Für
Hrn. Dr. Erserr trat auf einige Zeit Hr. Dr. Drxıseer (Freiburg i. B.)
ein und zuletzt Hr. Dr. Carruaus in Java. Sobald sämtliches Fund-
material eingetroffen ist, wird die Bearbeitung desselben in Angriff
genommen werden.
Für das Jahr 1908 stehen in runder Summe abermals 14000 Mark
zur Verfügung.
116 Öffentliche Sitzung vom 23. Januar 1908.
Die Jahresberichte über die Monumenta Germaniae historica, das
Kaiserliche Archaeologische Institut und den Thesaurus linguae latinae
werden in den Sitzungsberichten veröffentlicht werden, nachdem die
betreffenden Jahressitzungen stattgefunden haben.
Schliesslich wurde über die seit dem Frırprıcns-Tage 1907
(24. Januar) bis heute unter den Mitgliedern der Akademie einge-
tretenen Personalveränderungen Folgendes berichtet:
Die Akademie verlor durch den Tod die ordentlichen Mitglieder
der physikalisch-mathematischen Classe Wırnern von BEzoLn, Kar
Krrın und Hermann Karı VoGEL; die auswärtigen Mitglieder derselben
Classe MaArceLin BErRTHELOT in Paris und Lord Kervın in Netherhall,
Largs; das Ehrenmitglied Se. Majestät König Oskar Il. von Schweden;
die correspondirenden Mitglieder der physikalisch-mathematischen
Ölasse Damrrees MENDELEJEW in St. Petersburg, Henrı Moıssan in Paris
und Morırz Lorwy in Paris; die correspondirenden Mitglieder der
philosophisch-historischen Classe Fernımann Justı in Marburg, Antonıo
Marıa Crrıanı in Mailand, Frieprıcn Brass in Halle a. S., THEODOR
Aurreent in Bonn und Kuxo Fıscuer in Heidelberg.
Neu gewählt wurden zum ordentlichen Mitglied der physikalisch-
mathematischen Classe Hemsıch Rugens; zum ordentlichen Mitglied
der philosophisch-historischen Olasse AnprrAsS HEUSLER; zu correspon-
direnden Mitgliedern der physikalisch-mathematischen Classe Kar
GrAEBE in Frankfurt a. M. und Orro Warracu in Göttingen; zu cor-
respondirenden Mitgliedern der philosophisch - historischen (lasse
Frieorıcn von Bezorn in Bonn, Arruur Unugurr in Villemomble (Seine),
GABRIEL Monon in Versailles, Morız Rırter in Bonn, CUnkristian HüLsen
in Rom, Bernarp Haussousuıer in Paris, Kar Rogerr in Halle a. S.,
EpuArnD SCHwWARTZz in Göttingen, Jaues Henry BrEASTED in Chicago und
Jurivs Eurine in Strassburg.
Ausgegeben am 30. Januar.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
Gesammnitsitzung am 30. Januar. (S. 117)
In Scnortkr: Über Beziehungen zwischen veränderlichen Grössen, die auf gegebene Gebiete be-
iR schränkt sind. I. (S. 119)
Fischer und F. Wrepe: Über die Bestimmung der Verbrennungswärme organischer Verbindungen
mit Benutzung des Platinwiderstandsthermometers. (S. 129)
BERLIN 1908.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.
1908. V
1 SITZUNGSBERICHTE
| | KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
Ü AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften.
Aus $.
Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei
fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberiehte
der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «
und » Abhandlungen der Königlich Preussisechen Akademie
der Wissenschaften«.
Aus $ 2,
Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die
»Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka-
demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel
das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nicht-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.
$3.
Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll
in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32,
bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift
der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen
von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand-
lungen nicht übersteigen.
Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung
der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt-
haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu
beantragen. Lässt der Umfang eines Manuseripts ver-
muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde,
so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen
von sachkundiger Seite auf seinen muthimasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lassen.
SA.
Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder
auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die
Vorlagen dafür (Zeiehnungen, photographische Original-
aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch
auf getrennten Blättern, einzureichen.
Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in
der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten
aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so
kann die Akademie dazu eine Bewilligung besehliessen. Ein
darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be-
treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage
eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu
richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und
weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln.
Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka-
demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten
ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren
handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen
beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er-
forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark,
bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung
durch das Secretariat geboten.
Aus $5.
Nach der Vorlegung und Einreichung des
vollständigen druckfertigen Manuseripts an den
zuständigen Secretar oder an den Archivar
wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen
Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit-
glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt.
Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder
der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die
Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine
Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Niehtmitgliedes
in die dazu bestimmte Abtheilung der » Abhandlungen«e,
so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung dureh die
Gesammt-Akademie.
(Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.)
Aus $6.
Die an die Druckerei abzuliefernden Manuseriptemüssen,
wenn es sieh nicht bloss um glatten Text handelt, aus-
reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes
und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen
Fremder sinı diese Anweisungen von dem vorlegenden
Mitgliede vor Einreichung des "Manuseripts vorzunehmen.
Dee hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser
seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht.
Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die
Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das
vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach
Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern
und leieltten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche
Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi-
girenden Seeretars vor der Einsendung an die Druckerei,
und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr-
kosten verpflichtet. ;
Aus $8.
Von allen in die Sitzungsberiehte oder Abhandlungen
aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden,
Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von
wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im
Druck 4 Seiten übersteigt, auch fürden Buchhandel Sonder-
abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be-_
treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden.
Von Gedächtnissreden werden ebenfalls Sonderabdrucke
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären.
89.
Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberichten
erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei-
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis
zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Seeretar an-
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt-Akalemie oder der be-
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei-
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen lassen.
Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er-
hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei-
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten der Akalemie weitere Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis
zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar an-_
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be-
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 Frei-
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen lassen. .
8 17.
Eine für die akademischen Schriften be-
stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf
in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jene)
Stelle anderweitig, sei es auch nur BUSELER
117
SITZUNGSBERICHTE 1908.
V.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
30. Januar. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
*1. Hr. Lenz las über einen Reformversuch des Ministers von Massow
in Bezug auf die medieinischen Unterrichtsanstalten des preussischen
Staates (1802).
Der Plan war ein Stück der Unterrichtspolitik Massow’s, die eine Auflösung
der Universitäten in Fachschulen bezweckte. Den Beginn machte er mit der Mediein,
da es hier bereits eine Fachschule gab, das Collegium medieo-chirurgieum in Berlin.
Massow wollte dieselbe zu einer Oberschule für den praktischen Unterricht machen, den
theoretischen Unterricht aber auf zwei Facultäten (Halle und Königsberg; Frankfurt
und Duisburg sollten aufgehoben werden) beschränken. Hierzu hatten Reır und Hure-
ran zwei Gutachten geschrieben, deren Differenzen unter einander, wie zu Massow’s
Ideen geschildert wurden, woran sich eine vergleichende Charakteristik beider grossen
Ärzte schloss.
2. Hr. Scnorrky machte eine zweite Mittheilung über Beziehun-
gen zwischen veränderlichen Grössen, die auf gegebene Ge-
biete beschränkt sind.
Die Mittheilung gibt eine Fortsetzung der Untersuchungen, deren erster Theil
sich im Sitzungsbericht der physikalisch-mathematischen Classe vom 19. December
1907 findet.
3. Hr. Pıscuer legte eine Mittheilung des Hrn. Dr. E. Sırc in
Berlin vor: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus
Chinesisch-Turkistan. (Ersch. später.)
Die Mittheilung ist eine Fortsetzung der in den Sitzungsberichten von 1907,
S.466 ff. veröffentlichten Arbeit. Sie gibt drei neue Bruchstücke, eins in Särada-,
zwei in Brähmi-Schrift, von denen die beiden letzten die Grammatik mit Commentar
enthalten. Durch das unter II behandelte Bruchstück wird der Werth einiger bisher
unbekannter Lautzeichen bestimmt.
4. Die folgenden Druckschriften wurden vorgelegt: Inscriptiones
Graecae. Vol. XII. Inseriptiones insularum maris Aegaei praeter Delum.
Fasc. 7. Inseriptiones Amorgi et insularum vieinarum ed. I. Delamarre.
Berolini 1908; A. Harnack, Die Apostelgeschichte. (Heft III der Bei-
träge zur Einleitung in das Neue Testament.) Leipzig 1908; L. De-
Sitzungsberichte 1908. 13
118 Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908.
vıste, Recherches sur la librairie de Charles V. Paris 1907; Souvenirs
du Baron de Frenilly. Publies par A. Cuuqurr. Paris 1908; P. Ascner-
son und P. GrAEBNer, Synopsis der mitteleuropäischen Flora. Lief. 54. 55.
Leipzig 1907; Libanii opera rec. R. Forrster. Vol. 4. Lipsiae 1908.
Die Akademie hat das eorrespondirende Mitglied ihrer philo-
sophisch-historischen Classe Baron Vıcror von Rosen in St. Peters-
burg am 23. Januar durch den Tod verloren. |
Scaowrxv: Über Beziehungen zwischen ebenen Flächen. 11. 119
Über Beziehungen zwischen veränderlichen Grössen,
die auf gegebene Gebiete beschränkt sind.
Von F. ScuoTTtkY.
Zweite Mittheilung.
$ 3.
Un die Art der Transformationen genauer festzustellen, die y er-
fährt, wenn x einen Grenzpunkt oder eine Grenzlinie von A umkreist,
nehmen wir an, dass die einzelnen Grenzlinien reguläre analytische
Curvenzüge sind, z. B. vollständige Kreise oder Ellipsen. Darin liegt
keine wesentliche Beschränkung, da man durch conforme Abbildung
der Fläche immer erreichen kann, dass die Randlinien reguläre
Curven werden.
Wesentlicher ist folgendes. Wir fordern von der aufzustellenden
Beziehung (x, y), dass y nicht nur im Innern, sondern auch an den
Randlinien von A eine reguläre Function von x ist, dass ferner in
der Nähe jedes Grenzpunktes entweder y selbst, oder eine reelle
lineare Function von y, sich darstellen lässt in der Form —ilog(E),
wobei E eine Function von x bedeutet, die an der betrachteten
Grenzstelle regulär ist und in ihr von der ersten Ordnung verschwindet.
In den durchgeführten Speecialfällen sind diese Annahmen erfüllt.
Die Frage, ob und in welcher Weise sie sich als nothwendige Folge
der alten Voraussetzungen herausstellen, kann übergangen werden.
Aus der zweiten Annahme folgt, dass bei der Umkreisung des
Grenzpunktes a jeder Zweig von y eine lineare Transformation erfährt,
deren sich selbst entsprechende Punkte zusammenfallen. Es ist also
nur ein Werth, dem ein Zweig von y zustrebt, wenn man x den
Punkt a unendlich oft umkreisen lässt, im positiven oder im negativen
Sinne. Es ist dies zugleich der reelle Werth, den y im Punkte a hat;
denn log (E) wird sowohl dadurch unendlich, dass man x unendlich
oft den Punkt a umkreisen lässt, als auch dadurch, dass x sich dem
Punkte a nähert.
120 Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908.
Definirt man ferner eine Grösse p durch die Gleichungen
dy I d’u
BE ur ge
so ist p eine im Innern und an der Grenze von A eindeutige
reguläre Function von x. Sie verschwindet für x = co, falls dieser
Punkt nicht zu den Grenzpunkten gehört, von der vierten Ordnung.
Unendlich wird sie nur in den Grenzpunkten, und zwar von der
zweiten Ordnung; das Produet («—.a)’ p hat den Werth 4 für 2= a.
In dem besonderen Fall, wo nur Grenzpunkte vorhanden sind
und keine Grenzlinien, ist demnach p eine rationale Function von «.
Bestimmt man, den obigen Angaben entsprechend, den Ausdruck
von p, so enthält derselbe, abgesehen von den Werthen a, noch
eine Reihe von Üoeffiecienten, die zunächst willkürlich sind; sie sind
natürlich so zu bestimmen, dass die linearen Transformationen, die
y erfährt, wenn x die singulären Punkte umkreist, reell werden.
Da y in der ganzen x-Ebene, abgesehen von den singulären
Punkten, nur Werthe annimmt, deren zweite Goordinate positiv ist,
so ist die eindeutige Function & = \(y) nicht über die Grenze der
positiven Halbebene fortsetzbar.
Wir lassen jetzt diesen speciellen Fall beiseite. Der Voraus-
setzung nach ist y an den Randlinien regulär, also fortsetzbar über
die Grenze von A hinaus. Es nimmt ausserdem y an den Randlinien
nur reelle Werthe an. Denn denken wir uns von einem Punkte x,
im Innern von A, beliebig nahe einer Randlinie, eine kleine Strecke
xx, gezogen, die durch die Grenze hindurchgeht, so muss auch die
entsprechende Linie Y,y, durch die Grenze von B hindurchgehn; an-
dernfalls würde der inneren Linie y,y, eine Linie x,x, entsprechen,
die das Innere von A verlässt, was unmöglich ist.
Es sei y, der reelle Werth, den ein Zweig von y in dem Punkte
x, einer Randlinie annimmt. Dann kann y—y, im Punkte &, nur
von der ersten Ordnung verschwinden, denn sonst würde y nicht
nur auf der Randlinie reell sein, sondern auch auf bestimmten von
x, aus in das Innere von A führenden Linien. Dies ist unmöglich.
Hieraus folgt, dass die Funetion /(y) in dem Punkte y, der Grenze
von B regulär ist. Ist andererseits y, ein Punkt auf der Grenze
von B, in dem sich \(y) regulär verhält, dann muss der entsprechende
Punkt &, = \(y.) auf einer Randlinie von A liegen, und es ist zu-
gleich ein Zweig von definirt, der im Punkte x, den Werth , hat.
Denken wir uns nun, dass der Punkt x von x, aus die Randlinie
beliebig oft durchläuft, in dem Sinne, dass das Innere von A zur Linken
bleibt. Dann muss, da innerhalb A die zweite Coordinate von % positiv
Scnorrky: Uber Beziehungen zwischen ebenen Flächen. 11. 121
ist, auf der Randlinie sich y beständig im positiven Sinne ändern. Es
ist nicht ausgeschlossen, dass y an einer Stelle unendlich wird. Dann
geht y beim Durchgange durch diese Stelle von +00 zu — 0 über.
Aber es ist nicht möglich, dass y die ganze reelle Linie durchläuft,
wenigstens dann nicht, wenn mehr als eine Randlinie vorhanden ist,
denn sonst würden für die übrigen Randlinien keine Werthe übrig
bleiben. Demnach wird, wenn wir x auf eine Randlinie von A be-
schränken, y beschränkt auf eine begrenzte Strecke der reellen Linie.
Die Endpunkte n7,n' werden nie erreicht; sie würden unendlich oft
wiederholten Umläufen im positiven oder negativen Sinne entsprechen
und sind nur als Grenzwerthe zu betrachten. Beachtet man, dass
auf diese Weise jeder Zweig von y längs jeder Randlinie verfolgt
werden kann, so erhält man auf der reellen Linie der y-Ebene un-
endlich viele sich nicht deckende Strecken; innerhalb jeder Strecke
ist die Funetion Y(y) regulär; die Endpunkte aber sind singulär.
Natürlich sind zu den singulären auch die Häufungsstellen der End-
punkte zu rechnen.
Es gehe y bei einmaligem Umgange um eine Randlinie in %.(y),
bei nmaligem in x,(y) über. Die Grenze von %,(y) ist dann 7 für
n—=+%,Y fürn = — 00; n und » sind demnach die sich selbst
entsprechenden Punkte der Transformation y’=x(y), und diese Trans-
formation kann so dargestellt werden:
Yen)
YV—ı — q
zz
Mr
Hierbei ist q eine positive Grösse, denn y und y' liegen zwischen
den reellen Werthen x, »‘, wenn x auf die Randlinie beschränkt wird.
Die Function 2 = Y(y) ist in der positiven Halbebene regulär
und eindeutig; sie lässt sich, durch die definirten Strecken hindurch,
in die negative fortsetzen. In der letzteren ist aber \/(y) nicht ein-
deutig, und noch viel weniger der Zweig von \(y), den wir erhalten,
wenn wir durch irgend eine andere Strecke in die positive Halbebene
zurückkehren. Dagegen sind die charakteristischen Functionen der
Fläche A, angesehen als abhängig von y, in der ganzen y-Ebene ein-
deutig und regulär, mit Ausnahme der bereits definirten Punkte der
reellen Linie. Der in meiner Dissertation eingeführte Begriff der charak-
teristischen Functionen einer Fläche zeigt sich demnach als funda-
mental auch für das Cararu£onvorvy'sche Problem, das dem der con-
formen Abbildung mehrfach berandeter ebener Gebiete entschieden
verwandt ist.
Wir müssen absehen von den vorhandenen Grenzpunkten des
Gebietes A. Dasjenige Gebiet, das nur durch die Randlinien von A
122 Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908.
begrenzt wird, nennen wir \. Da die Linien als reguläre Curven
angenommen sind, so lassen sich die charakteristischen Functionen
von A definiren als diejenigen im Innern und an der Grenze von
A eindeutigen regulären Functionen von x, die an der Grenze reelle
Werthe haben. Von ihnen gilt folgendes (vgl. meine Dissertation,
oder die unter gleichem Titel im Journ. f. Math., Bd. 83 erschienene
Arbeit):
Sie sind unter einander durch algebraische Gleichungen ver-
bunden, und zwar lassen sich auf unendlich viele Arten zwei unter
ihnen auswählen: s= f(x), t=g(&), durch die alle andern rational
mit reellen Coefficienten ausgedrückt werden. Das Rırmann’sche Ge-
schlecht & der algebraischen Gleichung 4(s, {) = 0, die zwischen s
und 7 besteht, ist um ı kleiner als die Zahl der Randlinien von N.
Ist x, ein beliebiger Punkt im Innern oder auf der Grenze von A, so
giebt es charakteristische Funetionen von « — also rationale von
s, £ —, die in x, von der ersten Ordnung verschwinden. Ist r eine
solche, so kann man x in eine reguläre Potenzreihe von r entwickeln
und deshalb sagen, dass nicht nur s und ? sich im Punkte «x, regulär
verhalten, sondern auch & an der entsprechenden Stelle des alge-
braischen Gebildes eine reguläre Funetion von s, ist. Den +1
Randlinien von U entsprechen, punktweise eindeutig, +1 reelle
CGurven des Gebildes (s, 2). Ist z ein Punkt (s, {), der nicht auf einer
dieser + ı reellen Curven liegt, so gehört dazu ein conjugirter (s‘, f)
oder «', und zu einem von beiden, aber nur zu einem, ein völlig
bestimmter Punkt x im Innern von U. Es zerfällt also das Gebilde
(s, £) symmetrisch in zwei conjugirte Hälften, die durch die c+ 1
reellen Curven von einander getrennt sind; diejenige Hälfte, die dem
Gebiete A entspricht, nennen wir A. Durch die Gleichungen s—= f(x),
= g(x) wird demnach eine eindeutige reguläre Beziehung (s, t; &)
zwischen A und U hergestellt: und zwar ist sie eindeutig-regulär
mit Einschluss der Grenzen.
Sondern wir jetzt von A diejenigen im Innern gelegenen Punkte
ab, die den Grenzpunkten von A entsprechen. Wir nennen sie « und
die conjugirten «'; letztere liegen ausserhalb. Wir bezeichnen ferner
mit D das Continuum, welches von A übrig bleibt, wenn man die
Punkte & fortlässt. Dann haben wir einen Bereich D, der genau
ebenso viele Grenzpunkte und Grenzlinien besitzt wie A, und
(s,t; x) ist eine vollständig reguläre eindeutige Beziehung zwischen
A und D, mit Einschluss der Grenzpunkte und Grenzlinien. Fügen
wir noch die andere Beziehung (x, y) hinzu, so entspringt aus beiden
eine reguläre Beziehung zwischen D und der positiven Halbebene:
(s,t; y). Aber diese letztere Beziehung kann analytisch fortgesetzt
ScHorrky: Über Beziehungen zwischen ebenen Flächen. II. 123
werden, einerseits über die reellen Gurven des Gebildes hinaus.
andererseits über die reelle Linie der y-Ebene, und zwar einfach da-
durch, dass man conjugirten Werthen von y eonjugirte Punkte des
algebraischen Gebildes entsprechen lässt. Dies ist zulässig, da die
Variable y reell ist, wenn man den Punkt (s,?) auf eine Randlinie
von D und somit den Punkt x auf eine Randlinie von A beschränkt.
Nun können wir (s,£: y) auffassen als eine gegenseitig reguläre
Beziehung zwischen dem ganzen Gebilde (s,{), von dem nur die
Punktepaare z, « ausgeschlossen sind, und der ganzen y-Ebene, von
der allerdings die unendlich vielen singulären der reellen Linie aus-
zuschliessen sind. Hierbei sind s und t eindeutige Functionen von %
in der ganzen Ebene: yist eine unendlich vieldeutige von s,f, die
nur singulär wird in den Punktepaaren #,«. Die Art, wie yin den
Punkten z,« unendlich wird, ist natürlich diese: eine reelle lineare
Function von y muss sich in der Form —ilog(Z) darstellen lassen,
wo Keine an der betrachteten Stelle reguläre Function von (s, /) ist,
die in diesem Punkte von der ersten Ordnung verschwindet.
Beschreibt der Punkt (s, t) eine geschlossene Linie, die innerhalb
D verläuft, so entspricht dieser eine geschlossene Linie in A; es er-
fährt demnach y eine Transformation der schon vorher definirten
Gruppe. Beschreibt aber (s, ?) einen Weg in D), der von einer reellen
Curve zu einer anderen führt, und kehrt dann auf dem symmetrisch
entsprechenden Wege zu dem Anfangspunkt zurück, so nimmt offen-
bar auch y den anfänglichen Werth wieder an. Da man nun jeden
Periodenweg zerlegen kann in zwei geschlossene Wege, von denen
der eine innerhalb D verläuft, während der andere symmetrisch ist,
so sieht man, dass y auf geschlossenen Wegen des Gebildes überhaupt
keine andern Transformationen erfährt, als die der bereits definirten
Gruppe.
Sind Grenzpunkte von A, und somit auch Punktepaare «,«',
nicht vorhanden, so kann man sagen, dass die Gleichung @ (s,)=0
vollständig aufgelöst wird, indem man s und Zals eindeutige Func-
tionen von y darstellt. Im anderen Falle sind die Punkte «,« von
der regulären Darstellung ausgeschlossen.
d I Ä
Setzt man = =, so genügt w der linearen Differential-
u
gleichung,
2 ar (6)
nn U — 9
di? p
in der p eine reelle rationale Function von s,t bedeutet. Nehmen
wir an, dass tin einem der Punkte «,« den Werth {, hat, und dass
124 Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908.
t— t,in diesem Punkte nur von der ersten Ordnung verschwindet.
Alsdann wird p an derselben Stelle unendlich von der zweiten
Ordnung, und zwar ist dort 4p(f—t)’ gleich ı. Dies sind die
eigentlich singulären Punkte der Differentialgleichung: als uneigent-
liche kommen diejenigen hinzu, in denen das Differential di ver-
schwindet oder unendlich wird. Dem Falle, wo gar keine Grenz-
punkte, sondern nur Grenzlinien existiren, entspricht diejenige Classe
linearer Differentialgleichungen mit algebraischen Coeffieienten, die
gar keine eigentlichen singulären Punkte besitzen.
Wir haben hier diejenigen Functionen s = F(y), {= G(y) be-
trachtet, in welche die charakteristischen f(x) und y(x) übergehn,
wenn man die Variable y einführt. Dies sind eindeutige automorphe
Funetionen; man kann sie — wenigstens in dem Hauptfalle, wo keine
Grenzpunkte existiren; der andre kann als Grenzfall aufgefasst werden
— durch Producte linearer Functionen von % darstellen, falls man
die linearen Substitutionen als gegeben annimmt. Andrerseits sind
die charakteristischen Functionen /(x) und g(2), wenn nicht in andrer
Weise, durch das Dirıcnter'sche Prineip bestimmt. Durch die beiden
Gleichungen f(x) = F(y), y(2) = @(y) wird die Beziehung (x,) de-
finirt; es werden aber damit zugleich — da man zwei Gleichungen
hat — auch die Coeffieienten der linearen Substitutionen festgelegt.
$ 4.
Ich kehre zu den besonderen Fällen zurück.
Es sei wieder B die positive Halbebene, A die ganze Ebene,
mit Ausnahme einer endlichen Anzahl sich nieht schneidender Strecken.
Diese sollen alle auf einer Geraden liegen, und zwar auf der reellen
Linie. Der Fall, wo einzelne sich auf Punkte redueiren, wird sich
von selbst ergeben.
Die Grenzen von A sind hier nicht reguläre Linien, sondern
eigentlich zweiseitige Polygone, und die charakteristischen Functionen
von A sind in dem Endpunkte a einer solchen Strecke im Allgemeinen
nieht reguläre Functionen von x, nur von VY@—a. Indessen gehört
in diesem Falle die Variable x selbst mit zu den charakteristischen
Funectionen; man kann != x setzen; eine zweite ist:
en.
und durch s,? lassen sich alle übrigen rational ausdrücken.
Die Endpunkte der Strecken betrachten wir nicht als unmittelbar
gegeben; wir definiren sie, um die Auflösung transcendenter Glei-
chungen zu vermeiden, auf folgende Weise:
Scnorrky: Über Beziehungen zwischen ebenen Flächen. II. 125
Wir nehmen in der y-Ebene eine Anzahl von Kreisen an, deren
Mittelpunkte alle auf der reellen Linie liegen, und deren Flächen sich
gegenseitig weder decken noch berühren. Es ist zulässig, dass einer
dieser Kreise alle übrigen umschliesst; unter seiner Fläche verstehen
wir dann das Gebiet ausserhalb der Peripherie. Ebenso kann an die
Stelle eines der Kreise eine Gerade treten, die auf‘ der reellen Linie
senkrecht steht.
Das durch die angegebenen Linien begrenzte Gebiet wird durch
die reelle Linie symmetrisch in zwei Hälften zerlegt. Die obere Hälfte
nennen wir C; sie ist ein Polygon mit lauter rechten Winkeln, dessen
Seiten abwechselnd durch Halbkreise und Streeken der reellen Geraden
gebildet werden. Dieses Gebiet © denken wir uns conform abgebildet
auf die obere Hälfte der x-Ebene. Wir führen also eine Funetion x
von y ein, die innerhalb € nur Werthe der positiven Halbebene an-
nimmt, und zwar jeden einmal. Lässt man y von einer bestimmten
Stelle die Randlinie von C in positivem Sinne durchlaufen, so durch-
läuft © stetig wachsend alle reellen Werthe von — co bis +00. «ist
ausserdem im Innern und auf der Grenze von € eine reguläre Function
da
von , aber es verschwindet 7 den Eekpunkten von der ersten
4
Ordnung. % ist eine reguläre Funetion von x im Innern der positiven
Halbebene; auf ihrer Grenze, also auf der reellen Linie, bilden die-
jenigen Punkte eine Ausnahme, die den Eekpunkten von ( entsprechen.
Diese Punkte bezeichnen wir mit (a). Durch sie zerfällt die reelle
Linie der x-Ebene in eine Anzahl von Intervallen. Wir wollen die-
Jenigen Intervalle gerade nennen, die den geradlinigen Stücken der
Grenze von ( entsprechen, die übrigen ungerade.
Betrachten wir zuerst x als Function von y. An jedem der
Halbkreise, die zur Begrenzung von C gehören, ist x reell. Daraus
geht hervor, dass die Function über diese Linie hinaus in der Weise
fortzusetzen ist, dass sie in dem Bildpunkte den conjugirten Werth
erhält. Wir kommen so in ein neues Gebiet ©‘, das genau wie das
vorige begrenzt ist durch Theile der reellen Linie und dazwischen
liegende Halbkreise. Aber hier nimmt « nur Werthe an, deren zweite
Coordinate negativ ist. Wenn wir dies fortsetzen, auch bei den
übrigen halbkreisförmigen Randstrecken von C, so wird die ganze
positive Halbebene zerlegt in eine Folge von unendlich vielen Ge-
bieten. Die Grenze zwischen einem Gebiete und einem benachbarten
ist stets ein Halbkreis; auf diesem nimmt x nur reelle Werthe an,
und zwar solche, die einem ungeraden Intervalle angehören.
Wenn demnach y sich beliebig in der positiven Halbebene be-
wegt, so kann x zwar beliebig oft die reelle Linie durchkreuzen,
126 Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908.
aber immer nur in einem ungeraden Intervalle. Wenn wir mit A
die ganze x-Ebene bezeichnen, mit Ausnahme der geraden Intervalle
der reellen Linie, so bleibt & im Innern von A, wenn y auf die
positive Halbebene beschränkt wird.
Es ist leicht zu sehen, dass auch das Umgekehrte stattfindet.
Die Beziehung (x, y) ist hiermit, geometrisch sehr einfach, definirt.
Aber sie lässt sieh auch analytisch in sehr einfacher Weise ausdrücken.
Man kann die Function = \(y), durch die geraden Randstrecken
von € oder die eines anderen Theilgebietes, in die negative Halb-
ebene fortsetzen; sie ist eine in der ganzen Ebene eindeutige auto-
morphe Funetioa von y, und die Gruppe der Substitutionen unmittelbar
gegeben. Es seien , 3, y drei Eckpunkte des Polygons C; a, b, c
die entsprechenden Werthe von x, ferner allgemein «,,®, ein Werthe-
paar, das aus ©, durch eine und dieselbe Substitution (A) der Gruppe
hervorgeht. Alsıdann ist:
mn |)
Bi en
und Z(y) das folgende Product von Linearfactoren der Variabeln y:
A) Ya, yv—ß, z
Ey= IMS rer
I 11 E —ß, en
Schliesslich ist noch der Fall zu besprechen, wo an die Stelle
einer oder mehrerer Streeken Punkte treten. Die Modifieation, die die
Figur alsdann erfahren muss, ist leicht zu erkennen; es müssen auch
die entsprechenden geraden Strecken des Polygons C gleich o werden,
d. h. die Kreise müssen sich berühren. Wenn speciell die Grenze
von A nur durch drei Punkte gebildet wird, so erhält man die be-
kannte Figur eines Dreiecks, dessen Seiten durch drei sich berührende
Kreisbogen gebildet werden.
Wir wollen noch ein letztes Beispiel durchführen, das geometrisch
sehr durchsichtig ist, analytisch allerdings weniger einfach. Es sei
A die ganze Ebene, mit Ausnahme dreier Kreisflächen. Wir ziehen
den Orthogonalkreis und bezeichnen mit A, den innerhalb desselben
liegenden Theil von A. Die Grenze von A, ist wiederum ein Poly-
gon mit sechs rechten Winkeln. Diejenigen drei Seiten des Polygons,
die Theile des Orthogonalkreises sind, nennen wir gerade — obwohl
auch sie gekrümmt sind —, die drei anderen ungerade.
ı Vergl. meine Arbeit: Über eine specielle Function, welche bei einer bestimmten
linearen Transformation ihres Arguments ungeändert bleibt. Journ. f. Math., Bd. 101.
sä .
Scaorrky: Über Beziehungen zwischen ebenen Flächen. Il. 127
Die Fläche A, müssen wir uns nun conform abgebildet denken
r auf eine andere D, der y-Ebene, deren Begrenzung zwar ebenso be-
schaffen ist wie die von A,. Sie soll ebenso aus drei getrennten
Strecken eines Kreises, und, rechtwinklig zu diesem, aus drei Kreis-
bogen bestehen, die in das Innere führen. Es soll aber die Abbildung
so beschaffen sein, dass den geraden oder Orthogonalkreis-Streeken
der einen Figur die ungeraden der anderen entsprechen. Dass hier-
für die Anzahl der verfügbaren Constanten gerade ausreicht, ist unmittel-
bar zu sehen. Das Innere des zweiten Orthogonalkreises nennen wir B.
Betrachten wir & als Function von y und beschränken zunächst
y auf das Innere von B,. Dann wird x auf das Innere von A, be-
schränkt. Rückt y nach der Grenze von D,, und zwar nach einem
Kreisbogen ?, der nicht ein Theil des Orthogonalkreises ist, so rückt x
nach der Grenze von A, aber nach einer Strecke des Orthogonalkreises.
Die Function = Y(y) ist daher über A hinaus so fortzusetzen, dass
zwei Punkten y,y', die zu einander in Bezug auf die Kreisstrecke A
symmetrisch sind, zwei Punkte x, x’ der anderen Ebene entsprechen,
die zu einander in Bezug auf den Orthogonalkreis symmetrisch liegen.
Nun erfüllen, wenn x auf die Fläche A, beschränkt ist, die Bildpunkte
von x in Bezug auf den Orthogonalkreis den ganzen übrigen Theil
der Fläche A. Es bleibt demnach . in der Fläche A, wenn y von B,
aus durch eine Grenzstrecke A, die nicht dem ÖOrthogonalkreis an-
gehört, in ein Nachbargebiet B/ eindringt. Diese Betrachtung lässt sich
fortsetzen, genau wie vorhin. Es folgt daraus: Wenn die Variable y in
dem Orthogonalkreis B bleibt, der in ihrer Ebene gezogen ist, so bleibt
x im Gebiete A. Aber auch das Umgekehrte gilt; man hat daher
eine reguläre Beziehung (x,y) zwischen dem Gebiete “A und einer
Kreisfläche oder Halbebene B.
Betrachten wir jetzt die charakteristischen Functionen der Fläche A.
Unter ihnen giebt es auch solche, die nicht nur an den drei Kreisen,
sondern auch in den dazwischen liegenden Strecken des Orthogonal-
kreises reell sind. Die letzteren Funetionen sind rational durch eine
einzige unter ihnen ausdrückbar: diese eine, f, ist zugleich diejenige,
welche die Abbildung von A, auf die Halbebene vermittelt. Eine
zweite charakteristische Function von A (aber nieht von A,) ist:
s—= V—Ilt—a) = YR(t),
wenn wir mit a die Werthe von ? in den sechs Eekpunkten von 4,
bezeichnen.
Angesehen als abhängig von y ist ? auch eine charakteristische
Function der Fläche B,, und auch desjenigen Gebietes D, das wir er-
halten, wenn wir die drei Randkreise von BD, vervollständigen und
128 Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908.
den Orthogonalkreis fortlassen. s dagegen gehört nicht zu den cha-
rakteristischen Funetionen dieser zweiten dreifach zusammenhängenden
Fläche B, wohl aber is. s und £ sind eindeutige Functionen von &
ebensowohl wie von y in den Ebenen dieser Variabeln; man hat dem-
nach zwei Auflösungen der Gleichung s® = X(f) durch eindeutige
automorphe Funetionen mit je 3g—3 ganz verschiedenen Moduln; die
Beziehung (x,y) entsteht, wenn man diese eindeutigen Funetionen von
x und y einander gleichsetzt. Die Differentialbeziehung, die in diesem
Falle zwischen x und % besteht, ist folgende. Setzt man
— 23 — ao ar za h dy rn 5
VR() dw U: dw v
so genügt u der Differentialgleichung
du
Zap +4 +hrP+ht+h)u=0o
(vgl. Journ. f. Math., Bd. 83, S. 348). v genügt einer Differential-
gleichung genau von derselben Form, nur mit dem Unterschied, dass
an die Stelle von /h,,/,, Ah, andere Constanten treten.
Hätten wir statt dreier nur zwei Kreise genommen, so hätten
wir die doppelte Lösung der Gleichung
°—= (1—)(I—k’f)
bekommen, die Jacogı gegeben hat, wobei s und ? einmal als ein-
deutige Functionen einer Grösse x dargestellt werden, die der Gleichung
flgx) = f(x) genügen, und zweitens als eindeutige Functionen einer
Grösse y, die mit x in der Verbindung steht:
Bl ee:
Fischer und F. Wrepe: Verbrennungswärme organischer Verbindungen. 129
Über die Bestimmung der Verbrennungswärme
organischer Verbindungen mit Benutzung: des
Platinwiderstandsthermometers.
Von Enmır Fischer und FRANZ WReE»e.
(Vorgetragen in der Sitzung vom 9. Januar 1908 [s. oben S. 1].)
Be den Bestimmungen von Verbrennungswärmen organischer Ver-
bindungen, die wir vor drei Jahren mitteilten', wurde eine BERTHELOT-
sche Bombe nebst Kalorimeter benutzt, die auf elektrischem Wege
geeicht waren; mithin wurden die Verbrennungswärmen auch in elek-
trischen Einheiten erhalten.
Die Grundeichung unseres Apparates war von den HH. W. JarGEr
und von STEINWEHR in (der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt zu
Charlottenburg ausgeführt worden mit einer Genauigkeit, die von
ihnen auf 2 Promille des Wertes geschätzt wurde. Da die Ungenauig-
keit der Messungen zum erheblichen Teil durch die Verwendung
eines Quecksilberthermometers veranlaßt war, so lag der Gedanke
nahe, dieses durch ein elektrisches Thermometer zu ersetzen. Das
ist von den HH. JAEGER und von StEMmWEHR bei der neuen Grund-
eichung unseres Kalorimeters geschehen.
Durch diese Maßregel und andere kleine Veränderungen am System,
wie z. B. erhebliche Vermehrung der Wassermenge, ist es ihnen ge-
lungen, den Fehler des Eichungswertes so weit herabzusetzen, daß er
nach einer an uns gerichteten Privatmitteilung sicher nicht mehr als
0.5 Promille beträgt.
Wir haben nun mit demselben Instrument und unter den gleichen
Bedingungen einige Verbrennungswärmen bestimmt und glauben, auch
hier, insbesondere durch die bessere thermometrische Messung, eine
größere Genauigkeit erzielt zu haben, als dies früher möglich war.
Denn bei Substanzen, die gut verbrennen, betrug die Abweichung
vom Mittel bei ı° Temperaturerhöhung nicht mehr als 0.5 Promille.
Wir haben die verbesserte Methode benutzt, um für einige Sub-
stanzen, besonders für Rohrzucker und Benzoesäure, die Ver-
brennungswärme möglichst genau festzustellen, damit sie als Grund-
wert für die Eichung andrer Bomben benutzt werden kann.
! Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1904, XX, S. 687 ff.
130 Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908. — Mittheilung vom 9. Januar.
Entsprechend der Grundeiehung unsres Kalorimeters sind alle
Werte für die Verbrennungswärmen in Kilowattsekunden bestimmt
und nur diese dürfen als Originalwerte betrachtet werden. Zum Ver-
gleich mit andern Verbrennungswärmen, die in Kalorien ausgedrückt
sind, haben wir allerdings eine Umrechnung vorgenommen, bei der
eine Kilowattsekunde gleich 0.2390 Kalorien gesetzt wurde.
Wir bemerken jedoch ausdrücklich, daß diese umgerechneten
Werte alle Fehler enthalten. die in der Bestimmung des Verhältnisses
von Wattsekunde zur Kalorie liegen, und daß auch die Änderung
der spezifischen Wärme des Wassers mit der Temperatur zur Zeit nicht
genau genug bekannt ist. Der von uns angenommene Wert von
0.2390 scheint am genauesten für die Temperatur 15° zuzutreffen.
Wie aus der später gegebenen Tabelle hervorgeht, liegen unsere
eigenen Bestimmungen alle zwischen 15° und 20°. Für die Messungen
selbst waren diese Temperaturunterschiede gleichgültig, da unser Ka-
lorimeter nach den Beobachtungen der HH. JAEGER und vo STEINWEHR
keinen Temperaturkoeffizienten zeigte.
Beschreibung des Apparates. Als Kalorimeter benutzten wir
das übliche, den Chemikern wohlbekannte Modell. Die Berruzrorsche
Bombe war in der von Kröker angegebenen Weise modifiziert und
von Peters (Berlin) geliefert. Sie hatte einen Inhalt von 275cem und
ihr Innenraum war vollständig mit Platin in der Stärke von 0.3 mm
von Heraeus (Hanau) ausgekleidet!. Das zylindrische Messinggefäß, in
dem sich die Bombe und das Platinthermometer befinden, hatte ı5 cm
Durchmesser und 26 cm Höhe. Das Gewicht desselben betrug 7238,
mit der Wasserfüllung 4450g — gewogen in Luft. Die Menge des
Wassers war so groß gewählt, daß die Polklemmen der Bombe sich
etwa 24cm unterhalb der Oberfläche befanden.
Zum Rühren des Wassers glaubten wir anfangs dem Quirlrührer,
den erst BErTHELoT und später Loneumme beschrieben haben, den Vor-
zug geben zu müssen, weil bei seiner Anwendung keine mit Wasser
benetzten Teile aus der Flüssigkeit herausgehoben werden. Um die
Wärmeleitung noch möglichst zu verringern, hatte der von uns be-
nutzte Quirlrührer als Stiel eine starke Hartgummistange, die unge-
! Die HH. T. W. Rıcuaros, L. J. Henperson und H. L. Freverr haben bei
der von ihnen gebrauchten Bombe den zur Dichtung verwendeten Bleiring mit einer
Blattgoldschicht überzogen, um seine Oxydation zu verhindern (s. Proc. of the Am.
Acad. 42. (21) 576). Wir haben diese Maßregel bei unserem Apparat nicht ange-
wendet, weil der Bleiring höchstens zu $ mm Breite für den Sauerstoff freiliegt. Er
überzieht sich bei den Versuchen wohl mit einer ganz dünnen Oxydschicht, die aber
als Schutz gegen die fortschreitende Oxydation bleibt, so daß wir die Wärmemenge,
die bei der einmaligen Verbrennung entsteht, für so gering halten können, daß sie
für uns nicht in Betracht kommt.
Fischer und F. Wreoe: Verbrennungswärme organischer Verbindungen. 131
fähr ı cm unter dem Wasserspiegel mit dem eigentlichen aus Metall
gefertigten Rührer in Verbindung stand.
Die Geschwindigkeit des Motors wurde so reguliert, daß der Rührer
ungefähr 45 Touren (Hin- und Herdrehung) in der Minute machte. Im
Verlauf unserer Untersuchungen sind wir aber zu der Überzeugung
gekommen, daß die Rühranordnung nicht ausreichend ist, um eine
thermisch ganz gleichmäßige Mischung des Wassers herbeizuführen.
Daß die HH. Berruerror und Loxsumme mit diesem Rührer zufrieden
gewesen sind, erklärt sich vielleicht aus dem Umstande, daß sie die
Temperatur mit dem Quecksilberthermometer gemessen haben, dessen
Leistungsfähigkeit zur Entdeckung des Fehlers nicht mehr ausreichte.
Übrigens hat Laneseın schon vor längerer Zeit anıegeben', daß
der Quirlrührer vor dem Ringrührer keinen Vorteil bietet.
Unsere Erfahrungen wurden bestätigt durch die Versuche der
HH. JAEGER und von STEINWEHR, welche die Temperatur des Wassers
im Kalorimeter an verschiedenen Stellen mit einem 'IThermoelement
prüften und bei Anwendung des Quirlrührers größere Unterschiede
beobachteten. Sie fanden, daß insbesondere die kleine Wasserschicht
unterhalb der Bombe nicht genügend mit dem übrigen durchgerührt
wird. Wir sind deshalb zu der älteren Rührvorrichtung, dem vertikal
auf und ab gehenden Ringrührer zurückgekehrt.
Das übliche, auch von Sronmansn gebrauchte Modell des Ring-
rührers, wie es von Hugershoff (Leipzig) und anderen deutschen Firmen
geliefert wird, wurde noch durch Hinzufügen von zwei weiteren Ring-
platten verstärkt, um die von uns verwendete größere \Wassermasse
genügend bewältigen zu können.
Allerdings entsteht bei dieser Rührvorrichtung ein kleiner Fehler,
worauf auch Bertneror und Loneumme” hingewiesen haben, dadurch,
daß ein Stück der Messingstangen, die den Rührer halten, beim Auf- und
Abgehen benetzt in die Luft über dem Kalorimeter eintritt. Aber dieser
Fehler wird eliminiert, weil er in den Temperaturgang des Apparates
während der Messung eingeht und folglich jedesmal bestimmt wird.
Jedenfalls zeigen sowohl die Messungen der Eichung wie unsere
Bestimmungen eine erheblich bessere innere Übereinstimmung bei An-
wendung dieses Ringrührers, dessen Tourenzahl wir auf 45 pro Minute
(jede Tour eine Auf- und Abbewegung) normierten.
Wie oben angegeben, betrug die Wassermenge in unserenı Kalori-
meter 3727 g, mithin fast 3 bis 5 mal soviel, als die meisten Autoren
früher angewandt haben. Dadurch wird allerdings die Temperatur-
! Zeitschr. f. angewandte Chemie 1896. 489. Vgl. auch ebenda 1900 Heft 19—50.
2 W. Lonsvimine. Hauptmethoden der Bestimmung der Verbrennungswärme,
Berlin 1897, S.6.
132 _ Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908. — Mittheilung vom 9. Januar.
erhöhung bei der Verbrennung entsprechend kleiner; da aber ander-
seits die Temperaturmessung durch das Platinthermometer außerordent-
lich viel genauer ist, so überwiegen die Vorteile, welche die Anwendung
der großen Wassermenge hat. Wir rechnen dahin einerseits die geringe
Differenz zwischen Anfangs- und Endtemperatur, die bei den später
angeführten Verbrennungsbestimmungen 0.9° bis 1.6° betrug, und
anderseits den Umstand, daß die Bombe sich ganz in Wasser befindet.
Das von uns benutzte Platinwiderstandsthermometer war das-
selbe, das die HH. JAEGER und von STEINWEHR bei der Eichung der
Bombe benutzten. Seine Konstruktion, Empfind-
lichkeit, Zuverlässigkeit und Eichung ist von
diesen Herren eingehend geschildert worden!,
ebenso wie die Vorrichtungen zum Messen des
Widerstandes.
Zur leichteren Orientierung wollen wir hier
folgende kurze Angaben darüber machen:
Das Platinwiderstandsthermometer (s. Fig. I)
bestand: aus einem Drahte von reinstem Platin
der Firma Herxzus (Hanau) von o.ı mm Stärke
und ungefähr 35 em Länge. Dieser war, mit
einem Seidenfaden umsponnen und mit Schellack
bestrichen, isoliert in ein Messingkapillarrohr X
eingezogen. An beiden Enden waren je 2 isolierte
Kupferdrähte angelötet, die aus der Kapillare
herausragten und an vier Klemmschrauben s,—s,
des Ebonitkopfes #, der die Enden des Rohres
verschloß, angelötet waren. Die Lötstellen von
Platin und Kupfer lagen so tief, daß sie sich
während der Messungen im Wasser des Kalori-
meters befanden.
Die Trägheit des Instruments war so gering, daß sie bei unseren
Messungen nicht berücksichtigt zu werden brauchte.
t 1. W. JAEGER und H. von StEınwEHr, Bestimmung des Wasserwertes eines
BertHerorschen Kalorimeters in elektrischen Einheiten. Verhandl. d. D. Physik. Ges.
5. 50 (1903). — Ill. Dieselben, Erhöhung der kalorimetrischen Meßgenauigkeit durch
Anwendung von Platinthermometern. Ebenda 5. 353 (1903). — III. Dieselben, Beitrag
zur kalorimetrischen Messung von Verbrennungswärmen. Zeitschrift f. physik. Chemie.
53. 2. 153 (1905). — IV. Dieselben, Bemerkung zu einer Veröffentlichung der HH.
RıcHArvs, HENDERsSoNn und Forses. Ebenda 54. 4. 428 (1906). — V. Dieselben,
Anwendung des Platinthermometers bei kalorimetrischen Messungen. Zeitschrift f. In-
strumentenkunde 1906, 8. 237. — VI. Dieselben, Eichung eines Berrarrorschen Ver-
brennungskalorimeters in elektrischen Einheiten mittels des Platinthermometers. An-
nalen d. Physik IV. 21 (1906) 23. — VII. W.Jaeser, Über die Empfindlichkeit des
Platinwiderstandsthermometers. Zeitschrift f. Instrumentenkunde 1906, 9. 278.
Fischer und F. Wreoe: Verbrennungswärme organischer Verbindungen. 133
Das Instrument war von den HH. JAEGER und von STEINWEHR
geeicht. Zur Kontrolle haben wir dann in längeren Zwischenräumen
seinen Fundamentalabstand wiederholt bestimmt. An den folgenden
Tagen: 1., 2., 21., 24. November 1904; 4. Januar 1905; 23. März 1905;
15. Januar 1906; 22. Mai 1906 und 7. Januar 1907 wurde dazu mehr-
mals der Widerstand abwechselnd in Eis und in Wasserdampf ge-
messen. Nachdem die anfänglich starken Depressionserscheinungen
durch einen Heizstrom reduziert worden waren, blieb der Fundamental-
abstand konstant. Es betrug im Mittel:
W;o00 9.5737 Ohm
W. 6.8984 »
Wooe—W. 2.6753 Ohm (deprimiert).
Die Abweichungen der einzelnen Messungen waren im allgemeinen
sehr gering, immer aber viel kleiner, als es für die angestrebte Ge-
nauigkeit von 0.0001° für eine Temperaturdifferenz von ı° von Be-
lang sein könnte.
Außerdem war zur Eichung des Instruments die Abweichung
der Widerstandskurve zwischen 0° und 100° von der Geraden durch
Vergleich mit den Angaben eines geprüften Quecksilberthermometers
bei 25° und 40° bestimmt. Danach ergab sich als Widerstand für
eine bestimmte Temperatur u der Wert
We Weaepn (I + u+ Bu), worin |
2 7:00 xrom: und, 6 = 0.623x10, \ v
Übrigens ist die genaue Eichung des Thermometers für die Be-
stimmung der Verbrennungswärmen nicht von wesentlichem Belang,
weil durch die Benutzung desselben Instruments bei der elektrischen
Eichung und bei der Bestimmung der Verbrennungswärmen etwaige
Fehler herausfallen.
Meßapparate: Für die Widerstandsmessung waren außer einem
sehr empfindlichen Differentialgalvanometer' mehrere Stöpselwider-
stände, ferner ein Manganinwiderstand von S Ohm, der direkt mit
dem Platinwiderstand verglichen wurde, und endlich ein leicht ver-
stellbarer, großer variabler Widerstand erforderlich. Da gewöhnliche
Schleifkontaktwiderstände nicht die nötige Präzision geben, und das
Arbeiten mit Stöpselwiderständen wegen der Unzuverlässigkeit der
Kontakte bei so schnellem Umstöpseln, wie es hier nötig wäre, Un-
zuträglichkeiten im Gefolge hat, so benutzten wir für den letztge-
! Kugelpanzergalvanometer nach Dusoıs-Rurens von Siemens & Halske, mit
Differentialschaltung der Spulen.
Sitzungsberichte 1908. 14
134 Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908. — Mittheilung vom 9. Januar.
nannten Widerstand nach dem Beispiel der HH. JAEGER und vox STEIN-
WEHR einen Kompensationsapparat von Worrr (Berlin).
Messung: Wie bei den älteren Messungen mit dem Quecksilber-
thermometer können auch bei den Bestimmungen mit dem Wider-
standsthermometer drei Perioden unterschieden werden: ı. der Vor-
versuch, während dessen der gleichmäßige Gang der Temperatur beob-
achtet wird, 2. der Hauptversuch, der mit der Einleitung der Ver-
brennung beginnt und bis zum Wiedereintritt eines gleichmäßigen
Temperaturganges ausgedehnt wird, und 3. der Nachversuch, der zur
genaueren Beobachtung dieses letzteren Ganges dient. Die von uns
gewählten Zeiten sind:
1. 10 bis ı5 Minuten,
2. 5 (2ER) » und
(ME Do
Ein ganz gleichmäßiger Gang tritt gewöhnlich erst 6—8 Minuten
nach der Zündung wieder ein.
Um aber »Strahlungskorrektionen«, d. h. »Korrektionen für den
Wärmeaustausch mit der Umgebung«, von vergleichbarer Größenord-
nung für eine Reihe von Versuchen zu erhalten, empfiehlt es sich,
regelmäßig dieselbe Zeitdauer für den »Hauptversuch« anzunehmen:
wir haben daher immer die 6. Minute als Beginn des Nachversuchs
gewählt und die zugehörige Temperatur aus dem nachfolgenden Gang
rekonstruiert. Die sehr kleine Differenz zwischen dieser und der ab-
gelesenen Temperatur geht in die »Strahlungskorrektion« ein.
Wie schon oben erwähnt, beruht die Widerstandsmessung bei un-
seren Versuchen auf einer Vergleichung des Thermometers T (s. Fig. 2)
mittels eines Differential-
galvanometers G@ mit einem
festen Widerstand, dessen
Wert dureh genau bestimmte
Nebenschlüsse abgeändert
wird: in unserem Fall liegt
parallel zu der S-Ohm-Man-
ganinbüchse — in Paraffin-
öl — ein Stöpselrheostat (2)
von 100 bis 130 Ohm, sowie
der genannte Kompensationsapparat (N), dessen Gesamtwert 15000 Ohm
beträgt. Von diesen beiden Nebenschlüssen wird der erstere (w) so
gewählt, daß er für den jeweiligen Versuch unverändert bestehen
bleiben kann, d.h., daß der Bereich des Kompensationsapparats für
die gesamte Widerstandsänderung ausreicht.
Fıscuer und F. Wreoe: Verbrennungswärme organischer Verbindungen. 135
Für die spätere Rechnung ist es bequem, für ı nur drei oder
vier verschiedene Werte, also etwa 100, 110, 120 oder 130 Ohm zu
nehmen.
Für die Schaltung hat sich die von Kontrauscn angegebene Me-
thode des übergreifenden Nebenschlusses als die geeignetste erwiesen.
Außer dem hierfür notwendigen Stromverzweiger V' war noch ein
einfacher Kommutator in den Meßstromkreis eingeschaltet, der in der
Skizze nicht angegeben ist.
Zum Regulieren des Meßstromes, der von dem einzelligen Akku-
mulator A geliefert wurde, diente ein Stöpselrheostat. Während für
die Messung der Gänge 500 Ohm eingeschaltet waren, wurde zum
gröberen Einstellen sowie zum Ablesen der Temperaturkurve des Haupt-
versuchs der Widerstand um 5000 oder 10000 Ohm verstärkt: hier-
durch werden die Ausschläge des Galvanometers und entsprechend
die Empfindlichkeit der Messungen auf das nötige Maß reduziert.
Eine Differenz zwischen der Widerstandsgleichheitslage des Gal-
vanometers und der Nullpunktsstellung des stromlosen Instruments be-
ruht auf der Ungleichheit der Wiekelungen und Leitungen, und wird
beseitigt, indem man in den stärkeren Stromzweig einen Widerstand (x)
einschaltet, der so abgeglichen wird, daß der Ausschlag beim Kom-
mutieren Null wird.
Der Verlauf eines Versuchs läßt sich nunmehr folgendermaßen
darstellen :
Nach Vorbereitung des Kalorimeters läßt man das Rührwerk etwa
ı0 Minuten arbeiten. Darauf wird, zunächst mit dem schwachen Strom,
ein ungefährer Ausgleich der Widerstände und der Galvanometerkreise
vorgenommen. Nunmehr beginnt, unter Einschalten des stärkeren
Meßstromes, die Ablesung des Vorversuchs: da es bei einigermaßen
schneller Temperaturänderung auch mit den Kurbeln des Kompen-
sationsapparates nicht möglich wäre, zu einem bestimmten Zeitpunkt
den jeweiligen Widerstand zu fixieren, so lesen wir die Zeit ab, zu
der die Differenz der Ausschläge des Galvanometers beim Umlegen
des Stromverzweigers für einen vorher eingestellten Widerstand N den
Wert Null erreicht. Den Widerstand N wählt man dann so, daß er
in etwa ı bis 2 Minuten erreicht wird, so daß also alle ı bis 2 Mi-
nuten wenigstens eine Ablesung stattfinden kann.
Nach ıo bis ı5 Minuten schwächt man den Meßstrom ab und
leitet — unter Ablesen der Zeit — die Verbrennung ein. Bei einiger
! Der Stromverzweiger V besteht aus den zehn in der Figur angedeuteten Queck-
silbernäpfen, von denen acht paarweise fest miteinander verbunden sind, und einer
Wippe, deren Umlegen die Verbindungen so abändert, daß die an der Figur durch
punktierte Linien angegebenen Stromzweige symmetrisch auf die untere Hälfte entfallen.
14°
136 _Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908. — Mittheilung vom 9. Januar.
Übung kann man leicht die dem schnellen Anstieg der Temperatur
entsprechenden Widerstände mittels der großen Kurbeln des Kom-
pensationsapparates rechtzeitig einstellen, um die zugehörigen Zeiten
durch Kommutieren fixieren zu können. Schon nach ı bis ı4 Mi-
nuten werden die Ausschläge meist so klein, daß man wieder den
stärkeren Meßstrom einschalten kann. Der Verlust, den man in dieser
kurzen Zeit an Stromwärme aus dem Thermometer erleidet, ist unmeß-
bar klein.
Von nun an werden, wie im Vorversuch, durch Voreinstellen des
Widerstandes — nunmehr meist Verkleinern! — und Ablesen der
Zeiten unter Kommutieren noch etwa 20— 25 Minuten Messungen vor-
genommen.
Berechnung. Für die Berechnung der Temperaturen usw. aus
den so gemessenen Widerständen können wir an dieser Stelle nur kurz
die allgemeinen Methoden und die nötigsten Formeln angeben. Be-
züglich der Einzelheiten und der theoretischen Begründung müssen
wir auf die betreffenden Ausführungen der HH. JarsER und von STEIN-
WEHR' verweisen.
Aus der Formel (1) S.133 läßt sich für die Temperaturerhöhung U
die Gleichung ableiten:
„2, ee I
1 noos a ee #
Wo—W, 28 I
a" | wxw,
In dieser Formel bezeichnen W, und W, die Widerstände zu Be-
ginn und zu Ende des Hauptversuchs. Für den in der Klammer
stehenden Ausdruck B, der nur die eine variable Größe « enthält,
wurde die folgende Tabelle aufgestellt, die von Grad zu Grad inner-
halb des für unsere Messungen wichtigen Temperaturintervalls die
Werte von B und dessen Logarithmen enthält.
Io 1.567086 | 36.9055 | 19 | 1.568332 37-011
13 | 7501 | 941 | 20 | 8470 023
14 | 7640 | 9525 | 21 | 8608 | 034
15 7780 | 964 | 22 | 8746 046
16 7918 976 | 23 | 8885 | 058
17 8056 988 | 24 9023 | 070
18 8194 | 9995 || 25 | gI6r | 082
! Siehe die Anmerkung auf S. 132.
Fischer und F. Wrepe: Verbrennungswärme organischer Verbindungen. 137
Durch Interpolation erhält man aus dieser Tabelle 3 und lg B für
die jeweilige Temperatur u.
Zur Berechnung von U ist der reziproke Wert der Widerstände
W, und W, erforderlich. Bezeiehnet man die Widerstände im Kom-
pensationsapparat zu Beginn und zu Ende des Hauptversuchs mit N,
bzw. N,, so erhalten wir:
I I I
W, — g TUE und
I ER I ag I 2 I \ (3)
W, 8 DIVE
I I fr rn ” . .
Die Werte N und N erhält man auf folgende Weise: die Rezi-
proken der gemessenen Widerstände aus dem Kompensationsapparat
I 2
im Vor- und Nachversuch werden als Abszissen mit den Zeitablesungen
als Ordinaten graphisch dargestellt. Eine Gerade, die durch die so
erhaltenen Punkte gelegt werden kann, ergibt dann sehr genau den
reziproken Wert des Widerstandes N zu Beginn und zu Ende (des
Hauptversuchs. Gleichzeitig bestimmt diese Gerade die Änderung des
a de
” ” ” Yr N ”
reziproken Widerstandes pro Minute, d.h. , und 5 Diese Werte
; R 2 Le N du, du,
sind für die Berechnung der Temperaturgänge ar und dt und der
»Strahlungskorrektion« nötig, denn es ist
d nr \
du, Fu
———B. und
ao
I \
ei } (4)
B 8
En
dt Bar
W;
und die Korrektion für den Wärmeaustausch:
tz
u= a|(u —u,)dt (5)
ı
Hierin ist die Abkühlungskonstante des Kalorimeters:
EIER © =) -U (6)
und das Temperaturmittel der Umgebung:
138 Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908. — Mittheilung vom 9. Januar.
dur = ditz
u tu ra 1t
acer (7
2 2a
Es bleibt dann nur das Integral, das aus der Kurve zu berechnen
ist, die durch den Temperaturgang während des Hauptversuchs be-
schrieben wird. Auch diese Kurve wird graphisch dargestellt, und
zwar aus den in Temperaturgrade umgerechneten Widerständen, die
während des Hauptversuchs abgelesen waren. Diese Umrechnung
läßt sich, da an dieser Stelle eine Genauigkeit von 0.005° vollkommen
ausreichend ist, sehr vereinfachen. Zu dem Zweck wurde für die
vier vorkommenden Hauptwiderstände: 8100, 8/110, 8/ı20 und
3 130 Ohm je eine Kurve konstruiert, die für einen bestimmten re-
m direkt die zugehörige Temperatur abzulesen
gestattete. Diese Konstruktion wurde in der Weise ausgeführt, daß
für die vollen Temperaturgrade von 13° bis 24° nach der Formel (1)
unter Einsetzen der genannten Hauptwiderstände die betreffenden rezi-
ziproken Widerstand
proken Nebenschlüsse _, errechnet und diese als Ordinaten mit den
N
Temperaturen als Abszissen aufgetragen wurden. Die zu je einem
Hauptwiderstand gehörigen Punkte wurden dann durch eine Kurve,
die übrigens sehr nahe eine Gerade ist, verbunden.
Um nun die Temperaturen des Hauptversuchs zu erhalten, wurden
die reziproken Werte der gemessenen Widerstände N gebildet und
aus der betreffenden Kurve die zugehörige Temperatur abgelesen. Die
so erreichte Genauigkeit war hinreichend, wenn der Maßstab für die
Konstruktion der Kurven so gewählt wurde, daß auf ı Grad ıocm
und auf das Intervall von _ = 0.001 bis _ = 0.002 etwa 20cm ent-
N N
fielen.
Beispiel einer Versuchsberechnung. Im folgenden geben wir als
Beispiel den vollständigen Versuch Nr. 4 für Benzoesäure aus der
weiter unten folgenden Tabelle mit sämtlichen Daten und der Be-
rechnung an:
ı. Beobachtungsdaten: Kalorimeter + Wasser = 4450g (unkorr.)
15. Mai 1906. Tourenzahl des Rührers: 45 — 46 pro Minute
Zimmertemperatur: 19.3° — 20.0°
Manteltemperatur: 18.6° — 18.7°
Temp. d. Ölbades d. Ohmbüchse: 18.0°— 18.1°
Füllung der Bombe: 46 Atm. (korr.) 0.5 cemH,o
somm Eisendraht
Substanz: 0.70004 g Benzoesäure.
Fischer und F. Wreoe: Verbrennungswärme organischer Verbindungen. 139
——n a — ee een
I
Widerstandsmessungen | | N N‘ 107 | Zeitablesung
| 8 | 110 634-4 15763 o' 00"
| 4-7 7555 145
| | 5.0 748 345
Vorversuch ........... } | SB 7405 | 6 10
| 5.6 1330 | 8 35
5- 128 1 oo
| gezündet bei 10 00
- 6 | 650 | 15385 Io
| LER: 790 | 12658 25
Hauptversuch ......... ) R | : | 970 10309 II 20
| | 967 341 ig —
66.5 347 14 30
66.0 352 15 45
65.5 | 3575 16 50
65.0 | 363 17 50
Nachversuch........... | 27 | 3 en
3.0 384 23 15
62.0 395 26 10
| 61.0 406 29 —
er - | 960.5 10411 | 30 15
Titration der entstandenen Salpetersäure 0.0420 K.W.S.
Verbrennungswärme des Eisendrahtes. . 0.0473 »
0.0893 K.W.S.
E I > :
2. Berechnung: Die Werte N werden, mit den Zeitablesungen
als Abszissen, in der Art der Figuren 3 und 4 aufgetragen, und zwar
für 0 —ı0’ für den Vorversuch und für 15° — 30’ für den Nachversuch
(s> ig. 3 u. 4).
Fig. 3. Fig. 4.
Durch die so erhaltenen Punkte wird nun je eine gerade Linie
gezogen, die den Gang der reziproken Widerstandsänderung pro Mi-
I I
dr ee
—— 7,3 9X 107" und , = + 3.90X 10”, von kleinen
Ablesefehlern befreit, ergeben. Ebenso werden durch diese Geraden
nute, d. i.
140 Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908. — Mittheilung vom 9. Januar.
die Widerstände zu Anfang und zu Ende des Hauptversuchs, also zu
den Zeiten 10’ und ı5', bestimmt.
— AS!
Wir erhalten so:
07 und —- = 10351.5X 1077
n:
Für den Hauptversuch lesen wir aus der oben S. 138 besprochenen
Kurve (8 110) die folgenden Temperaturen ab:
[een
i IE 7
Zeit In x Io Grad
10' 00 15728.2 17.444 | =U
10" 15385 Be
25" 12658 18.062 |
ı1' 20" 10309 540
13' 00" 341 534
14'307 | 347 530
15' 00" 10351.5 18.529 | =.
\ u tu
Danach ist u, — u, = 1.085° und — — = 17.987°.
Die Temperaturkurve für den Hauptversuch ist in Fig. 5 wieder-
gegeben: u, ist die rechnungsmäßig (s. u.) ermittelte Temperatur der
Fig. 5.
I I
F ee —
erner ist W. Sr
I I
Je —
und w. r7
also = a
—
2
Umgebung und F, und F, die
Teile der in der Zeit ı0' bis ı5'
umschriebenen Fläche. Durch Aus-
messen oder indem man das be-
treffende Stück der Figur aus-
schneidet und durch Wägung be-
stimmt, erhält man F,+F, = 5.003
Grad x Minuten.
Zur Berechnung von U nach
der Formel (2) haben wir gB=
1.568192 für die Mitteltemperatur
17.987° aus der Tabelle S. 136 zu
entnehmen.
Su 1572821 X 10 = 013508378
u + 10351.5X10 7 = 0.13512606,
0.0005 3767.
Dann ist, nach (2), der unkorrigierte Wert von U = 1.08519°. (Für
u,—u, war oben, angenähert, gefunden worden 1.085°.)
Fischer und F. Wrepe: Verbrennungswärme organischer Verbindungen. 141
Diese gemessene Temperaturerhöhung U muß nun korrigiert
werden wegen des Wärmeaustausches mit der Umgebung während
des Hauptversuchs:
d
Nach (4) ist z = + 0.0006675
| du,
n =—o0. 791.
und —, 0.000791
Ferner berechnet sich, nach (6), @= 0.001343 und, nach (7),
00 17.087. 0.0462° = 17.941°. . Dann ist M, — U. = 0.497°.
la
Nach (5) war die Korrektion u’ = a ar oder, nach der
[
!
Bezeichnung in Fig. 5: W=ax(F,—F,).
Setzt man nun für (F,—F,) nach Fig. 5: (F,+ F,))—(F,+ F,),
worin (F,+ F,) = 5.003 Grad x Min. bekannt (s. o. S. 140) und (F,+ F,
= 5 Min.x (w—u,) oder = 2.485 Grad x Min., so erhält man:
u = ax (5.003 — 2.485) = 0.001343X 2.518 = + 0.00338°.
Der korrigierte Wert von U ist demnach 1.085 19°-+ 0.00338°
—41.08857°.
Der Wasserwert des Apparates (s. u.) ist 17.110 K.W.S. pro
ı Grad Temperaturerhöhung. In unserem Fall entspricht also U korr.
einer entwickelten Gesamtenergie von 17.110 K.W.S.x 1.08857
= 18.6254 K.W.S., von denen für Eisenoxyd und Salpetersäure abgehen:
0.0893 » . Es bleiben demnach für 0.70004 g Benzoesäure
18.5361 K.W.S. Hieraus berechnen sich für
ı g Benzoesäure: 26.479 K.W.S.'
Resultate. Im Nachfolgenden geben wir als Auszug aus einer
längeren Reihe von Versuchen nur die Resultate, die bei der Ver-
brennung des Rohrzuckers und der Benzoesäure erhalten wurden, und
bemerken dazu folgendes:
Der Rohrzucker war aus reinstem käuflichen Material durch
ıomaliges Auflösen in wenig Wasser und Abscheidung mit Alkohol
gereinigt. Die Proben ı und 2 waren bei 105° unter gewöhnlichem
Druck, Nr. 3 und 4 bei gewöhnlicher Temperatur über Phosphorpent-
oxyd im Vakuum, endlich 5 und 6 über Phosphorpentoxyd bei 100°
im Vakuum getrocknet. Das feine Pulver wurde aus einem Wäge-
röhrehen in den Verbrennungstiegel übergeführt.
! Diese » Verbrennungswärme« bezieht sich auf die Umwandlung von ı g Benzoe-
säure von der Versuchstemperatur in gasförmige Kohlensäure und flüssiges Wasser bei
konstantem Volum des reagierenden Systems.
Sitzungsberichte 1908. 15
142 Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908. — Mittheilung vom 9. Januar.
Die Benzoesäure war aus Harn dargestellt, mehrmals im Vakuum
destilliert und dann noch über Phosphorpentoxyd wochenlang ge-
trocknet. Sie wurde zu Pastillen geprelit und diese im Verbrennungs-
tiegel abgewogen.
Bei den bisherigen thermochemischen Untersuchungen ist, soweit
es sich aus der uns zugänglichen Literatur ersehen läßt, keine Re-
duktion der abgewogenen Substanzmenge auf den luftleeren Raum
vorgenommen worden. Bei der Genauigkeit der Verbrennungswerte,
die wir anstrebten, war aber diese Maßregel nicht zu umgehen. Die
in der nachfolgenden Tabelle angegebenen Gewichte sind daher auf
den luftleeren Raum bezogen, wobei als Dichte für Rohrzucker 1.53
und für Benzoesäure 1.34 angenommen wurde.
Von weiteren Vorsichtsmaßregeln sei folgendes angeführt: Alle
gebrauchten Gewichte sind von der Kais. Normaleichungskommission
geprüft und ebenfalls auf den luftleeren Raum bezogen.
Das Manometer, das bei der Füllung der Bombe mit Sauerstoff be-
nutzt wurde, war auf der hiesigen Physikalisch-Technischen Reichsanstalt
geprüft. Besondere Aufmerksamkeit haben wir endlich der Beschaffen-
heit des von uns benutzten Sauerstofis gewidmet: Er enthielt 4 Prozent
Stickstoff (bzw. Argon), dagegen waren keine nachweisbaren Mengen
von Kohlensäure, Wasserstoff oder Kohlenwasserstoffen vorhanden. Um
die Abwesenheit der beiden letzten zu beweisen, wurden etwa 8 Liter
des Sauerstoffs über glühendes Kupferoxyd und dann durch ein Rohr
mit Phosphorpentoxyd und einen mit Barytwasser gefüllten Kali-
apparat geleitet.
Der » Wasserwert« unseres Kalorimeters ist bei den Bestimmungen
folgendermaßen berechnet worden: Nach JAEGER und vo STEINWEHR
entspricht das ganze Kalorimeter mit Ringrührer... 17.095 K.W.S.
Dazu kommen: für 45 Atmosphären' Sauerstoffüllung 0.011 » » »
für 0.5 eem Wasser ..... LER u. 30,002 0» Er
für Verbrennungsprodukte aus etwa
12 03SUbStan ze er ren 0.002 » » »
zusammen 17.110 K.W.S.
Die Bombe enthält 275 cem, d. h. mit 45 Atmosphärenfüllung:
12.38 Liter Gas von gewöhnlichem Druck. Rechnet man das spezifische
Gewicht des Sauerstoffs bei 18° zu 1.34. x IO-°, so entspricht die
3ombenfüllung 16.59 g Sauerstoff. Da die spezifische Wärme des Sauer-
0.218
stoffs bei konstantem Volum gleich — = 0.156 ist, so würden
on
1.4
! Ausschließlich ı Atmosphäre Luft, die auch bei der elektrischen Eichung vor-
handen war.
Fischer und F. Wreve: Verbrennungswärme organischer Verbindungen. 143
obige 16.59 g entsprechen: 2.6 cal. oder, auf elektrisches Maß um-
gerechnet: 0.011 K.W.S.
Die 0.5 cem Wasser sind, dem allgemeinen Gebrauch entsprechend,
in die Bombe eingefüllt, um vor der Verbrennung den Sauerstoff mit
Wasserdampf zu sättigen.
Als letzte Zahl ist beim » Wasserwert« 0.002 K.W.S. eingesetzt als
spezifische Wärme der Verbrennungsprodukte. In Wirklichkeit be-
trägt der Wert für Rohrzucker 0.0024 K.W.S. Er ist folgendermaßen
bereehnet: 19 Rohrzucker gibt 0.53g Wasser (flüssig), die bei ı°
Temperaturerhöhung 0.0024 K.W.S. entsprechen. Aus dem Kohlen-
stoff wird eine dem verbrauchten Sauerstoff an Volum gleiche Menge
Kohlensäure, die ungefähr die gleiche spezifische Wärme hat.
Stellt man dieselbe Rechnung für Benzoesäure an, so ergibt sich
für ıg verbrannter Substanz als Wasserwert der Produkte 0.0017
K.W.S., weil hier nicht allein für den Kohlenstoff, sondern auch noch
für + des Wasserstoffs Sauerstoff verbraucht wird. und weil außerdem
die Menge des Wassers erheblich kleiner ist.
Wir haben in beiden Fällen die abgerundete Zahl 0.002 K.W.S.
eingesetzt, weil Differenzen in der 4. Dezimale innerhalb der Fehler-
grenzen der Methode liegen.
Für die Bestimmung der Salpetersäure diente eine Lösung von
Natriumkarbonat, die im Liter 3.7066g Na,CO, enthält und von der
ı cem einer Kalorie entspricht. Dabei ist nach BERTHELOT angenommen,
daß die Bildungswärme von ıg HNO, (in Wasser gelöst) 2.27 eal. be-
trägt. Dieselbe Lösung von Natriumkarbonat hat auch Sronnmann be-
nutzt.
Als Verbrennungswärme für Eisen (zu magnetischem Eisenoxyd)
rechnet Stoumass (J. pr.Ch. 39, 508) 1601 cal. pro Gramm, während Ber-
THELOT (Thermochem. Messungen S.84) 1650 cal. pro Gramm annimmt.
Diese letztere Zahl ist auch im französischen Original S. 139 enthalten
und eigens für die Berechnungen von Verbrennungswärmen angegeben.
Je nachdem man den einen oder anderen Wert einsetzt, würde für
unsere Korrektion in K.W.S. (s. Tab.) eine Differenz von 0.0013 ent-
stehen. Wir haben die Berrnerorsche Zahl vorgezogen, um so mehr,
als noch eine andre Wärmemenge zu berücksichtigen ist, die «dem
Eisendraht bzw. den Zuleitungsdrähten innerhalb der Bombe zugeführt
wird, bis er verbrennt und durchschmilzt.
Da wir einen Strom von 5 Akkumulatoren benutzen, so erfolgt
die Erwärmung sicherlich in einem kleinen Bruchteil einer Sekunde.
Wir nehmen an. daß in dieser Zeit keine in Betracht kommende Wärme
! Journ. prakt. Chem. 39. 522.
u
144 Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908. — Mittheilung vom 9. Januar.
durch Leitung oder Strahlung in die Bombe gelangt. Um die andre Wärme-
menge annähernd abzuschätzen, wollen wir die Annahme machen, daß
eine Erhitzung des Drahtes auf 600° erfolgt. Da 5 em Draht, die wir stets
verwenden, 6.85 mg wiegen und die spezifische Wärme des Eisens etwa
o.1 beträgt, so würden zur Erhitzung 0.4 cal. oder 0.0017 K.W.S. nötig
sein, was ungefähr der oben angegebenen Differenz zwischen den Ver-
brennungswärmen für den Eisendraht entspricht, die sich nach dem alten
Wert (1601 cal.) oder nach dem neuen BErrHeLorschen Wert (1650 cal.)
berechnen. Wir machen übrigens darauf aufmerksam, daß es sich hier
nur um eine Größe handelt, die bei unsern Bestimmungen mit Rohrzucker
. I Y ..
noch nicht ganz —— der Gesamtverbrennungswärme ausmacht.
10000 S
zu 7 - . = |
Korrektion | __ Korrektion für Angewandte || Merbren en EA
Nr Ai = “= U | für K.W.S. | Eisendraht: 0.0473 Sa nungswärme | weichung
x = | Wärme- | brutto MEEEENO Y: pro Gramm | 5
Grad | Grad | Austausch | K.w.S.: ? g (absol) | K.W.S. | Promille
A. Rohrzucker. 0:00 | | —0.0
d> 16.904 0.88214 345 15.1524 | 661 0.9120 | 16.542 —2
2. 18.400 1.11442 306 19.120: 703 1.15I0 | Del ze
3- 18.506 0.949857 | 575 16.3284 682 0.9827 546 | +I
4. 18.549 0.89439 469 15.3833 | 682 0.9260 539 —4
5. 17.860 0.891565, 142 15.2789 669 0.9196 542 _2
6. 18.117 0.947792 370 16.2822 682 | 0.9796 552 +4
Mittel | 16.545
B. Benzoesäure. |
|
I. 15.874 | 1.4805, | 7Is 25.4549 841 0.9585 26.469 —3
2 15.966 | 1.56434 635 26.8752 870 I.01I25 A907 0 Er
3.1 16.147 1.465838 86: | 25.2285 841 0.9498 | 413 | —
4. 17.987 | 1.085Ig 338 | 18.6254 893 0.7000, | 479 o
| .
| Mittel | 26.478
Schließlich wollen wir noch die Resultate von drei weiteren Be-
stimmungen von Benzoesäure anführen, bei denen wegen einer ge-
ringen Veränderung im Wasserwert die Berechnung etwas anders
wurde. Wir geben deshalb nur die Endzahlen für die Verbrennungs-
wärme pro Gramm und die Abweichungen vom Mittel in Zehntausend-
steln an:
26.468 —2
471) 6)
A
Mittel 26.472 |
Als Mittel von allen sieben Versuchen ergibt sich der Wert:
26.475 K.W.S. pro ıg (absol.) Benzoesäure.
Um den Vergleich mit andern Werten der Thermochemie zu
erleichtern, geben wir auch noch die Werte für die Verbrennungs-
Fıscner und F. Wrepe: Verbrennungswärme organischer Verbindungen. 145
wärme von 18 Benzoesäure, gewogen in Luft; sie beträgt: 26.497
K.W.S.
Für Rohrzucker ist, wie oben angegeben, die Verbrennungs-
wärme pro 1g (absol.): 16.545 K.W.S.; unterläßt man die Reduktion
auf den luftleeren Raum, so erhöht sich dieser Wert auf 16.555 K.W.S.
Zum Schluß vergleichen wir diese Werte mit den Zahlen, die
wir früher bei Anwendung eines Quecksilberthermometers und mit der
ersten ungenaueren Grundeichung der HH. Jarser und von StEINwEHR
erhalten hatten. Das Mittel für Benzoesäure betrug 26.546 K.W.S. pro
Gramm. Die Differenz mit obigem Wert beträgt also 24 Promille. Wir
bemerken dazu, daß früher die Substanzmenge nicht auf den luftleeren
Raum bezogen war, wodurch schon eine Differenz von annähernd
0.8 Promille entsteht. Jedenfalls ist die neue Zahl nach unsrer Schät-
zung erheblich zuverlässiger. Bei Rohrzucker fanden wir früher als
Mittel von allerdings nur drei Versuchen 16.658 K.W.S. pro Gramm,
so daß gegen den neuen Wert eine Differenz von 0.113 K.W.S. ent-
steht. Sie würde sich auf ungefähr 0.10 K.W.S. verringern, wenn
die Substanzmengen bei den alten Bestimmungen auf den luftleeren
Raum bezogen werden. Aber auch dann ist die Differenz noch so
groß, daß wir bei den früheren Versuchen einen Fehler annehmen
müssen, der die Fehler der Methode übersteigt. Selbstverständlich
halten wir die neuen Bestimmungen für sehr viel zuverlässiger.
Endlich geben wir noch eine Umrechnung der gefundenen Werte
in Kalorien mit dem Faktor ı K.W.S. = 0.2390 Kal. Danach ergibt
sich als Verbrennungswärme von
ı g (absol.) Rohrzucker: 3.954 Kal.
ı g (absol.) Benzoesäure: 6.328 Kal.
oder, wenn die Reduktion auf den luftleeren Raum für die Wägung
der Substanz nicht stattfindet:
ı g Rohrzucker: 3.957 Kal.
ı g Benzoesäure: 6.333 Kal.
Wir betonen jedoch nochmals, daß diese letzten Zahlen mit
der Unsicherheit belastet sind, die der Bestimmung des Verhältnisses
K.W.S.: Kalorie auch heute noch anhaftet.
Wir glauben bei dieser Gelegenheit auch unserem Bedauern Aus-
druck geben zu müssen, daß von unserer früheren Arbeit »Über die
Verbrennungswärme organischer Verbindungen«' in die Sammelwerke,
z. B. die Tabellen von Lanporr-Börnstem, nicht die Originalwerte in
elektrischem Maß, sondern an ihrer Stelle nur die daraus berechneten
! Diese Sitzungsber. 1904. XX. S. 687.
Sitzungsberichte 1908. 16
146 Gesammtsitzung vom 30. Januar 1908. — Mittheilung vom 9. Januar.
Kalorien übergegangen sind. Da nun der Faktor, den wir damals
vor vier Jahren für das Verhältnis von K.W.S.: Kalorien für den
besten angesehen haben, d.h. die Zahl 0.2394, als ungenau erkannt
ist, so sind jene in den Lehrbüchern enthaltenen Werte, die auf unsere
Bestimmungen zurückgeführt werden, mit einem verhältnismäßig hohen
Fehler belastet.
Wir müssen die Verantwortung für die dadurch entstandene Ver-
wirrung ablehnen und bitten, bei etwaigem Gebrauch unserer Zahlen
auf die Originalbestimmungen zurückgreifen zu wollen.
Ausgegeben am 6. Februar.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
RESTE". VI. vI.
athematischen Classe am 6. Februar. (S. 147)
: Über die Analyse der Stickoxyde durch ihre Absorptionsspectra
le der Eetabidlitie: a ee
3 ai 2“ E
: x ei BERLIN 1 1908.
KÖNI en AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
J TUN. 16 1008
EN
hm, HSONIAN vr
Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften.
Aus $l.
Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei
fortlaufende Veröffentlichungen heraus: » Sitzungsberichte
der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«
und »Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie
der Wissenschaften «,
Aus $ 2.
Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die
»Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka-
demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel
dasdruckfertige Manuscript zugleich einzuliefernist. Nicht-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.
83.
Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll
in der Regel in den Sitzungsberiehten bei Mitgliedern 32,
bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift
der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen
von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand-
lungen nicht übersteigen.
Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung
der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt-
haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu
beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver-
muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde,
so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen
von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lassen.
SA.
Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder
auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die
Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original-
aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch
auf getrennten Blättern, einzureichen.
Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in
der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten
aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so
kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein
darauf geriehteter Antrag ist vor der Herstellung der be-
treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage
eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu
riehten, dann zunächst im Secretariat vorzuberathen und |
weiter in der Gesammit-Akademie zu verhandeln.
Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka-
demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten
ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren
handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen
beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er-
forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark,
bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung
durch das Secretariat geboten.
Aus $5.
Nach der Vorlegung und Einreichung des
vollständigen druckfertigen Manuseripts an den
zuntkndisen Secretar, oder an den Archivar
wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen
Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit-
glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt.
Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder
ıler Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die
Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine
Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Niehtmitgliedes
in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen«,
so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die
Gesammt-Akademie.
L
(Fortsetzung auf S. 3
Aus 86, 7
Die an die Druckereiabzuliefernden Manuseriptemüssen,
wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus-
reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes
und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen j
Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenlen
Mitgliede vor Einreichung des Manuscripts vorzunehmen.
Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser
seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht.
Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen Jie
Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an Jas
vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach
Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Drucktehlern
und leichten Sehreibversehen hinausgehen. Umfängliche
Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi-
givenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerei,
und die Verfasser sind zur Tragung dere un Mehr-
kosten verpflichtet. ri 4
Aus $8.
Von allen in die Sitzungsberichte oder Aalen
aufgenommenen wissenschaffliehen Mittheilungen, Reden,
Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von
wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im
Druck 4 Seiten übersteigt, auch fürden Buchhandel Sonder-
abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be-
treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden.
Von Gedächtnissreden werden ebenfalls Sonderabdrucke
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären.
$9.
Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberichten - |
erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei-
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis
zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Secretar an- |
wünselit er auf seine Kosten noch |
|
gezeigt hat;
Brtarte zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be-
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freie |
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Sceeretar weitere 200 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen lassen.
Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er-
hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertlieilung ohne weiteres 30 Frei-
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl‘
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis
zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar an-
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be-
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 ‚Frei-
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare auf i
Kosten abziehen lassen.
8 17. ‘ 4
Eine für die akademischen Schriften be-
stimmte wissenschaftliche Mittheilung da
in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jene
Stelle anderweitig, sei es auch nur auszugs
des Umschlags.)
J
147
SITZUNGSBERICHTE 1908.
VI.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
l. Hr. Wargure las über eine von ihm mit Hrn. Dr. G. Lertnäuser
ausgeführte Untersuchung: Die Analyse der Stickoxyde durch
ihre Absorptionsspeetra im Ultraroth.
Salpetersäureanhydrid, Stickstoffperoxyd (NO,) und Stickoxydul haben im Ultra-
roth je einen intensiven Absorptionsstreifen, welcher zur qualitativen und quantitativen
Analyse des betreffenden Gases dient. In atmosphärischer Luft bildet die stille Ent-
ladung ausser Ozon Salpetersäureanhydrid und Stickoxydul, der Lichtbogen nur Stick-
stoffperoxyd.
2. Hr. Branca legte eine Arbeit des Hrn. Prof. Dr. H. Porontz
vor: Eine Classification der Kaustobiolithe.
Die Classification der gasförmigen, flüssigen und festen, heutigen wie fossilen,
brennbaren Gesteine leidet unter einer Überzahl von Namen und Bezeichnungen, die
vielfach eine ganz schwankende, unsichere Bedeutung besitzen und von verschiedenen
Autoren in ganz verschiedenem Sinne gebraucht werden. Gerade umgekehrt fordert
die überaus grosse nationalökonomische Wichtigkeit der Kaustobiolithe eine möglichst
scharfe Präeisirung ihrer Entstehungsweise und ihrer Herkunft. Eine solche wird hier
als Ergebniss langjähriger Untersuchungen gegeben; sie führt zu einer Hauptgliederung
in die Sapropel-Bildungen, Humus-Bildungen und Liptobiolithe.
3. Hr. Warvever legte eine Mittheilung des Hrn. Prof. Dr. Oskar
ScHuLTzE in Würzburg vor: Zur Histogenese des Nervensystems.
Es werden bei den Wirbellosen zwei Formen der peripheren Nervenfasern als
weit verbreitefes Vorkommniss unterschieden und mit den Nervenfasern der Wirbel-
thiere verglichen. Weitere Beobachtungen über die multicelluläre Entstehung der peri-
pheren Nervenfasern werden mitgetheilt.
4. Hr. Warpever überreichte ferner Sonderabdrucke zweier Mit-
theilungen des Reisenden der Hunsor.pr-Stiftung Hrn. Prof. Dr. W. Vorz
in Breslau: Die Battak-Länder in Zentral-Sumatra (Zeitschr. Ges. f. Erdk.
1907), und Über das geologische Alter des Pithecanthropus erectus Dus.
(Globus 1907).
Sitzungsberichte 1908. 17
148 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
Über die Analyse der Stickoxyde durch ihre
Absorptionsspektra im Ultrarot.
Von E. Warsure und G. LEITHÄUSER.
Mitteilung aus der Physikalisch- Technischen Reichsanstalt.
SETe Di. Analyse der Stickoxyde durch chemische Methoden
stößt zuweilen auf Schwierigkeiten. So haben sowohl Ozon wie NO,
die Eigenschaft, Jod aus Jodkaliumlösung freizumachen. Auch ist
eine chemische Methode zum Nachweis des N,O in schwacher Kon-
zentration nicht bekannt.
Die Aufnahme der Absorptionsspektra von N,O,, N,O, NO, und NO
zwischen den Wellenlängen 2.7 und 7 u hat nun ergeben, daß nicht
nur, wie früher gefunden, N,O,, sondern auch NO, und N,O in diesem
Gebiet einen sehr intensiven Absorptionsstreifen besitzen, welcher zur
qualitativen und quantitativen Analyse kleiner Mengen dieser Gase
benutzt werden kann.
$ 2. Die Aufnahme der Spektren geschah durch ein Spiegel-
spektrometer mit einem Flußspatprisma, für dessen leihweise Über-
lassung wir Hrn. Dr. HauswArLn zu größtem Dank verpflichtet sind;
es wurde automatisch in der Minimalstellung gehalten. Als Strah-
lungsquelle diente eine Nernstlampe, als empfangende Vorrichtung ein
Vakuumbolometer (beschrieben Ann. d. Phys. (4) 24, S. 25, 1907) von
o.2 mm Streifenbreite und 7 Ohm Widerstand in Verbindung mit
einem Panzergalvanometer nach der Konstruktion der HH. pu Boıs und
Rusens. Die Reduktion auf Wellenlängen erfolgte nach den neuesten
Bestimmungen der Dispersion im Flußspat von Hrn. Pascnen'. Die
Breite des Spaltbildes umfaßte einen Wellenlängenbereich von 0.02
bis 0.03 u.
$ 3 Fig.ı gibt die graphische Darstellung der Absorptionsspek-
tren, das des ÖOzons einbegriffen; die im Gase durchlaufene Weg-
länge belief sich im allgemeinen auf ı8 em, nur beim NO, auf 30cm.
Es betrug ungefähr der Partialdruck des N,O, 100 mm, des NO 4omm,
des N,O Atmosphärendruck. Auch für die einzelne Substanz gibt
Ann. d. Phys. 4, 299, Igo1.
WAaRBUuRG u. G.Lerruäuser: Absorptionsspectra d. Stickoxyde im Ultraroth.
0)
686
Fig. 1.
149
150 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
die Darstellung kein richtiges Bild von der relativen Stärke der Ab-
sorption an verschiedenen Stellen des Spektrums. Denn bei hinrei-
chend großer Konzentration oder Schichtdicke werden sowohl die
schwächer als auch die stärker absorbierbaren Wellenlängen fast voll-
ständig ausgelöscht. Sobald ferner innerhalb der Breite des Spaltbildes
die Absorption nicht konstant ist, hängt die Höhe eines Absorptions-
maximums von der Spaltbreite ab und wird um so größer, je schmaler
der Spalt gemacht wird. Absorptionskoeffizienten können in einem
solchen Fall nicht bestimmt werden.
In der folgenden Tabelle sind die Minimalablenkungen 6 und
die Wellenlängen A der Absorptionsmaxima zusammengestellt.
No & oral ons) 1932, 10083 2Su21 2°400 a
N 2:78 2.83 2033 3.86 Ar 4-81 5.81
01924) 1°40' 1053, 2205. (2>173.)28202°01,
N,O
2 2.79 3.54 3.86 4.02 (4.29) 4-45
a
NO, |) 3438 6.11
0 3°33:5
N.0, |
A 5.695
no)‘ 3°%4:5 3°14:5
A 5.24 5.40
ö 2°36
0,
"IX 4.74
Für den vorliegenden Zweck interessieren besonders die intensiven,
in der Tabelle fettgedruckten Absorptionsstreifen; sie sind in Fig. 2,
3, 4 für schwächere Konzentrationen dargestellt, bei welchen sie
beinahe allein übrigbleiben und bei welchen die Lage der Maxima
deutlich hervortritt. Fig. ı zeigt, daß O,, N,O und N,O, nebeneinander
nachgewiesen werden können, ebenso N,O und NO..
Das als NO, bezeichnete Gas ist in Wahrheit ein Gemisch von
NO, und N,O,, und es fragt sich, welchem dieser beiden Gase die ver-
schiedenen beobachteten Streifen angehören. Die ausgezogene Kurve I,
Fig. 4, gibt nun die Absorption für eine Weglänge von 30 cm und eine
schwache Konzentration, bei welcher der Partialdruck des Gases bei
der Dissoziation Null 0.58 mm betrüge und bei welcher nach der Disso-
ziationstheorie der Dissoziationskoeffizient bei 20° sich auf 95 Prozent
beläuft. Die Dissoziation zu NO, ist also fast vollständig, und die
Kurve I zeigt, daß die Absorption bei 4°2' stark, bei 3°34' aber sehr
schwach ist, wodurch bereits wahrscheinlich gemacht wird, daß der
Streifen bei 3°34' dem N,O, angehört. Darauf kühlten wir das Gas-
gemisch mittels eines um das Versuchsrohr gelegten Mantels auf +- 30°
Warsure u. G.Lerrsäuser: Absorptionsspectra d. Stickoxyde im Ultraroth. 151
ab, wobei nach der Dissoziationstheorie der Dissoziationskoeffizient auf
47 Prozent zurückgeht. Wie die auf diese Temperatur bezügliche
Kurve II zeigt, ist durch die Abkühlung die Ab-
sorption bei 4°2' von 64 Prozent auf 44 Prozent
IN herabgesetzt, bei 3°34' von 3 Prozent auf 35 Pro-
ng. 2.
zent erhöht; Erwärmung auf 20° brachte wieder
genau die Kurve I hervor. Der Streifen bei
3°34' (5.7 u) gehört also dem N,O,, der Streifen
bei 4°2' (6.11 u) dem NO, an; auch der schwache
A Streifen bei 3.38 « rührt von NO, her. Sofern
N,O, im sichtbaren Gebiet nicht absorbiert, ist
demnach für dieses Gas der Streifen bei 5.7 u
der einzige bis jetzt bekannte.
5 $ 4. Solange die Absorption nicht zu groß
wird, ist die Methode auch zu quantitativer Be-
stimmung zu brauchen. Dazu mußte für das zu
20 benutzende 30 cm lange Rohr die Absorption
zusammen mit dem Partialdruck des Gases be-
stimmt werden. Es handelte sich dabei vielfach
um Partialdrucke zwischen 0.3 und ı mm, so
3° 3 7 daß der Inhalt des Versuchsrohres (179 eem)
zur Analyse nicht hinreichte. Wir verfuhren
bei N,O, und NO, so, daß wir den Luftstrom, weleher zur Auf-
nahme dieser Gase bestimmt war, durch eine Gasuhr leiteten und,
nachdem die Absorption der Strahlung konstant geworden war, ein
gemessenes Luftvolumen von passender Größe durch ein mit Wasser
Fig. 3. Fig. 4.
No,
N,O,
60
40
20
152 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
gefülltes Absorptionsgefäß treten ließen; hierbei wurde NO, vor Ein-
tritt in das Wasser durch beigemischtes Ozon zu N,O, oxydiert, die
Salpetersäure im Wasser durch Titrieren mit '/, normaler Kalilauge
bestimmt. Stiekoxyd brachten wir in einem Wasser-, Stickoxydul
in einem Quecksilbergasometer auf die gewünschte Konzentration.
Die Ergebnisse dieser Versuche sind in der folgenden Tabelle
zusammengestellt, m, ist die Anzahl von Molen des Gases im Kubik-
zentimeter, p der Partialdruck bei 18°, A die Absorption in Prozenten.
NO (= 5.24 a) O; (A=4.74 u) NO (A=4.45 4)
m,-10® 239 483 Sa a2 235 0.63 12.507 art
p 43.4189 16.8 25.38 142.8 0.114 0.455 0.656
A AUSH T e Frsze l57 11.4 29.4 36.4
NO; (A= 6.12 u) N.0, (A= 5.81 u)
Mm. 10, 1432970105.430016.05 1.26. 1.44.) 2.04. 2.08.3.00
p Serie Oo) Mortal 0.23. 0.26! 0.37. 0.491 050
A a 3 ee no
Demnach ist die Empfindlichkeit der spektralanalytischen Reaktion
am größten für N,O,, für NO, und N,O auch sehr groß, klein für O,
und NO. 36 Prozent Absorption wurden an der empfindlichen Stelle her-
vorgebracht durch Partialdrucke von 0.24 mm an N,O,, 0.5ımm an NO,,
0.64 mm an N,O, 25 mm an O, auf einem Wege von 30 cm Länge.
$ 5. Wir haben die dargelegten Methoden angewandt auf die
Untersuchung der durch elektrische Entladungen in atmosphärischer
Fig. 5.
Warsurs u. G.Lerrnäuser: Absorptionsspectra d. Stickoxyde im Ultraroth. 153
Luft bewirkten Stickstoffoxydation. Dabei wurde das Gas aus den
Entladungsapparaten in das Versuchsrohr geleitet.
ı. Stickstoffoxydation bei der ÖOzonisierung in der Sırmexsschen
Röhre. Fig. 5 zeigt das Absorptionsspektrum für zwei verschiedene
ÖOzonkonzentrationen. Die drei beobachteten Streifen entsprechen
N,0, O, und N,O,. Es bildet sich also, was bisher nicht bekannt
war, neben Ozon außer N,O, auch N,O. In der folgenden Tabelle
sind auf Grund der Ergebnisse des $ 4 für drei Ozonkonzentrationen
in den drei ersten Kolumnen die Partialdrucke bzw. des O,, N,O,,
N,O bei 18° verzeichnet, in der 4. und 5. Kolumne die Verhältnisse
der Partialdrucke des N,O, bzw. des N,O zu dem des O,'.
0; N,0, N.O N I
19.7 0.39 0.50 0.020 0.025
E23 0.23 0.30 0.019 0.024
9-5 0.22 0:165% 0.072 0.023
Die drei Ozonkonzentrationen entsprechen 52, 33 und 25 g 0, im
Kubikmeter.
Die Wirkung der stillen Entladung auf trockne atmosphärische
Luft unter normalen Verhältnissen ist also nunmehr dahin bestimmt,
daß neben O, auch N,O,, N,O und das von HAurrreviLre und Umarpuis
entdeckte neue Stickoxyd entsteht.
2. Stickstoffoxydation bei der ozonlosen Entladung. Dieselbe
wurde, wie früher (Ann. d. Phys. 20, 747, 1906) beschrieben, durch
den Strom der Elektrisiermaschine zwischen Platinelektroden her-
gestellt. Es zeigte sich, daß neben NO, auch N,O entsteht; so er-
gab sich in einem Versuch die Absorption bei 4°3' (NO,) zu 43 Pro-
zent, bei 2°2ı' (N,O) zu 15 Prozent.
Aus NO, das in O,freiem N, gelöst ist, bildet die stille Ent-
ladung in der Sıruensschen Röhre N,O; diese Wirkung kann zu der
Entstehung des N,O bei der ozonlosen Entladung beitragen.
3. Wirkung des Lichtbogens auf trockne atmosphärische Luft.
Es wurde ein Hochspannungs-Wechselstromlichtbogen zwischen Platin-
elektroden bei einer Potentialdifferenz von ungefähr 2000 Volt in einem
Glasgefäß eingeleitet, welches sich bald mit den braunen Dämpfen
des NO, füllte. In dem Absorptionsspektrum des Gases wurden nur
die drei Absorptionsstreifen des NO, bzw. N,O, gefunden; andere
Stickoxyde bilden sich also hier nicht.
! Der eine der beiden (Fig. 5) dargestellten Versuche eignet sich wegen zu
starker Absorption nicht für diese Berechnung.
154 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
Eine Klassifikation der Kaustobiolithe.
Von Prof. Dr. H. Poroniz.
(Vorgelegt von Hrn. Branca.)
b+ der entscheidenden Wichtigkeit, welche die Klassifikation der
rezenten Kaustobiolithe' für diejenige der fossilen und deren Genesis
besitzt, gebe ich im folgenden eine ganz kurze Übersicht der Ergeb-
nisse meiner langjährigen hierauf bezüglichen Studien in möglichster An-
lehnung an die bisher gebräuchliche Klassifikation und Terminologie.
Die flüssigen oder festen, brennbaren, kohlenstoffhaltigen fossilen,
subfossilen oder nach ihrem Absterben gebildeten rezenten Produkte
der Lebewesen — kurz gesagt die Kaustobiolithe — zerfallen in
drei große Kategorien, nämlich:
I. in Sapropel- (Faulschlamm-) Bildungen,
essın Humusbildungen,
II. in Liptobiolithe (Harz-, Wachsharz- und verwandte
Bildungen).
I. Sapropelgesteine.
Die Sapropelgesteine sind besonders Sapropelite, wobei »Pelit«
nur auf die feine, tonartige Beschaffenheit hinweist. Ein Sapropelit
kann ganz rein sein (ausschließlich aus organischen Resten hervor-
gegangen), oder kann noch anorganische Bestandteile, ebenfalls von
Pelitnatur enthalten. Wo die Sapropelgesteine viele psammitische Be-
standteile haben, ist von Sapropsammiten zu sprechen, die weit
seltener sind.
Lagerstätten von Sapropelgesteinen sind vor allem stagnierende
bis halbstagnierende Wässer. Sind sie mit Sapropel oder Sapropel
enthaltenden Sedimenten vollständig erfüllt, so haben wir sehr ge-
fährliche Sümpfe.
! Von kavsros, brennbar, im Gegensatze zu den Akaustobiolithen (wie z.B.
Korallenriffkalk), die nicht brennen bzw. keine brennbaren Bestandteile mehr enthalten.
H.Poronız: Eine Classification der Kaustobiolithe. 155
Sapropel entsteht aus den im Wasser lebenden tierischen und
pflanzlichen Organismen, unter denen die Planktonten die hervor-
ragendste Rolle spielen. Auch in bewegtem Wasser, vorausgesetzt,
daß die sapropelbildenden Teile schnell etwa durch Tonsediment zur
Einbettung gelangen, kann ein Sapropelit entstehen. Die abgestorbenen
Organismen und die Exkremente der Tiere sammeln sich am Grunde
der Gewässer an, wo sie oft mächtige Schichten bilden, die jedoch
stets, wenn auch zuweilen nur untergeordnet, Driftbestandteile ent-
halten; so findet sich so gut wie immer im Sapropel Blütenstaub
von Windblütlern. Im Gegensatze zu den Humusbildungen,
deren wesentliche Urmaterialien Kohlenhydrate sind, spielen
in den Sapropelurmaterialien die Fette und wohl auch die
Proteine eine besondere Rolle, und zwar in beiden Fällen in
demselben Sinne. D. h. die genannten Stoffe üben einen wesentlichen
Einfluß auf die entstehenden Kaustobiolithe aus, indem die sich zer-
setzenden Kohlenhydrate anders charakterisierte Gesteine ergeben als
Urmaterialien, die weniger Kohlenhydrate, dafür aber relativ viel Fett-
substanzen enthalten, deren Zersetzung daher auch andere Produkte
liefert. Wo — kurz gesagt — einerseits Kohlenhydrate, andererseits
Fette stark vertreten waren, werden auch die resultierenden Kausto-
biolithe dementsprechend voneinander abweichen. Humus und Sa-
propel sind daher chemisch verschieden. Es soll nur dann von Sa-
propel gesprochen werden, wenn der organogene Schlamm noch wirk-
lich oxydierbare (brennbare) kohlenstoffhaltige Teile enthält; sind
diese bereits ganz oder fast ganz oxydiert, so können zwar immer
noch wesentlich organogene Bestandteile zurückbleiben, z. B. beim
Diatomeenpelit die Schalen, aber dieser Rest ist kein Sapropel mehr,
sondern tritt zu den Akaustobiolithen über.
Saprokoll (Faulgallerte) ist älteres, fest-gallertig gewordenes
Sapropel, es sei denn, daß sich in dem Gestein sehr zahlreiche Ske-
letteile, z. B. Diatomeenpanzer, befinden, wodurch die gallertige Kon-
sistenz naturgemäß sehr wesentlich herabgemindert werden kann.
Von fossilen Sapropeliten gehören hierher die reinsten tertiären
Dysodile und die reinsten paläozoischen usw. Oannelkohlen.
Bogheadkohlen sind meist so »aschereich«, daß sie oft fossile
Sapropeltone sind. Die fossilen, aus Sapropel hervorgegangenen
Kohlen (Sapanthrakone) sind Mattkohlen.
Sapropel- (Saprokoll-) Torfe bzw. Torfsapropele (-sa-
prokolle) nennen wir solche Kaustobiolithe, die sowohl in auffälli-
ger Weise Sapropel- als auch Torfbestandteile enthalten, und zwar
kann man unterscheiden: ı. Streifentorfe, bei denen schwache
Saprokoll- und Torflagen miteinander abwechseln. 2. Sumpftorfe,
156 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
deren Struktur, da die Sapropel- mit der Torfbildung gleichzeitig
einhergeht, homogener als die von Streifentorfen ist. 3. Doppleritsa-
propel bzw. -saprokoll, der ein Sapropel bzw. Saprokoll mit reich-
lichem Humussäure- bzw. Schlämm- und Schwemmtorfzusatz ist. —
Von fossilen Sapropeliten wären die Streifenkohlen fossile Streifen-
torfe, gewisse »Pseudocannelkohlen« fossile Sumpftorfe bzw. fossile
Doppleritsapropele.
Diatomeensapropel bzw. -saprokoll nennen wir einen Sa-
propelit, in welchem die Diatomeen gegenüber allen anderen Bestand-
teilen ganz außerordentlich überwiegen, so daß sie die Hauptmasse
ausmachen. — Diatomeenpelite umfassen sowohl die Diatomeen-
sapropele bzw. -saprokolle als auch die aus bloßen Diatomeenschalen
zusammengesetzten Gesteine, die brennbare organische Materialien
nicht mehr enthalten.
Sapropel- (bzw. Saprokoll-) Kalk oder Kalksapropel (bzw.
-saprokoll) ist Sapropel mit vielem oder weniger organogenem Kalk
und dem von Pflanzen niedergeschlagenen Kalk. — (Bei sehr geringem
oder fehlendem Sapropelgehalt haben wir den Seekalk [wenn das
Material am Grunde von Gewässern auftritt] oder Moorkalk bzw.
Wiesenkalk [wenn verlandetes Wasser von Torf eingenommen wird,
unter dem sich nunmehr das Material vorfindet]. Streng genommen
gehören diese als Akaustobiolithe nicht hierher.)
Häufig ist bei diesen Gesteinen ein mehr oder minder reichlicher
Gehalt an Diatomeen, die bei ihrer Auffälligkeit unter dem Mikroskop
zu einer Verwechslung mit Diatomeenpelit geführt hat. Hierher ge-
hört z.B. die sogenannte »Berliner Infusorienerde« EHRENBERGS, bei
der es sich um Diatomeen führenden Sapropelkalk (und Saprokollkalk)
handelt. — Fossile Sapropelkalke usw. sind die bituminösen Kalke.
Sapropel- bzw. Saprokollerden sind Sapropelite mit Ton-,
oder Sand- oder Mergelzusatz. Im Schlammzustande sind sie oft so
sapropelähnlich, daß sie sich nur unter dem Mikroskop und chemisch
zu erkennen geben; lufttrocken hingegen sind sie andererseits oft
wieder nicht von sapropellosen Tonen, Sanden oder Mergeln zu unter-
scheiden. Wenn es sich um dunkel gefärbte Sapropelite handelt,
ist oft die wesentliche, starke Aufhellung bemerkenswert, nament-
lich wenn der Schlamm Einfach-Schwefeleisen (FeS) enthielt. (Reine
Sapropelite dunkeln im Gegensatz hierzu oft nach). — ı. Sapropelton
sieht meist aus wie Ton, da die Sapropelbestandteile oft nicht oder
kaum färben; jedoch ist der Sapropelton von sehr weicher (halbflüssiger),
schlammiger, gallertiger Konsistenz. Derzeitig werden sowohl der
Sapropelton wie der kein Sapropel enthaltende Ton beide zusammen-
geworfen und meist als Schlick bezeichnet. Beim Erhitzen unter
H.Poronıe: Eine Classifieation der Kaustobiolithe. 157
Luftabschluß wird der Sapropelton aber durch den Destillationsrück-
stand (Kohlenstoff) des Sapropels schwarz, wodurch das Gestein als
Sapropelton leicht von bloßem Ton unterschieden werden kann. Wenn
man ganz sicher gehen will, wird man eine mikroskopische Unter-
suchung vorangehen lassen. Je nach dem geringeren oder höheren
Tongehalt gewinnen die Sapropeltone die von dem lufttrockenen Sa-
propel her bekannte hohe Festigkeit oder sie zerfließen in Wasser ge-
tan wie Ton. — Von fossilen Sapropeliten gehören die bituminö-
sen Schiefertone und Tonschiefer hierher (Posidonomyenschiefer
usw.). — 2. Sapropelsand kann flüssig-gailertig sein, da der Sand
— meist Feinsand — im Sapropel suspendiert ist. Lufttrocken — oder
wenn er in der Natur den ,Schlammzustand verlassen hat (z. B. in
Profilen) — sieht er aber wie Sand, gewöhnlich Feinsand, aus und
ist hell, gewöhnlich hellgrau bis dunkelgrau. Besonders wenn es
sich um Feinsand handelt, ist der Sapropelsand im lufttrockenen Zu-
stande locker, porös, zuweilen so stark porös, daß man einen stark
ausgelaugten Feinsand oder einen Diatomeenpelit vor sich zu haben
glaubt. Beim Erhitzen unter Luftabschluß wird er aber wie der Sa-
propelton durch den Destillationsrückstand schwarz. Eine vorherige
mikroskopische Untersuchung ergibt natürlich figurierte Sapropelbe-
standteile (z. B. u. a. auch Diatomeen, wodurch eine Verwechslung
mit Diatomeenpelit erst recht möglich ist). Die lockere Beschaffen-
heit des nieht mehr im Schlammzustande befindlichen Sapropelsandes
bedingt die leichte vollständige Zersetzung der Sapropelbestandteile.
Die Sapropelsande zeigen also nach dem Gesagten lufttrocken nichts
von der bedeutenden Festigkeit des lufttrocknen Sapropels, sondern
zerfallen sehr leicht.
II. Humusgesteine.
A. Lagerstätten.
Bildung von Humus findet statt: a) auf den Böden, und zwar
auf nassen und trocknen, b) untergeordnet in dem Boden durch sich
zersetzende oder solche Pflanzenteile, die in frischem Zustande von
Sedimenten eingebettet werden. Diese Bildungsstätten können zu
Humuslagerstätten führen, und zwar sind die wichtigsten derselben
die Moore. Es gibt aber auch Humusvorkommen, die nicht gleich-
zeitig die Bildungsstätten sind, wo nämlich fertiger Humus einen
Transport erlitten hat und zum Wiederabsatz gelangt ist.
Moore sind Gelände mit Humusboden; der Humus ist entweder
unter Wasser oder auf nassem oder vernäßtem Boden entstanden und
muß in reichlicher Menge vorhanden sein. -— Wo die Bodenbeschaffen-
158 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
heit sumpfig ist, wird man von einem Moorsumpf sprechen, im
Gegensatz zu einem Sapropelitsumpf. Wo die Humus- (Torf-) Ent-
wicklung schwächer ist, das Gelände nur einen etwas moorigen Boden
besitzt, sprechen wir von einem anmoorigen Gelände oder Boden.
Die verschiedenen Moorarten charakterisieren sich durch Unterschiede
in ihrem Vegetationsbestande. Die meisten unserer Moore sind na-
mentlich durch die im Interesse ihrer Bewirtschaftung vorgenommenen
mehr oder minder weitgehenden Entwässerungen nicht weiter Humus
produzierende oder nur unwesentlich zunehmende, bei überwiegendem
Verwesungsprozeß sogar an Humus abnehmende »Tote Moore«.
Bei den »Lebenden Mooren« hingegen findet eine durch Wachs-
tum erfolgende gleichmäßige Humusvermehrung statt. — Wir unter-
scheiden
1. Flachmoore.
Sie entwickeln sich, wo tellurisches (für die Pflanzen nährstoff-
reiches) ruhiges Wasser vorhanden ist; das ist in erster Linie in den
Niederungen der Fall, wo die Flachmoore Ausfüllungen mit ebenen
oder nahezu ebenen Oberflächen bilden. Bei dem vorhandenen Nah-
rungsreichtum entwickeln sich auf den Flachmooren große Pflanzen
mit reichlicher Stoffproduktion. Je nach der Art der zur Verfügung
stehenden anorganisch-mineralischen Nahrung kann man Eisenmoore
und Kalkmoore unterscheiden.
Die Flachmoore treten in verschiedenen Typen auf; sie können
z. B. entwickelt sein als Flachmoorsümpfe, d. h. als Sümpfe,
die in Flachmoorbildung begriffen sind. Die Flachmoorsümpfe können
Übergänge von der Sapropelitsumpfform zur eigentlichen Moorform
sein. Bei einer Verlandung eines Wassers oder Sumpfes durch Sumpf-
und Moorpflanzen erzeugen diese auf der Oberfläche vom Rande des
Wassers oder Sumpfes aus eine schwimmende Decke, die, indem sie
von Jahr zu Jahr mächtiger wird, vertorft und schließlich begehbar
werdend ein Schwing(flach)moor wird.
Ferner seien erwähnt die Flachmoorwiesen. Die meisten
derselben sind bei uns wie auch die meisten nicht moorbildenden
Wiesen überhaupt Kunstwiesen im wahren Sinne, die durch das
Mähen oder Abweiden als solche erhalten bleiben. Es gibt aber auch
Naturwiesen, und zwar in den Überschwemmungsgebieten der großen
Flüsse. Hochwasser vernichten alljährlich alle oberirdischen Teile; Ge-
hölze werden durch Eisgang zerstört. So findet gewissermaßen eine
natürliche Maht statt. — Wo Flachmoorbildung möglich ist, aber wegen
klimatischer Einflüsse Baumwuchs fehlt, tritt ebenfalls natürliche
Wiesenbildung auf; ebenso wie dort, wo ein Baumwuchs aus anderen
H. Poronıe: Eine Classification der Kaustobiolithe. 159
Gründen hintangehalten wird, wie z.B. in absolut stagnierendem Wasser,
das von unserem Hauptflachmoorbaum, der Erle (Alnus glutinosa), nicht
vertragen wird.
Eine besondere Wichtigkeit haben die Flachmoorwälder. Wo
die Einflüsse, die zur Flachmoorwiesenbildung führen, nicht zur
Geltung kommen, sehen wir Flachmoorwaldbildung eintreten. Die
Bewaldung von Mooren findet bei uns vorwiegend durch Erlen statt:
Erlenmoore. Es gibt auch Eichenmoore, bestanden mit (Quercus
pedunculata, Fichtenmoore, bestanden mit Picea excelsa, Birken-
moore, bestanden mit Betula pubescens usw. oder mit Mischbeständen.
Die fossilen Kohlenlager, insbesondere die Steinkohlen- und
Braunkohlenlager, sind allermeist fossile Waldflachmoore.
2. Zwischenmoore.
Zwischenmoore tragen Pflanzengemeinschaften, die teils dem Flach-
moor angehören, andernteils aber für das Zwischenmoorstadium cha-
rakteristisch sind. Hierhin gehören Ledum palustre (in der östlichen
Hälfte Norddeutschlands) und Andromeda calyculata (in Ostpreußen)
sowie Mwyrica gale (wesentlich im westlichen Teil Norddeutschlands)
und andere. Da bei der durch Torfbildung stattfindenden Boden-
anhöhung in den Flachmooren aus diesen dadurch ein nahrungs-
schwächeres Moor, ein Zwischenmoor werden kann, indem es sich
durch die Bodenanhöhung allmählich den Einflüssen des Grundwasser-
standes entzieht, so kommt als eigentümliches Merkmal für die Zwi-
schenmoore hinzu, daß vermöge der größeren Trockenheit des Bodens
gegenüber dem Boden der Flach- (und Hoch-) Moore sich auch gern
eine Anzahl Waldpflanzen unserer nichtmoorigen Wälder einfinden.
Dort, wo sich auf den Zwischenmooren Wasser ansammelt, sind
Scheuchzeria palustris und Rhynchorpora alba so recht zu Hause. Von
Carices sind die Parvocariceten für die Zwischenmoorbildungen cha-
rakteristisch, während Magnocariceten dies für Flachmoorbildungen
sind. Von Bäumen sind bei uns besonders die Kiefer (Pinus silvestris)
und Betula pubescens vorhanden.
3. Hochmoore.
Hochmoore entwickeln sich, wo atmosphärisches (für die Pflanzen
nährstoffarmes) Wasser oder hinreichende Luftfeuchtigkeit vorhanden
sind; das ist in erster Linie auf ausgelaugten (nährstoffarmen) Böden
und auf den Höhen der Fall. Unter der Voraussetzung, daß ein Boden-
wasser sehr nährstoffarm ist, tritt ebenfalls die Hochmoorpflanzen-
gemeinschaft auf. Das Zentrum großer Hochmoortlächen liegt höher
160 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
(der Unterschied kann mehrere Meter betragen) als der Rand der Moore
(daher der Name Hochmoor). Bei dem Nahrungsmangel entwickeln
sich auf den Hochmooren kleine Pflanzen mit geringer Stoffproduktion,
oder die unter anderen Bedingungen groß werdenden Pflanzen bleiben
auf dem Hochmoor kleiner und wachsen wesentlich langsamer. Die
Zwischenmoore pflegen relativ schnell in Hochmoor überzugehen. Unter
den Pflanzen ist sehr wesentlich das Torfmoos: die Gattung Sphagnum
(einige Sphagnum-Arten kommen auch auf Flachmooren vor, aber immer
nur untergeordnet). Die Fähigkeit der Arten dieser Gattung, besonders
viel Wasser (es kommt das atmosphärische Wasser in Betracht) zu
speichern, bedingt eine starke Vernässung des entstehenden Hoch-
moores; man könnte die außerhalb des Wassers, auf dem Trockenen
lebenden Arten, die ein Wasserspeicherungsvermögen in hervorragen-
dem Maße besitzen, deshalb fast als an der Luft lebende Wasser-
pflanzen bezeichnen, da sie sich durch ihre besondere histologische
Einrichtung, die ihnen zum Leben — um nicht auszutrocknen —
so notwendige große Wasserquantität schaffen. Daher vernäßt denn
auch ein vergleichsweise trockenes Zwischenmoor, das dem Hochmoor-
stadium entgegengeht, wieder stärker. — Von den Zwischenmoor-
pflanzen geht eine Anzahl auf das Hochmoor, wo aber viele derselben
nicht in derselben üppigen Entwicklung auftreten, wodurch sie an-
zeigen, daß geeignetere, d. h. die eigentlichen Wohnstätten für sie
bei uns die Zwischenmoore oder ihnen entsprechende Böden sind.
So ist es mit den schon genannten Arten Ledum palustre, Andromeda
calyculata usw.
Besonders wichtig sind bei uns die Sphagnetum-Moore, über-
wiegend mit Sphagnum bestanden und außer Krüppelkiefern usw.
wenige kleine andere Pflanzenarten dazwischen. Dieser Typus ist für
regenreiche oder luftfeuchte Gebiete charakteristisch. Besonders durch
Entwässerung gehen aus den Sphagnetum-Mooren Heidemoore her-
vor, überwiegend mit Ericaceen, namentlich Calluna vulgaris, bestanden.
Sie tendieren in ihrem Vegetationsbestande wieder zum Zwischenmoor.
In Gebieten geringerer Luftfeuchtigkeit bzw. wo die Niederschlags-
höhe geringer ist, neigen die Hochmoore ebenfalls zum Heidemoor-
typus, jedenfalls treten dann die Sphagna zurück, und es drängt sich
ein andres Moos, nämlich Polytrichum strietum, etwas stärker hervor.
Danach kann man — wenigstens in Norddeutschland — Hochmoore
vom Küstenhochmoortypus (Sphagnetum-Moore) und andere vom
Binnenhochmoortypus unterscheiden, ohne daß freilich die ersteren
nur an den Küstengebieten auftreten.
Fossile Kohlenlager, die man als die fossilen Torflager von Hoch-
moorbildungen ansehen könnte, haben sich bis jetzt nicht gefunden.
H.Poronıe: Eine Classification der Kaustobiolithe. 161
Lagerstätten von Trockentorf-, Moder- und andern humosen Böden
treten den genannten gegenüber an Bedeutung so zurück, daß sie
hier übergangen werden mögen; sie ergeben sich übrigens aus dem
Folgenden.
B. Gesteine.
Das Wort Humus wird nieht nur von Laien, sondern nicht selten
auch von Gelehrten auf jede durch zersetzte Pflanzen- und Tierreste
schwarz oder dunkel gefärbte Bodenart angewendet. Es sei daher
ausdrücklich hervorgehoben, daß hier unter Humus ausschließlich die
Residua der Organismen verstanden werden (d. h. also einschließ-
lich ihrer Aschenbestandteile), sofern es sich um kohlenstoffhaltige
brennbare Produkte handelt; und zwar ist zu betonen, daß es wesent-
lich die Residua von Landpflanzenresten — demnach in erster Linie
von Kohlenhydraten — sind, die den Humus bilden. Nur unter-
geordnet können Tierreste beigemengt sein.
Bei der Humusbildung findet eine ständige Anreicherung von
Kohlenstoff in den Substanzen statt. Der Humus ist aus differenten
Humusstoffen zusammengesetzt, deren chemische Charakterisierung
jedoch noch immer aussteht. Ganz generell heißen die kolloidal im
Wasser und in Alkalien löslichen (sich mit diesen wohl verbindenden)
Humusstoffe Humussäuren. Gewässer, die dunkle, färbende Humus-
säuren in Lösung enthalten, heißen Schwarzwässer. Dopplerit be-
steht aus niedergeschlagenen, im bergfeuchten Zustande fest-gallertigen,
dunklen Humussäuren.
Die Streu (Streudecke), d.h. alle der Zersetzung verfallenden
Pflanzenteile des Landes, kann — sofern sie nicht vollständig ver-
west — Humusformen erzeugen, die sich in zwei große Gruppen
scheiden: in a) Torf und b) Moder.
a) Torf.
Bei der Vertorfung kann erst Verwesung (d.h. vollständige
Zersetzung) und Vermoderung (d.h. Zersetzung bei vermindertem
Sauerstoffzutritt) statthaben; nach dem Luftabschluß des Materials
findet »Fäulnis« (d.h. Zersetzung bei vollständigem Sauerstoffabschluß)
statt, die bei der Entstehung des Torfs in erster Linie in Betracht
kommt.
Der Torf unterscheidet sich in: ı. Trockentorf, der auf dem
Trocknen, und 2. Moortorf, der im Wasser entsteht.
Trockentorf besteht aus zusammenhängenden, dicht gelagerten,
schneidbaren humosen Massen mit hohem Gehalt an makroskopisch
erkennbaren Pflanzenresten.
162 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
Den Moortorf muß man unterscheiden in ı. unreifen Torf
oder Rohtorf, der erst im Anfangsstadium der Vertorfung begriffen
ist, so daß die ihn zusammensetzenden Pflanzenteile noch frisch sind,
2. halbreifen Torf und 3. reifen oder Specktorf. Er ist ein
sehr verbreitetes Übergangsglied zum Dopplerit.
Die fossilen, aus reifem Moortorf hervorgegangenen Kohlen sind
Glanzkohlen, sofern nicht, wie bei den jüngeren (insbesondere tertiä-
ren) Kohlen, durch Harzgehalt eine matte Farbe bedingt wird.
Je nach den Pflanzen oder Pflanzenteilen, die an der Zusammen-
setzung des Torfes teilnehmen oder ihn wesentlich oder ganz zu-
sammensetzen, werden die Namen der betreffenden Pflanzen benutzt,
um die Torfarten zu kennzeichnen. Es ist aber dabei zu unterscheiden,
ob es sich erstens nur um zwar charakteristische Bestandteile im Torf
handelt, die, da sie sich figuriert besser erhalten haben, auffällig ge-
blieben sind, die dabei aber nur beschränkter zu dem Torfmaterial
beigetragen haben, oder ob zweitens die Bestandteile, die die Namen-
gebung veranlassen, aus reinen oder reineren Vegetationsbeständen
hervorgegangen sind. Mit Rücksicht darauf, daß die Vegetations-
bestände nach den vorherrschenden Arten bezeichnet werden, z.B. als
Phragmiteten (nach Phragmites communis), muß man dem Gesagten zu-
folge aus solehen hervorgegangene Torfe- auch als Phragmitetum-
usw. Torfe bezeichnen, zum Unterschiede von solchen Torfen, in
denen zwar die auffälligen Phragmites-communis-Rhizome vorhanden
sind, ohne daß aber die Torfe aus Phragmiteten hervorgegangen wären.
Diese Torfe sind weiter nichts als Phragmites enthaltende Phragmites-
Torfe, die in ihren wesentlichen Bestandteilen aber aus anderen
Pflanzen hervorgegangen sind.
Die meisten Torfe sind entstanden aus torfbildenden Pflanzen-
gemeinschaften, die an Ort und Stelle lebten, wo jetzt der aus ihnen
entstandene Torf lagert. Es gibt aber auch allochthone Torfe, nämlich
1. die Schwemmtorfe, entstanden aus gedrifteten, verschwemm-
ten, noch unvertorften, abgestorbenen oder im Absterben begriffenen
Pflanzenteilen. Hier haben wir den Häckseltorf (aus natürlichem
Häcksel hervorgegangenen Torf, d.h. entstanden aus Pflanzenmaterialien,
die beim Transport durch mechanische Angriffe zerkleinert wurden).
Material, das als Strand- und Uferdrift auftritt und auf dem Lande,
wo es hingeraten ist, zu einem Lager aufgehäuft wird, wird leicht
Moder, wenn die Ablagerung nicht ausgiebig ist, so daß auch die
unteren Partien vor Sauerstoff und weitgehender Auslaugung nicht
geschützt sind. Ein spezieller Häckseltorf ist der Driftholztorf,
dureh Zusammenhäufung von Holz, auch ganzen Stämmen, entstanden.
— Der durch Flözdrift, d.h. unter Wasser, abgesetzte Schwemmtorf
H. Poronır: Eine Classification der Kaustobiolithe. 163
erleidet im Wasser gern eine Separation; es gibt dann spezielle
Schwemmtorfe, so den Laubtorf, durch Zusammenhäufung von
Laubblättern entstanden. Laubtorf kann übrigens auch auf dem
Trockenen entstehen, wo der Wind sehr viel Laub zusammentreibt
(Laubwehen). Da sich beide Laubtorfarten unterscheiden können,
namentlich durch Sapropelgehalt des ersteren, ist es zweckdienlich,
beide zu unterscheiden in Wasserlaubtorf und Trockenlaubtorf.
2. Torfe an zweiter Lagerstätte, die in zwei Formen auf-
treten, nämlich als Sehlämmtorf, der meist aufgearbeiteter (ausge-
schlämmter) und meist unter Wasser wieder abgesetzter Moortorf ist,
und Bröckeltorf, der durch die Anschwemmung von Torf’brocken
und -fetzen, die, vom Wasser losgerissen, gelegentlich zu Lagern
oder Nestern angehäuft werden und durch Sedimentbedeckung er-
halten bleibt. — Von fossilen Kohlen gehört zu den fossilen Torfen
an zweiter Lagerstätte z.B. die tertiäre »Rieselkohle«. Hier wären
auch die Moorausbrüche und -rutschungen zu erwähnen, die große
Torfmassen verlagern können.
b) Moder.
Moder ist in Verwesung und Vermoderung begriffenes Ma-
terial. Die Durchlüftung und damit hinreichende Sauerstoffzufuhr wird
besonders durch wühlende Bodentiere (in erster Linie bei uns durch
Regenwürmer) besorgt. Moder ist also zerkleinerte, zu Humus werdende
Streu, welche auf dem Mineralboden lose gelagert aufliegt und ziem-
lich leieht weiter zersetzbar ist. — Ein Torf, der sich bei Luftzutritt
weiter zersetzt, wird naturgemäß ebenfalls zu Moder. Über Schwemm-
moder und Schlämmoder wurde früher berichtet (Sitzungsbericht
vom 16. Januar).
c) Humuserden!.
Humuserden sind anorganische mineralische Erden mit Humus-
gehalt oder Humus mit bemerkenswerteren anorganischen mineralischen
Beimengungen. Im ersteren Falle spricht man von (schwach, stark)
humosen Sanden, Tonen u. dgl., wobei es dahingestellt bleibt,
wie die Mischung zustande gekommen ist. Der Zusatz des Wortes
»-Erde« zu einem anderen Wort deutet also stets auf ein Mischprodukt
von anorganisch-mineralischem Boden mit Humus.
Die Humuserden sind zu scheiden in:
I. Solehe mit vorherrschender Vermoderung (milde Humus-
erden).
! Vgl. hierzu oben das Seitenstück Sapropel- bzw. Saprokollerden.
Sitzungsberichte 1908. 15
164 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
Mullerden sind solche Erden, bei denen das organische Material
größtenteils verwest ist; es bleibt im organischen Mineralboden nur
verhältnismäßig wenig, und zwar gleichmäßig zersetzter Humus zurück,
der den Boden so vollständig homogen durchdringt, daß der Humus
dem Boden eine einheitliche dunkelgelbe, hellbraune bis schwarze
Färbung verleiht. Die Mächtigkeit von Mullerden kann weit über
7 Meter erreichen. Die Humussubstanz der Mullerden heißt Mull;
sie trägt den Charakter chemischer Ausfällungen. Die Mischung von
Mull mit Mineralboden ist also Mullerde. Man wird demnach unter-
scheiden stärker oder schwächer mullhaltige Mullerde. Reine Mull-
böden (aus Mull allein bestehende Böden) sind nicht bekannt. Es
ist daher sehr darauf zu achten, daß für einen aus Mullerde beste-
henden Boden nicht Mullboden, sondern Mullerdeboden zu sagen
ist. — Hierher gehören die Ackerböden in ihrem regelmäßig bear-
beiteten humushaltigen oberen Teil, viele Waldböden mit bis etwa
5 Prozent (selten mehr) Mull und die Schwarzerdeböden.
Modererde ist mit Mineralsubstanz gemischter Moder, unter-
scheidet sich demnach von der Mullerde dadurch, daß der Moder noch
zum wesentlichen Teil figuriert erhalten ist.
2. Solche mit vorherrschender Vertorfung, d. h. mit = bleiben-
dem Humussäuregehalt (mehr oder minder saure Humuserden).
Die Moorerden. Moorerde ist ein Gemisch von vertorften und ver-
moderten Pflanzenresten mit anorganisch-mineralischen Bestandteilen.
Die Bleieherden, Humusorterden. Wo eine Vertorfung ein-
getreten ist, wird der Mineralboden unter dem Moortorf bzw. Trocken-
torf durch Infiltration von Humussäuren mehr oder weniger stark
entfärbt; infolge der Auflösung (Auslaugung) leichter löslicher anor-
ganisch-mineralischer Bestandteile (Eisen- usw. Verbindungen), die
tiefer geführt, sich dort wieder ausscheiden, bildet sich eine Orterde
(bei noch erdiger Beschaffenheit). Bei uns speziell handelt es sich,
da in derselben Zone auch die Humussäuren zum Niederschlag kommen,
um Humusorterde bzw. — wenn die Erde vollständig zu »Stein«
verkittet worden ist — um Humusortstein. Humusort heißt das
Gestein im Gegensatz zum Eisenort: Eisenortstein bzw. Eisen-
orterde. Zwischen Humusort und Eisenort sind alle Übergänge vor-
handen. Man wird typische Mittelbildungen Humuseisenorterde
bzw. -stein nennen. Die entfärbte Schicht ist die Bleicherde (spe-
ziell z. B. Bleichsand). Sie ist oft durch Humussäuren und ein-
geschwemmte Humussubstanz mehr oder weniger stark, unter Um-
ständen bleigrau bis schwarz gefärbt, kann aber auch fast gänzlich
der Humusbestandteile ermangeln (reine Bleicherde). Es ist darauf
hinzuweisen, daß gewöhnlich die unmittelbar unter dem Torf lagernde
H. Poronız: Eine Classification der Kaustobiolithe. 165
Bleicherde (das Sohlband) torfiger ist als die dann darunter folgende.
Es scheidet sich also in den Profilen die Bleicherde oft merkbar in
zwei Horizonte: eine stärker torfige (bzw. humose) obere und
eine weniger torfige untere Bleicherde.
II. Liptobiolithe'.
Die Stoffe, aus denen die Gesteine bzw. Mineralien dieser Gruppe
bestehen, sind sehr schwer verweslich, weshalb sie, bei hinreichender
Produktion durch die Pflanzen, leicht nach der vollständigen Verwe-
sung der übrigen Bestandteile zurückbleiben. Aus einer sehr stark
harz- und wachsharzhaltigen Flora können daher die genannten Pro-
dukte als Gestein zurückgelassen werden, wie das bei dem rezenten
Denhardtit und dem (tertiären) reinen Pyropissit der Fall ist.
Hierher gehören also die Harz- und verwandten Bildungen bzw.
solche, die durch diese Stoffe wesentliche Eigenschaften gewinnen.
Als Beispiele seien erwähnt Kopal, Fichtelit, Fimmenit (durch
Ablagerung von Erlenpollen entstanden). Von Fossilien gehört hier-
her z. B. der Bernstein und mit dem Fimmenit zu vergleichen der
paläozoische Tasmanit (wesentlich aus Sporen zusammengesetzt).
Natürlich gibt es hier viele Übergangsbildungen zu den vorausgehen-
den Gruppen wie z.B. Harz- (Resinit-) Torfe und diesen entsprechend
die Harzkohlen wie die mit Pyropissit gemengte Braunkohle u. dgl.
’ ..
ı Von Asırw, zurücklassen.
166 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
Zur Histogenese des Nervensystems.
Von Prof. Dr. Oskar SCHULTZE
in Würzburg.
(Vorgelegt von Hrn. Warpever.)
m mehreren im Jahre 1905 erschienenen Abhandlungen habe ich
unter Hinweis auf entsprechende Angaben von Barrour, KuprrEr,
Done u.a. mitgeteilt, daß periphere Nerven von Vertebraten bis zu
einem Stadium zurückverfolgt werden können, in welchem der spätere
Nerv noch aus einer einzigen marklosen Faser besteht, die sich als
eine Kette weniger bipolarer Zellen oder als ein kernhaltiger Plasma-
faden darstellt — ganz entsprechend der Darstellung von ScHuwAnN
und der von Köruıker aus dem Jahre 1846. Für den Ramus sup.
nervi lateralis vagi konnte ich zeigen, daß die periphere Endzelle einer
solchen Einzelfaser bei eben ausgeschlüpften Tritonlarven in der Epi-
dermis liegt, aus welcher sie weiterhin in die Tiefe verlagert wird.
Es endigt also hier vorübergehend eine sensible Leitungsbahn in einer
Epidermiszelle, entsprechend dem vornehmlich durch v. Lexmosser
und Rerzıs bei zahlreichen Wirbellosen bekannt gewordenen Dauerzu-
stand epidermoidaler Perzeptionszellen und den nunmehr definitiv von
Docıer, nachgewiesenen Nervenendzellen in der Epidermis des Am-
phioxus. Meine Befunde widersprechen, wie ich hervorhob, der bis-
her noch weitverbreiteten Hypothese des freien Auswachsens der
Nervenfasern von zentralen Zellen aus und der sekundären Auflage-
rung sogenannter Scheidenzellen. Sie nähern sich vielmehr der alten
Hrnsenschen Auffassung.
Die jungen Nervenfasern meiner Beobachtungen stimmen überein
mit den bei der Regeneration eines durchscehnittenen Nerven in dem
peripheren Stumpf unabhängig! von dem zentralen auftretenden
Fasern, die als kernreiche, noch fibrillenfreie Protoplasmabänder oder
»Bandfasern« bekannt sind. T#. Enerrmann hat im Vorjahre der
Akademie mikroskopische Beobachtungen an normalen und verletzten
! In dieser Beziehung herrscht erfreuliche Übereinstimmung unter den zahl-
reichen Bearbeitern der Nervenregenerationslehre.
O.Scaurrze: Zur Histogenese des Nervensystems. 167
Nerven mitgeteilt, welche gleichfalls zugunsten der Lehre sprechen,
daß jede periphere Faser nicht als ein Zellausläufer mit einem
trophischen Zentrum, sondern als eine Kette genetisch selbständiger
Zellen und Zentren zu betrachten ist.
Die Frage. wie aus der die Nervenanlage darstellenden Einzel-
faser der spätere, viele Fasern enthaltende Nerv wird, mußte ich auf
Grund zahlreicher Beobachtungen dahin beantworten, daß unter fort-
währender mitotischer Teilung der Kerne der ursprünglichen Einzel-
faser sich sowohl das Längen- als das Diekenwachstum der sich neuro-
fibrillär differenzierenden Bahn vollzieht.
Die wiederholte Prüfung meiner Angaben hat mich in jeder Be-
ziehung in meiner Auffassung bestärkt, so daß ich sie — unterstützt
durch die folgenden Mitteilungen — vollkommen aufrechterhalte.
Das Längenwachstum des Nerven geht unter mitotischer Teilung
der die Zellketten bildenden Elemente und unter fortwährender Er-
haltung der protoplasmatischen Kontinuität vor sich. Der Kernteilung
folgt keine Zellteilung, wie es die Entwicklung einer Leitungsbahn
gleichsam erfordert. Die Vermehrung der Fasern — das Diekenwachs-
tum des Nerven (abgesehen von dem Diekenwachstum der Fasern) —
findet unter Längsspaltung statt. Hierbei ist die mitotische Kern-
teilung von Zellteilung gefolgt, wie es die isolierte Leitung erheischt.
Das Wachstum des Nerven wird so im Sinne der Zellenlehre auf
das allgemein gültige Prinzip mitotischer Teilung der konstituierenden
morphologischen Elemente zurückgeführt. Diese Elemente nenne ich
deshalb Nervenfaserzellen. Ihre Kerne — die Kerne der bisherigen
sogenannten Scuwansschen Scheidenzellen — nenne ich Nervenfaser-
kerne. Sie entsprechen genetisch den Muskelfaserkernen. Das Proto-
plasma der Nervenfaserzellen wird, wie das der Nervenzellen, Muskel-
zellen und Bindegewebszellen, entsprechend fibrillär differenziert.
Die Elemente der ersten, rein plasmatischen, noch neurofibrillen-
freien vorgebildeten Reizleitungsbahn nenne ich periphere Neuroblasten,
weil es keinem Zweifel unterliegt, daß sie die Bildungszellen sind,
welehe den Nerv aufbauen. Hern nennt dieselben Zellen »Leitzellen«,
aber er nimmt an, daß sie mit der Bildung der Nerven insofern nichts
zu tun haben, als sie nur die Bahn abgeben, in welcher von den
Zentralzellen aus die Neurofibrillen »vorgetrieben« werden. Insofern
als HeLn das freie Auswachsen der Achsenzylinder und deren Hinaus-
irren in die Maschen des Bindegewebslabyrinths als irrtümlich er-
kannte, hat er sich von der Ausläuferhypothese losgesagt. Aber er
glaubt — immer noch unter dem Einfluß dieser durch das in seiner
ursprünglichen Form heute als unrichtig erwiesene Warzersche Gesetz
eingeschleppten und embryologisch ungenügend gestützten Hypothese
168 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
stehend —, daß nur die Zentralzellen neurofibrillenbildend sind. Eine
motorische Vorderhornzelle soll z. B. die ganze, bis meterlange Achsen-
fibrillenbahn ohne jede Mitbeteiligung der syneytialen Leitzellenbahn
aus sich allein in diese Bahn heraustreiben. Bewiesen ist aber nur,
was ich nie bezweifelt habe und was durch die schönen Neurofibrillen-
methoden klar gezeigt wird, daß die neurofibrilläre Differenzierung in
der Leitzellenbahn zentral beginnt und peripherwärts fortschreitet.
Darum ist die bündige Erklärung Hrrvs, daß meine peripheren Neuro-
blasten gar keine solchen sind, ganz ungerechtfertigt. Die anfangs
fibrillenlosen Zellen sind so gut Neuroblasten, als die den Muskel bil-
denden noch fibrillenlosen Zellen Myoblasten sind. Gewiß ist die
Untersuchung der neurofibrillären Differenzierung innerhalb der pri-
mären plasmatischen Leitungsbahn von großem Interesse. Aber der
Neurofibrillenspezialismus -—— sit venia verbo — darf uns nicht zur
Einseitigkeit veranlassen. Die wesentliche Aufgabe weiterer Unter-
suchung ist die, das zeitliche und örtliche Sichtbarwerden der noch
fibrillenfreien Leitungsbahn festzustellen. Hierbei ist die Anwendung
der Goreıschen Methode, der Methylenblaumethode und der Neuro-
fibrillenmethoden ebenso unzweckmäßig, wie bei der Absehnürung des
Medullarrohres oder des Ramus lateralis vagi oder des diffusen Nerven-
systems eines Cölenteraten vom Ektoderm.
Als ein Hauptgrund gegen die multizelluläre Genese der Nerven-
faser wird bekanntlich vielfach die zentrale Faser angeführt, bei welcher
zu keiner Zeit »Scnwanssche Kerne« sich finden sollen. Abgesehen
von älteren Angaben Ranvırrs sind aber neuere von Paranıno und
Frasnıro über die plurizelluläre Genese der zentralen Faser, bei welcher
zahlreiche Kerne zugrunde gehen sollen, zu beachten. Auch hier heißt
es vor einem definitiven Urteil neue Tatsachen sammeln. Und auch
die Wirbellosen mit ihren kernhaltigen Zentralfasern (s. unten) sind
nicht zu vergessen.
Die auf die Histogenese gegründete Auffassung der peripheren
markhaltigen Nervenfaser der Vertebraten als eine Zellkette, in welcher
nur an den Einschnürungen teilweise Zellgrenzen zur Ausbildung
kommen, legte eine erneute Untersuchung der Nerven der Wirbellosen
nahe. Das Literaturstudium ergibt ohne weiteres, daß hier ein über-
sichtliches Verständnis sehr fehlt. Ich benutzte einen mehrfachen,
zum Teil mit der gütigen Unterstützung der Akademie unternommenen
Aufenthalt an der See zu entsprechenden Studien'.
! Den HH. Corı in Triest, Heıncke, HarırLaug und EurenBAaum auf Helgoland
b} >
sage ich auch an dieser Stelle herzlichsten Dank für Ihr liebenswürdiges Entgegen-
kommen.
O. Scauvtze: Zur Histogenese des Nervensysteims. 169
Unter den wenigen markhaltigen Nervenfasern der Wirbellosen
gehören zu den auffallendsten zweifellos die von Rerzıus zuerst be-
schriebenen Fasern der Garnelen. Ich konnte sie zwar nicht, wie
der schwedische Forscher, bei Palaemon squilla, sondern bei Orangon
vulgaris (Helgoland) untersuchen.
Die frisch in Kochsalzlösung zerzupften Konnektive des Bauch-
markes lehren ohne weiteres, daß es sich um markhaltige Nervenfasern
von sehr verschiedenem Durchmesser (bis zu 90 a) handelt, an denen alle
Erseheinungen der sogenannten Markgerinnung zu beobachten sind.
Wie Rerzıus, so finde auch ich außer der Markscheide keine Hülle.
Die oft variköse Beschaffenheit der feinen Fasern erinnert ganz an
die Fasern des Zentralorgans der Vertebraten. Aber trotz des Feh-
lens des Neurilemmas und der Einschnürungen sind die Fasern reich-
lieh mit Kernen, die nach innen von der Markscheide liegen, ver-
sehen. Das lehren schon die frischen Fasern, deutlicher aber Quer-
sehnitte von Osmiumpräparaten mit geschwärzter Markscheide. Hier
wird es vollends klar, daß die Kerne nicht zu einer Scmwannschen
Scheide oder zu Hüllzellen gehören, denn die Scheide fehlt, die Kerne
gehören zur Nervenfaser.
Die Nervenfaser ist ein vielkerniges, von einem Mark-
mantel umhülltes neurofibrilläres Syneytium. Jeder Gedanke
an sekundär aufgelagerte Hüllzellen scheint hier vollends als eine
willkürliche Konstruktion. Zudem handelt sich hier auch um zen-
trale Fasern. Schon Rerzıus hat die Lage der Nervenfaserkerne in
diesen Fasern beschrieben und darin »eine in der Tat ganz eigentüm-
liche Erscheinung« gefunden. Übrigens ist das Bauchmark trotz des
Nervenmarkes in fast allen Fasern ganz blaß, wie denn überhaupt die
weiße Beschaffenheit auch im Vertebratenmark und den peripheren
Nerven von Säugern und dem Menschen durchaus nicht mit dem Auf-
treten des Nervenmarkes zeitlich zusammenfällt. Meine Untersuchungen
der Nervenmarkbildung lehren z. B., daß das Rückenmark mensch-
licher Föten vom fünften Monat sowie der N. medianus und andere
Nerven trotz der grauen Beschaffenheit schon voll markhaltiger Fasern
sind, und zwar finden wir solche im Rückenmark bereits in allen
Hauptsträngen.
Im Jahre 1863 hat Warpever bei den Nerven der Wirbellosen
zwei Haupttypen unterschieden, nach welchen sich die von ihm
zuerst Achsenfibrillen genannten Neurofibrillen der peripheren Nerven
zu diesen vereinigen. Es ist das eine prinzipiell wichtige Unter-
scheidung, die heute kaum mehr Beachtung findet. Bei dem ersten
Typus, den Warpever sehr richtig als den unvollkommeneren be-
zeichnet, sind in dem Nerven alle Fibrillen zu einem einzigen, kern-
170 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
reichen, von einer Hülle umgebenen Bündel vereinigt: der Nerv zer-
fällt nieht in Einzelfasern. Der zweite Typus faßt alle diejenigen
Nerven zusammen, in welchen Gruppen von Achsenfibrillen — Achsen-
zylinder —, wie bei den Vertebraten, von einer Hülle umgeben
werden: der Nerv besteht aus Nervenfasern. Beide Formen können,
wie schon Warprver beschrieb, bei nahe verwandten Gruppen vor-
kommen. Sehr auffallend finde ich den Unterschied im Bereich der
Mollusken, wo sich bei Lamellibranchiern und Gasteropoden, soweit
meine Beobachtungen und das Literaturstudium lehren, nur Nerven
des ersten unvollkommeneren Typus, bei den Cephalopoden jedoch
solche des zweiten Typus finden. Der erste Typus entspricht durch-
aus dem frühen Stadium der Wirbeltiernerven, in welehem diese
aus einem Bündel von Achsenfibrillen bestehen, ohne daß bereits aus
Hülle und Achsenzylinder bestehende Nervenfasern ausgebildet sind.
Von Gephalopoden untersuchte ich Eledone moschata und Sepiola
Rondeletiü (Triest) sowie Loligo vulgaris (Helgoland).
Zerzupft man den frischen, zum Ganglion stellatum verlaufenden
Nerv oder die von dem Ganglion ausstrahlenden Nerven von Eledone in
Kochsalzlösung unter dem Doppelmikroskop, so hat man durchaus den
gleichen Eindruck wie bei dem Zerzupfen eines peripheren Wirbel-
tiernerven, indem der Nerv sehr leicht in zahllose weiche und blasse, je-
doch von schmalen glänzenden Konturen begrenzte Fasern zerfällt.
Bei starker Vergrößerung erscheinen die Fasern deutlich doppeltkon-
turiert, der Achsenzylinder in günstigen Fällen — bei weitem nicht
in allen Fasern — und bei günstiger Beleuchtung außerordentlich
fein fibrilliert. Einzelne spindelförmige Kerne sind frisch sichtbar,
besser und mehr natürlich nach Essigsäurezusatz. Querschnitte ge-
färbter Osmiumpräparate zeigen die dünne, glänzende, nicht durch
Osmium geschwärzte Hülle in doppelter Konturierung, an deren Innen-
fläche die Kerne liegen. Bei meiner Osmium-Hämateinfärbung, welche
für den Nachweis der ersten Spuren des Nervenmarks bei Wirbel-
tieren ausgezeichnete Resultate liefert, erscheint auch diese Hülle der
Cephalopodennervenfasern dunkelschwarz, im Gegensatz zu den grauen
Achsenfibrillen und der grauen Bindesubstanz (an Schnitten unter 5 a).
Diese Reaktion sowie das optische Verhalten, welches diese Fasern als
»dunkelrandig, doppeltkonturiert« erscheinen läßt, möchte uns ver-
anlassen, die Fasern als markhaltig zu bezeichnen. Die Hülle einfach
als Neurilemma aufzufassen, scheint mir unstatthaft, da wir ein der-
artiges Neurilemma sonst nicht kennen. Ist es aber Mark, so würden
kernführende markhaltige Fasern ohne Neurilemma vorliegen. Sie
würden sich von den Garnelenfasern nur durch die viel dünnere Mark-
hülle unterscheiden. Das Ausbleiben der Osmiumreaktion spricht nicht
O.Scaurrze: Zur Histogenese des Nervensystems. 17
unbedingt gegen das Vorhandensein von Nervenmark. Denn wir wissen
seit den klaren Ausführungen von Gap und Hrymans, daß nur das
Myelin als einer von mehreren Bestandteilen des Nervenmarks die
Schwärzung bedingt, daß aber das Myelin durchaus nicht in allen mark-
haltigen Fasern vorhanden ist, vielmehr Nervenfasern mit myelinhaltiger
neben solchen mit myelinfreier Markscheide zu unterscheiden sind'.
Die Nervenfasern von Sepiola, die ich an Quer- und Längs-
sehnitten der in die Flosse eintretenden Nerven untersuchte, verhalten
sich, soviel ich bisher beurteilen kann, so wie die von Äledone. Das-
selbe gilt von Loligo vulgaris. Die frischen Fasern zeigen, in See-
wasser zerzupft, die glänzende doppeltkonturierte Scheide sowie platt-
ovale Kerne. In manchen Fasern finden sich glänzende Tröpfehen
von dem gleichen optischen Verhalten wie die Hülle, so daß man an
die sogenannten Gerinnungsbilder (»Myelinformationen«) des Nerven-
marks bei Vertebraten erinnert wird. Aber auch hier tritt durch
Osmiumsäure weder Schwärzung der Hülle noch jener Tropfenbildungen
ein. Querschnitte der zum Ganglion stellatum laufenden, mit Osmium-
säure konservierten Nerven zeigen Kaliberunterschiede von Nerven-
fasern, wie sie bei Wirbeltieren nie zur Beobachtung kommen. Die
stärksten kommen den markhaltigen Riesenfasern im Bauchmark von
Anneliden gleich. Zwischen ihnen, die etwa 120 u im Durchmesser
haben, und den Fasern von nur ı u Stärke existieren alle Übergänge.
Kleinere und mittelstarke Fasern zeigen, wenn der Kern überhaupt
getroffen ist, immer nur einen solchen; die großen Fasern können
in einem (uerschnittbild 3—4 Kerne enthalten. Die Kerne liegen
nach innen von der doppeltkonturierten Hülle. In dünneren Fasern
füllt der Kern im Querschnitt oft die halbe Faser aus. In dem
Achsenzylinder liegen die sehr feinen Fibrillen dicht beieinander, nur
hier und da unterbrochen durch mit Hämatein sehr dunkel gefärbte
Granula (Neurosomen), wie der Vergleich von Längs- und Quersehnitten
ergibt. Bei schlechter Konservierung ist hier, wie allgemein bei der
Fixation von Nervenfasern, leicht zu beobachten, daß die sehr zarten
Achsenfibrillen im Zentrum der Faser bis zu einem verhältnismäßig
feinen Faden zusammenschrumpfen, ähnlich der Chromsäurewirkung
auf die Vertebratennervenfaser, so daß dann der Eindruck einer
einzigen dieken Fibrille entsteht.
Wie die Nerven der Cephalopoden, so sind auch die der großen
Crustaceen, von denen ich Cancer pagurus und Homarus untersuchte,
aus röhrenförmigen Fasern mit relativ diekem, aus zahllosen Achsen-
! Die Weıcerrsche Färbung konnte ich bisher nieht anwenden. Ist sie aber
eine ausschließliche Myelinreaktion ?
172 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
fibrillen zusammengesetztem Achsenzylinder und dünner, doppelt kon-
struierter Hülle von starker Lichtbreehung aufgebaut. Als bequemes
Objekt habe ich den in der Scherenextremität unschwer zu finden-
den starken Nerven benutzt. Schon Enrengere und Remax haben
bekanntlich das Vorhandensein markhaltiger Fasern bei Astacus be-
hauptet. Es ist leicht zu bestätigen, daß die Fasern des Bauchmarks
und des Scherennerven von Asiacus dem optischen Verhalten der
Hülle nach zu urteilen den markhaltigen Fasern nahe stehen. Auch
sind im frischen Zupfpräparat die Fasern oftmals ganz erfüllt von
glänzenden tropfenartigen Bildungen, die an die »Myelinformationen «
erinnern. Hier aber unterbleibt, wie auch bei Cancer und Homarus,
die Osmiumreaktion, auch nach tagelanger Einwirkung der Säure.
Am Querschnitt des Nerven erkennt man, daß er durch Bindegewebe
in Bündel zerfällt. Der Diekenunterschied der Fasern ist auch hier
viel auffallender als bei dem Vertebratennerv. Bei den feinsten
Fasern bis unter ı u Durchmesser — die stärksten messen im
Scherennerv von Fomarus ı1o a — lassen sich noch Hülle und
Achsenzylinder an tadellosen Quersehnitten nachweisen. Die Neuro-
tibrillen sind außerordentlich fein und nur bei guter Osmiumkonser-
vierung so zu sehen, wie sie sich an günstigen Fasern auch im
frischen Präparat zeigen. Wie bei Crangon und Palaemon liegen die
Kerne nach innen von der stark lichtbrechenden Hülle. Ob diese
aber in Übereinstimmung mit den Angaben Frırprinpers über die
Hülle der Fasern von Squilla mantis, die zu untersuchen ich noch
keine Gelegenheit hatte, als Mark zu betrachten ist, muß ich dahin-
gestellt sein lassen. Die Osmium-Kaliumbichromat-Hämateinfärbung
färbt zwar die Hülle tiefschwarz — schwärzer als die übrigen Ele-
mente des Querschnitts, wie dünnste Schnitte lehren —, aber die
Werserrsche Markscheidenfärbung hat mir keine positiven Resultate
geliefert.
Auch unter den Anneliden (Hirudo, Aulostomum, Pontobdella,
Lumbricus) finden wir röhrenförmige Fasern des vollkommeneren Typus.
Bei Zumbrieus hat bekanntlich Levoıe zuerst die markhaltigen Riesen-
fasern des Bauchmarkes richtig erkannt. Ich schließe mich Frırn-
LÄNDER, der diesen Fasern noch die markhaltigen Fasern von Masto-
branchus anreihte, insofern an, als ich die Frage, ob die röhren-
förmigen Fasern des Bauchmarkes von Lumbrieus allgemein als mit
dünner markhaltiger oder markähnlicher Hülle versehen zu deuten
sind, für unentschieden halte.
Für die Beobachtung peripherer sensibler Verzweigungen fand
ich in den Elytren von Lepidastenia, Polynoe, Hermione und Aphro-
dite ein vortreffliches Objekt. Hier handelt es sich nieht mehr, wie
ah
%s
O.Scaurrze: Zur Histogenese des Nervensystems. 173
in den Hauptstämmen — wie bei den Vertebraten —, um röhren-
förmige Fasern, sondern um »marklose Fasern«. Sie führen reichliche
Nervenfaserkerne, sind deutlich feinfibrilliert und entbehren der Hülle.
Besonders nach dem freien Rande der Elytren hin bilden sie ein zartes
Netz mit unregelmäßig polygonalen Maschen, das ganz an das sensible
Zellennetz (syneytiale Netz) der Amphibienlarven und vieler Wirbel-
losen erinnert und diesem homolog sein dürfte.
Fasse ich alles zusammen, was mir meine bisherigen Unter-
suchungen der Nerven der Wirbellosen ergeben haben: Bei Wirbel-
losen kommen, ebenso wie bei den Vertebraten, zweierlei Nerven
in weiter Verbreitung vor. Die eine Form ist die vollkommenere.
Sie besteht aus röhrenförmigen Nervenfasern mit Inhalt (Achsenzylin-
der) und stark lichtbrechender Hülle, die in manchen Fällen — wo
sie sehr stark ist — zweifellos, in vielen — bei geringerer Dieke —
fraglicherweise markhaltig ist. Die zweite Form der Nerven besteht
aus einem oder mehreren Bündeln von Neurofibrillen mit ein- oder
angelagerten Kernen — röhrenförmige Fasern, aus Achsenzylinder und
Hülle bestehend, fehlen'. Sie lösen sich peripherwärts in einzelne
Neurofibrillen auf. Diese Form stellt den primitiveren Typus, die
Vorstufe der ersten Form, dar und tritt in der Ontogenese der Haupt-
stämme der Vertebratennerven vorübergehend auf, bleibt aber auch
bei den Wirbeltieren peripher und in gewissen Teilen des Sympathi-
cus dauernd bestehen. Die gewöhnliche Angabe, welche die Nerven-
fasern der Wirbellosen allgemein mit Sympathicusfasern und denen
des N. olfactorius der Wirbeltiere zusammenfaßt und den markhalti-
gen Fasern der letzteren gegenüberstellt, bedarf einer wesentlichen
Berichtigung. Denn es stehen z. B. die Nervenfasern der Haupt-
stämme bei Cephalopoden, Anneliden und Urustaceen den markhalti-
gen Fasern der Vertebraten viel näher als den Riechnervenfasern der
letzteren und den Milznervenfasern der Wiederkäuer.
Eine erneute Untersuchung des Baues der peripheren Nerven des
Amphioxus lanceolatus mußte mir unter den obwaltenden Umständen
besonders erwünscht sein. Trotz der zahlreichen ausgezeichneten Dar-
stellungen des Amphioxus-Nervensystems, von denen ich nur aus neue-
rer Zeit diejenigen von Hrymans und van DER Stricnt, FUSARı, Rerzıus
und Docırr anführe, vermissen wir bestimmte Angaben über den Bau
der Nerven. Denn die Methylenblau-, die Gold- und die Gorsısche
Methode können, so unschätzbar sie für das Studium der Verteilung
der Nerven sind, die rein histologische Frage des Baues nicht be-
! Auf die in den letzten Jahrzehnten durchaus unklar gewordene Bezeichnung
»Remaxsche Faser« kann ich hier nicht eingehen.
174 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
friedigend beantworten, ebensowenig wie die einfache Angabe es ver-
mag, daß die Nerven aus »marklosen Fasern« bestehen. Etwas mehr
befriedigt schon die Darstellung, daß die Arnphioxus-Nerven aus Fibrillen
und eingelagerten Kernen bestehen.
Zur ersten Orientierung über das periphere System gibt es keine
bessere Methode als die, die lebenden Amphioxen in mit Methylen-
blau gefärbtes Seewasser zu bringen (0.1—0.5 Prozent). Auffallend
ist hierbei gegenüber dem sonstigen Verhalten, daß in den größeren
Stämmen die Färbung mehr durch die Imprägnierung zahlloser Gra-
nula in den Nerven als durch die der Neurofibrillen zustande kommt,
wie dies schon Rerzıus beobachtete. Auch sonst tritt die vitale Gra-
nulafärbung in den Zellen in ähnlicher Weise hervor, wie ich dies
früher bei Amphibienlarven beschrieb — aber die Nervenfärbung
herrscht vor.
Die Frage von dem Bau der Nerven kann, wie allgemein, nur
mit der Osmiumkonservierung befriedigend gelöst werden. Ich wandte
sie sowohl bei der kleinen Nordseeform als bei Exemplaren aus
dem Mittelmeer an und ließ ihr die Kaliumbichromateinwirkung be-
hufs besserer Nachfärbung folgen. Die unter der äußersten Corium-
schicht gelegenen Endbäumchen der dorsalen Nerven treten in tief-
schwarzer Färbung im Flächenbild nach Hämateinfärbung sehr schön
hervor, jedoch sind die einzelnen Neurofibrillen und die Kerne wenig
deutlich, solange man nicht zu feinen Quer- und Längsschnitten greift.
Am besten erwies sich mir Totalfärbung der mit Osmium und Ka-
liumbichromat behandelten Tiere mit Karminfarbstoffen, an denen sich
unter dem Doppelmikroskop die gewünschten Nervenpräparate durch
Präparation gewinnen lassen zur Untersuchung in schwach licht-
brechenden Medien. Quer- und Längsschnitte stärkerer Nerven er-
hält man leicht von den beiden in der Längsrichtung des Tieres
zum Rostrum laufenden ersten »Hirnnerven« und den starken ventra-
len Ästen der Dorsalnerven, die mit einem Teil der anhaftenden
Muskulatur durch Rasiermesserschnitt der Seite des Tieres entnommen
werden.
In den peripheren Nerven des Amphioxus fehlen die für viele
Wirbellose typischen röhrenförmigen Fasern durchaus. Die Längs-
ansichten sowie die Längs- und Querschnitte der stärksten Nerven-
stämme zeigen einen einheitlich neurofibrillären Bau. Außen findet
sich eine zarte, anscheinend strukturlose Hülle. Im Innern liegen
zahlreiche Kerne, teils zentral, teils mehr peripher. Nur an sehr
dunkel mit Hämatein tingierten Nerven sieht man am feinen
Querschnitt zarte, dunkle Septa zwischen die graugefärbte Neuro-
fibrillenmasse von der peripheren Hülle her einstrahlen. Die Kerne
O.Scnuurze: Zur Histogenese des Nervensystems. 175
liegen teils in den Septen, teils in den durch die Septen mehr oder
weniger vollkommen umscheideten Fibrillenbündeln. In den feineren
Ästen fehlen Hülle und Septa, die Neurofibrillenbündel liegen nackt
mit teils ein-, teils aufgelagerten Kernen. Die Nervennetze — am
leichtesten nachweisbar ist das an der Innenfläche der Bauchmusku-
latur gelegene — bestehen nur aus Neurofibrillen mit Kernen vor-
nehmlich an den Knotenpunkten.
Durch den Mangel röhrenförmiger Nervenfasern und den Aufbau
der Nerven' aus kernreichen Neurofibrillenbündeln erweisen sich die
Nerven des Amphioxwus als der unvollkommeneren, dem embryonalen
Wirbeltiertypus nahestehenden Gruppe angehörig. Sie stehen also
histologisch auf primitiverer Stufe, als die der Cephalopoden, Anne-
liden und Crustaceen.
Die von mir vertretene Auffassung des Aufbaues des gesamten
Nervensystems aus Neuroblasten, die teils zu Nervenzellen (Ganglien-
zellen), teils zum Zwecke der Reizleitung zu syneytial vereinigten
Nervenfaserzellen werden, findet eine weitere wesentliche Stütze in
den genetischen Beziehungen der beiden Zellformen, welche aus fol-
genden Beobachtungen sich ergeben.
1. Die Entwicklung des durch seine oberflächliche Lage und
seinen Verlauf besonders günstigen Nervus lateralis vagi der Amphi-
bienlarven lehrt, daß der anfangs rein zellige und noch nicht neuro-
fibrilläre Nerv als Zellstrang aus dem Ektoblast in loco hervorgeht,
wobei die spindelförmigen Zellen des Hinterendes des während des
Wachstums zunächst mit dem Ektoblast verbunden bleibenden Nerven
ohne jede scharfe Grenze allmählich in die Ektoblastzellen übergehen.
Das beweisen unzweideutig außer Durchschnitten Flächenbilder der ab-
gelösten und entpigmentierten Epidermis aufeinanderfolgender Stadien.
Der Nerv schnürt sich als ein Ast des Baumes genau so von dem
Ektoblast ab wie der Stamm, das Medullarrohr. Wenn ein Experiment
einen anderen Bildungsmodus ergibt, so kann dies niemals den nor-
malen Befund in Zweifel ziehen. Vielmehr zeigt sich wieder, daß es
unter Umständen verfehlt ist (Harrısox), aus experimentellen, unter
abnormen Bedingungen gewonnenen Befunden weitgehende Schlüsse
auf normales Geschehen zu ziehen.
2. Die an dem N. lateralis und an seinem Ramus superior ge-
machte Beobachtung inniger Beziehungen der den Nerven aufbauenden
Nervenfaserzellen zu dem Ektoblast legt den Gedanken nahe, daß wie
die zentralen so auch die peripheren Neuroblasten bei den Vertebraten
frühzeitig aus dem ektodermalen Verband ausscheiden, um im Meso-
! Im Zentralorgan finden sich röhrenförmige Fasern.
176 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 6. Februar 1908.
derm zu proliferieren'. Dieser Gedanke findet eine gute Stütze in
der Tatsache, daß das gesamte diffuse oder noch wenig zentralisierte
Nervensystem eines Cölenteraten dem ektodermalen Verband entstammt,
daß das Nervensystem der Echinodermen sowie ganze Nervenstämme
bei manchen Würmern dauernd im Ektoblast verbleiben, und daß bei
Astacus auch die peripheren Nerven, wie das Zentralnervensystem, aus
dem Ektoblast hervorgehen.
3. Seit der Veröffentlichung meiner letzten Arbeiten auf diesem
Gebiete habe ich mich andauernd mit der Nachprüfung der früheren
Angaben und deren Erweiterung beschäftigt. Hiernach halte ich auch
das Folgende in vollem Umfang aufrecht. Das Vorhandensein eines
integumentalen kontinuierlichen Netzes multipolarer nervöser Zellen,
in welches zahllose marklose und markhaltige Fasern eintreten, sowie
die Umbildung dieses dem sensiblen Nervenzellennetz vieler Wirbel-
losen homologen Netzes in ein Nervengeflecht markhaltiger Fasern auf
dem Wege mitotischer Teilung in der von mir beschriebenen Weise,
stehen für mich fest. Der Plexus nervosus profundus der Amphibien-
haut entsteht in loco aus dem primitiven syneytialen Zellennetz. An
Jedem Knotenpunkt des Geflechts lag ursprünglich eine multipolare
Nervenzelle. Durch Mitose liefert sie zahlreiche Nervenfaserzellen.
Beide Zellformen sind genetisch aufs innigste verwandt.
4. Dieselben innigen Beziehungen fand ich in Folgendem: Aus
dem von mir in der Gaumenschleimhaut von Amphibienlarven be-
schriebenen nervösen Zellennetz geht in gleicher Weise wie in der
Haut der bekannte Plexus markhaltiger Fasern auf mitotischem Wege
hervor. In den hinteren, dem Rachen angehörigen Teil dieses Plexus
sind bekanntlich Ganglienzellen eingeschaltet. Diese sind nicht etwa
»eingewandert«. Sie entstehen in loco. Innerhalb einzelner multi-
polarer Zellen des Netzes tritt in der betreffenden Gegend eine Kern-
vermehrung ein. Einzelne der mehrfachen Kerne gewinnen eine auf-
fallende Größe und nehmen die für viele Ganglienzellen typische große
Kugelform mit großem Nukleolus an. Es kann keinem Zweifel unter-
liegen, daß wir es hier mit den Kernen der späteren Ganglienzellen
zu tun haben, die sich als solche erst später abschnüren. Aus dem
ursprünglich gleichartigen Zellennetze gehen also sowohl Nervenfaser-
zellen als Ganglienzellen hervor.
Meine Opposition gegen die Neuronenlehre hat sich auf die
Morphologie bezogen. In biologischer Hinsicht wirkt die Neuronen-
lehre zweifellos fruchtbringend. Aber das Neuron bedarf vom morpho-
logischen Standpunkte aus einer anderen Definition, denn es handelt
! Von dem entodermalen Nervensystem sehe ich jetzt ab.
OÖ. Scaurrze: Zur Histogenese des Nervensystems. 177
sich bei Vertebraten und bei Wirbellosen, zum mindesten in peri-
pheren Bahnen, nicht um einzellige, sondern um vielzellige, syneytiale
Leitungswege.
Nachtrag.
Nach Absendung dieses Berichts fand ich in dem sympathischen
Nervensystem der Katze, sowohl im Grenzstrang als in Eingeweide-
nerven, eine neue Form markloser Nervenfasern von besonderer Be-
deutung. Die Fasern bestehen, auf Längs- und Querschnitten unter-
sucht, aus einer dünnen Mantelscehicht von Neurofibrillen. Innerhalb
dieser liegen in der Achse der Faser in Abständen Kerne von kreis-
rundem Querschnitt, welche das von den Neurofibrillen umgebene
Zentrum fast ganz ausfüllen. Das Bild erinnert sofort an ein gewisses
Stadium embryonaler Muskelfasern von Vertebraten, wo die ersten
Myofibrillen zylindermantelartig die zentralen Kerne umhüllen. Dieser
Befund bezieht sich auf dünnste Schnitte von Osmiumobjekten mit
Neurofibrillen- und Kernfärbung.
Hier haben wir »Nervenfaserkerne«, wie wir sie nicht klarer ver-
langen können. Hier wird das Typische der Nervenfaser, die Neuro-
fibrillen, nieht von »Hüllzellen« umgeben, sondern die Neuro-
fibrillen bilden die Hülle um die vermeintlichen » Scheiden-
zellen«. Wo aber bleiben diese, wenn sie selbst »umscheidet« sind?
Ausgegeben am 13. Februar.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei
IrS
SITZUNGSBERICHTE 1908.
Va.
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
6. Februar. Sitzung der philosophisch-historischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Dies.
l. Hr. Ermav besprach eine Sammlung von Hymnen an das
Diadem der Pharaonen aus einem Papyrus im Besitze des Hrn.
W. GoLENISCHEFF zu St. Petersburg. (Abh.)
Der Papyrus ist etwa im 16. Jahrhundert v.Chr. für den grossen Tempel des Gottes
Sobk im Faijum geschrieben. Die Hymnen stammen aber in ihrem Kerne aus weit
älterer Zeit, zwei sogar noch aus dem alten unterägyptischen Reiche. Mehrere haben
die Form der Morgenlieder, mit denen man ursprünglich wohl den König erweckte,
die man dann aber früh auch als Morgengruss an die Götter verwendete.
*). Hr. Rorrtuz berichtete über eine Handschrift des Reinaert |
auf der Fürstl. Salm-Reifferscheidt’schen Schlossbibliothek
zu Dyck.
Hr. Dr. Deserıng in Münster ist auf die wichtige Handschrift gestossen, als er
für das Handschriftenarchiv der Deutschen Commission die kleineren Bibliotheken der
"Rheinlande durchsuchte. Sie gehört noch in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts,
füllt die Lücke hinter 2655, bestätigt nicht selten den Text des Reinaert II, verbessert
den Text der Comburger Hds. an vielen Stellen. Besonders interessant ist, dass V. 6
hier lautet: Die arnout niet en hadde bescreven, was auf einen nl. Reinaertdichter Arnout,
der vor Willam dichtete, hinzuweisen scheint. — Dr. DesErıng wird die Hds. dem-
nächst publieiren.
3. Folgende Druckschriften wurden vorgelegt: Deutsche Texte
des Mittelalters. Bd. XII. Der Grosse Alexander, hrsg. von G. Gurn.
Berlin 1908; Cart Scnmr, Der erste Ölemensbrief in altkoptischer
Übersetzung. Leipzig 1908 (Texte und Untersuchungen zur Geschichte
der altchristlichen Literatur. XXXI 1); J. Hırscngers, Geschichte der
Augenheilkunde. II 2. Leipzig 1908.
Ausgegeben am 13. Februar.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei,
Sitzungsberichte 1908. 19
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' n8 den re Classe am '20. Eane 8. Es
cm: Bestimmung der kritischen Spannungen in festen Körpern. (S. 210)
x: Zur a] des Gagats. (S. 221)
dm
BERLIN 1908.
] —- AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften.
Aus Sl.
Die Akademie gibt gemäss $41,1 der Statuten zwei
fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte
der Königlich Prenssischen Akademie «der Wissenschaften «
und »Abhandlungen der Königlieh Preussischen Akademie
der Wissenschaftene.
Aus $2. _
Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die
» Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka-
demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel
das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefern ist. Niebt-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.
$3.
Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll
in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32,
bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Sehritt
der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druekbogen
von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schritt der Abhand-
lungen nieht übersteigen.
Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung
der Gesammt-Akademie oder der betreffenden (lasse statt-
haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu
beantragen. Lässt der Umfang eines Manuseripts ver-
muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werıle,
so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen
von sachkundiger Seite auf seinen mutlımasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lassen.
s4.
Sollen einer Mittlieilung Abbildungen im Text oder
auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die
Vorlagen dafür (Zeiehnungen, photographische Original-
aufnalımen u. s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch
auf getrennten Blättern, einzureichen.
Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in
der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten
aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so
kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein
darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be-
treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage
eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu
riehten, «ann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und
weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln.
Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka-
demie. Über die voraussiehtliche Höhe dieser Kosten
ist -— wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren
handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen
beizufügen. Übersehreitet dieser Anschlag für die er-
forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark,
bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung
dureh das Secretariat geboten.
Aus $5.
Nach der Vorlesung und Einreichung des
vollständigen druckfertigen Manuseripts an den
zuständigen Seeretar oder an den Archivar
wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen
Sehriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit-
glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt.
Mittheilungen von Verfassern, welehe nielıt Mitglieder
der Akademie, sind, sollen der Regel nach nur in die
Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine
Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Niehtmitgliedes
in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungene,
BE no
Aus $ 6. Een | |
Diean die Druckereiabzuliefernden Mahuscrinse mitzsei |
wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus-
reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes. |
und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen |
Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden
Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehmen. ||
Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser I
seine Mittlieilung als vollkommen druckreif ansieht. il
Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die |]
Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das
vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach |]
Möglichkeit nieht über die Berichtigung von Druckfehlern? | |
|
und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche
Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des. vedi-
girenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerchä
und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr.
kosten verpflichtet. ;
‚„ Aus $8.
Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen
aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden,
Adressen oder Beriehten werden für die Verfasser, von
wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im
Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel -
abdrucke hergestellt, ie alsbald nach Erscheinen des be-
treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden.
VonGedächtnissreden ebentallsSonleridrzai
für den Buelihandel hergestellt, indess nur dann, wenn die
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären.
89. 5
Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberichten”
erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertheilung olıne weiteres 50 Frei
exemplare; er ist indess ber‘ echtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten der Akademie weitere E Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf seine Kosten noclı weitere bi
zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Seeretar a
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der eigen Akademie oder der be-
treffenden Case — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei
exemplare und dürfen nach reelitzeitiger Anzeige bei den
redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen lassen. &
Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen &
hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei-
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zweck
auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis
zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Seeretar an-
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch" mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be-
treffenden ae — Nichtmitglieder erhalten 30 Fre i
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare auf il
Kosten abziehen lassen.
> Sur.
Eine für die akademischen Schriften bi e
stimmte wissenschaftliche Mittheilung
so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an je;
Gesammt-Akademie. ı Stelle anderweitig, sei es auch nur aus
(Fortsetzung auf S.3 des Umschlags.) By a ”
181
SITZUNGSBERICHTE 1908.
vi.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
13. Februar. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwens.
l. Hr. Prnck las über den Drakensberg und den Quath-
lambabruch. (Ersch. später.)
Die Mittheilung führt aus, dass Südafrica nicht längs eines grossen Quathlamba-
bruches gegen den Indischen Ocean abfällt, und dass die Steilränder des Drakens-
berges nichts anderes sind als Erosionsabfälle, die sich weder au eine bestimmte geo-
logische Struetur noch an einen bestimmten geologischen Horizont, sondern lediglich
an widerstandsfähige Gesteine knüpfen. Der Küstensaum von Natal wird weithin
von einer Flexur begleitet, durch die vor der jüngeren Kreideperiode eine Rumpfiläche
zum Indischen Ocean abgebogen worden ist. Diese Flexur scheint seither strecken-
weise in anhaltender Fortbildung gewesen zu sein, und der Wechsel von Hebungs- und
Senkungserscheinungen an der Küste von Natal lässt sich erklären unter der Annahme,
dass der Knoten der Flexur seine Höhenlage in Bezug auf den Meeresspiegel ge-
ändert hat.
2. Vorgeleet wurde das von dem correspondirenden Mitoliede
fe} fo}
Hrn. Levasszur eingesandte Werk: Questions ouvrieres et industrielles
fo) 14
en France sous la troisieme republique. Paris 1907.
Die Akademie hat das correspondirende Mitglied der physikalisch-
mathematischen Classe Hrn. Karr vox Vorr in München am 31. Januar
durch den Tod verloren.
Sitzungsberichte 1908. 20
152 Gesammtsitzung vom 13. Februar 1908. — Mittheilung vom 30. Januar.
g 8
Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik
aus Chinesisch-Turkistan.
Von Dı. E. Sızs
in Berlin.
Voreeleet von Hrn. Pıscuer am 30. Januar 1908 [s. oben S. 117).
> fo)
Hierzu Taf. 11.
Be weiterer Durchforschung der Manuskripte aus der Sammlung
vox LE CoQ ist mir noch ein grammatisches Bruchstück in die Hand
gckommen, das derselben Grammatik angehört wie das in den Sitzungs-
berichten 1907, S. 4661f. behandelte. Es ist besonders interessant, weil
darin die grammatischen Sutren in Verbindung mit einem Kommentar
erscheinen. Bei dem sehr geringen Umfang des Fragments — es be-
steht nur aus einem einzigen Papierfetzen von etwa 7 em Höhe und
9 em Länge — schob ich indessen die Publikation einstweilen auf,
da ich hoffte, daß Prof. Grünweners Heimkehr aus 'Turfan weiteres
Material bringen würde. Diese Erwartung hat mich nicht getäuscht,
denn in seiner reichen Sammlung von Handschriftenfunden befanden
sich noch zwei Manuskripte grammatischen Inhalts, die wiederum der-
selben Grammatik angehören, und von denen das eine ebenfalls die
Sutren mit Kommentar gibt. Ich behandele der Reihenfolge des In-
halts entsprechend zunächst das kommentarlose Bruchstück, dann das
mit Kommentar versehene der Sammlung Grünweoen und schließlich
(las neue Stück der Sammlung vox Le Con.
l.
Dieses Fragment, gez. TIIl, M 167, besteht aus einem noch ziem-
lich festen gelben Papierfetzen von etwa I4 cm Länge und Breite, der
he >
nach Mitteilung des Hrn. Bartus — Prof. Grünwenen krankt leider
noch immer an den Strapazen der letzten Turfan-Expedition — in
Murtug im Schutt der 3. Anlage gefunden wurde. Der Sanskrit-Text
ist in Sarada-Schrift mit schwarzer Tinte bzw. Tusche auf die Rück-
seite eines chinesischen Blockdrucks geschrieben, dessen freie Partien
E. Sıeg: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus Chin.-Turkistan. 183
wiederum mit uigurischen Schriftproben gefüllt sind. Nur die linke Blatt-
hälfte (s. Taf. II, Abb. ı) ist erhalten: nach Ausweis des Inhalts fehlen
der kürzesten der sechs Zeilen etwa 12, der längsten etwa 7 Aksaras.
In gleicher Höhe mit der untersten, d.h. 6. Zeile, findet sich am Rande
die Zahl 2, was dem Inhalt auch entsprechen dürfte, denn der Text
beginnt mit der Regel = Kätantra ı. ı. ı2 und reicht bis zum Schluß
des ersten Pada. Die einzelnen Sutren decken sich vollständig mit
denen des Katantra, nur sind 21 u. 22 umgestellt, eine Anordnung,
die durch das unter II behandelte Bruchstück bestätigt wird.
Der chinesische Blockdruck auf der Rückseite, die Särada-
Schrift und die Festigkeit des Papiers lassen darauf schließen, daß
das Manuskript schwerlich älter als das 9. bis ı0. Jahrhundert sein
dürfte: bestimmtere Grenzen sind aus der Schrift nieht zu gewinnen.
Die steifen, dicken Striche, die den Buchstaben der Särada-Schrift ein
grobes, klotziges Aussehen geben', treten auf diesem Manuskript be-
sonders hervor: man beachte namentlich das Aksara na (2. 2 u. 6),
das hier aus einem geraden Deckstrich mit drei kurzen Vertikal-
strichen von gleicher Länge besteht; den Upadhmanıya 4 (Z. 3), der
sich außer seiner Stellung über dem pa nur durch den Fußstrich
vom na unterscheidet; das a (Z. 1, 2 u. 4), das mit dem Deckstrich ge-
schlossen ist, usw. — Von Ligaturen sei besonders auf rtha (Z. 4)
aufmerksam gemacht, sie entspricht genau dem Zeichen in Bünters
Tafel 6, Kol. 8, 50, man vergleiche auch Paippalada” fol. 4* Z. 10
pärthivanam. Zu rna (2.5) s. z.B. Paipp. fol. 2°2.3 v.u. nyürno, zu ya
(Z. 5) Paipp. fol. 7” letzte Zeile apasyan ja. — Der Anusvära wird in
der üblichen Weise durch den Punkt bezeichnet, auch vor Labialen,
der Virama ist hier ein einfacher, schräg oben an den Buchstaben
gelehnter Strich (s. Z.4 u. 5). Visarga wird regelrecht geschrieben,
doch wird er vor unverbundenem Zischlaut dem Zischlaut assimiliert,
wie üsmäanas sasasahah (Z. 2) zeigt. Ob auch vor tonlosen Labialen
und Gutturalen der Upadhmanıya bzw. Jihvamulıya gesetzt wurde,
läßt sich nicht ausmachen, da sich auf dem Bruchstück kein Anhalt
dafür bietet: Apa (Z. 3) ist durch die Regel (s. Kat. ı.ı. 18) geboten,
zu bedauern ist, daß Jka, welches wir in Z.2 zu erwarten hätten,
leider weggerissen ist. Als Interpunktionszeichen ist an den Schluß
der einzelnen Sutren ein kleiner Schrägstrich in gleicher Höhe mit
dem Fuß der Aksaras gesetzt, der beim Visarga diesen direkt zu
stützen scheint (s. Z. 2 u. 3), während er dem Virama parallel läuft
(s. Z. 4). Größere Pause am Schluß des Päda und beim Beginn der
Unterschrift (s. Z.6) wird durch Doppelstrich markiert.
! Siehe Bünter, Ind. Paläographie 1896, S. 57-
®2 The Kashnirian Atharva Veda reprod. by M. Brooxriern and R. GARBE 1906.
20°
154 Gesammtsitzung vom 13. Februar 1908. — Mittheilung vom 30. Januar.
Ich gebe nunmehr die Umschrift des Textes in der Form, wie
er in der Handschrift steht, und lasse zur Erklärung einfach die Regeln
des Katantra folgen.
TII, Mı67,R. Z. 1. ghosavanto nye anunäsika ha
2. usmanas sasasahah | ah iti
hvamüliyah hpa ity upadhmantyah
rayor arthopalabdhau padam analikrama
vyanjanam asvaram param varnam nayet lo
siddhih sandhiprakarane sa
oNen =-pzS
Kat. 1. 1. 12fl.: ghosavanto "nye 13 anunasika hanananamah
ı4 antahsth@ yaralavah 15 Usmänah sasasahah 16 ah iti visarjanıyah
17 hka iti jihvamüliyah 13 hpa ity upadhmäniyah 19 am ity anusvarah
20 pürvaparayor arthopalabdhau padam 21 vyanjanam asvaram param
varnam nayet 22 änatikramayan vislesayet 23 lokopacarad grahanasid-
dhih. Mit dieser Regel schließt im Katantra der erste Pada, dessen
Unterschrift bei Durga lautet: sandhau prathamah padah. Merkwürdig
ist in unserem Text der Pausa-Strich hinter prakarane, soll damit die
Kapitelunterschrift schon geschlossen sein und das folgende sa etwa
schon die Regel ı. 2.1 samanah savarne usw. beginnen? Andernfalls
wäre vielleicht an sanjnapadah zu denken.
UK
Das 2. Bruchstück, gez. TI, Sor@ugq, stammt aus Sör@ug bei Kurla
und wurde dort in einem kleinen Gang (zwischen den Ruinen you.
61) gefunden. Es ist ein kleines Buch in indischer Pothı-Form mit
einem Schnürloch auf der linken Seite. Das Material ist gelbbraunes
bzw. durch die Zeit gebräuntes Papier, die Schrift ist Brahmı in dem-
selben Duktus wie die Sitzungsber. 1907, S. 466ff. behandelten Blätter.
Das Buch war noch durch das Schnürband zusammengehalten, aber
es ist leider nur die Partie um das Schnürloch erhalten geblieben.
Die Anfangs- und Schlußblätter fehlen ganz; von den vorhandenen
ersten und letzten sind nur so winzige Stücke übrig geblieben, daß
ihre richtige Zusammensetzung und Einordnung meist nicht mehr
möglich war. Das Papier ist total zermürbt. und die Auflösung des
Schnürbandes konnte nur mit der allergrößten Vorsicht ermöglicht
werden, da die Blätter bei der Berührung zu zerfallen drohten. Trotz-
dem ist es unter Assistenz von Dr. Sı:sLıns und mir den kunstfertigen
Händen des Technikers des Museums für Völkerkunde, Hrn. Buch-
bindermeister Scıurıs. gelungen, die einzelnen Blätter ohne ärgere Be-
schädigungen unter Glas und Rahmen zu bringen. Selbstverständlich
E. Sıes: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus Chin.-Turkistan. 185
sind die Blätter genau in der Reihenfolge gelassen worden, in der sie
sich befanden, aber der Inhalt zeigt, daß zwischen fol. 10 u. ıı ein
Blatt fehlt und daß die Blätter 28/29, 37/38, 48/49 je miteinander ver-
tauscht sind. Wie sich bei der Auflösung ergab, sind die Reste von
rund 60 Blättern vorhanden. Die Höhe des auf beiden Seiten 4 zeilig
beschriebenen Blattes — die Ränder sind oben und unten meist er-
halten — beträgt 7 cm, die Länge jetzt im Mittel ebenfalls 7 em
(s. Taf. II, 2a u. b); die ursprüngliche Länge läßt sich nur ungefähr aus
dem Inhalt erschließen, da wir eben nur noch die Partie um das
Sehnürloch besitzen, auf der linken Seite dürften durehschnittlich etwa
ı bis 2 Aksaras, auf der rechten 7—-9 Aksaras fehlen.
Die erste deutlich erkennbare Regel ist ah iti visarjanzyah s. Kät.
1. 1. 16, die letzte ro re lopam svaras ca pürvo dirghah s. Kät. 1. 5. 17.
Mit Kat. 1.5. ıS schließt aber dessen 1. Buch, welches den Sandhi
behandelt, es ist also anzunehmen, daß unser Manuskript nur dieses
eine Buch enthielt, daß also am Schlusse nur wenig fehlt.
Die Schrift ist merkwürdig schwarz und klar, zweifellos eine Folge
des die Blätter fest zusammenhaltenden Schnürbandes. Da nun der
Inhalt — Sandhi-Regeln mit illustrierenden Beispielen im Kommentar
— eine Fülle der seltensten Ligaturen bedingt, so liefert dieses Frag-
ment eine besonders gute Ausbeute für die Brahmı-Schrift. Hier sei
nur auf 5. wenigstens in Sanskrit-Texten noch nicht belegte Zeichen
aufmerksam gemacht: bezüglich der Ligaturen verweise ich auf die
demnächst erscheinenden Tabellen SırsLıngs.
Anlautendes r' findet sich 21” ı an einer Stelle, die nieht klar
ist, aber über den Wert des Zeichens kann wohl kein Zweifel sein,
da es sich auch neben r in einer Schreibübung in Brahmı-Schrift auf
einer chinesischen Handschrift des Saddharmapundarıka gez. TIL, Y4
u. 7 findet, worauf mich Dr. Srönser aufmerksam gemacht hat; es ist
das kurze r mit dem unten angehängten Längshäkchen.
Ein selbständiges Zeichen für anlautendes ai” findet sich mehrfach
in unserem Manuskript, 2 mal hintereinander 14° 2 in der Regel ekäre
ai aikare ca s. Kät. ı. 2.6: es sieht aus wie ein Aha ohne den un-
teren Schrägstrich‘.
Anlautendes / sollten wir kurz vorher in der Regel Iarne al
s. Kät. ı. 2. 5 erwarten, leider ist aber gerade dieses Zeichen 13" 2
weggerissen, auch das betreffende Kommentarstück fehlt, dagegen findet
5
4
Die Zeichen für r, o und au sind bereits aus meiner r. Abhandlung bekannt.
186 Gesammtsitzung vom 13. Februar 1908. — Mittheilung vom 30. Januar.
sich m!" 16° 2 in der Regel am arnah s. Kat. 1. 2. ı1. Dieses
Zeichen für 7 ist dasselbe Zeichen, das Leumann bereits in der frem-
den Sprache” — Klasse I seiner Gruppierung“, F. W.K. Mürrer hat sie
neuerdings’ in geistreicher Verwertung einer uigurischen Quelle für
tocharisch erklärt als Zeichen für / erkannt hat.
Noch 2 weitere Bekannte aus dieser Sprache finden sich in un-
serem Fragment, nämlich ı. der Doppelpunkt, der hier über dem y
zur Bezeichnung von @y 17° 2° erscheint, in der Regel ai @y s. Kat.
1.2.13 und 2. für den Jihvamulıya in hkha 43” 4°, jenes Zeichen,
das man auch im Tocharischen als A-Laut erkannt hat‘. Leider ist
diese Stelle — es handelt sich um ein Beispiel für kakhayor jihvama-
Iyam na va s. Kät. 1.5.4 — die einzige, an der sich in unserem
Manuskript der Jihvamulıya findet, denn die betreffenden Stellen zu
hka iti jihramtlyah s. Kat. ı. 1. 17 auf 6* fehlen, und sonst wird immer
der Visarga gesetzt‘.
Der Visarga erscheint überhaupt in diesem Manuskript ständig
wo wir ihn nach den Regeln des klassischen Sanskrit erwarten sollten,
auch vor tonlosen Labialen und vor Sibilanten. Die Fälle, wo er
weggelassen wird, sind außerordentlich selten und offenbar nur
Schreibfehler; ich habe nur folgende Stellen notiert: ra sakarah 29 2
für rah sa°, nanana khahı 33” ı für Onah, bho gaccha 45" 4 für bhoh,
ayni daha® 48” 2 für agnih. Dagegen findet er sich überflüssigerweise
noch in [utti]sthah 20° 4 für °stha, kah stasaya 42" ı für kas t@° und
Über eine von den unbekannten Literatursprachen Mittelasiens, Zapiski Imıp.
Nauk, VII. Serie, T. 4, Nr. 8, St. Petersburg 1900, S. ro, Note 13.
® Siehe ZDMG. 61, 1907, S. 648—658.
* Siehe Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1907, S. 958—960.
se
Akad.
? Siehe Levmann a. a. OÖ. und HoErstE, JASB. 70 P. ı, Extranr. ı, App. 1901
und Faksimile-Reprod. 1902.
5 Es möge mir gestattet sein, an dieser Stelle noch nachzutragen, was ich leider
zu spät bemerkt habe, daß nämlich die von mir, Sitzungsber. 1907, S.470, besprochene
Jihvämuliya-Bezeichnung bereits von Hoerrxte für das Bower-Manuskript nachgewiesen
ist, s. JASB. 62, 1393, S. 25, Note 17; auch die in diesem Duktus übliche, von mir
a.a. 0. S. 471 behandelte Viräma-Bezeichnung hat Iloerste bereits festgestellt, s. a. a. O.
S. 39.
3%. Sıeg: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus Chin.-Turkistan. 187
kah ssete 45° 4 für kas sete. Bisweilen wird der Visarga irrtümlich statt
des Pausa-Zeichens gesetzt, s. kalı altrah 46° 2 und [atra|A bho atra
47° 4-
Der Upadhmanıya fehlt gänzlich: zu Apa ity upadhmanıyah
s. Kät. ı. 1. ı8 auf 6” fehlt das betreffende Stück im Text wie im
Kommentar, und im Kommentar zu paphayor upadhmaniyam na va
s. Kät. 1. 5. 5 ist er einfach ausgelassen s. 44” ı hkah pacati » ka pacati.
Die Auslassung von Zeichen ist übrigens mehrfach in diesem
Manuskript zu konstatieren, und zwar handelt es sich dabei um ab-
siehtlich ausgelassene, wie der dafür freigelassene Raum be-
meist. Solche Lücken habe ich 1ı2*2, 32” ı, 37°4, 37’ıu4,
39° 3 u. 46” ı notiert. Im ersten Fall ı2° 2 handelt es sich um das
Zeichen kl, 37"4u."ı um a, 39°3 um ca, 37”’4 um Aa, 32° 1
um nina, während 46”ı eine größere Lücke im Original des Ab-
sehreibers vorgelegen zu haben scheint. Da es sich bei diesen 8 Fällen
ı mal um das eigentlich nie vorkommende kl handelt, 6 mal um den
Buchstaben 7, sei es selbständig, sei es als Anfang der Ligatur',
und das 2 in dieser Verbindung sonst überhaupt nieht vorkommt’,
so ist wohl anzunehmen, daß der Schreiber diese Zeichen eben nicht
zu schreiben verstand und sie vielleicht erst nachträglich einfügen
wollte.
»Nach Pan. 8. 4. 46 ff. wird ein auf r oder 4 folgender Konsonant
(doch nicht ein Sibilant, dem ein Vokal folgt) und ein auf einen
ent-
3
Vokal folgender erster Konsonant einer Gruppe verdoppelt«;
sprechend finden wir in unserem Manuskript Konsonantenverdoppelung
nach r in sargga 7” 3, dirgghi 11° 3, dirggha 53" 4; arttho® 7° 4,” 1,
Omohärttham 9° 4, °rtihan 30* 1, rayor mma® 45” 3: tiryyan 34° 1; °yor lo
Bi Durcvarı“ Aa, ı8°4A, 30° 2, 35" 4, 36" 3, saruvad' 18%4 — da-
neben aber auch varga® 29° 4, 31? 2u. 3, 39” 1, 41" 35 °yor ji? 43” 1;
caturtho 41° 3; tıryan 34” 1, yor lo° 20” 1; pürca 17° 2, 53" 4, sarva 17" 2,
während tisarjanıya, s. 5" 1, 45" 4, 46° 4,” 4, 48” 4, 5o’ı, und varna,
s. 4°, ı0® 1, ı1° 2 usw., ständig ohne Verdoppelung geschrieben
werden. — Für Verdoppelung nach A habe ich kein Beispiel ge-
funden; dagegen findet sich 6° ı und 43" 4 Jiheamalıya. — Beispiele
für Verdoppelung des ersten Konsonanten einer Gruppe nach Vokal
sind: prakrttya 24° ı, attra ı5” 3, 16° 2 usw., lattra 8” 4; upaddluna”
6° 2, aa” 2, maddhye 46* 4; loppya ı5“4, "2, 21” 4, 22*ı und wahr-
. . 2 a - b n nm?
scheinlich auch 54% 4, tu ppra® 20° 4, vargappra® 29° 4, 39° 1, "üppra®
OD
ı Als Schluß der Ligatur findet es sich mehrfach in samjn@ usw.
2 39° 2 steht bhavag su? für bhavan su°, für vyanjana wird regelrecht ayemjana,
für pancama pamcama geschrieben.
®? Siehe WackernaGer, Altindische Grammatik 1 $ 98a.
138 Gesammtsitzung vom 13. Februar 1908. — Mittheilung vom 30. Januar.
48° 2: sarvva ssvaresu 18* 4, [anya]ssvare 46” 3, eva ssvare 47" 4, ca ssvare
47°1. °tra ssva® 52” ı — daneben finden wir aber auch atra o® 2,
21"4, 25°4 usw.; lopya 18” 1; svare pralyaye pra® 23* 4, svare pra® 49° 3,
supra® 25” a, 31” 3: ständig ohne Verdoppelung erscheint pratyaya,
s-i72°4 usw., und anusvara,sı ao za 6
Eine weitere Eigentümlichkeit des Manuskripts ist die häufige
Assimilation von auslautendem 2 mit folgendem anlautenden n, s. var-
nan ne 10” 1, varnan na° ı 1° 2, °ranna 29° 1, °turtthan na 30° ı, liyan na
43° 4: aber umgekehrt findet sich auch Anusvara für auslautendes n,
s. "kramayam 11° 1, trliyam 27" 4 und wahrscheinlich auch bhavam
40° ı. Die Vermischung beider Erscheinungen zeigt sich am deut-
lichsten in tasmimnneva go” a'.
Schließlich sei noch bemerkt, daß in diesem Manuskript die
Zeichen für Zu. n und eu. deutlich voneinander geschieden sind;
dagegen besteht zwischen anlautendem x und r« bzw. zwischen @ und
r% kein Unterschied.
Ich erwähnte bereits, daß die erste deutlich erkennbare Regel
dieses Fragments mit der Regel, die gleich Kat. ı.ı.ı6 ist, beginnt
und mit der Regel, die Kät. 1.5.17 gleicht, schließt, daß unser Buch
also höchst wahrscheinlich das ı. Buch der Grammatik, das Sandhi-
prakarana, umfaßt hat. Die Kapitelschlüsse stimmen ebenfalls mit dem
Katantra überein, s. 23° ı samaptah für Kap. 2, 25° 3 samapt° für 3
und 41° 3 caturtho für 4; ob auch eine Sehlußbemerkung für ı vor-
gelegen hat, läßt sich nicht feststellen, da gerade an dieser Stelle ein
Blatt zu fehlen scheint, s. die Bemerkungen zu fol.ıo u. ı1. Daß das
Kapitel aber sicher wie im Katantra mit der Regel lokopacarad grahana-
siddhih geschlossen hat, erweist das unter I behandelte Säradä-Fragment.
Auch die einzelnen Regeln stimmen größtenteils wörtlich zu denen
les Katantra, aber es liegen doch wieder einige Abweichungen vor,
die erkennen lassen, daß wir hier eben doch nieht unser Kätantra
vor uns haben, sondern einen älteren Text’. Im ı. Kapitel sind die
Regeln 21 u. 22 umgestellt, s. oben S. ı83 unter I; im 2. Kapitel er-
scheint die Regel 16 in ayadınam yavalopah padante na va und lope
lu prakrtih geteilt, s. fol. 19 u. 20. Ob hinter ı. 2. 17 u. 18 noch eine
Regel gestanden hat. die dem Katantra fehlt, läßt sich bei dem lücken-
haften Manuskript nicht ausmachen, s. fol.2ı" u. 22 und die Bemer-
kungen zur betreffenden Stelle. Im 4. Kapitel finden sich zwischen
7 u.8 zwei unserem Kätantra fehlende Regeln, die den Einschub von
' Siehe auch bhavamn 36° 3 u. 4, 37% 4, 38° 2 u. 3.
® Der Ansicht von Fıxor (Bulletin de l’Ecole Francaise d’Extreme-Orient T. 7,
1907, S.145), daß es ein Textus amplior des Kätantra sei, kann ich mich nicht an-
schließen.
E. Sıes: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus Chin.-Turkistan. 180
k und £ nach n und n vor Zischlauten und von Z nach f und
vor s behandeln, s. fol. 34*—35" und vgl. Pan. 8. 3. 23—30. Im
5. Kapitel hat die Regel S (Kat. aghosavatos ca) wohl akaraghosavatos ca
gelautet, s. 46° 3, eine Fassung. die trotz des ausführlicheren kara besser
ist als die des Katantra, weil damit ein Irrtum ausgeschlossen ist.
Zwischen 10 u. ıı findet sich wieder eine Regel, die dem Katantra
fehlt, von Dursa aber künstlich hineininterpretiert wird, sie betrifft
den Sandhi von bhago(h) und agholh), s. fol. 49 u. 48 und vel. Pän. 8.
3.17. Schließlich scheint die Regel Kat. ı. 5. 13 unserem Text ge-
fehlt zu haben, doch ist das nicht ganz sicher, s. die Bemerkungen
zu 48” 2 ff.
Unser ganz besonderes Interesse verdient der Kommentar. Die
Tatsache, daß hier schon in so früher Zeit die Sutren mit einem Kom-
mentar verbunden sind, legt die Vermutung nahe, daß der Verfasser
der Grammatik selbst den Kommentar dazu geschrieben hat, wie ja
auch Caxpra selbst eine Vrtti zu seinem Vyakarana verfaßt hat'!. Da-
gegen spricht nicht, daß 9° ıf. unter vaksyati hi »er wird nämlich
lehren« eine Regel aufgeführt wird, die gleich Kat.2.3.1ı ist, denn
auch sonst sprechen Autoren, die selbst einen Kommentar zu einem
eigenen Werke verfaßt haben, von sich in der 3. Person, wie Vamana
in der Kavyalamkaravrtti und Visvanatha im Sahityadarpana. Bei
dem unmittelbar vorher, s. 8” 4, stehenden nas tatiraitatpratye, was
doeh wohl nur als raksyamas tatraitat pratyetaryam ergänzt werden
kann, ist leider das zugehörige Zitat weggerissen, so daß sich nicht
kontrollieren läßt, ob der Kommentar an jener Stelle ein Sutra oder
eine Stelle des Kommentars zitiert hat. Auch 9” 2 traivodah bleibt
zweifelhaft, ob tatraicodaharati oder udaharamah oder udaharanam zu
ergänzen ist. Alle weiteren Hinweise auf den Verfasser fehlen. Kann
(lie Frage über den Verfasser also einstweilen nicht sicher entschieden
werden, so erscheint mir doch so viel sicher, daß der Kommentar so
gut wie die Grammatik aus Indien nach Zentralasien herübergekom-
men ist, denn Dursa bzw. sein Vorgänger muß diesen Kommentar
noch gekannt haben, sonst wäre meines Erachtens die große Über-
einstimmung, die zwischen diesem Kommentar und dem Dursas zum
Kätantra besteht, nieht zu erklären. Sie zeigt sich besonders bei den
Beispielen so auffallend, daß man sie nicht einfach damit motivieren
kann, daß es sich um die bekannten feststehenden Schulbeispiele
handle; aber auch sonst finden sich mehrfach Redewendungen, die
sich merkwürdig mit den Bemerkungen an den betreffenden Stellen
bei Durca decken.
! Siehe Lıesıcn, Cändra-Vyäkarana S. VII.
190 Gesammtsitzung vom 13. Februar 1908. Mittheilung vom 30. Januar.
Der Kommentar ist im wesentlichen einfach und durchsichtig;
im eigentlichen Sandhiprakarana, d.h. von Kap. 2 ab, wird er ganz
schematisch und formelhaft. Zur Einleitung des Sutra werden dort
regelrecht die in Betracht kommenden Beispiele ohne Sandhi vorauf-
gestellt, dann folgt das Sutra, dann eine ganz einfache Paraphrase,
die zumeist mit der Bemerkung vyam (doch wohl = vyakhyanam) >
tad bhavati abgeschlossen wird, s. 13°1, (bı u. 4), 15° 1, 16” 1, (17® 3),
19° 4, (202, 21%4, 22%3)1 3302, 3503, (36 2),war 30 Bee
a3” 2, 45° 3, 47° 1, (48° 3); nur zweimal findet sieh xyam tad bha°, näm-
lich ı8°2 u. 39” 3 (an letzter Stelle aber durelı das Schnürloch ge-
trennt), und einmal, 31° 4, steht ryam- allein. Dann folgen die Bei-
spiele nochmals der Reihe nach, und zwar erst in Pausa-Form, dann
in Sandhi. Gegenbeispiele fehlen merkwürdigerweise gänz-
lich. Dann und wann wird eine in Betracht kommende Regel zitiert,
nur selten finden sich eingehendere Erörterungen, die übrigens in-
folge der Lückenhaftigkeit unseres Manuskriptes meist unverständlich
bleiben.
Ich gebe nunmehr den Text, und zwar der größeren Anschaulich-
keit wegen möglichst genau in der Form des Originals: weggerissene
oder nicht mehr erkennbare Zeichen werden durch einen Punkt, vom
Schreiber absichtlich offengelassene Stellen (s. S. 187) durch ein
Kreuz (t) markiert, die Pausa, dem Manuskript entsprechend, entweder
durch ein Häkchen (») oder durch Doppelstrich ( ). Wo es für das
Verständnis nötig schien, habe ich auch den Virama durch einen
Schrägstrich unten am betreffenden Buchstaben kenntlich gemacht.
TI, Söreug. 6° ı r jihvamaliya
OL taNfe 2 yahı +
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2" 4 r- ekäsamo nu (2) | 4 .jna pratyela
2” ı kak- 6" ı nayasamjnaya
3" ı danam ta 2 upaddhına
3”4 tram pa 3 ty anusv@
4" ı vah khalı varn- 4 städ bindus tasya
2 ‚Maya ı 7" ı vyas tad yathıa » am
4” 2 JAjR- 2 prayo
3 nyanu (?) | 3 janam i
4 he yav etav ak- 4 rayor artthopala-au
5" ı ryanıya ily e 7’ ı rithopalabdhau pa
2 ah ii 2 lauyam
573 ty- tavya 3 sa rggajam nat
4 Imyasamjnaya 4 nama vrkso yni
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E. Sıes: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus Chin.-Turkistan.
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Gesammtsitzung vom 13. Februar 1908. — Mittheilung vom 30. Januar.
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E. Sıes: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus Chin.-Turkistan.
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Gesammtsitzung vom 13. Februar 1908. — Mittheilung vom 30. Januar.
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tra » k@ atra »
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ti » bho gaccha » bho ga
ghatasva » aghoh v-J-
» ‚agni dahat-
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bhyam ca. bha
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E. Sıes: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus Chin.-Turkistan.
195
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2 visa-ja Slot lı (475
3 ti» tad bha 56° d bha
4 h rathe Se a inase pro
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2 vati 59° ga
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Die Reste von ı—3 sind so dürftig, daß ich sie nicht einzu-
ordnen vermag, auch bei 4 bin ich nicht sicher, 4° ı dürfte eventuell
zur Paraphrase von 1. 1. 14 (antahstha@ yaralavah) gehören, so daß also
yaralavah khalu varndh zu ergänzen wäre, dann müßte natürlich 4" 2
zur Einleitung von ı. 1.15 gerechnet werden. Ist das richtig, dann
muß aber das Blatt umgedreht werden, und der Inhalt von 4” gehört
zu 1.1.13 (amunäsika nanananamäh). Auf sicherem Boden stehen wir
erst von fol. 5 ab. 5*ı gehört zur einleitenden Bemerkung des Kom-
mentars zu 1.1.16, Z.2 gibt das Sütra: ah iti [visarjanıyalıl: 5" 3
dürfte den Schluß der Erklärung von ı.ı. 16 bilden, während 5" 4
und 6° ı zur Einleitung von ı. 1.17 gehören. 6° 2 ist der Schlut
des Sutra erhalten: [Aka iti jihvamül]lıyah. Eine Paraphrase wird hier
wie bei den beiden folgenden nicht mehr gegeben. da sie schon bei
1.1.16 erledigt ist. Das r vor jihvamalıya 6° ı dürfte als vajrakrtir
zu ergänzen sein, s. Dunca zu Kät. ı. 1. 17, und entsprechend wird
6° 3, das zur Einleitung von ı.ı. 18 gehören muß, [gayakumbhäkr]tir
var[nahı] gelautet haben, s. D. zu 1.1.18 und vel. 6" 4 [uparilstad bindus
mit D. zu 1. ı. ı9 bindumätro varnah. — Auf 6° 2 hat wohl die Regel
1.1.18 gestanden: [hpa iti]' upadhmalniyal]. 6° 3—7"ı bilden die
Einführung zu ı. 1.19, mit am beginnt die Regel selbst: am [ity
anusvarah].
7'2—3 dürften zur Einleitung von ı.1ı.20 gehören, aber die
Reste sind so dürftig, daß sich Bestimmtes darüber nicht behaupten
läßt. 7° 4 gibt das Sütra 1. 1. 20 [pürvapa]rayor arthopalabdhau | padam],
ı Allerdings ohne Sandhi.
196 Gesammtsitzung vom 13. Februar 1908. — Mittheilung vom 30. Januar.
z’ıu.2 enthalten die Paraphrase, während 7"3—9'3 eine sachliche
Erörterung zu dieser wichtigen Regel enthalten. Der Kommentar er-
örtert offenbar die 4 Arten der Worte, der alten Klassifizierung ent-
sprechend (s. Rk-Prat. ı2. 5, Vaj.-Prat. 5. 46, Nirukta ı. ı, Brh.-Dev.
I. 39, Pat. Einl. z. Mbhas. I, 3, 17 K'.). Der Wortbegriff ist entweder
namajyam (so ergänze ich, dem akhyatajyam usw. entsprechend) nominal
Beispiele für naman sind erkso’gnih” — oder akhyalaja (s. 5° ı), ver-
bal — von Beispielen ist nur paeyate erhalten. daß aber mehr Verba
dagestanden haben, erweist 8° 3, wo zweifellos [öyeramaldi zu ergänzen
ist — oder er stammt von einer Präposition, upasargaja® — Beispiele
nir, ud, duh, sam, ci, ava, @ usw. s. 8? 4—”"ı — oder schließlich von
einer Partikel, nipataya -—- von den Beispielen sind nur uta und aho
erhalten, s. S’ı—-3. Zu $”’4 u. 9*ı s. oben 8. 189, die 9* 2 zitierte
Regel ist Kat. 2. 3. ı [yusmadasmadoh padam padat sa]sthicatulrthr-
deitiyasu vasnasav üyaldi.
Die große Pausa 9° 3 zeigt den Schluß von ı.ı.20 an, mit
na beginnt die Regel anatikramayan vislesayet — Kat. 1.1. 22 (! s. oben
S. 183), das d 9" 4 bildet ihren Schluß. Zu asammohartham apü@ vgl.
D. zu 1.1. 22 asammohärtho yam yogah. Die Erklärung reieht bis
10" 3, wie die Pausa-Striche erweisen: über den Inhalt läßt sich aber
wegen der Lückenhaftigkeit des Textes Bestimmtes nicht sagen.
10° 3 u. 4 haben wir die Regel ı.ı. 21 eyanjana|m asvaram param
rarnamı) nayet, das Folgende gibt die Paraphrase: aber der Kommentar
ist ganz aus der Konstruktion gefallen, denn der Schluß kann doch
kaum anders als netaryam ergänzt werden. Die folgende Zeile ver-
stehe ieh nicht, 10” 3 enthält die Regel 1. ı. 23 [loko]pucarad gr[a-
hanasiddhil]; 10” 4 beginnt deren Paraphrase [loka]sya khalapacaralt),
nach dem Platz, der zur Verfügung stelit. kann dieselbe aber un-
möglich schon auf 10” zu Ende geführt sein, sondern müßte noch
auf das folgende Blatt hinüberreichen. Dort wären auch sachliche
Ausführungen und Beispiele für die Regel zu erwarten sowie eine
Angabe über den Kapitelschluß, da das ı. Kapitel mit dieser Regel
schließt (s. oben S. 188). Das uns vorliegende folgende Blatt steht
aber offenbar schon bei der Einleitung von 1.2.1; ı1*ı wird (die
Regel [a]natikramayan vistelsayet| = Kat. ı. ı. 22 zitiert‘, und 1 1"3 bringt
schon das Sutra 1.2. ı [samanah savrarne| dirghebh|arali paras ca lopan|],
! Vgl. Burserr, On tlie Aindra School of Sanskrit Grainmmarians 1875, S. 12.
® Mit Absicht scheint hier ein Fall gewählt zu sein, wo nach den Sandhi-Regeln
Schwund des anlautenden Vokals eintreten muß, s. Dursas Ieira, yajante'tra.
Der Text hat hier auffallenderweise aupa|sargajam) s. 8° 3 und entsprechend
8% 1 naipälaj| am].
' Zu 11% 2 svaram adha vol. 9» 3.
E. Sızs: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus Chin.-Turkistan. 197
wie die folgende Paraphrase beweist. Es scheint mir daher „anz
zweifellos, daß zwischen ıo u. ıı ein Blatt verloren gegangen ist.
Dieser Verlust — es kann sich eventuell auch um eine Verlegung
der Blätter gehandelt haben -—— muß dann aber schon vor der Ver-
einigung der Blätter durch das Schnürband liegen, da das Schnür-
loch bei ı0 u. ı1 unversehrt ist. Mit ı1? ı [bharalifi] paras ca lopam
apa|dyate| schließt die Paraphrase von 1.2. ı, in der folgenden Zeile
dürfte die Regel ı. ı. 21 [vyanjanam asvaram param]| varnam nal yet]
zitiert sein. dandagram (l. |danda agram] dandäagram) ı1° 3 wird auch
bei Durca als Beispiel für a gegeben, desgl. dadhidam und madhitda-
kam (s. 11” 4 u. 12° 1) für © und u, ob aber in unserem Text auch
ein Beispiel für @ gestanden hat (bei D. sägata), bezweitle ich, da
auch die Beispiele für 7 und @ (D. nadihate und vadhüdham) fehlen.
Was in Wirklichkeit hinter dandägram gestanden haben mag, weiß
ich nicht zu sagen, saddhau ı1° 4 verstehe ich nicht. Zu pär ı2*ı'
ergänze ich nach D. rsabhah; das Beispiel für r (D. krkarah) dürfte
wiederum fehlen, ich vermute, daß ı2" 2 so zu ergänzen ist [A/ ka-
rah-[kl]klaran] (s. auch D. in den Hdss. B. C.E.); kl ist von dem
Schreiber absichtlich weggelassen, s. oben S. 157. Wie 12" 3 zu er-
gänzen ist, vermag ich nicht zu sagen. Das e 12" 4 bildet den Schluf
von 1.2.2 [avarna ivarne]| e, das Folgende gibt die Paraphrase, das
Beispiel 12” 2 ergänze ich nach D. ta|va] i[ha taveha]. Dahinter dürfte
wahrscheinlich das Beispiel für die Z. 3 folgende Regel 1.2.3 ura-
[rne 0], d.h. wohl [tava udalkam, bei D. tavohanam und gangodakam,
gestanden haben, denn von jetzt ab werden ständig die in Betracht
kommenden Beispiele ohne Sandhi als Einleitung voraufgestellt, und
der Kommentar wird so schematisch (s. S. 190), daß ich mich fortan
kürzer fassen kann. Mit [paras ca l|opam 13° ı schließt die Paraphrase,
zu vyamrtad bhavalti] s. S. 190, die Lücke enthielt das Beispiel |[/ava
udakam tavodaka]ın.
13" 2ff. Beispiel für ı. 2. 4 ist tava rsabhah, s. 13° 2 u.bı (bei D.
lavarkärah), das Sutra rvarne ar hat in der Lücke zwischen 13° 2 u. 3
gestanden.
13” 2 [/Jvarne al= ı. 2. 5, Beispiel tavalkarah wie bei D.
14" ıff. Die Beispiele für ı. 2. 6 [ekare] ai aikäre [ca], s. 14" 2,
sind tava esa und s@ aitikaya[ni?], s. 14” 1, bei D. tavais@ und saindri.
14° 2ff. Für 1. 2. 7 [okäre] au aukare [ca], s. 14” 3, gibt D. die
Beispiele tavaudanam und saupagavt; das ı. hat in unserem Text auch
gestanden, wie das 2. lautete, läßt sich nicht feststellen.
ı Zu madküdakam pitr vgl. 10% 2, vielleicht ist dort diese Stelle zitiert.
Sitzungsberichte 1908. 21
198 Gesammtsitzung vom 13. Februar 1908. — Mittheilung vom 30. Januar.
ı5° 3 Natürlich ist dadh al|tra] zu lesen (wie 16° 2 madhu altra),
Z. 4 ist der Schluß von ı. 2.8 [iwarno yam asavalrne na ca paro lop[yah]
erhalten. D.s Beispiele sind dadhy atra und nadıy esa.
ı5° 3 Hinter den Pausa-Strichen muß madhu atra und vam uvarnah
— 1.2.9 gestanden haben, D. madhv atra und vadhvasanam.
16° 3 Der Schluß von ı. 2. ıo [ram rvalrnah, das Beispiel wird
pür arthah sein, D. pitrarthah und krarthah.
16°’ 2 Der Anfang von ı. 2. ı1ı /am lvalrnah], als Beispiel wird
hier wunderbarerweise Alamah gegeben, s. 17° ı, das der Kommentator
demnach von einer Wurzel kl + Suff. ama abzuleiten scheint, D. hat
lanubandhah und lakrtih.
1ı7°ı Für eay = ı.2.ı2, das hinter ne ana|m]' zu ergänzen ist,
gibt D. nayati neben .agnaye; für ai @y = ı. 2. 13, das 17” ı gestanden
haben muß, nayakah neben r@y aindri, nai akah n@yakah dürften wir
also wahrscheinlich hinter ı7” 3 [eyam] » tad bhavati zu ergänzen
haben.
Für o av = ı.2. 14, s. 17” 4, hat D. die Beispiele /avanam und
patav otuh; hier scheint pavanah gestanden zu haben, denn vor anah
17°a ist noch ein Stückchen des voraufgehenden Aksara erhalten, das
auf ein p schließen läßt. Genau das gleiche ist vor akah ı8° 3 der
Fall. so daß wir für die unmittelbar dahinter zu ergänzende Regel
au av — 1.2.15 p@vekah als Beispiel anzusetzen haben; D. gibt hier
gavau und g@vah. Für ı. 2. 16° (die Regel Kat. ı. 2. 16 wird hier, wie
wir oben sahen, in 2 Regeln geteilt) ayladımam yavalopah padante] na
va, s. 19° 1—2, haben die Beispiele wie folgt gelautet: fe @huh, s. ı8?2
u. 19° 1, tasmai asanam, s. 18° 3 u. 19° ı, pato uttistha, s. 19" 3 u. 20° 4,
und au imau, s. 19° 4: tau imi ı8” 4 (das i ist ganz verwischt) ist wahr-
scheinlich nur verschrieben und deshalb vom Schreiber nochmals auf-
geführt worden. D.s beide ersten Beispiele sind mit den obigen iden-
tisch, statt pafo uttistha hat er pato iha, für au aber asau induh. Vor
ayladımam) ı9° ı werden natürlich außer o av und au av noch e ay und
ai @y, also die 4 in Betracht kommenden Regeln 1.2. 12—15, ge-
standen haben.
20° ıff. erscheinen dieselben Beispiele für ı. 2. 16” [Zope] tu prakrtih,
s. 20" 4, desgl. hinter imau 20*2 nochmals die Regeln 12—15, dazu
kommt mit aya 20° 3 wahrscheinlich noch 16%.
21°ı. Beispiele für ı. 2. 17 e|dotparah padante lopam akarah], s.
Z.1—2, sind fe atra (s. Z.4) und pato atra (Z. ı) wie bei D.
Der Abschnitt 21”—22* (vgl. Taf. II, 2a) ist mir unverständlich,
was sollen rdudah und mara r 2ı” ı und rurrutah » maru 22*4?— 21° 2
! = nayanam.
E. Sıeg: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus Chin.-Turkistan. 199
dürfte auf die Regel 1. 2.3 gehen, während 22*2 ro re I[opam svaras
ca purvo dirghah] = 1.5.17 zu zitieren scheint.
22” ı enthält die Regel 1. 2. 18 na vyamjane svar[äh samdheyah),
aber das Beispiel 22” 4 ist nicht klar. Ist etwa dadhighatam zu lesen?
D.: devigrham, patuhastam, mältrmandalam usw.
23° ı. Schluß von Kap. 2. Es folgt ı. 3. ı [odanta ai u äü nipatah}
svare prak[rty@]. Die Beispiele sind durchweg anders als bei D.. vor
iha 23” ı wird doch wohl eine einsilbige Partikel auf o gestanden
haben; hamgho ist bisher noch nicht belegt, dagegen zitiert BornrLisek
Pet. W. hamho als Interjektion des Anrufes; das Beispiel dürfte hamgho
ägacchami gelautet haben. Die Reihenfolge im folgenden scheint
aber durchbrochen zu sein, denn hinter iha 23” 3 würde man vielleicht
{oder v, aber nicht a erwarten. Der Anfang von 23”
4 ist nicht klar,
zunächst ist nicht sicher zu erkennen, ob das erste Aksara ca oder
va zu lesen ist, da der untere Teil fehlt, auch was unter dem dha
gestanden hat, ist nicht mehr zu erkennen; sollte es avadhvasa für
apadhvamsa sein? Ein Imperativ ist wohl am Platz, s. D. a apehi, i
indram pasya, u uttistha.
24° ı beginnt die Paraphrase zu 1. 3. 2 dvivacanam amau. D.s Bei-
spiele sind agn? etau, patis imau, sale ete, mäle ime.
24" 4. Der Schluß von 1.3.3 [dahuracanalın amt. D.s Beispiele
sind amr ascah, amt edakah.
24° 3 anupadista[s ca] = ı. 3. 4, der Fehler upadisträs in der Para-
phrase 24° 4 ist merkwürdig; daß die Regel die Plutas betrifft, lehrt
auch Durca; 25° 2 dürfte zu den Beispielen gehören, das erste Aksara
scheint ccha (ayaccha?) gewesen zu sein, D. gibt @gaccha bho devadattaz
atra und fistha bho yajnadattaz iha. Mit dieser Regel schließt das
dritte Kapitel.
25" 4ff. Kat. 1.4.1 lautet varyaprathamah padantah svaraghosavatsu
irtoyan, hier wird sie nicht anders gelautet haben, s. 25" 2 u. 3, cari
ist vielleicht cavivarjitah zu ergänzen und gehört schon zur Paraphrase,
die mit apadyante 26° ı schließt. Dahinter dürfte der Kommentator
auseinandersetzen, daß c hierbei nicht in Betracht kommt, da es eben
am Wortende zu % werden muß, vor tad bhavati 26° 2 scheint k\ ge-
standen zu haben. Für jeden Fall wird ein Beispiel gegeben, nämlich
vak atra und vak gadati, sat atra und sat gadati, tat a. und tat g. und
tristup' a. und tristıp g., während D. nur vag atra und sad gacchanti
gibt. Das Aksara zwischen sa und ira 26*4 ist verwischt, es scheint
ta dort gestanden zu haben, das der Schreiber also wohl hat in da
verbessern wollen.
! Es wird hier und im folgenden ständig Zrstup geschrieben.
312
200 Gesammtsitzung vom 13. Februar 1908. — Mittheilung vom 30. Januar.
26” 3 ff. Von den Beispielen für 1.4. 2 |pancame pancamam]s trtiyaln
na va] s. 27°2 sind sicher zu ermitteln v@k-mayam, saf-mayam und
tristup-mayam, für den Dental hat es vielleicht fat-mayam gelautet,
s. 27”3, D. gibt vak-mati, sat mukhäni, tat nayanam und tristup minoti.
Die Blätter 28 und 29 sind zweifellos vertauscht, denn [tri]stud-
mayam 29°ı setzt das 27”4 begonnene Beispiel fort: trstup mayam
tr[stum-mayam yadi va tr]stub-mayam, und mit vak beginnen die ein-
leitenden Beispiele für 1.4. 3 vargaprathamebhyah sa|karah svarayava]-
raparas chakäram na va, s. 29" 4—"ı, nämlich va@k-surah, sat Syamah, tat
Scelam und tristup Srüyate, bei D. ebenso, nur tristup srutam. Die Para-
phrase schließt 29” 4, 2S’ıff. stehen die Beispiele, 28” ı beginnt
die Einleitung für ı. 4.4 telbhya eva hakarah pürvacalturtham na va
s. 28S’a4 und 30*ı. Die Beispiele für diese Regel sind vak hasati, saf
hasati und tristup hasati, bei D.: vak-hmah, sat halani, tat-hitam, und
kakup-hasah. D. gibt hier merkwürdigerweise auch ein Beispiel für c,
nämlich ac-halau = ac und hal, das aber in unserem Kommentar mit
recht fehlt, da ac ja nur eine grammatische Fiktion ist.
31° 2 gehört schon zu den einleitenden Beispielen für 1.4. 5
[pararapam takaro lacatalvargesu s. 31” 2, es sind der Reihe nach tat
lavanam s. 32" 1, tat caranam 31*2 u. 32*2, tat charanam (sie!) 31" 2
u. 32° 3, das Beispiel für 7 fehlt an beiden Stellen, es muß 31" 2—3
u. 32° 3—4 gestanden haben, tat jhasanam (sie!) 31" 3, 32" 4, tat Natva
32° 1'; tat füsanam (sie!) 32” 1, tat thadanam (sie!) 32” 2, tat dayanam
32” 3, lat dhaukanam 31° ı u. 32”3, tat natva 31” ı u. 32”4. — Dura
hat entsprechend tat lunati, carati, chadayati, Jjayati, Jhasayati, nakarena;
tikate, thakarena, dinam, dhaukate und nakarena.
In der Lücke zwischen 32”4 u. 353"ı muß die Regel 1.4.6 cam
se gestanden haben, das Beispiel ist Zat saranam s. 33° 3, bei D. haben
wir tac slaksnah und tac Smasanam.
33" 4ff. taryan atra, sugan atra 33"4 u. 33’4 und rajan atra sind
die Beispiele für 1.4.7 [Hanana hrasvopa]dhah svare dvih s. 331, be
D. lauten sie krunn atra, sugann atra und pacann atra.
34'ıff. Die beiden nächsten Regeln fehlen unserem Katantra (s.
oben S. ı88f.). Das erste Sutra, dessen Behandlung bis 34” 3 reicht,
dürfte so gelautet haben: [nan]au katabhyam sasase[su vyavadhayete] S.
34°2, denn so wird doch wohl das vyapadhiyaite 34° 4 zu verbessern
sein: »7 und 2 im Wortauslaut werden von folgendem Zischlaut durch
k bzw. f getrennt«. Zur Sache vgl. P.8. 3. 28, Ca. 6.4.12, die Bei-
spiele sind tryan(k) sete, sugan(t) sande und tiryan(k) sarasi.
! Siehe die Bemerkungen S. 187, diese Bildungen auf va (sie!) sind dem
Kommentar eigentümlich, s. auch 37%4 und natva 32» 4.
E. Sıes: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus Chin.-Turkistan. 201
Die folgende Regel hat dann wohl [fanau si | fakärena va gelautet,
s. 35°1: »f und n im Wortauslaut werden von folgendem s beliebig
durch { getrennt«, s. P. 8. 3. 29—30, Ca. 6. 4.13— 14, Beispiele sind
satt) sahasr@ni und bhavanft) sadhu.
Mit 35" 2 beginnen die Beispiele für 1. 4. 8 no’ntas cachayoh |sa-
karam anusvara|pürvam s. 35” 3—4, es sind bhavan carati und bharan
chaitrena, bei D. bhavams carati, chadayati, eyavate und chyati.
36" 4ff. Die Beispiele für 1.4. 9 [fa]thayoh sakäram, s. 36’ ı, sind
bhavan tasayati (sie!), s. 36° 4 u. "4, und bhavan thakärena, s. 38° ı,
(bei D. bhavams tkate und thakärena), denn die Blätter 37 u. 38 sind
wieder vertauscht. [bha]van thakarena 38° 2 ist schon das zweite Ein-
leitungsbeispiel für die unmittelbar dahinter zu ergänzende Regel
1.4.10 lathayoh sakaram. Das erste Beispiel wird bhavan tarati (s.
38” ı) gelautet haben, das läßt sich mit ziemlicher Sicherheit aus
dem Beispiel zu 1.5.3 s. 43" erschließen, weil die zu 1.5.1ff. ge-
gebenen Beispiele immer den zu 1.4. Sfl. gegebenen analog lauten.
D. hat bhavams tarati und thudati. — Die Regel fr am 1.4.11 muß
38” 3 hinter dem sie einleitenden Reispiel bhavan lavanena (bei D.
bhavamllınati und bharamllikhati) gestanden haben. Leider ist die Stelle,
wo der Sandhi ausgeführt, d. h. wo bhavimnllaranena stehen müßte,
37° 2 weggerissen. — 37" 3 beginnen die Beispiele für die Regel
1.4.12 | jajhanasakarelsu [ra]karam, deren Schluß wir 37” ı finden;
wie das Beispiel für 7% gelautet hat, läßt sich nicht mehr ermitteln,
sonst sind es bhavan jayati 37°" 3 u. ”4, bhavan [naltea 37°4 und
bhavan süurah 39° 2, für die a sind 37"4. ”ı u. 4 Lücken gelassen,
39° 2 steht fälschlich bhavag Surah für bhavan surah'. D.s Beispiele
sind bhavan jayati, jhasayati, nakärena und s$ete.
39° 3ff. Das Beispiel für 1.4.13 $ [ncau” va], s. 39° 3, ist wieder
bhavan sürah. D. gibt 3 Beispiele, die er außerdem nach den 3 Mög-
lichkeiten variiert, nämlich blavan surah, kurvan surahı und prasan
sayanam, Unser Kommentar kann nach dem zur Verfügung stehenden
Platz, s. 39° 34, nur 2 Möglichkeiten berücksichtigen. 39” 1—2
wird 1.4.3 zitiert.
Für 1.4.14 [dadhana]paras tu nakarlam], s. 40° 2, gibt der Kom-
mentar die Beispiele bhavan deyati (sie!), Ss. 4o’ı, dhaukyati (sie!),
s. 40*ı u. ?2, und natva, s. 40° 3, D. bhavan dinam, dhaukate und
nakarena.
40” 4 [mo’nusvalram vyanjane 1.4. ı5, das Beispiel ist fam suram
40° 3 u. 41° 2, bei D. fram yasi, tvam ramase.
! Siehe oben S. 187.
2 So ist meines Erachtens statt des von Eserrıng in den Text des Kät. ge-
setzten ncau zu lesen.
202 Gesammtsitzung vom 13. Februar 1908. — Mittheilung vom 30. Januar.
Das letzte Sutra des 4. Kapitels lautet varge |tadvargapancamam
va] s. 41° 3, einziges Beispiel ist {am karoti s. 41" 3 u. b2, während
D. für Gutturale, Palatale und Labiale je ein Dept gibt: tvan karosi,
tan carasi und pumbhyam.
1.5. I lautet Kat. [visarjanzyas ce] che va sam, der Schluß ist
noch 42" ı erhalten, die Beispiele sind kah carati, s. 41” 4 u. 424
und kah chattrena, s. 42°4 und vgl. 35° 2ff. zu 1.4. 8 sowie die
Bemerkung S. 201 zu 1.4. IO'. 42°3 wird Regel ı.ı. 21 zitiert.
42” ı— 2. Für die folgende Regel ı.5. 2 fe the va sam bleibt
zu wenig Platz übrig, da das einleitende Beispiel für ı. 5. 3 schon
42” 2 beginnt. Offenbar hat der Schreiber hier versehentlich einen
Teil seines Originals übersprungen, indem er von den einleitenden
3eispielen gleich auf den Schluß herübergeraten ist; die Beispiele
haben natürlich kah tasayati und kah thakärena gelautet, s. 36° 4 ff.
zu 1.4.9.
42” 3 te the va sam —= 1.5.3, Beispiele sind kah tarati und kahı
thakärena, s. die Bemerkungen zu I.4. 10, 38" 2 ff.
Für 1.5.4 [kakhayo|r Jihvamüliyam na va, s. 43" 4, erscheinen die
Beispiele Aah karoti und kah khanati wie bei D., zum Jihvamulıya s.
oben S. 186, für die Parallelregel 1.5. 5. |pa]phayor upadhm|anıyam
na va], s. 44" 2, kah pacati und kah phalati ebenfalls wie bei D., zum
Upadhmanıya s. oben S. 157.
Die Beispiele für ı. 5. 6 [se se se va] v@ pararupam, s. 45° ı, sind
kah sete 45"4, kah sande 44” 4 u. 45” ı und wahrscheinlich kah sarasi,
s. 45” 2 u. 34” ıff., bei D. steht als letztes sadhuh.
[um alkarayor ma[dhye]) = ı. 5.7. Beispiel ist kah atra, s.
46° 2, bei D. ko’tra und ko’rthah; 46° ı wird sicherlich ı. 2. 17 edot-
parah padänte lopam akärah zitiert.
Die folgende Regel 1. 5.8 lautet im Kätantra aghosaratos ca, hier
dürfte sie [aka]raghosavatos [ca] gelautet haben, s. 46° 3 und vgl. oben
S. 189. Die Paraphrase ist nicht zu Ende geführt, der Fehler muß
hier aber an dem Original des Abschreibers liegen, wie die offen ge-
lassene Stelle hinter rna 46” ı beweist”. Das Beispiel läßt sich nieht
mehr ermitteln, das erste Wort war ka[l], s. 46° ı, aber gacchati oder
dhäcati wie bei D. wäre zu lang, da 46° 2 schon die einleitenden
Beispiele für ı. 5.9 [aparo lopyo 'nyalscare yam va, s. 46° 3, bringt.
Das erste von diesen hat kahı iha gelautet, Ss. 46° 2 u. 47" 2, das zweite
ist nicht sicher. Das Zeichen hinter Akah 46” 2 ist nicht mehr deut-
lich erkennbar, es sieht aus wie yu, das könnte aber an dieser
! Auch bei D. lauten die Beispiele von ı1.5.1ff. den zu 1.4. 8ff. gegebenen
analog.
2 S. oben S. 187.
E. Sıes: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus Chin.-Turkistan. 203
Stelle natürlich nur irrtümlich für « stehen: D. hat kah iha und
kah upari.
Die Beispiele für ı. 5.10 [abhobhyam ejvam eva sware, s. 47" 4,
sind kah atra, s. 47° 3 u.” 3, und bloh atra 47° 3 u.”4. Der Visarga
am Anfang von 47" 4 ist nur versehentlich statt des Pausa-Zeichens
geschrieben. D.s Beispiele sind deva ahuh und bho atra.
Die Blätter 48 und 49 sind wieder vertauscht, außerdem ist hier
zwischen 10 und ıı eine Regel eingeschoben, die unserem Katantra
fehlt, die aber von D. nach einigen in die Katantra-Regeln 1.5.11
u. 12 hineinzuinterpretieren ist: bho ity amantranaukaropalaksanam kecit.
Es handelt sich um den Sandhi von bAayo(h) und ayho(h), und die be-
treffende Regel dürfte [bhagoagholbhyam ca, s. 49° 2, gelautet haben.
Zur Sache s. P. 8. 3. 17. Mit kah gacchanti 49” 3 beginnen dann die
Beispiele für die 49’ 4 zu ergänzende Regel 1.5. ı1 ghosavati lopam,
48° ı— 3 gibt deren Paraphrase, das Folgende bis 48” 2 die Beispiele‘.
Zur größeren Anschaulichkeit will ich jedoch den ganzen Text so
hierhersetzen, wie er vielleicht gelautet haben wird.
49° ı [bhagolh atra +» [aghoh atra » bhayo
2 agholbhyam ca » bhalgoaghobhyam vi
3 sarjalnıyah svare praltyaye pare
4 lopam apadyate [yadi va yam +» bhagoh a
ı tra] » bhago atra +» [yadi va bhagoy atra >» a
2 ghoh altra » agho at|ra » yadi va agyhoy a
3 tra » ]kah gacchamti|- bhoh gaccha » bha
4 goh vijaya] » aghoh [ghatasva » ghosavati lopam
48° ı albhobhyam bhagoa|ghobhyam ca visarja
2 niyah] ghosavati ppraltyaye lopam apadya
3 te vyam] » tad bhavati -» k|ah gacchamti ka ga
4 echam]ti » bho(h) gaccha » bho ga|ccha - bhagoh ghatasva
48” ı bhago] ghatasca » aghoh cijalya agyho vija
2 ya] »
Die folgende Regel 1.5. 12 lautet Kat. [nzmipa]ro ram, es ist an-
zunehmen, daß sie in unserem Text ebenso gelautet hat. s. 48” 3. doch
läßt es sich nicht sicher behaupten, da die Reste von jetzt ab zu
dürftig werden. Das erste Beispiel ist hier agnih dahati, was auch zu
der mit ghosavati” beginnenden Paraphrase stimmt, während D. diese
Regel anders faßt (würartham [s. Kat. 2. 3. 52] vacanam idam) und erst
das folgende Sutra 1. 5. 13 ghosavatscaraparahı in dieser Weise erklärt,
! Bei D. deva gatah, bho yasi, bhago vraja, agho yaja.
?2 Anuvrtti von I. 5.11.
204 Gesammtsitzung vom 13. Februar 1908. — Mittheilung vom 30. Januar.
denn erst dort gibt er die Beispiele agnir gacchati, agnir atra; pahur
vadati, patur atra. Es ist darum leicht möglich, daß die Regel Kat.
1.5. 13 unserem Text überhaupt gefehlt hat, denn das nächste Stück
50°4 gehört schon zu der Regel 1.5. 14 [rapra]krtir anami| paro'pi).
Fol. 51, das ich noch aus 3 kleinen Fetzen zusammensetzen konnte,
enthält in 51" ı die Regel ı. 5. 15 [e]lsasapar|o vyanjane lopyah], in
51’ ı die Regel ı. 5. 16 na visarjalniyalope punah sandhih], während
auf 53° 4 die Regel 1.5. 17 [ro re lopam svaras ca] pürvo dirghalh]
vorzuliegen scheint.
m.
Dieses Stück, gez. TIL, S 74, Nr. ı, stammt aus derselben Ge-
gend wie das Sitzungsber. 1907, S. 466 ff. behandelte Fragment, näm-
lich aus einem Sehutthaufen in der Schlucht von Sängim Agiz, so
versicherten wenigstens die Leute jener Gegend, von denen Hr. voLeCoo
es neben anderen Papierfetzen heterogensten Inhalts käuflich erworben
hat. Das gelbbraune Papier ist stark zermürbt, und die Brahmı-Schrift
ist sehr verblaßt. Auf jeder Seite stehen 6 Zeilen, und es scheint,
als ob die ursprüngliche Höhe sich erhalten hat, dagegen fehlen die
Ränder rechts und links (s. Taf. II, Abb. 3), und es läßt sich bei
dem geringen Umfange des Fragmentes nicht sagen, wieviel an beiden
Seiten fehlt. Wir werden sehen, daß die Regeln behandelt sind, welche
Kät. 2. 6. 41—47 entsprechen, aber es ist nicht sicher auszumachen,
ob sie alle genau so gelautet haben. Daß der Kommentar mit dem
unter II behandelten identisch ist, halte ich für zweifellos, wenn-
gleich er hier im Gegensatze zu der Breite und Klarheit, ich möchte
fast sagen Harmlosigkeit im Sandhiprakarana, eine merkwürdige Kürze
und Prägnanz zeigt.
ı va » devaraja » devasakh-
2 » chatropanaham » vägviprusam » upasaradam +
2 -yaksadharmäh surabhigandhi » vadhüjani » gant
4. niy-der lopah » danubandhe pratyaye a
5 -o dv-dasa ter-i. ter api +» ter lopo
6 e.vimsa...
I aDa-N-
2 ya » väsistha » ga.yah kapyah g@- gya.
3 n-nlasya kvacit tu lopo bhavati » sva
4 -dyam vartate » haslinam +» vemanya +» | u
5 -v- . padayitavyah svare pratyaye ye cah bha
6 eye kadrcas tu lupyate » ...tyaye pa
E. Sıes: Neue Bruchstücke der Sanskrit-Grammatik aus Chin.-Turkistan. 205
Auf der ersten Zeile beginnen die Beispiele zu Kat. 2.6.41
samasanlayatanam va rayadınam adantata, zu devaraja und devasakha',
s. P. 5.4.91 und Ratnesvara bei DurcAa zu Kat. 2. 6. 41, Sutra I, es
fehlt merkwürdigerweise das Beispiel für ahan; zu chatlropänaham und
vägviprusam S. P. 5. 4. 106, R. 36, zu upasaradam P. 5.4. 107, R. 38.
Sehr instruktiv für die Erklärung der Regel sind |[prat|yaksadharmä@',
surabhigandhi und vadhijani, da sie Beispiele für ursprüngliche a-Stämme
bilden, die als letztes Glied des Bahuvrihi-Kompositums nicht mehr adanta
sind, zur Bildung s. P. 5.4. 124,135 u. 134. Bei gan? dürfte vielleicht
an ganikapäda, s. die hasty@dayah zu P. 5.4. 138, zu denken sein.
Kat. 2. 6. 42 lautet danubandhe "ntyasvaräder lopah, hier steht aber
nur 'nty[alder lopah, s. Z. 4. Mit dänubandhe beginnt die Paraphrase,
(dv[aldasa Z. 5 scheint das Beispiel zu sein, vgl. P. 5.2.45, D. hat
hier catvaärımsah, s. P. 5. 2. 46.
Es folgt die Regel ter [ry[msu]ter api = Kät. 2. 6. 43. Hinter e[ka]-
vimsa 2.6 haben noch 2—3 Aksaras vor dem Schluß des Kommen-
tars gestanden, vielleicht ist ekavimxam satam gemeint, s. P. 5. 2. 46
a. 3, D. gibt nur vimsah.
avalrjna Z.ı d. R. gehört wohl zur Paraphrase von iwarnararnayor
lopah svare pratyaye ye ca = Kat. 2. 6. 44, 2.2 gibt Beispiele dazu.
Das Beispiel vor väsistha muß nach dem Schema, das der Kommentar
im folgenden beobachtet, ein Beispiel für 7 gewesen sein, das ya dürfte
also wohl als sauparneya zu ergänzen sein, Suff. eya von suparnt, Ss.
P.4.1.120; vasistha, Suff. a von vasistha, s. P.4.1.114. Da wir ein
Beispiel für @ zu erwarten haben, dürfte das nächste Wort galngelya
(vgl. D.) zu ergänzen sein, Suff. eya von ganya, s. P. 4. 1. 120, Kat.
2.6.4 — käapya, Suff. ya von kapi, s. P. 4. 1. 107 — gälr]yya, Suff. ya
Mon garga, Ss. P. 4: 1.105, Kat. 2..6. 2.
Z.4 gehört zur Paraphrase von nas tu kvacit = Kat. 2. 6. 45,
hastinam und vaimanya|h] sind Beispiele für den Niehtschwund, die
bei D. fehlen, vgl. P. 6. 4. 144 und 164ff., zu hästinam P. 6. 4.166, zu
vaimanyah 6. 4.168 und die Glosse in Bönrrisexs Panini, ı. Aufl.
Das folgende vw bildet den Anfang der Regel Kat. 2. 6.406
uvarnas tv olvam Apadyalı (vgl. P. 6. 4.146), mit o|tvam @]padayitaryalı
svare pratyaye ye ca» (sie!) Z. 5 schließt die Paraphrase, das folgende
Beispiel war vielleicht bhargavah, bei D. haben wir aupagavah und
babhravyah.
2.6 eye 'kadrväs tu lupyate ist = Kät. 2. 6. 47, das ist die Regel,
mit der das Sitzungsber. 1907, S. 466 ff. behandelte Bruchstück beginnt,
! Visarga wird teils geschrieben, teils nicht, öfter auch an Stelle des Pausa-
Zeichens gesetzt.
206 Gesammtsitzung vom 13. Februar 1908. — Mittheilung vom 30. ‚Januar.
zu dem ich hier am Schlusse noch einiges nachtragen möchte. Die
Lesart laksmana (s. S.483f, 61) haben, wie mir Geheimrat KırLınorn
schrieb, auch Säkatäyana 1.3.73 und Hemacandra 2.4.75, während
die von K. verglichenen Manuskripte Paninis und der Kasika sämt-
lich /aksana haben.
kumbht (s. S. 48ı, 36—43) findet sich im Ganaratnam. 1.46 als
Pflanzenname, und kadra (s. S. 483, 60) fußt natürlich auf P. 4.1.72,
was ich damals ganz übersehen hatte. Ich verdanke diese beiden
Hinweise Prof. WACKERNAGEL.
Ausgegeben am 27. Februar.
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S
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102]
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Taf. II.
tugq, fol. 22a
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örtug, fol. 22b
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11.574, Nr. ı
SITZUNGSBERICHTE 1908.
IX.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
20. Februar. Sitzung der philosophisch-historischen Ulasse.
Vorsitzender Secretar: Hr. Dies.
*, Hr. Koser las: Zur Charakteristik der Politik Lup»-
wire. s XIV.
Abschnitt aus einer demnächst in dem Sammelwerk »Die Kultur der Gegenwart«
erscheinenden Übersicht »Staat und Gesellschaft zur Höhezeit des Absolutismuss.
2. Hr. von Krkure legte den 6. Bericht über die von den König-
lichen Museen in Berlin, in den Jahren 1906 und 1907 unter der
Leitung des Hrn. Wırcann, in Milet und Didyma fortgesetzten Aus-
grabungen vor. (Abh.)
Ausgegeben am 27. Februar.
—
209
SITZUNGSBERICHTE 1908.
X.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
20. Februar. Sitzung der physikalisch-mathematischen Olasse.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
l. Hr. Rugens las über das Reflexionsvermögen des Wassers.
(Ersch. später.)
Wasser und Alkohol zeigen im ultrarothen Speetrum selective Reflexion. Beide
Flüssigkeiten besitzen eine Reihe von Streifen anomaler Reflexion, welche angenähert
an denselben Stellen liegen, an welchen die stärkste Absorption vorhanden ist. Ein
Einfluss der hohen Dielektrieitätsconstanten, welche beiden Flüssigkeiten eigenthümlich
ist, macht sich innerhalb des durchmessenen Spectralbereichs nicht bemerkbar.
2. Hr. Martens legte eine Mittheilung aus dem Kgl. Material-
Prüfungsamt vor: »Bestimmung der kritischen Spannungen in
festen Körpern« von Hrn. E. Rason.
Die kritische Grenzspannung (Elastieitätsgrenze) in festen Körpern wird thermo-
dynamisch als Fliessvorgang bei der Temperatur 7 und dem Druck p definirt. Es ist
Tı
Ne
einfache thermisch-elektrische Beobachtungsmethode angegeben und an Versuchen
bei derselben o. Zur Bestimmung der Fliessgrenze (pr) wird noch eine
geprüft.
3. Hr. Branca legte eine Mittheilung des Hrn. Dr. W. GornAan
vor: »Zur Entstehung des Gagats.«
Die Mittheilung berichtet über die Ergebnisse einer mit akademischen Mitteln
im Jahre 1906 ausgeführten Untersuchung. Verf. hat den Gagat und sein Vorkommen
an der classischen, jetzt freilich ganz verarmten Fundstätte des Lias von Whitby
studirt. Es ergibt sich, dass Gagat in seinem chemischen Verhalten in der Mitte
steht zwischen echten Sapropelbildungen und Humusbildungen. Bei seiner Entstehung
sind also nicht nur Bituminirung, sondern auch Verkohlung thätig gewesen. Der Her-
gang war offenbar der folgende: der Gagat wurde als ein stark erweichtes, zersetztes
Holz in einen weichschlammigen Sapropelit eingebettet. So konnten die Sapropel-
bestandtheile in das Holz eindringen, und es erfolgten nun Inkohlung und Bituminirung.
210 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Februar 1908.
Bestimmung der kritischen Spannungen in festen
Körpern.
Von Ewaıp Rascn.
(Mitteilung aus dem Königlichen Materialprüfungsamt zu Groß-Lichterfelde.)
(Vorgelegt von Hrn. Martens.)
15
Be der Verwendung auf Festigkeit beanspruchter Materialien, sei es
in Bauwerken, sei es in Konstruktionsteilen, ist für die Technik die
Kenntnis gewisser Grenzspannungen erforderlich, mit deren Überschrei-
tung die unelastischen, bleibenden Formänderungen (8) die Sicherheit
gefährdende Werte annehmen.
Physikalisch sind die Grenzbeanspruchungen, die gemeinhin als
Elastizitäts-, Proportionalitäts- oder Streckgrenze bezeichnet werden,
nicht eindeutig definiert.
Zwar könnte man grundsätzlich die Festsetzung treffen, daß als
Elastizitätsgrenze diejenige spezifische Höchstbelastung p, zu gelten
habe, bei der die bleibenden Formänderungen (2) den Wert Null
soeben überschreiten. Innerhalb dieser Grenze würde sodann der be-
trachtete Körper durch beliebige Wechselkräfte ausschließlich rein
elastische Formänderungen (e) erleiden und im Sinne der Thermo-
dynamik vollkommen umkehrbare, geschlossene Kreisprozesse durch-
laufen.
Gegen diese Begriffsbestimmung wäre einzuwenden, daß die An-
nahme eines vollkommen umkehrbaren Kreisprozesses in dem betrach-
teten Falle keineswegs gesichert erscheint und weiter, daß der Punkt,
bei dem 2 > o wird, sich mit der Verfeinerung des jeweils ange-
wendeten Meßverfahrens verschiebt.
Die nicht umkehrbaren Formänderungen (©) nehmen ferner bei
einer großen Anzahl von Materialien mit steigenden Beanspruchungen (p)
stetig und gesetzmäßig zu, und demgemäß treten auch die Gesamt-
dehnungen (y) aus der Hooxzschen Geraden p = eE nur langsam und
zögernd heraus. In allen diesen Fällen ist ohne Willkür eine bestimmte
Aussage über die Lage der Elastizitätsgrenze nicht möglich.
E. Rasen: Kritische Spannung in festen Körpern. 211
Um dieser Unsicherheit angesichts der einschneidenden technischen
Bedeutung der Elastizitätsgrenze zu entgehen, schreiben wohl auch Ab-
nahmebehörden vor, daß die Überschreitung einer bestimmten, will-
AL
L
als Kennzeichen der »praktischen Elastizitätsgrenze«, der Streckgrenze,
dienen solle.
Die Messung der Formänderungen an den auf Zug oder Druck
kürlich gewählten bleibenden Dehnung (d = = 0.002; L-Meßlänge)
beanspruchten Probestäben erfolgt z. Z. in der technischen Physik zu-
meist nach der von A. Marrens angegebenen Feinmeßmethode durch
Spiegelapparate, die eine Dehnung von em in der Schätzungs-
100000
einheit zu messen gestatten und deren Handhabung bequem genannt
werden muß. Immerhin setzt die Aufnahme der vollständigen p, &, &-
Kurve einen versuchstechnisch geschulten Beobachter, die Festlegung
der Elastizitäts- bzw. Proportionalitätsgrenze ein nicht geringes Maß
persönlicher Erfahrung und persönlichen Vertrauens voraus und nimmt
für einen Versuch eine Zeitdauer von ı bis 2 Stunden in Anspruch.
Aufgabe war es, eine Methode zur Bestimmung der kritischen
Grenzspannung p, anzugeben, die tunlichst der willkürlichen Deutung
entzogen ist und in bezug auf Einfachheit und Schnelligkeit «des Meß-
verfahrens den Bedürfnissen der technischen Praxis entsprechen könne.
Diesen Ansprüchen ist die elektrische Bestimmung der den Deh-
nungsvorgang begleitenden Temperaturänderungen gerecht geworden.
>
Die Thermodynamik macht in dem Crareyrox-Örausıusschen Satz
eine allgemeingültige Aussage über den Gleichgewichtszustand zweier
Aggregatszustände ©’ und £’, die bei der Temperatur 7 und dem
Druck p miteinander in Berührung stehen können.
Es gilt unabhängig von der Natur des betrachteten Körpers:
dT I
re (d’— €’) (T=dT = constans.)
2
(1)
Dieser Satz werde auf feste Körper bezogen.
Unter $’ sei das spezifische Volumen einer Masse verstanden, die
unter der Spannung p und der Temperatur T Träger zähflüssiger
Eigenschaften und Urheber der bleibenden Formänderungen des Ma-
terials ist. Sie sei im letzteren gleichmäßig verteilt. In Berührung
mit der 8-Masse stehe eine feste Phase mit dem spezifischen Volumen €.
212 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Februar 1908.
Dieser Massenanteil besitze die rein elastischen Eigenschaften eines
festen Körpers.
Die Größe r in Gleichung (1) ist eine Wärmetönung und stellt
diejenige Wärme bzw. Arbeit dar, die erforderlich ist, um die Massen-
einheit der Substanz durch Druckerhöhung bei der Temperatur 7 zum
Fließen zu bringen. Sie kann daher in Anlehnung an den technischen
Ausdruck der »Streckgrenze« als Streckwärme bezeichnet werden.
Unterwirft man einen Versuchsstab einer stetig sich steigernden
Zugbeanspruchung p, so kühlt er sich ab, solange e’ erheblich größer
als 3° bleibt. Überwiegt anderseits beim jungfräulichen Material von
vornherein die 8-Phase gegenüber der e-Phase, so ist = positiv und
der Stab erwärmt sich.
Der erstere Fall liegt beispielsweise beim Gußeisen vor, bei dem
AT
dp
dann in Erscheinung, wenn es sich um weiche Materialien handelt, bei
bis zum Eintritt des Bruches negativ bleibt, der letztere Fall tritt
denen die bleibenden Formänderungen von Anbeginn die elastischen
überwiegen.
Man erkennt aus Gleichung (1) ohne weiteres, daß bei allen Ma-
terialien der ersten Gattung im Verlauf des Zugversuchs ein kritischer
Punkt auftreten muß, der dadurch ausgezeichnet ist, daß
OW 7
BD >28
wird und E durch Null geht, um hierauf unter Vorzeichenwechsel
rasch positive Werte anzunehmen.
Es wird sich zeigen lassen, dal3 dieser wohldefinierte kritische
Punkt p, sich mit der Erscheinung deckt, die man in der Technik
als Streckgrenze anspricht.
Zu beachten ist noch, daß bei adiabater, rein elastischer Form-
änderung (© = 0) die Abkühlung gegeben ist durch
dT ı ab,
dp T 72 C)
wobei < die thermische Ausdehnungszahl, v, das spezifische Volumen
und c, die (in gleichem Maß wie r gemessene) spezifische Wärme des
Ausgangsmaterials bedeutet.
Hieraus und aus Gleichung (1) folgt
aT Fu r(- aM ==) :
dp r C
E. Rascn: Kritische Spannung in festen Körpern. 213
3.
Die Versuchsmethode. Bereits Eprunn (1865), Haca (1882),
WacnsmurH u. A. haben die thermischen Erscheinungen innerhalb des
Gebietes der elastischen Formänderungen untersucht. Neuerdings sind
während der Bearbeitung des vorliegenden Gegenstandes von H. Horr
(1907) auch die Wärmeerscheinungen im Gebiete der bleibenden, nicht
umkehrbaren Formänderungen kalorimetrisch verfolgt worden. Die
letztere Methode kommt für den vorliegenden Zweck nicht in Frage, da
sie einesteils nicht ohne Umständlichkeit ist und da andererseits infolge
der großen Wärmekapazität des den Versuchsstab umgebenden Kalori-
meters die thermischen Anzeigen zeitlich hinter den Kraftwirkungen
beträchtlich nachschleppen.
Von Mißständen dieser Art hat sich die elektrische Temperatur-
messung durch Bolometer oder Thermoelemente frei erwiesen.
Zur Anwendung kamen zumeist Thermoelemente aus Silberkon-
stantan, deren Thermokraft (e) zu
e= [—1.259 + 0.3943 + 0.000279, ?]|- 10”* Volt
ermittelt wurde.
Die Warmlötstellen des Elements konnten in sehr verschiedener
Weise an dem Versuchskörper angeordnet werden, ohne daß hierdurch
die Meßsicherheit merklich beeinflußt wurde. So erwies es sich kei-
neswegs als notwendig, die Lötstelle mit dem Probestab a (Fig. ı)
durch metallische Lötung zu verbinden; vielmehr war es hinreichend,
die Lötstellen mit Hilfe einer federnden Spange gegen die Stabober-
fläche zu pressen. Erstere trug an dem einen Schenkel einen kleinen
Hartholzriegel, der die auf einer Tuchunterlage gebetteten Lötstellen
gegen die Stabunterlage anlegte. Es war vermutet worden, daß die
thermoelektrische Anzeige zeitlich hinter dem Einsetzen des Streck-
vorganges nachhinken könne, wenn letzterer nicht gerade an der Stab-
stelle einsetzt, die von der Lötstelle berührt wird. Um dies zu
vermeiden, wurde die Spange mit neun reihenartig angeordneten Löt-
stellen belegt. Diese Vorsichtsmaßregel erwies sich jedoch als nicht
erforderlich. So genügte es u.a. auch, eine Lötstelle durch einen
übergeschobenen Gummiring gegen die Staboberfläche zu pressen.
Will man, um Gleitbewegungen der Lötstellen auf der Staboberfläche
zu vermeiden, die Thermodrähte metallisch mit der Probe verbinden,
so kann man (Fig. ı) den einen Draht (Ag) an das eine zylindrische
oder konische Stabende ı und den zweiten Thermodraht (Cn) an das
Stabende 2 getrennt anlöten. In diesem Falle bildet das den Form-
änderungen unterworfene, zwischen ı und 2 gelegene Probematerial
selbst die Lötstelle.
Sitzungsberichte 1908. 22
214 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Februar 1908.
Pig. 1.
P
Wesentlich ist es naturgemäß, den Stab und die Lötstellen wäh-
rend des Versuches vor Luftströmungen zu schützen. Die langsamen
Schwankungen der Zimmertemperatur störten den praktischen Ver-
such, der nur kurze Zeit in Anspruch nimmt, in keinem Einzelfalle
derart, daß eine Unsicherheit bezüglich der Lage der kritischen Span-
nung auftauchen könnte. Die Kaltlötstellen befanden sich gemeinhin
in Ölgefäßen 3,4 (Fig. ı).
Die Thermokräfte wurden zum Teil mit einem Drehspulgalvano-
meter von Harrmann & Braun, das mit objektiver Spiegelablesung
ausgerüstet war, zum Teil mit einem kleinen Saitengalvanometer (b,
Fig. ı), Bauart Emruoven-EveLmann, gemessen. Für die Wahl des letz-
teren waren Versuche ausschlaggebend, die sich auf das Studium
zeitlich rasch verlaufender Formänderungen (Schlagversuche) beziehen.
Das schwingende System des Saitengalvanometers bestand aus einem
dünnen Goldfaden (b) von 87 Ohm Widerstand und 0.0085 mm Durch-
messer, der unter dem elektrodynamischen Einfluß des ihn durch-
fließenden Thermostromes einerseits und eines senkrecht zur Mikro-
meterskala gerichteten elektromagnetischen Kraftlinienfeldes anderseits
parallel zur Skalenebene ausweicht. Die Empfindlichkeit des Instru-
ments kann durch Entspannung des Fadens in sehr weiten Grenzen
geregelt werden; der Ausschlag erfolgt in Anbetracht des geringen
Trägheitsmoments des schwingenden Systems außerordentlich rasch.
Die Anzeige des Instruments ist der elektromotorischen Kraft in den
E. Rascn: Kritische Spannung in festen Körpern. 215
einzelnen Ablesebezirken nicht völlig proportional. Bei den später mit-
zuteilenden Versuchen entspricht eine Schätzungseinheit $ der Able-
sung den nachstehenden Temperaturen:
— -
Ablesung $ | 24 5o 1020 | 146 205 270 350
|
Io= 0.00417 0.00400 0.00393 | 0.00343 0.00296 0.00260 | 0.00229 0°
|
| | | |
| | | | |
Für praktische Zwecke hat sich diese Empfindlichkeit als aus-
reichend erwiesen. Für feinere Untersuchungen ist eine Bolometer-
doppelbrücke vorgesehen. Die symmetrisch in einem innen geschwärz-
ten Kasten angeordneten acht Einzelzweige der Doppelbrücke bestehen
aus dünnen Platinfäden, die in kleinen evakuierten Glasbirnen ange-
ordnet sind. Die Herstellung der Bolometerlampen erfolgte in dan-
kenswerter Weise durch das Glühlampenwerk der Deutschen Gasglüh-
licht-Aktiengesellschaft.
Die Zugversuche wurden zumeist an Stäben von 3.14 gem Quer-
schnitt, 22 em prismatischer bzw. zylindrischer Länge und üblicher
Probenform ausgeführt. Zur Verwendung kam eine Prüfmaschine,
Bauart Pontmever, mit 50000 kg Kraftleistung und hydraulischem
Kraftantrieb. Die Kraftmessung erfolgt durch eine in Fig. ı schema-
tisch angedeutete Neigungswage c, die mit einem MaArrensschen Kraft-
anzeiger und Sehaulinienzeichner ausgerüstet ist, der die Formände-
rungen des Probestabes als Funktion der Zugkräfte aufzeichnet.
Dehnungsmessungen bis zur Streckgrenze wurden mit Hilfe Mar-
rensscher Spiegelapparate ausgeführt.
4.
Versuchsergebnisse. Bei weicherem Flußstahl setzt der Streck-
vorgang gemeinhin rasch ein und macht sich auch durch Absinken
der Pendelwage mehr oder minder deutlich kenntlich. In diesem ty-
pisch ausgeprägten Falle wird die Streckgeschwindigkeit größer als
die konstante Vorschubgeschwindigkeit des Kraftkolbens, so daß sich
der Stab durch den Streckvorgang selbst entspannt.
Tabelle ı veranschaulicht den Versuchsverlauf für einen Stahl-
rundstab von 2.010 cm Durchmesser, dessen Streckgrenze sich durch
die Umkehr der Galvanometeranzeige $ und gleichzeitiges Absinken
der Kraftanzeige bei einer Zugkraft von 10710 kg (p,—= 3380 kg/gem)
scharf zu erkennen gibt. Es bedeutet —$ eine Abkühlung, + eine
Erwärmung des Stabes in den Ablesungseinheiten des Saitengalvano-
meters.
22°
216 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Februar 1908.
Tabelle ı.
Material: Stahl. Rundstab von 2.010 cm Durchmesser (Vers. 38).
Ablesung |
Zugkraft am Saiten- Br
galvanometer =
kg S
o = 0 | Thermoelement: Silber-Konstantan. Mit Gummiring an Stabmitte
2000 —t48 angepreßt.
4000 — 90 |
6000 | —132
8000 | — 133
10000 1 — 230
10710 —255 Streckgrenze! Galvanometeranzeige kehrt um, Kraftanzeige sinkt
10650 | ne) bis auf 10650 kg ab.
11000 + 10
12000 +I15
13000 | +193
Wesentlich schwieriger als in dem vorigen Fall ist die Angabe
einer Streckgrenze bei weichem Material, bei dem der Einfluß vor-
aufgegangener mechanischer Bearbeitung durch Glühen beseitigt ist.
Fig. 2 veranschaulicht Versuche, welche mit einem Messingrund-
stab von 3.14 qem Querschnitt durchgeführt wurden. Der Stab war
bei 550° 6 etwa ı5 Minuten lang geglüht und wurde einer stetig
ansteigenden Belastung unterworfen. Wie der Verlauf der Kurve a
dT
zeigt, kühlt sich der Stab zuerst ab, Gr ist negativ. Mit steigender
p
Belastung wird die Abkühlung geringer, und schließlich wird bei
Y
dT
3610kg = 1150 kg/qem 23 = 0, der Stab hat die Streckgrenze erreicht.
AT
Bei weiterer Belastung nimmt ——- positive Werte an, welche sehr
D
dy
schnell ansteigen; bei einer Belastung von 6000 kg wurde der Stab
entlastet. Bemerkenswert ist, daß der Kraftmesser der Maschine
keinerlei Anzeichen des Streckens wahrnehmen ließ, während das
all
(alvanometer den Punkt DE = 0 stets dadurch scharf anzeigt, daß
ıp
der im Magnetfeld bewegte Faden seine Bewegungsrichtung umkehrt.
Derselbe Stab wurde hierauf einer erneuten Belastung unterworfen,
dT
es wiederholt sich derselbe Vorgang, wie Kurve b zeigt; a wird 0
bei einer Belastung von 6040 kg = 1920 kg/gem, d.h. der Stab
zeigt die Streckgrenze bei der Höchstspannung, der er bei dem vor-
E. Rascn: Kritische Spannung in festen Körpern.
Fig. 2.
da
+450
Bi
Sur:
+400
+90
Belastung rn —— h
100
218 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Februar 1908.
herigen Versuch unterworfen worden war. Das Strecken wird in
diesem Fall auch von dem Kraftmesser deutlich angezeigt, indem die
Wage etwas absinkt. Nachdem der Stab noch bis 7500 kg belastet
und sodann entlastet wurde, wird derselbe Versuch mehrmals wieder-
holt; die Kurven ce, d, e und f zeigen alle übereinstimmend dasselbe:
dT
zE —= 0 bei derjenigen Höchstbelastung, welcher der Stab bei dem
vorhergehenden Versuch ausgesetzt worden war.
Fig. 3 zeigt Versuche mit einem Normalrundstab aus Gußeisen.
Ik
dp
steigender Belastung nähert sich die Kurve a der horizontalen Tan-
Bei Belastung ergibt sich auch hier Abkühlung, negativ; mit
dT
gente, d.h. en dem Werto. Bei 3560 kg = ı130 kg/qem wird all-
mählieh entlastet; der Stab erwärmt sich gegenüber der zuletzt er-
dT .
reichten Temperatur; den Verlauf von —— bei Entlastung zeigt Kurve b.
dp
Derselbe Stab wird nochmals belastet (s. Verlauf der Kurve ce).
Im Moment des Bruches, bei 4000 kg = 1270 kg/gem, zeigt das
Galvanometer eine plötzliche starke Umkehr des Fadens an, ent-
sprechend einer Erwärmung des Stabs.
Einen Versuch mit Flußeisen veranschaulicht Fig. 4, bei 1I000kg
= 3500 kg/qem haben wir die Umkehr von Abkühlung zu Erwärmung,
Fig. 4.
Mi
E. Rascn: Kritische Spannung in festen Körpern. 219
aT = . Eh ® >
— o, der Kraftanzeiger zeigt ein Strecken durch Sinken der Wage
pP
erst später an. Bei weiterer Belastung nimmt die Erwärmung stark zu.
Die Übereinstimmung dieser Versuchsresultate mit den durch
Dehnungsmessungen gewonnenen zu zeigen, wird durch einen Zug-
versuch mit einem Messingrundstab von 2 cm Durchmesser dargetan,
bei dem neben den Temperaturmessungen Dehnungsmessungen mit
Marrtensschen Spiegelapparaten ausgeführt sind. Tab. 2 gibt die
beiderseits beobachteten Werte wieder, während in Fig. 5 einerseits
$, andererseits die Dehnungen zu den zugehörigen Belastungen auf-
Tabelle 2.
Zugversuch mit einem Messingrundstab d= 2.0 cm.
| Gesamt- Dehnungs-
Galvanometer-
ablesung Bemerkungen
dehnung zuwachs
100000
[6) | [6) [6) [6) Zeit: ı1 ©6
1000 320 320 —1
2000 631 | 311 —25
3000 35 | 323 35
4000 1277 | 323 —40
5000 | 1617 340 —48 |
6000 1971 354 —)
7000 2336 365 | —56
8000 2717 381 —60
9000 | 3108 391 —63
10000 3527 | 419 —67
11000 | 3965 438 | —69
12000 | 4431 | 466 | —69 |
12810 4948 — | —69 Galvanometerablesung kehrt um!
12860 5400 —_ —50
12890 5700 — —44 |
12900 6620 — —40 |
12900 6810 — —32 |
12000 6490 — | —22 | Entlastet.
10000 5801 | — 2 |
9000 5450 351 | +13 |
8000 5098 | —352 | +23
7000 4712 | —386 +28 |
6000 4335 — 377 4317 0 |
5000 3953 —382 +30 Abflußventil wird weiter geöffnet.
4000 3566 — 387 | +38 |
3000 | 3151 | —415 +48 |
2000 | 2751 —400 +57
1000 2324 —427 | +54
o 1885 | —439 | +67 | Zeit: 11 32
[6) 1866 | 52 |
220 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Februar 1908.
Fig. 5
Dehnung cm.”
8000
4000
getragen sind. Fig. 5 erweist, daß beide Versuchsresultate scharf über-
einstimmen.
Die thermische Methode scheint auch geeignet zu sein, über die
Spannungsverteilung im Innern fester Körper, die z.Z. jeder Beob-
achtung unzugänglich ist, Aufschlüsse zu geben.
Es sei vorbehalten, über diese Untersuchungen, die z.Z. beim
Kgl. Materialprüfungsamt im Gange sind, a.O. zu berichten.
W.Gornan: Zur Entstehung des Gagats. 221
Zur Entstehung des Gagats.
Von Dr. W. GoTHAn.
(Vorgelegt von Hrn. Branca.)
er Unterstützung der Akademie verdanke ich die Möglichkeit
einer Untersuchung der klassischen Lagerstätte des Gagats im Lias
von Yorkshire, bei welcher sich mir die im folgenden dargelegte Ent-
stehungsweise dieser interessanten, von den gewöhnlichen Steinkohlen
so abweichenden Kohle ergab. Einleitend möchte ich zunächst kurz
die in meiner früheren Publikation über die Entstehung von Gagat
(Naturw. Wochenschr. 1906 Nr. 2 S. 17-—24) bis dahin gewonnenen
Resultate rekapitulieren. Es wurde neuerdings erhärtet, daß Gagat'
trotz aller Fremdartigkeit seines Aussehens aus Holz hervorgegangen
ist, das bei und vor der Einschwemmung in die Schichten, in denen
es jetzt vorkommt, einen eigentümlichen Erweichungs- und Zersetzungs-
prozeß durchgemacht hat; später verlor es bei dem zunehmenden
Wasserverlust des umgebenden Gesteinsmediums seine anfängliche
Größe und Form, wobei es gleichzeitig — im Gegensatz zu seiner
anfänglichen großen Weichheit, die selbst harte Fremdkörper mühe-
los eine Strecke weit hineindringen ließ — die große Kompaktheit
und relative Strukturlosigkeit erhielt, die. uns beim Gagat immer
wieder — besonders im Hinblick auf seine Entstehung aus Holz —
Schwierigkeiten verursacht. Die »Strukturverhältnisse«, soweit der
Jet solche erkennen läßt, namentlich die von Sewarn beobachteten,
aber nicht richtig erklärten Zickzacklinien, treten beim Zusammen-
schrumpfen des Holzes von selbst auf, wie die Beobachtung der von
mir untersuchten rezenten Parallelen ergab: es sind die Tracen der
ı Es wird oft allerhand als Gagat bezeichnet, das nicht hierher gehört; besonders
aus dem Gebiet der sogenannten »Pechkohle«, eines übrigens recht unbestimmten
Terminus, wird manches für Gagat angesehen. Man muß sich indessen hüten, solche
auch in einzelnen Bruchstücken vorkommenden »Pechkohlen« damit zu verwechseln,
die von einem stark doppleritisierten, d.h. mehr oder minder homogen humifizierten
Urimaterial (wie etwa der rezente Dopplerit) sich herleiten. (Vgl. die Definition von
Gagat S. 226.)
222 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Februar 1908.
Herbstholzschicht der Jahresringe, die beim Zusammensinken des
Holzes infolge der Inhomogenität des Jahrringholzes Knickstruktur
annimmt. Die Kompaktheit des Jets kann ohne Mitwirken von Ge-
birgsdruck erworben werden und wird meist ohne diese erworben,
da der Gebirgsdruck vielfach erst zur Geltung kommt, wenn das Ge-
stein mehr oder weniger sein Wasser eingebüßt hat und damit die
Jethölzer ihre Kompaktheit schon mehr oder weniger erreicht haben.
Lagerungsverhältnisse des Jets an der Küste von
Yorkshire.
Wie bekannt, findet man den Jet in Yorkshire in denselben
Schichten wie in Deutschland (Holzmaden in Württemberg); es sind
dort gewisse Schichten der bei uns als Lias e bekannten Liasstufe,
und zwar des als Posidonienschiefer bezeichneten Horizonts, der sich
auch in Yorkshire durch sehr starken Bitumengehalt, auch von Pe-
trolea, auszeichnet. Innerhalb des Posidonienschiefers ist es wieder
ein wenig mächtiger Horizont, der eigentliche Jetrock, der den Gagat
enthält'. Es ist dies ein Gestein, das infolge stärkeren Kalkgehalts
diekplattig bankt und frisch gebrochen intensiv nach Rohpetroleum
riecht. Die Fossilien in diesem Gestein (am häufigsten sind Ammo-
nites (Harpoceras) serpentinus und außer Posidonomya Bronni Inoceramus
dubius) sind meist (bis auf die Posidonomya) oder doch sehr häufig in
Knollen eingehüllt, die außer Ton Kalk, Schwefelkies, auch Brauneisen
in innigem Gemenge mit dem Ton enthalten. In solchen Knollen
finden sich auch mit Vorliebe die Jetstücke. Zwar konnte ich an
Ort und Stelle (bei Kettleness nördlich Whitby) nur schmälere Platten
von Gagat beobachten, da dickere jetzt nur noch selten gefunden
werden; doch ist dies für die Untersuchung gleichgültig. Diese Jet-
platten zeigten sich nun sehr oft umgeben von einem grobkörnig
krystallinischen, sehr bituminösen Kalk, oder dieser war ihnen ange-
lagert. Auch sah man, daß einzelne Jetstückchen abgebröckelt waren
und nun regellos in dem Kalk verteilt waren. Aber auch das Um-
gekehrte kommt vor, insofern die Gagathölzer sehr oft kreuz und
quer verlaufende Sprünge zeigen, die mit Kalkspat — dieser ist es
mit Vorliebe — erfüllt sind. Alle diese Zerspellungsvorgänge an
den Hölzern sind offenbar mit ihrer einstigen außerordentlichen Weich-
! Die Whitbyer Vorkommnisse in Yorkshire sind übrigens sozusagen erschöpft;
um die alte Jetindustrie dort nicht eingehen zu lassen, wird massenhaft Jet aus Spa-
nien eingeführt, der aus der Kreide zu stammen scheint (vgl. Ror#, Allgemeine und
chemische Geologie Bd. Il, S. 653. Ich konnte nur noch 3 schöne Stücke von Jet
aus Yorkshire dort erhalten.
W. Gornan: Zur Entstehung des Gagats. DR!
heit in Verbindung zu bringen, die unter Umständen beim Schrumpfen
des Gesteins sogar zu Zerreißungen führte. Diese Zerreißungen wür-
den noch weit bedeutender gewesen sein, wenn nicht die Schrumpfung
der Hölzer in der Längsrichtung die geringste wäre.
Schon die Abbildungen, die ich a.a.O. S. 21 von den verschrumpf-
ten Hölzern aus Ton von Hermsdorf bei Berlin gegeben habe, legen
den Gedanken nahe, daß die Schrumpfung der Gagathölzer eine meist
weit stärkere ist als die des Hüllgesteins.
Dies kann man auch an den fossilen Vorkommnissen in England
nachweisen. Man wird hier allerdings im allgemeinen keine Hohlräume
im Gestein an der Stelle, an welcher der Gagat liegt, erwarten dürfen;
denn in der Natur werden die löslichen Bestandteile des Posidonien-
schiefers alsbald diese Höhlungen erfüllen, und zwar wird es mit Vor-
liebe das leichtest lösliche, hier in Betracht kommende Mineral sein,
der Kalkspat. So sahen wir vorhin schon, daß bei den durch Quer-
sprünge zerspellten Gagathölzern der Kalkspat in die Spalten einge-
wandert war. Die oben erwähnten Kalkspatmassen (das Bitumen
lasse ich hier noch außer Betracht), die sich so häufig an den Gagat-
stücken in den Knollenkonkretionen finden, sind es gewesen, die die
durch das starke Schrumpfen des Holzes entstehenden Hohlräume
füllten. Im Whitbyer Museum befindet sich übrigens auch ein Stück
Gagat mit einer unausgefüllten Höhlung, das aber als Ausnahme zu
betrachten ist. In anderen Fällen ist es statt des Kalks Material von
dem umgebenden Gestein oder der Konkretion, das die Lücke erfüllt,
(vgl. die Abbildung von SewArn, Jurassie Flora 1904 part II S. 67,
kopiert in Naturwiss. Wochenschrift 1906 Nr. 2, S. 22).
Die Rolle der Bitumina bei der Gagatbildung.
Eine sehr auffällige Erscheinung bei dem Vorkommen des Gagats
— ich denke hier an die Württemberger und englischen Verhältnisse —
ist der reichliche Bitumengehalt des Hüllgesteins. Der Umstand, daß
in England und Württemberg in dieser Beziehung das gleiche Ver-
hältnis herrscht, legt den Gedanken nahe, daß der Bitumengehalt des
Nebengesteins eine sehr wesentliche Rolle beim Gagatisierungsprozeß
spielt. Hierin wird man noch mehr bestärkt, wenn man das chemi-
sche Verhalten des Gagats betrachtet. Die Mengen brennbarer Gase,
die bei der trockenen Destillation aus Gagat entweichen, sind außer-
ordentlich groß und erinnern an das Verhalten von Kannelkohle
oder ähnlicher Saponthrakone, überhaupt an das Verhalten von fossilen
Sapropelbildungen. Nach Srärz (Die Bituminierung, Berlin 1907, S. 66)
stellt sich das Verhältnis von H zu Ö im Gagat, C= 100 gesetzt, auf
224 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Februar 1908.
7.29—8.84 Prozent. Bei rezenten und fossilen Sapropelbildungen er-
hält man, für Ö= 100, ıI—1ı4 Prozent H (nach Srreume, Zeitschr.
Deutsche Geol. Ges. Monatsber. 1907, S. 161), bei Humusgesteinen
(die also den Humifizierungs- oder Inkohlungsprozeß durchgemacht
haben und bei denen sich © auf Kosten von H je länger, je mehr
anreichert) 4—5 Prozent H, wobei die känozoischen Materialien
außer Acht gelassen sind, die ja für unseren Gagat nicht in Frage
kommen.
Der Gagat hält also in seinem chemischen Verhalten zwischen
echten Sapropelbildungen und Humusbildungen die Mitte. Bei seiner
Entstehung sind die beiden Prozesse der Bituminierung und Inkohlung
tätig gewesen. Daß beim Gagat der Inkohlungsprozeß wirksam war,
leuchtet unschwer ein, da er ursprünglich Holz war. Unter gewöhn-
lichen Umständen wird ja Holz nur den Inkohlungsprozeß durch-
machen; solche dichten, inkohlten Holzstücke kennen wir ja aus der
Braunkohlenformation und dem Mesozoikum genug, die sich aber we-
der in ihrem physikalischen noch chemischen Verhalten mit dem
(ragat decken. Hier weisen aber die chemische Beschaffenheit und
der Bitumengehalt des umgebenden Gesteins darauf hin, daß außer
der Holzsubstanz noch Bitumina in dem Gagat enthalten und in das
Holz eingedrungen sind.
Dies letztere läßt sich nun in der Tat auf ganz andere Weise
als durch die chemische Analyse und den Vergleieh mit Sapropel-
und Humusbildungen sehr wahrscheinlich machen. Im Posidonien-
schiefer spielten Konzentrationsvorgänge im Gestein eine hervorragende
Rolle; die Knollen mit den eingeschlossenen Fossilien zeugen davon,
daß viel von den mehr oder weniger leicht wasserlöslichen Mineral-
bestandteilen des Posidonienschiefers an den heterogenen Bestandteilen
im Hüllgestein niedergeschlagen wurde; besonders Kalkspat und Eisen-
verbindungen spielen hier eine Rolle. Ob die Niederschlagszentra
Fossilien oder Gagat oder andere Dinge waren, ist ja für diese Vor-
gänge gleichgültig. Uns interessiert hier speziell, daß auch der Gagat
zu solehen Konzentrationszentren gehörte. Man könnte daran denken,
daß auch die Sapropelbestandteile oder später die schon fertigen Bi-
tumina von den Konzentrationsvorgängen mitbetroffen und attrahiert
worden sind. Tatsächlich läßt sich eine solche Konzentration von
Bitumen um den Gagat herum aufzeigen. Schon S. 222 hatte ich
den stark bituminösen Kalk erwähnt, der dem Gagat häufig unmittel-
bar angelagert ist. An diesen schließt sich meist eine ebenfalls
stark kalkhaltige, aber feiner krystallinische Partie in den Knollen an.
Dann folgt, wenn nicht etwa noch eine durch viel Pyrit ausgezeichnete
Zone kommt, die uns hier nicht interessiert, der eigentliche Jetrock
W. Goruan: Zur Entstehung des Gagats. 225
als Hüllgestein. Wie die Analyse zeigt, enthält der Jetrock selbst
5.40 Prozent Bitumen! (SpÄtr, a.a.0. S.66). Hr. Dr. Winter, Chemiker
und Lehrer an der Bochumer Bergschule, der die Freundlichkeit hatte,
für mich einige Analysen auszuführen, wofür ihm auch an dieser
Stelle gedankt sei, fand bei dem zuletzt genannten feinen krystalli-
nischen Kalk 25 Prozent Bitumen, bei dem vorher genannten stark
bituminösen Kalk am Gagat 46 Prozent, während der Gagat selbst
etwa 90 Prozent organische Substanz enthält. Wenn wir den Gagat
zunächst selbst außer acht lassen, der ja auch ohne hinzugekommenes
Bitumen einen sehr hohen Gehalt an organischer Substanz aufweisen
würde, so erhalten wir für die anderen genannten Materialien die Folge:
ERIELTOCKS ae 20 ner 36 ren 5.4 Prozent organische Substanz,
2. weniger bituminöser, feiner
krystallinischer Kalk....... 25 » » »
3. stark bituminöser Kalk am Jet 46 » » »
Man sieht die Steigerung des Bitumens nach dem Jet hin sehr
deutlich. Wir gehen kaum fehl in der Annahme, daß das Jetholz
eine erhebliche Quantität Bitumen in sich aufgenommen hat; bei der
Fossilisierung liefen dann Inkohlung und Bituminierung nebenein-
ander her.
Daß bei der Bildung des Gagats tatsächlich Konzentrationsvorgänge
tätig gewesen sind, lehren ferner einmal Stücke, bei denen das Zentrum
des Holzes echt versteint, die äußeren Partien gagatisiert sind, und
zweitens der verschiedene Gehalt der Gagatstücke an mineralischen Be-
standteilen. So z. B. enthält nach Sräre (a. a.0. S. 66) ein Gagatstück
85.97 Prozent organische Substanz, ein anderes 95.35 Prozent, also
fast volle ıo Prozent mehr; man kann dies kaum auf Rechnung
von etwas anderem als sekundär eingedrungener Mineralbestandteile
setzen, die durch konkretionäre Attraktion oder Konzentration hinein-
gekommen sind.
Es fragt sich nun noch, ob das in den Gagat zugewanderte
Bitumen als solches oder bereits vor der Bituminierung als Sapropel-
masse hineingedrungen ist. Mir erscheint das letztere näherliegend,
wiewohl bezüglich dieses Vorgangs manches unklar bleiben mag.
Immerhin ist soviel klar, daß in das Holz, solange es noch nicht kol-
labiert war, beträchtliche Mengen Sapropelmasse eindringen konnten,
die in den zahlreichen Zellhohlräumen Platz hatte; später kollabierte
ı Es sei hier gestattet, die ganze organische Substanz einmal als Bitumen anzu-
führen; ein Fehler entsteht in unserem Falle dabei kaum, da es sich, wie gleich er-
sichtlich, nur um Verhältniszahlen handelt.
226 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Februar 1908.
dann Holz und Sapropelmasse. Vielleicht können wir uns diese
Sapropelmengen als in kolloidaler Lösung befindlich gewesen vor-
stellen.
Wenn die Gesteine aber erst fertige Bitumina, Endprodukte des
Bituminierungsprozesses, enthalten, sind sie schon so weit vom Wasser
befreit, daß ein Holz, das den dem Gagatprozeß vorausgehenden Zer-
setzungs- und Erweichungsprozeß durchgemacht hat, längst zu einer
kompakten Masse zusammengeschrumpft wäre, in die überhaupt nichts
mehr hineingeht, weder Bitumen, noch Sapropel, noch Mineralbestand-
teile. Alle Konzentrationsvorgänge im Gestein können nur vor sich
gehen, solange das Gestein eine solche Beschaffenheit hat, daß die
Minerallösungen usw. ungestört im Gestein diffundieren können, müssen
also vor der Umwandlung in ein eigentliches festes Gestein beendet
sein, während die Bituminierung — bei Humusgesteinen die Inkoh-
lung — auch nach der Gesteinswerdung weitergehen. Der Gagat-
prozeß würde folglich damit beginnen, daß die noch nicht zusammen-
gesunkenen Hölzer Sapropelmasse aufnehmen und mit dieser später
verschrumpfen, worauf dann der Inkohlungsprozeß und Bituminierung
einsetzen.
Wir sehen also, daß der Bitumengehalt des Hüllgesteins eine
wesentliche Rolle bei der Gagatisierung von Hölzern spielt. Gagat ist
ein vor und vielleicht noch nach der Einbettung in weich-
schlammigen Sapropelit zersetztes und stark erweichtes
Holz, das als Holz — die Inkohlung und — vermöge der
aufgenommenen Sapropelbestandteile — den Bituminierungs-
prozeß durchgemacht hat, wobei immer eine sehr starke
Schrumpfung nebenhergeht.
Betrachtet man umgekehrt Holzstücke aus nicht bituminösen
Gesteinen, denen man an ihrer Diehtigkeit ansieht, daß sie ebenfalls
stark zersetzt und erweicht waren, so bemerkt man, daß diese nie-
mals Gagat sind. Sie sind brüchiger, der Glanz ist anders, das che-
mische Verhalten das von Humusgesteinen'. Es fehlt ihnen eben
das, was dem Gagat seine Eigentümlichkeit verleiht, der Bitumen-
gehalt; die Umsetzungen, die die Holzmasse solcher Stücke durch-
gemacht hat, fallen in das Gebiet des reinen Inkohlungsprozesses.
Es möge schließlich nicht unterlassen sein, zu erwähnen, daß wir
nunmehr rücksichtlich der Entstehung des Gagats zu einer ähnlichen
! Hierher gehört jedenfalls auch der »soft jet« der Engländer, von dem Phıt.Lırs
(Illustration of the geology of Yorkshire. Pt. I, zrd edition by R. Ernerinee 1875 S.185)
sagt: » ‚Soft jet‘ of less firm texture, is obtained from the sandstones and shales of
the oolitie series«, also aus Schichten, deren Gesteine nicht bituminös sind. Demnach
wäre »soft jet« gar nicht als »Jet« zu betrachten.
W. Gornan: Zur Entstehung des Gagats. 227,
Annahme gekommen sind, wie Parkınson vor etwa hundert Jahren.
In seinem bekannten Buch: Organie remains of a former world 1811,
Bd.I, S.ı55 sagt er vom Jet: It may be considered as possessing
the intermediate place between the purer bituminous matters and coals;
wenn auch die weiteren Ausführungen dieses Autors große Unsicherheit
und Unklarheiten zeigen, ist er doch in dem obigen Satz im Prinzip
unserem jetzt erreichten Resultat ziemlich nahe gekommen.
Ausgegeben am 27. Februar.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
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_ DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
ADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
mtsitzung am 27. Eebruag) (S. 229)
Der Drakensberg und der Quathlambabruch. (S. 230)
ng der physikalisch-mathematischen Classe am 5. März. (S. 259)
ı CA: Vorläufiger Bericht über die Ergebnisse der Trinil-Expedition der Akademischen Jubi-
& jäums-Stiftung d er Stadt Berlin. (S. 261)
= und E. LADENBURG: ‚Das ‚Beflaxionsvermögen! 2 ses (S. 274)
us ‚der Vorgeschichte der ersten Theilung Poleie e. 286)
ÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
des ——
x
IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.
Aus $.
Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei
fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte
der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «
und »Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie
der Wissenschaften«.
Aus $ 2.
Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberiehte« oder die
» Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka-
demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel
das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefern ist, Nicht-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.
$ 3.
Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll
in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32,
bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift
der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen
von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand-
lungen nicht übersteigen.
Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung
der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe statt-
haft, und ist bei Vorlage der NMittheilung ausdrücklich zu
beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver-
muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde,
so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen
von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lassen.
SA.
Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder
auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die
Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original-
aufnahmen u. s. w.) gleichzeitig mit dem Manuscript, jedoch
auf getrennten Blättern, einzureichen. i
Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in
der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten
aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so
kann die Akademie dazu eine Bewilligung besehliessen. Ein
darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be-
treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage
eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu
richten, dann zunächst im Secretariat vorzuberathen und
weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln.
Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka-
demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten
ist -— wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren
handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen
beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er-
forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark,
bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung
durch das Seeretariat geboten.
Aus $5.
‚Nach der Vorlegung und Einreichung des
vollständigen druckfertigen Manusceripts an den
zuständigen Seceretar oder an den Archivar
wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen
Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit-
glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt.
Mittheilungen von Verfassern, welehe nicht Mitglieder
der Akademie, sind, sollen der Regel nach nur in die
Sitzungsberiehte aufgenommen werden. Beschliesst eine
Classe die Aufnalıme der Mittheilung eines Nichtmitgliedes
in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen«,
so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die
Gesammt-Akademie.
Aus $ 6.
Diean die Druckereiabzuliefernden Manuseripten müs:
wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, au
reichende Anweisungen für die Anordnung des Satz
und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendung:
Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden
Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehmen
Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfa sse
seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht.
Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen d
Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur ai
vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correctur soll
Möglichkeit nieht über die Berichtigung von Druckf
und leiehten Schreibversehen fensossehen Umfängliche
Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des re
girenden Secretars vor der Einsendung an die Druck
Od die Verfasser sind zur Tragzung der entstehenden
kosten verpflichtet.
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aufgenommenen isses dhaielichen Shane
Adressen oder Berichten werden für die V re
wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfan; r
Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sond er- =
abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen ( jes
treffenden Stücks der Baus le SUPERB j
Verfasser sich esdkteklieh damit re 1
89.
Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberichten e
erhält ein Verfasser, welsher Mitglied der Akademi ne
zur-Zahl von 200 (im ganzen Kaks Sr abziehen. zu la;
sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Seer
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der
treffenden laser — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei-
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem.
redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare 2 ihre
Kosten abziehen lassen. Be
Von den Sonderabdrucken aus den Aubandtne -
hält ein ne welcher see der Akademie it
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von noch 100 und waf! seine Kosten noch weite,
sofern er diess ee ‚dem redigirenden Sec 'c
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch
Ahdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf e: es
der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der I
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redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare D- Ihre
Kosten abziehen lassen. ö FE
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929
SITZUNGSBERICHTE 1908.
x1.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
27. Februar. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
*]. Hr. Scamivr las über »Drei ungedruckte Dictathefte aus
Wiırrann’s Züricher Hauslehrerzeit«, vornehmlich die Theorie und
Geschichte der Poesie und im besondern Hinblick auf die Würdigung
Shakespeares.
2. Hr. Pıscner legte eine Abhandlung des Hrn. Dr. Herrmann Beoxn
in Berlin vor: Beiträge zur tibetischen Grammatik, Lexiko-
graphie, Stilistik und Metrik. (Anh. z. d. Abh.)
Die Abhandlung bildet den dritten Theil der im Anhang zu den Abhandlungen
vom Jahre 1906 erschienenen Arbeit: Die tibetische Übersetzung von Kälidäsas Megha-
düta. Der zweite Theil ist unter dem Titel: Ein Beitrag zur Textkritik von Kälidäsas
Meghadüta als Inaugural-Dissertation Berlin 1907 veröffentlicht worden. Der vorliegende
dritte Theil verarbeitet das im ersten Theile beigebrachte neue tibetische Material in
sprachlicher und metrischer Hinsicht.
3. Hr. Prof. Leroxnarn Schurtze in Jena übersendet: »Zoologische
und anthropologische Ergebnisse einer Forschungsreise im westlichen
und zentralen Südafrika, ausgeführt in den Jahren 1903— 1905 mit
Unterstützung der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften
zu Berlin«. Erster Band: Systematik und Tiergeographie. Lief. r.
Jena 1908.
Die Akademie hat das ordentliche Mitglied ihrer philosophischen
Classe Hrn. Anorr Kırcauorr am 27. Februar durch den Tod verloren.
Sitzungsberichte 1908.
[|
DE}
230 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
Der Drakensberg und der Quathlambabruch.
Von ALBRECHT PENCcK.
(Vorgetragen in der Sitzung am 13. Februar 1908 [s. oben S.181].)
Das Burenhochland in Britisch-Südafrika setzt sich nach Osten mit
einem gewaltigen Steilabfall gegenüber den tiefer gelegenen meernahen
Gebieten von Zululand, Natal und Pondoland ab. Er ist so auffällig,
daß er von den Eingeborenen einen eigenen Namen erhalten hat, dem
wir vielfach auf unseren Karten begegnen, nämlich den des Quath-
lambagebirges. Die Burenbevölkerung Südafrikas hat ihn Drakens-
berg genannt.
In dem großen Gemälde, welches Epvarn Surss' vom Antlitz der
Erde entworfen hat, spielt jener Steilrand eine bedeutsame Rolle. Surss
pflichtet Remmann” bei, wenn dieser das Quathlambagebirge auf einen
großen Bruch zurückführt, und zeigt an der Hand von Grizszacns®
trefflicher geologischer Schilderung von Natal, daß es hier von flach-
gelagerten Karruschichten gebildet wird, welche gegen die See hin
ausstreichen, aber an der Küste wiederkehren: »Hieraus geht hervor,
daß die Karruablagerungen sich einst viel weiter gegen Ost ausdehnten,
und daß die Schollen an der Meeresküste abgesunken sind an einem
oder mehreren großen Brüchen. Aber die heutigen Abhänge der Quath-
lamba sind nicht die Bruchfläche (Bd.ı S.508).« Die Umrisse der
Ozeane schildernd (Bd.2 S.259), nennt Surss den Quathlambabruch
abermals, um darzutun, daß der Indische Ozean ebenso wie der At-
lantische den durch Abbrüche verursachten Küstentypus zeige. Ein
drittes Mal endlich kommt er auf das Quathlambagebirge im Schluß-
kapitel des zweiten Bandes zurück, in welchem er seine bekannten
Ideen über den Zusammenbruch der Erdkruste und die Entstehung
zweier großer Ozeane durch Einbruch entrollt: »Die pflanzenführenden,
gewiß nicht im Meere gebildeten Gondwanaschichten blicken mit offe-
nem Bruche, z.B. an den Quathlambabergen, gegen das Meer hinaus.
! EnuArn Suess, Das Antlitz der Erde. Bd. I, 1885. Bd. II, 1888.
® A. Renmann, Das Transvaalgebiet des südlichen Afrika in physikalisch-geo-
graphischer Beziehung. Mitteil. k. k. geogr. Gesellsch. XXV]. Wien 1883, S. 257 (326).
® Cn.L. Griessaca, On the Geology of Natal. Quart. Journ. Geolog. Soc. London
XXVI, 1871, S. 53.
Penner: Der Drakensberg und der Quathlambabruch. 231
Niemals hat man auf der Höhe des weiten südafrikanischen Tafellandes
Spuren des Meeres gefunden, und man begreift nicht, wie es sollte
aus dem Meere emporgehoben sein.« So stützt Surss seine Annahme,
daß der Indische Ozean eingebrochen sei, ganz wesentlich mit auf
den Quathlambabruch und gelangt zu der Ansicht, daß die keilförmig
sieh zuspitzenden Festlandenden in Vorderindien und Südafrika den
Charakter von Horsten tragen.
Die Ansicht von Surss hat viel Beifall gefunden, aber nur selten
ist versucht worden, sie weiter zu stützen. Kürzlich ist solches durch
PassarcE' in seiner »Landeskunde von Südafrika« geschehen. Er weist
darauf hin, daß längs der Ostküste von Südafrika große vulkanische
Eruptionen erfolgt seien, so namentlich in den Lebombobergen, im
Zululande und in den Bergen des Basutolandes. Die Staffelbrüche,
welche den Umriß des Landes bestimmten, sollten Hand in Hand
mit vulkanischen Eruptionen gegangen sein, und letztere sollten mit
den Randbrüchen indirekt in Verbindung stehen. Wie und wo aller-
dings diese Randbrüche verlaufen, sagt PassareeE nicht; er beschränkt
sich nur, zu erwähnen, daß sie häufig nachgewiesen worden sind.
Auf diese letztere Frage erhält aber auch hinsichtlich des Dra-
kensberges derjenige keine Antwort, welcher die neuere geologische
Literatur über Südafrika einsieht. Diese Literatur hat im Laufe der
letzten zehn Jahre einen bedeutenden Umfang und ansehnliche Tiefe
erhalten. Das Vorkommen von Diamanten im Kaplande, von Gold
in Transvaal hat der geologischen Erforschung des britischen Süd-
afrika mächtige Impulse gegeben. Bereits 1895 wurde in Johannesburg
eine sehr tätige geologische Gesellschaft begründet. Gleichzeitig wurde
eine geologische Aufnahme des Kaplandes organisiert, welche, nun-
mehr unter der Leitung von A.W. Roses stehend, bereits zehn äußerst
wertvolle Jahresberichte erstattet hat. 1897 wurde eine geologische
Aufnahme der südafrikanischen Republik von G. A. F. MoLENGRAAFF
begonnen. Der Bericht über seine Arbeiten des Jahres 1898 ist das
letzte Druckwerk, das aus der republikanischen Staatsdruckerei im
Jahre ı900, also während des Krieges, hervorgegangen ist. 1899
endlich begann eine geologische Aufnahme von Natal unter der Lei-
tung von W. Anperson, und ist diese auch bereits im Jahre 1905
zu einem hoffentlich nur vorübergehenden Abschlusse gelangt, so hat
der Krieg, welcher um die Jahrhundertwende Südafrika erschütterte,
die Arbeiten der geologischen Aufnahme des Kaplandes nicht einmal
unterbrochen, und nur bedingt, daß dieselben von Westen her eine
ı S. Passarge, Südafrika. Eine Landes-, Volks- und Wirtschaftskunde. Leipzig
1908, S. 66.
23°
232 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
Zeitlang in die vom Kriege verschont gebliebenen östlichen Teilen
der Kolonien verlegt wurden, so daß wir gerade über die Abfall-
regionen des Drakensberges von seiten der Kapgeologen wichtige
Aufschlüsse erhalten haben. Nach dem Kriege wurde die geologische
Aufnahme von Transvaal neu organisiert und der Leitung von KynAston
unterstellt. In streng systematischer Weise ist dieselbe an die Her-
stellung einer geologischen Karte von ganz Transvaal in großem Maß-
stabe gegangen und hat namentlich das Gebiet des nördlichen Drakens-
berges näher untersucht, über dessen Abfall und Vorland wir erst
kürzlich in dem Berichte der Aufnahme für 1906 treffliche Dar-
stellungen erhalten haben. Wir sind daher heute in der Lage, den
geologischen Bau des Drakensberges auf Grund der Literatur viel ein-
gehender kennen zu lernen, als dies Surss bei Abfassung der einschlägi-
gen Kapitel seines klassischen Werkes möglich gewesen ist, zumal da
wir auch seit Erscheinen der einschlägigen Bände des Antlitzes der Erde
eine Reihe zusammenfassender Darstellungen über Südafrika erhalten
haben. Bereits 1833 hat A. Scuenck in grundlegender Weise die
Entwicklung von Südafrika behandelt!. 1901 hat sodann G. A. F. Mo-
LENGRAAFF die Ergebnisse seiner Forschungen zu einer ganz ausge-
zeichneten Geologie von Transvaal zusammengefaßt’, von der 1904
eine mannigfach bereicherte englische Übersetzung erschienen ist’.
1905 hat A.W.Rosers eine kurze, aber ungemein inhaltreiche Geo-
logie des Kaplandes veröffentlicht‘, und F. H. Harcn hat im Verein
mit G. S. Cosrtorrume in übersichtlicher Weise die Geologie von ganz
Südafrika behandelt’. Diesem Gegenstand hatte schon ein Jahr vor-
her PassarceE® in seinem ebenso groß angelegten wie weitschauend
durchgeführten Werke über die Kalahari mehrere Kapitel gewidmet.
Mir persönlich wird eine Darstellung des Drakensberges ganz
wesentlich dadurch erleichtert, daß ich selbst im September und
Oktober 1905 Gelegenheit hatte, anläßlich des Besuches der British
Association in Südafrika an zwei Stellen den Abfall des Drakens-
berges zu sehen. Ich nahm an den Exkursionen, welche die HH.
MOoLENGRAAFF und ANDERSoN in dem Distrikt von Vryheid und Harı
nach Devils Kontor führten, teil. Nach Abschluß der Versammlung
! A.Scnenck, Die geologische Entwicklung Südafrikas. Prrerm. Mitt. 1888, S.225.
2 G. A. F. MoLensraArr, Geologie de la republique sud-africaine du Transvaal.
Bull. Soc. geolog. de France (4) I, 1901, S. 13.
® G. A. F. MotenGrAAFF, Geology of the Transvaal. Translated by Ronaldson.
Johannesburg 1904.
* A. W.Rocers, An Introduction to the Geology of Cape Colony. London 1905.
5 F.H. Harca and G.S.CosrorPaine, The Geology of South Africa. London 1905.
6 S. Paıssarse, Die Kalahari. Versuch einer physisch-geographischen Darstellung
der Sandfelder des südafiikanischen Beckens. Berlin 1904.
Prncx: Der Drakensberg und der Quathlambabruch. 233
hatte ich dann ferner Gelegenheit, unter der Führung von Wiırrıam
Anperson weitere Teile von Natal zu besuchen. An sich würden
derartige kurze Exkursionen wohl kaum genügen, zu einem tieferen
Verständnis des geologischen Baues eines so großen Gebietes zu ge-
langen. Allein unter der ausgezeichneten Führung, die ich genoß,
und unter der mannigfaltigen Aussprache mit meinen Reisegefährten
lenkte sich der Blick immer aufs neue auf die weiteren Probleme,
welche mit den besuchten Gebieten im Zusammenhang stehen, und
manche sich aufdrängende Frage wurde bereitwilligst von den aus-
gezeichneten Führern beantwortet, wobei auch damals noch unver-
öffentlichte Beobachtungen zur Sprache kamen, so daß ich bald nach
meiner Rückkehr bereits in einem Vortrage' auf der Versammlung
deutscher Naturforscher und Ärzte eine Reihe von Problemen streifen
konnte, die nunmehr nach Publikation jener Beobachtungen ein-
gehender erörtert werden können.
Der Drakensberg ist kein einheitliches Gebilde. Der Name wird
dem Abfall des Hochlandes gegen Osten gegeben, wie auch dieser Ab-
fall beschaffen sei; er knüpft sich weder an eine bestimmte geo-
logische Struktur noch an bestimmte Gesteine. Zwei Gebiete sondern
sich scharf voneinander. Im Süden sind es ausschließlich Schichten
der Karruformation, welche sich an seiner Zusammensetzung betei-
ligen, und er bildet hier die scharf ausgesprochene Wasserscheide
zwischen dem Oranje und seinem Zuflusse, dem Vaal, auf der einen
und den zahlreichen, zum Indischen Ozean herabeilenden Flüssen von
Ostgriqualand nebst Pondoland, von Natal und Swaziland auf der
andern Seite. Im Norden besteht der Drakensberg aus den kam-
brischen oder präkambrischen Schichten des Transvaalsystems, und
hier bildet er keine Wasserscheide, sondern wird durchbrochen so-
wohl von den Quellflüssen des Komatiflusses als auch von dem Oli-
fantflusse. Nur den südlichen Drakensberg hat Surss bei seinen Dar-
legungen über das Quathlambagebirge im Auge; wir wollen daher
zunächst ihn betrachten.
Die geologische Schilderung, welche Grisssacn 1871 von Natal
gegeben hat, erweist sich auch heute noch, ebenso wie für die ganze
Kolonie, für den südlichen Drakensberg zutreffend. Er stellt ihn als
eine Aufeinanderfolge von Schichtstufen dar, gebildet von den wider-
standsfähigen Gliedern, insbesondere Diabaseinschaltungen, in den
mächtigen flach westwärts fallenden Karruschichten, welche einem
Sockel älterer Gesteine auflagern. Einen Quathlambabruch verzeichnet
ı A.Pencx, Südafrika und Sambesifälle. Verhandlungen d. Gesellsch. Deutscher
Naturforscher u. Ärzte. LXXVIII. Stuttgart 1906, I, S.147. Hewrners Geographische
Zeitschrift. XII, 1906, S. 601.
234 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
GRIESBACH nicht. Anpersons' Untersuchungen haben die Richtigkeit
dieses Profils in großen Zügen bestätigt; ihm ist gelungen, die mäch-
tige Folge von Karruschichten in eben dieselben Abteilungen zu zer-
legen, welche im Kaplande unterschieden worden sind. Der westlich
von Pietermaritzburg im Giants Castle, Cathkin Peak und im Mont-
aux-Sources mehr als 3000 m erreichende Drakensberg wird — vgl.
Profil II Durban-Parys S. 257 — aus den Stormbergschichten aufge-
baut, welche die obersten, möglicherweise schon in den unteren Jura
gehörigen Karrubildungen darstellen. Darüber breiten sich außer-
ordentlich mächtige basische Ergußgesteine, die Mandelsteinlaven’?.
Der 1000— 1500 m hohe Steilabfall, den Reumass auf eine Verwerfung
zurückführte, wird aus diesen durchweg flach gelagerten Gesteinen
gebildet. Weithin kann man auf Photographien schneebedeckte Schicht-
bänder verfolgen, deren horizontaler Verlauf durch keinerlei Verwer-
fung unterbrochen wird. Vor dem Steilabfall erstreckt sich ein breiter
Gürtel von Vorbergen; er besteht aus den beiden unteren Abteilun-
gen der Karruschichten, den mutmaßlich triasischen Beaufortschichten
und den permischen Eecaschichten. Ihre genauere Abgrenzung ist bis-
her noch nicht möglich gewesen, doch ist nach Anperson das Vor-
handensein der ersteren durch Wirbeltierreste, das der letzteren durch
die Glossopterisflora sicher gestellt. Merror” zweifelt aber, ob diese
Flora als ausschließlich charakteristisch für die Eecastufe gelten darf.
Sehr mächtige Intrusivlager von sogenanntem Dolerit kommen in beiden
Schichtgliedern vor und drängen stellenweise, wie z. B. um Lady-
smith und am Inhluzaniberge, die Sedimente stark zurück. Wo sie
auftreten, gibt es stufenförmige Abfälle; alle Gipfel des Vorberggür-
tels, die sich wiederholt bis rund 2000 m Höhe erheben, knüpfen
sich an injizierte Doleritmassen. Die Basis der Karruschichten wird,
wie fast allenthalben in Südafrika, von dem sogenannten Dwyka-Kon-
glomerat gebildet, der verfestigten Grundmoräne der permokarbonen
Vergletscherung. Der Name Konglomerat ist ein durchaus unpassen-
der, denn die Ablagerung besteht nicht aus verkitteten Rollsteinen,
und hat nicht die mindeste Ähnlichkeit mit dem deutschen Rotlie-
genden oder der subalpinen Nagelfluh. Sie gleicht vielmehr durchaus
einem festgewordenen Geschiebelehm oder Till. Ich habe daher das
Gestein Tillit genannt. Der Dwyka-Tillit Natals tritt in sehr wechseln-
ı W. Anperson, The Geology of the Drakensberg Mountains. III. Ann. Report
Geolog. Survey of Natal and Zululand. 1907, S.153.
2 F. F. Cuurcairr, Notes on the Geology of the Drakensbergen, Natal. Trans-
act. Philos. Soc. South Africa. X, 1899, S. 419.
3 E. T. Merror, The Position of the Transvaal Coal-Measures in the Karroo
Sequence. Transact. Geolog. Soc. South Africa. IX, 1906, S. 97.
Penck: Der Drakensberg und der Quathlambabruch. 235
der Mächtigkeit auf und planiert dadurch die gelegentlich, wie es
scheint, recht ansehnlichen Unebenheiten seiner Unterlage, die unter
ihm an verschiedenen Stellen deutliche, meist gegen Süden gerich-
tete Gletscherschliffe zeigt.
Insgesamt dürfte sich die Mächtigkeit der geschilderten Karru-
schichten auf 2000—3000 m belaufen. Sie ruhen einem Sockel von
paläozoischen Schichten auf, welcher, 1000 m Höhe nur selten über-
schreitend, die Küstenvorstufe des Drakensberges bildet. Es han-
delt sich hier um einen Sandstein ähnlich dem des Tafelberges bei
der Kapstadt; er wird als Tafelbergsandstein bezeichnet und zum
Silur gestellt. Diskordant unter ihnen heben sich archaische Gesteine
und Granite hervor. Im großen und ganzen bildet der Tafelberg-
sandstein mitsamt seiner alten Unterlage in der Küstenvorstufe eine
flache Antiklinale. Im Westen fällt er unter die Karruschichten ein,
im Osten biegt er zum Meere hinab, so daß die alten Gesteine nament-
lich in der Mitte des Streifens zutage treten; hier aber spannt sich
häufig über sie noch eine dünne Lage von Tafelbergsandstein hinweg.
Dort nun, wo letzterer im Osten sich zum Indischen Ozean ab-
biegt, stellen sich über ihm oder auch unmittelbar über dem liegenden
Granit wieder Karruschichten ein, der Dwyka-Tillit mit den hangenden
Eceaschiefern, und beide fallen ebenso wie ihre Unterlage meerwärts
unter einem Winkel von meist mehr als 10° ein. Diese Vorkomm-
nisse hat En. Surss im Auge, wenn er von Karruschollen spricht,
die an einem oder mehr großen Brüchen an der Küste von Natal
abgesunken seien. Auch Passarer findet, daß der Aufbau aus Staffel-
brüchen hier deutlich ist (S. 110). Aber ein Bruch liegt hier nicht
vor; es findet sich vielmehr eine ganz klar ausgesprochene Flexur.
Dieser Flexur der unteren Karruschichten auf der Ostseite der Anti-
klinale in der Küstenvorstufe entspricht auf der Westseite ein sanftes
Abfallen derselben Schichten von ihr, was auf dem von GRIESBACH
gegebenen Profile besser hervortritt als auf einem von ANDERSoN'
mitgeteilten, in der Natur aber unverkennbar ist; denn der Dwyka-
Tillit, der bei Camperdown (761 m) unter die Eccaschiefer eingesunken
ist, liegt 20 km weiter westlich bei Pietermaritzburg (678 m) bereits
unter der Talsohle; wir haben also ein Mindestgefälle von 4 Promille
nach Westen. Die antiklinale Schichtstellung beherrscht also nicht bloß
den wahrscheinlich silurischen Tafelbergsandstein Natals, sondern auch
die hangenden unteren Karruschichten, sie ist daher jünger als die
letzteren. Das Westfallen der Karruschichten läßt sich bis in den
! W. Anperson, Ideal Section from the Bluff to Pietermaritzburg. I. Rep. Geolog.
Survey of Natal and Zululand. 1902, Taf. XIV.
236 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
Drakensberg hinein verfolgen; welches Fallen die weiter westlich ge-
legenen Karruschichten der Hochflächen der Orange-River-Kolonie
haben, ist ebenso unbekannt wie deren Gliederung. Sicher ist nur
eines, daß sich unweit des Vaalflusses der Dwyka-Tillit mit seiner
Unterlage von älteren Gesteinen wiederum sanft hervorhebt. Das
geschieht, wie sich aus der Karte von Harc#' entnehmen läßt, in
etwa 1400m Höhe. Es muß also irgendwo in der Tiefe unter dem
Drakensberg oder unter der benachbarten Hochfläche das westliche
Fallen der Dwyka-Ablagerung aufhören und durch ein sanftes Ostfallen
ersetzt werden. Hiernach dürfen wir das Drakensberggebiet ebenso
als eine sehr flache Synklinale ansehen wie das Gebiet der Küsten-
vorstufe als flache Antiklinale.
Sicher haben sich die oberen Karruschichten des Drakensberges
und seiner Vorstufen einst weiter ostwärts erstreckt als heute, denn
sie brechen allenthalben an Erosionsrändern ab. Wie weit sie gereicht
haben, wissen wir nicht; wenn sie sich aber je bis an die Gestade
des heutigen Indischen Ozeans ausgedehnt haben sollten, so müßten
sie von hier bereits vor der jüngeren Kreideperiode gänzlich abge-
tragen worden sein, denn an der Küste hat ein auf dem Durbanbluff
angesetztes Bohrloch in geringer Tiefe obere Kreideschichten ange-
troffen, die in 239 m Tiefe unmittelbar auf Eecaschichten lagern’.
Weiter südlich, an der Grenze von Natal und dem Kapland,
liegen die Dinge ähnlich wie im besprochenen Profile (vgl. Profil IV
Umtamvuna-Bloemfontein S. 257). Nur ist der Steilrand des Drakens-
berges im Matatielegebiete nicht so hoch; er steigt im Ongeluks Nek
nur auf etwa 2700m Höhe an. Um so kräftiger entfalten sich die Vor-
stufen der Beaufort- und Ececaschichten dank dem Auftreten wahrer
Stöcke von Dolerit; sie kommen an Höhe dem Drakensberge in der
Umgebung von Kokstad ziemlich nah; stark verschmälert ist die
Küstenvorstufe, die von Anperson” untersucht worden ist. Sie stellt
sich als ein Plateau von Tafelbergsandstein mit einem Granitfuße
dar; letzterer wird auf weite Strecken vom Ozeane bespült, an
anderen aber biegen sich Tafelbergsandsteinschichten, stellenweise be-
deckt mit Dwyka-Tillit, dem Eeccaschiefer aufsitzen, seewärts ab; so
ist es in der Nähe der Umzimkulu-Mündung bei Port Shepstone.
Westwärts aber lagert dem Tafelbergsandsteinplateau allenthalben
Dwyka-Tillit auf. Es ist also nicht deutlich, ob die Küstenvorstufe
! Fr. Haren, A Geological Map of the Southern Transvaal. London 1903.
2 W. Anperson, On the Geology of the Bluff Bore. Durban, Natal. Transact.
Geolog. Soc. South Africa. IX, 1907, S. ıı1.
® W. Anperson, The Geology of Alfred County, Natal. III. Rep. Geolog. Survey
of Natal and Zululand. 1907, S. 105.
Penek: Der Drakensberg und der Quathlambabruch. 237
hier ebenso antiklinalen Bau aufweist, wie weiter nordwärts, aber
das Abbiegen der Tafelbergsandsteinschichten mitsamt dem Tillit und
den Eecaschiefern ist an vielen Stellen zweifellos. Weiter gegen
Süden wird die Küstenvorstufe schmaler und schmaler; Rocers und
Scuwarz' haben geschildert, wie sie schließlich wenig südwestlich
von Port Grosvenor am Waterfall Bluff durch eine ostwestlich strei-
chende Verwerfung abgeschnitten wird; weiter gegen Südwesten hebt
sich sodann an der Mündung des Umzimvubu bei Port St. Johns
abermals ein Streifen Tafelbergsandstein hervor, welcher von zwei
ostwestlich streichenden Verwerfungen begrenzt wird; dann ist unsere
Küstenvorstufe endgültig verschwunden. Zwischen Grosvenor und
St. Johns treten die unteren Vorbergschichten des Drakensberges, der
Dwyka-Tillit mit hangenden Schichten unmittelbar an die See, zu
der sie sich deutlich herabbiegen. Weiter südlich aber treffen wir
im Gebiete von Kentani die beiden langgedehnten, ostwestlich strei-
chenden, weithin zu Talzügen ausgewitterten Dioritgänge der Trans-
kei Gap, die Rocers und Scuwarz” näher kennen gelehrt haben.
Dieselben sind jünger als die mächtigen Lagergänge von Dolerit in
der dortigen Gegend, und verknüpfen die ostwestlich streichenden
Brüche, welche die Küstenvorstufe von Natal abschneiden, mit den
ostwestlich streichenden Kapfalten, die bei Port Elizabeth ins Meer
hinauslaufen.
Über den mehr als 1000 m hohen Steilabfall des Drakensberges
des Matatielegebietes hat uns E. H. L. Schwarz’ unterrichtet. Wir
treffen hier dieselbe Schichtfolge wie westlich Pietermaritzburg. Mäch-
tige basaltische Mandelsteinlaven krönen ihn hier wie da, darunter
lagern die Bank des Höhlensandsteines und die roten Schichten,
schließlich die Moltenosandsteine als unterstes Glied der Stormberg-
schichten. Stellenweise setzt der Höhlensandstein aus, und es kom-
men die Mandelsteinlaven unmittelbar auf die roten Schichten zu
liegen; es fehlt also auch hier nicht das Anzeichen einer Diskordanz
zwischen den obersten Partien der Stormbergschichten, deren auch
! A. W. Rocers and E. H.L. Schwarz, General Survey of the Rocks in the
southern part of the Transkei aud Pondoland, including a description of the Cretaceous
Rocks of Eastern Pondoland. (VI.) Annual Rep. Geol. Comm. Cape of Good Hope.
1901 (1902), S. 23.
® A. W. Rogers and E. H. L. Scuwarz, The Geological Survey of the Division
of Kentani. Ebenda S.48. The Transkei Gap. Transact. South African Philos. Soc.
XIV, 1903.
® E.H.L. Scawarz, Report on Part of the Matatiele Division, with an Account
of the Petrography of the Voleanie Rocks. (VII.) Ann. Rep. geol. Commiss. Cape of
Good Hope. 1902 (1903), S.ır. The Volcanoes of Griqualand East. Trans. South
Afrie. Philos. Soc. XIV, 1903.
238 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
ÄNDERSON aus seinem weiter nördlich gelegenen Gebiete gedenkt. Sehr
wichtig ist, daß die Mandelsteinlaven teilweise mit Eruptionsschloten
in Verbindung stehen. Scmwarz zählt deren 19 auf, welche größten-
teils mit Schlacken sowie von oben in sie hineingelangten Trümmern
erfüllt sind. Diese 19 Schlote liegen auf einer ungefähr südwestlich
(genauer S 60° W) streichenden Zone, welche gerade am Fuße des
Steilabfalles vom Drakensberg entlang läuft. Bei dieser Situation darf
nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, daß hier eine süd-
westlich streichende Vulkanlinie vorliegt, zumal da einige Schlote in
einer nordsüdlich streichenden Linie angeordnet sind, die sich mög-
licherweise unter den hangenden Laven weit nach Basutoland hinein
fortsetzt. In der Tat hat nu Torr' in den an das Basutoland süd-
wärts angrenzenden hochgelegenen Teilen des Kaplandes eine ziem-
lich unregelmäßige Verteilung der Vulkanschlote nachgewiesen. Aber
im großen und ganzen ordnen sich doch alle bisher bekannten Schlote
des Drakensberggebietes einschließlich derjenigen, die Dunx bereits vor
Jahren bei Jamestown und Molteno im Kapland aufgefunden hat, in
eine allerdings ziemlich breite N 60° E streichende Zone. Überdies
treten neben den Schloten des Matatielegebietes zahlreiche südwestlich
streichende Gänge von Mandelsteinlaven auf, welche die Mandelstein-
lavadecken gelegentlich durchschneiden. Wir haben es daher hier wohl
mit einer Hauptvulkanlinie zu tun. Dieselbe läuft der Küste annä-
hernd parallel; genau genommen bildet sie mit ihr einen Winkel von
15°. Ausdrücklich wird von Scuwarz hervorgehoben, daß mit den
Schloten keinerlei Verwerfungen verknüpft sind; sie sind einfache Durch-
schlagröhren, ähnlich den Kimberlitschloten bei Kimberley, aber mit
weniger basischem, ja vielfach saurem Material erfüllt.
Über die Vorberge des Drakensbergs unseres Gebiets haben wir
lediglich kurze Notizen von Anperson” erhalten. Dieselben reichen
aber durchaus hin, daß von einem großen Quathlambabruche hier ebenso
wenig die Rede sein kann wie weiter im Norden; nirgends werden
z.B. die Gesteine, die den Abfall des Drakensbergs krönen, die Mandel-
steinlaven und die leicht kenntlichen Höhlensandsteine, in tieferen
Niveaus angetroffen; es gibt immer nur kleinere Störungen im Konnex
mit Doleritintrusionen, doch bewirken diese kein Absinken größerer
! A.L. ou Torr, Geological Survey of Aliwal North, Herschels Barkley East
and Part of Wodehouse. IX. Ann. Rep. Geolog. Comm. Cape of Good Hope 1904
(1905), S.71. The Forming of the Drakensberg. Transact. South African Philos. Soc.
XV], I, 1905, S. 53.
®2 W. Anperson, Geological Traverse from Pietermaritzburg via Richmond to
the Umzinto Distriet. II. Rep. Geolog. Survey of Natal and Zululand. 1904, S. 119.
The Geology of ALrrep County. 11]. Rep. 1907, S. 105.
Penecr: Der Drakensberg und der Quathlambabruch. 239
Partien; gelegentlich hebt W. Anperson den Mangel an Brüchen
ausdrücklich hervor, und am Schlusse seines Berichts über den Ma-
tatieledistrikt wendet sich Schwarz direkt gegen die Annahme, daß
die Küstenumrisse durch Verwerfungen bedingt seien; er findet, daß
sie besser durch die Annahme von Verbiegungen erklärt werden könn-
ten. Am Abfalle der Drakensbergwände beobachtete Scuwarz, daß
die Stormbergschichten regelmäßig bergwärts, also gegen Westen fallen.
Dieses westliche Fallen muß irgendwo weiter westlich östlichen wei-
chen, denn es hebt sich in der Gegend von Kimberley die Basis der
Karruablagerungen mit dem Dwyka-Tillit wieder hervor. Wie weiter im
Norden hat das Gebiet des Drakensbergs mitsamt dem Basutolande
und der Orange-River-Kolonie flach muldenförmigen Bau, der aber im
einzelnen noch ganz unbekannt ist. Unser Profil IV S. 257 erhebt
nicht den Anspruch, ihn in Einzelheiten richtig wiederzugeben.
Wie weiter im Norden werden sich auch in unserem Profile die
oberen Karruschichten einst weiter nach Osten, in das Bereich der
Vorberge, vielleicht sogar in das der Küstenvorstufe, erstreckt haben.
Allein, wenn letzteres der Fall gewesen sein sollte, so müssen sie hier
bereits vor der Kreideperiode, ebenso wie bei Durban, entfernt worden
sein, denn auch hier finden sich an der Küste Schichten der oberen
Kreide. Sie sind seit langem bekannt. GeriEssacH hat sie als Izin-
hluzabalungaschichten beschrieben. Heute heißen sie vielfach Umtam-
vunaschichten, nach dem Flusse, südlich dessen Mündung sie vor-
kommen. Sie lehnen sich hier an ein Steilufer von Tafelbergsand-
stein. Rosers und Scuwarz schließen hieraus und aus der gerad-
linigen Erstreckung der Anlagerungsfläche, daß es sich um einen Bruch
handelt; doch konnte sich Anperson' von der Existenz eines solchen
nicht überzeugen. Nach ihm sind die weiter nordwärts an der Küste
unweit der Mündung des Umpenyati auftretenden oberen Kreideschichten
an das dortige Granitkliff regelmäßig angelagert.
Südlich von dem eben betrachteten Gebiete hört der Drakens-
berg auf. Der große nach Südosten gekehrte Steilabfall nimmt an
absoluter und an relativer Höhe ab und biegt schließlich nach Westen
hin um. Der Xalanga (2400 m) bezeichnet sein Westende, welches
hier wie am Mont-aux-Sources genau mit dem der großen Mandel-
steinlavadecke zusammenfällt.
Durch die fleißigen Untersuchungen von nu Toır sind wir über
dieses Gebiet besser unterrichtet als über irgend einen anderen Teil
des Drakensberges. Der nach Südosten und Süden gekehrte Steil-
ı W. Annerson, Cretaceous ‚Rocks of Natal and Zululand. III. Rep. Geolog.
Survey of Natal. 1907, S. 47-
240 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
abfall hat dieselbe Schichtenfolge, die wir bereits im mittleren Natal
kennen gelernt haben: Unter den Mandelsteinlaven der Höhlensand-
stein, darunter die roten Mergel und tiefer bis in die Vorberge hinein-
reichend die Moltenoschichten, denen hier zahlreiche Doloritlager inji-
ziert sind. Dann stellen sich die Beaufortschichten ein, die bis ans
Meer reichen, wo sie von Rosers und Schwarz im Kentanigebiete
näher kennen gelehrt worden sind. Die Lagerung ist durchweg eine
flache. Hier und da kommt, allerdings meist in Verbindung mit Do-
leritinjektionen, die stellenweise ganz bedeutende Dicke erhalten, eine
Verwerfung vor. Du Toır' erwähnt z.B. eine nordöstlich streichende
Flexur gerade unter der Xalangaspitze, längs welcher die Schichten
unter einem Winkel von 25° fallen. Aber er erwähnt ausdrücklich,
daß diese Flexur nur 10 km Länge habe. Einen großen Quathlamba-
bruch finden wir also auch hier nicht. Flach ist die Lagerung
der obersten Karruschichten im Bereiche des vom Steilrande umrahm-
ten Hochlandes. Du Torrs Profile und Ausführungen lassen deutlich
erkennen, daß es hier an irgendwelchen größeren Störungen fehlt:
er bemerkt lediglich flache Wellungen. Nach Norden zu gegen den
ÖOranje brechen die oberen Karruschichten mit einem ähnlichen Steil-
abfalle ab wie gegen Südosten und Süden. Der Steilabfall heißt eine
Strecke lang Witteberge; er hängt mit dem des Drakensberges durch
einen nach Westen gekehrten Steilabfall zusammen, an dessen Fuße
der Waschbankfluß fließt. Dieser Steilabfall besteht lediglich aus den
Mandelsteinlaven und dem Höhlensandstein, während sich der untere
Teil des Drakensbergabfalles, bestehend aus den roten Schichten und
den Moltenoschichten, im Steilrande der Stormberge weiter nach Westen
hin fortsetzt. Nördlich von ihm heben sich bei Aliwal North am
ÖOranje in 1630 m Höhe die obersten Beaufortschichten unter den
Stormbergschiehten hervor, die wir am Südfuße des Drakensberges
in 1220 m Höhe bei Cala verlassen haben. Nach pu Torrs Profilen
ist zwischen beiden Orten die Schichtlagerung im eigentlichen Dra-
kensberggebiete flach muldenförmig.
Wir lenken unsern Blick nun nach Norden (Profil II St. Lucia
Bai-Heidelberg S. 257). Das Aufhören der mächtigen Mandelsteinlava
decke des Basutolandes in der Gegend des Mont-aux-Sources bezeichnet
ein deutliches Herabschnellen in der Höhe des Drakensbergsteilabfalles.
Rasch sinkt seine Oberkante unter 2000 m Höhe herab. Noch ist er,
wie wir von AnpErson” erfahren, bis in die Gegend von Harrysmith,
! A.L. ou Torr, Geological Survey of Elliot and Xalanga, Tembuland. (VIH.)
Ann. Rep. Geolog. Comm. Cape of Good Hope 1903 (1904), S. 169.
® W. Anperson, Introduction. I. Rep. Geolog. Survey of Natal and Zululand.
1902, S. 9.
Pexex: Der Drakensberg und der Quathlambabruch. 241
wohin wir von Natal über den Van Reenens-Paß (1680 m) mit der Eisen-
bahn gelangen, von den obersten Strombergschichten gekrönt. Aber
weiter nördlich scheinen diese auszusetzen, und dort, wo die Eisenbahn
von Durban nach Johannesburg bei Volksrust (1655 m) die Wasserscheide
zum Vaalgebiete überschreitet, sah ich weder die weißen Höhlensand-
steine noch die darunter lagernden charakteristischen roten Schichten.
Der über 2000 m hohe Majubaberg nahe dem Übergange knüpft sich
hier an eine der äußerst zahlreichen Doleritinjektionen, die wir so-
wohl in den unteren Stormbergschichten als auch in den Beaufort-
und Eecaschichten der Vorberge des Drakensbergabfalles kennen. Es
senkt sich also auch hier im Norden die obere Kante des Drakens-
bergsteilrandes in tiefere geologische Horizonte herab, ganz ebenso,
wie wir es im Süden bei den Stormbergen gesehen haben. Zugleich
nimmt in den Verzamelbergen bei Wakkerstroom die Höhe des Steil-
randes ganz bedeutend ab. Von seinem Ostfuße ziehen sich Karru-
ablagerungen ununterbrochen bis zur Küstenebene des Zululandes herab,
welche sich als selbständiger Zug in der Oberflächengestaltung des
Landes nördlich von 29° S. einstellt. Dies geschieht aber nur auf
den Höhen. Die großen Täler des weißen Umfolozi und Pongola
schneiden daneben fast in ihrer ganzen Erstreckung ältere Gesteine,
Granite und Babertonschichten an. Wir begegnen Kuppen dieser
älteren Gesteine selbst bei Vryheid (1097 m hoch), und westlich Lüne-
burg reichen sie fast an den Fuß der Verzamelberge. Über diesem
älteren Gestein beginnt die Serie der Karrubildungen, in der Regel
mit dem Dwyka-Tillit, welcher gelegentlich in größerer Mächtigkeit
auftritt, starke Unebenheiten seiner Unterlage ausgleichend. Darüber
lagern zunächst kohlenfreie Schiefer und Sandstein, schließlich kommen
kohlenführende Schichten, die bei Paulpietersburg in 1470—148o m,
am Abfalle des Hlobaneberges bei Vryheid in 1200—1300 m Höhe,
am Gotsheberge in etwa 1050om Höhe und schließlich im Somkele-
(St. Lueia-) Kohlenfelde dieht an der Küstenebene in etwa 100— 200 m
Höhe auftreten. Moreneraarr' war anfänglich geneigt, diese Kohlen
in den Horizont der triassischen Stormbergschichten zu verweisen,
doch hat er sie später in seiner trefflichen Geologie von Transvaal
in einen tieferen Horizont, ungefähr in den der Beaufortschichten,
versetzt; denn wir haben es hier, wie allgemein in Transvaal, mit
Kohlen der Glossopterrisflora zu tun.
Das allmähliche Absinken der Karruschichten gegen Osten hin
wird gelegentlich durch Verwerfungen unterbrochen. »Scheinbar«,
ı G.A.F. MotenGrAArFF, Skizze von der geologischen Beschaffenheit des Distrikts
Vryheid. Geologische Aufnahme der südafrikanischen Republik. Jahresbericht für
1898. Pretoria 1900, S. 23.
242 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
schreibt MoLENGRAAFF, »sind diese Verwerfungen gelegentlich derart,
daß jedesmal die näher nach dem Ozean gelegene Scholle mit Bezug
auf die mehr landeinwärts befindliche herabgesunken ist.« Daneben
kommen auch Verwerfungen der entgegengesetzten Art vor. Eine
solche zeigte mir Hr. MorensraaArr am Umkusiflusse. Dort ist der
Östflügel der Verwerfung längs eines Doleritganges um 50m gegen-
über dem Westflügel gehoben. Ähnliches wiederholt sich weiter öst-
lich: da heben sich längs einer Verwerfung an dem Westfuße des
Kezaberges die Gesteine der Karruunterlage in das Niveau der Karru-
schichten herauf, welche östlich davon sich rasch nach Osten senken.
Unsere Verwerfung streicht aber nicht der Küste parallel, sondern
beinahe in rechtem Winkel dazu, nämlich nordwestlich. Mannigfachen
Unregelmäßigkeiten der Schichtlagerung begegnen wir endlich im
Zululande. Nach den Untersuchungen von Anperson' haben wir es
hier vor allem mit recht ansehnlichen Unebenheiten in der Unterlage
der Karruschichten zu tun, welche beispielsweise in der Umgebung
von Ulundi durch den Dwyka-Tillit keineswegs ausgeglichen werden.
Andererseits haben wir es in diesem Gebiete aber auch zweifellos
mit Verwerfungen zu tun. Auf Anpersons zweiter Karte des Zulu-
landes hebt sich beispielsweise das Granit- und Tafelsandsteingebiet
von Hlabisa längs einer nordsüdlich streichenden Verwerfung der
Karruschichten hervor, und zwar ist auch hier der seewärs gelegene
Flügel der Verwerfung der gehobene, der landwärts gelegene der
gesenkte.e Doch kommt in seiner Beschreibung des Hlabisagebietes
AnDERSoN auf diese Verwerfung nicht wieder zurück und führt die
Unregelmäßigkeiten der Lagerung hier lediglich auf Unebenheiten
des Untergrundes zurück. Endlich setzen sich am Umhlatuzi die
Karruschichten durch eine Verwerfung gegen einen Granitrücken ab,
der sie von der Küste trennt; also auch hier ist der meerwärts ge-
legene Flügel der Verwerfung der gehobene und der landeinwärts
gelegene der gesenkte. Unverkennbar ist schließlich, daß das Ost-
wärtsfallen der Karruschichten mit der Annäherung an die Küsten-
ebene des Zululandes sich verstärkt. Schließlich biegen sich die
Karruschichten unter einem Winkel von etwa 15°, stellenweise
von 25°, zur Tiefe. Sie werden hier bedeckt von Mandelsteinlaven,
welche Anperson von vornherein geneigt war, mit den Mandelstein-
laven des Basutolandes zu vergleichen. Auf diese Laven folgen hier
! 'W. Anperson, Report on the Reconnaissance Survey of Zululand. I. Rep.
Geolog. Survey of Natal 1902, S. 37. Further Notes on the Reconnaissance Survey
of Zululand. II. Rep. 1904, S. 37. Report on the Geology of the Melmoth Distriet
Zululand. Ebenda S. 129. The Geology of the Hlabisa and Somkele Distriets Zulu-
land. III. Rep. 1907, S. 131.
Pener: Der Drakensberg und der Quathlambabruch. 243
weiter solche von rhyolitischen Gesteinen, welche die Lebombokette
zusammensetzen. Es biegt gleich den Karruschichten ihre Kappe von
Ergußgestein gegen Osten ab; entsprechend dieser Abbiegung werden
am unteren Umfolozi und unteren Pongola die archaischen Gesteine
durch Karruablagerungen ersetzt.
In der Küstenebene des Zululandes herrschen, wie AnDERSoN ge-
zeigt hat, horizontal gelagerte Schichten der oberen Kreide in ziem-
lich ansehnlicher Verbreitung. Sie bilden dort, wo der Umfolozifluß
aus dem Bereiche der Mandelsteindecken heraustritt, den Umkwelane-
hügel, und nach Anpersons Ansicht lagern sie sich weiter südlich
am Umhlatuzi auf die kohlenführenden Karruschichten. Weiter nörd-
lich aber fand Anperson am Fuße der Lebombokette eine kretazeische
Strandbildung, in der auffälligerweise jedoch Rhyolithgerölle fehlen.
Überbliecken wir das eben betrachtete Profil, so sehen wir, daß
auch zwischen den Verzamelbergen und dem Zululande ein großer
Quathlambabruch fehlt, daß aber hier einzelne Verwerfungen auftreten.
Dieselben tragen jedoch nicht den Charakter von Staffelbrüchen: Wenn
wir seewärts wandern, kommen wir beim Überschreiten der Brüche
nicht auf jüngere Schichten, sondern mit einigen charakteristischen
Beispielen jeweils auf ältere Schichten, und es geschieht das Absinken
der Schichten nicht infolge des Einsetzens der. Brüche, sondern in
Gestalt einer allmählich gegen das Küstenland hin steiler werdenden
Abbiegung. Flach muldenförmige Schichtlagerung, wie sie uns
weiter im Süden im Bereiche des Drakensberges entgegentritt, ist
hier nicht nachweisbar. Die Dwyka-Ablagerungen, die wir in der Ab-
fallregion in etwa 1200 m Meereshöhe verlassen, treffen wir landein-
wärts im Transvaalgebiete zwischen den Bergen südöstlich von Heidel-
berg in größerer Erhebung von etwa 1400—1500 m wieder', und
sie werden hier unmittelbar von Kohlenvorkommnissen überlagert.
Die sanfte Abdachung des Drakensberges gegen Transvaal schneidet
also ganz ebenso wie die gegen die Oranje-River-Kolonie die Karru-
schichten quer durch und führt bei sanftem westlichen Fallen auf
immer ältere Schichten herab.
Ganz wesentlich anders als alle bisher betrachteten Profile ge-
staltet sich ein Durchschnitt durch den nördlichen Drakensberg (Profil I
S.257 Lourenco Marques-Kaalfontein). Die tiefen Täler der ihn durch-
brechenden Flüsse gewähren uns klaren Einblick in seinen Aufbau, so
z.B. das Tal des Krokodilflusses, in dem die Eisenbahn von Johannesburg
nach Lourenco Marques zur Küstenebene herabsteigt. Hier passieren
! H. Lurrman Jonnson, Notes on the Geology of the Fortuna Valley, Heidel-
berg. Transvaal. Transact. Geolog. Soc. S. Africa. VII, 3, 1904.
244 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
wir einen ganz ähnlichen Steilabfall wie am südlichen Drakensberg;
aber jener wird nicht mehr von Karruschichten gebildet, sondern von
älteren Gesteinen, die im Innern von Transvaal herrschen und danach
»Transvaalformationen« heißen. Von der Höhe des Devils Kontor
(1770 m) blicken wir, wie bereits MOLENGRAAFF in seiner Geologie von
Transvaal so anschaulich geschildert, von den Quarziten des Black Reef,
die um Johannesburg eine so große Rolle spielen, nach Osten hinab auf
ein viel tieferes Granitgebiet, durchflossen vom Kaapflusse; unten sanfte
und milde Formen, entsprechend dem tiefgründig verwitterten Gestein.
In den sanft gewölbten Rücken zwischen den einzelnen Tälern haben
sich häufig Regenschluchten, Dongas genannt, hineingefressen und haben
gelegentlich aus dem verwitterten Granit höchst abenteuerliche Formen
herausgeschnitten. Gegen Westen hebt sich Bergwelle auf Bergwelle
empor; aber jede Welle entspricht nicht einer Hebung, sondern eine
jede knüpft sich an ein widerstandsfähiges Glied der oberen Transvaal-
formation der Pretoriaquarzite mit ihren Diabaseinlagerungen. Von
ihnen sind wir getrennt durch eine Niederung von wechselnder Breite,
in welcher die leicht verwitterbaren Dolomite des Transvaalgebietes
ausstreichen. Ganz ebenso ist es nördlich vom Krokodilflusse, über
welches Gebiet uns A. L. Harz näher unterrichtet hat. Hier wird
die Mauchspitze (2660 m) und der benachbarte Andersonberg (2233 m)
von den sanft nach Westen fallenden Quarzitbänken und Diabasdecken
der Pretoriastufe gebildet. Vor ihnen liegt die Talung des Dolomites,
und östlich davon hebt sich der Black Reef-Quarzit im Spitzkopf 2160 m
hoch empor. Er bricht jäh über der tiefer gelegenen Granitlandschaft
ab, einen ausgezeichneten, weithin nach Norden verfolgbaren äußersten
Steilrand unsrer Zone von Steilrändern bildend. Nach den Unter-
suchungen von Harz! zeigt der ganze Lydenburger Distrikt die eben
geschilderte Anordnung: Wir haben es mit einer ganzen Serie ein-
zelner Schichtstufen zu tun, zwischen welchen sich Schichttäler er-
strecken. Zwar nicht am höchsten, aber allenthalben am schärfsten
hebt sich die unterste Stufe des Black Reef-Quarzites hervor. Ganz
ebenso ist es aber auch nördlich vom Olifantflusse, welches Gebiet
MError” einer ersten Aufnahme unterworfen hat. Hier verfolgen wir
den Steilrand des Black Reef bis zum Wolkberge (2100 m), wo er
unter rechtem Winkel umbiegt und sich landeinwärts unter dem Namen
Strydpoortberge noch eine Strecke weit fortsetzt. So ist der Wolk-
ı A.L. Hırr, The Geology of the Central Portion of the Lydenburg District,
between Lydenburg and Belvedere. Rep. Geolog. Survey 1906. Transvaal Mines De-
partment, S. 73.
2 E.T. Meıror, The Geology of the Distriet about Haenertsburg, Leydsdorp,
and the Murchison Range. Ebenda S. 21.
Pexcr: Der Drakensberg und der Quathlambabruch. 245
—
berg in ähnlicher Weise ein äußerster Endpunkt des langen Drakens-
bergzuges, wie im Süden der Xalanga, nämlich eine Stelle, wo der
Steilrand sich landeinwärts wendet.
Die gesamte Breite der dem Transvaalgebiet angehörigen Schwärme
von Schichtkämmen beläuft sich längs der Eisenbahn Pretoria-Lourenco
Marques auf 50—60 km. Die höchste Erhebung liegt hier auf dem
innersten Kamm, und dieser wird bei Belfast (1970 m) von flachge-
lagerten Karruschichten bedeckt. Letztere beginnen mit den Dwyka-
Tillit, auf denen kohlenführende Schichten folgen, die den Bergbau
von Belfast bedingen. Die Karte von Hunrnker' läßt klar erkennen,
wie sich die Karruschichten hier diskordant über die verschiedensten
Glieder des Transvaalsystems breiten und im Osten in einigen Aus-
läufern bis in das Gebiet des Krokodil- und Komatiflusses hinein-
ragen, wo sie einzelne Höhen krönen. Gegen Westen begleiten uns
die Karruschichten abwärts bei Middelburg vorüber bis zum Bronk-
horstspruit (1430 m); doch bilden sie keine zusammenhängende Decke,
sondern immer nur vereinzelte Vorkommnisse, zwischen denen sich
die Ausläufer des großen Waterbergsandstein-Gebietes von Middelburg
erheben, nämlich eines flach muldenförmig gelagerten Sandsteines,
welcher gewöhnlich als Äquivalent des Tafelbergsandsteins angesehen
wird. Mrıror” hat über dieses Gebiet eine Reihe wichtiger Mit-
teilungen gemacht und gezeigt, wie sich schließlich westlich vom
Bronkhorstspruit unter dem Tillit wieder die Pretoriaquarzite des
Transvaalsystems hervorheben, denen auch der Waterbergsandstein
diskordant aufgelagert ist. Wir bleiben also zwischen Belfast und
Bronkhorstspruit immer an der Sohle des Karrusystems, und diese
senkt sich auf der Strecke von ııokm um 540 m.
Nur dort, wo im regenreichen Monsungebiete leicht verwitter-
barer Granit unter dem Black Reef-Quarzite zutage tritt, hebt sich
dieser als Stufe hoch über tiefer gelegenes Land hervor, wo aber in
seinem Sockel anderweitige Gesteine, und zwar solche quarzitischer
Natur, herrschen, bildet auch das alte Gebirge ansehnliche Erhebungen.
So steigt im Gebiete südlich von Baberton aus dem Sockel des Trans-
ı W.A.Humrorey, On Portions of the Lydenburg and Carolina Distriets in
the Neighbourhood of Belfast and Machadodorp. Rep. Geolog. Survey. Transvaal
Mines Department. 1906, S. or.
2 E. T. Merror, Outliers of the Karroosystem near the junetion of the Elands
and Olifants Rivers in the Transvaal. Transact. Geolog. Soc. S. Africa. VII, 1904. On
some Glaeiated Land Surfaces oceurring in the Distriet between Pretoria and Balmoral,
with Notes on the Extent of a Distribution of the Glaeial Conglomerate in the same
area. Ebenda. The Geology of the Middelburg Distriet. Ebenda X, 1907, S.44. The
Geology of the Central Portion of the Middelburg District. Rep. Geolog. Survey.
Transvaal Mines Department. 1906, S. 53.
Sitzungsberiehte 1908. 24
246 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
vaalsystems der Zug der Makonjwaberge in der Devils Bridge bis zu
einer Höhe von 2075 m (vgl. Jerers Karte von Transvaal) empor, also
bis über die Höhe des Black Reef-Glintes. Nach Osten zu nimmt die
Höhe dieses alten Grundgebirges ganz allmählich ab; ihr Gipfelniveau
biegt sich seewärts herab, und schließlich setzen sich die älteren Gesteine
längs einer ziemlich genau nordsüdlich streichenden Linie scharf gegen
die Karruablagerungen ab. MorexsrAArr' mutmaßte hier einen großen
Bruch zwischen beiden, den er als Lebombobruch bezeichnet. Die
Untersuchungen von Kynasron’ haben jedoch ergeben, daß die älteren
Gesteine hier ganz regelmäßig unter die Karruschichten einfallen und
daß kein Bruch vorhanden ist. Die Karruschichten beginnen aber
hier nicht. wie sonst, mit dem Dwyka-Tillit, sondern setzen gleich
mit Sandstein ein, in denen sich alsbald die Kohlenlager von Komati
Poort einstellen. Der ganze Komplex fällt 10° E. unter Mandelstein-
laven ein, die ganz ähnlich denen des Basutolandes sind; diese Mandel-
steinlaven senken sich unter die Rhyolithlavadecke der Lebombokette.
Es ist also hier genau dieselbe Schichtfolge wie weiter südwärts am
Umfolozi. Unmittelbar unter den Mandelsteinlaven finden sich ferner
Sandsteine, ähnlich dem Höhlensandstein des Drakensberges und dar-
unter rote Mergel, ebenso wie dort. Kysaston ist daher der Meinung,
daß wir es hier auch mit den obersten Gliedern der Karruformation
zu tun haben und daß dieselben Schiehten, die weiter südwärts das
Hochland des Basutolandes aufbauen, hier am Fuße des Burenhoch-
landes an der Grenze gegen die Küstenebene vorliegen. Die Karru-
schichten und die Mandelsteinlavadecken erscheinen glatt abgeebnet.
Die Rhyolithe hingegen bilden eine Kette von 600 bis 700 m Höhe,
die dureh ihre jähe, mauerartige Aufragung den Eindruck eines breiten
Ganges macht, aber in Wirklichkeit nichts anderes darstellt als den
Denudationsrand eines schräg gelagerten Schichtkörpers. In der Tat
wird die Kette ganz nach der Art eines am Rande einer Flexur
herausgearbeiteten Schichtkammes von zahlreichen Durehbruchtälern
gequert. Im Osten grenzt sie an das Küstenland mit seinen Kreide-
schichten, welch letztere bei Lourenco Marques nach Kırıan“ bis ins
Aptien herabreichen.
Ein großer Quathlambabruch existiert also auch in unserem
nördlichen Profile des Drakensberges nicht. Kysaston hat bereits
ı G.A. F. Morensraarr, Transact. Geolog. Soc. South Afriea. IV, 1898, S. 119.
Geology of the Transvaal S. 79.
2 H. Kynasron, The Komati Poort Coalfield. Mem. Geol. Survey Transvaal.
No. 2. The Geology of the Neighbourliood of Komati Poort. Transaet. Geolog. Soc.
South Afriea. IX, 1906, S. 19.
® W.Kırıan, Über Aptien in Südafrika. Zentralblatt f. Mineralogie usw. 1902,
S. 465.
Pexer: Der Drakensberg und der Quathlambabruch. 247
ausgesprochen, daß die Karruschichten von Komati Poort möglicher-
weise längs einer großen Monoklinalfalte, also einer Flexur vom
Hochlande, abgebogen seien. PassarcE hält dies in seinem Süd-
afrika für eine den bisherigen Anschauungen widersprechende Auf-
fassung. Er glaubt, Kynaston stütze sich lediglich auf die Tat-
sache, daß die Verlängerung der Komati Poort-Schichten in der
Richtung ihres Ansteigens landeinwärts bis auf das Transvaalhoch-
land hinaufführe. Das Wesentliche an der Sache ist, daß der große
östliche Randbruch von Südafrika an der einzigen Stelle, wo er bis-
her durch Beobachtungen festgelegt zu sein schien, nach den Unter-
suchungen von Kynasron als nicht vorhanden hingestellt werden muß.
» Wollte man«, fährt PassarsE fort, »mit der Verlängerung des Ein-
fallwinkels auch in anderen Schollenländern eine einfache Abbiegung
beweisen, so würden nicht viele Horste mit nachgewiesenen Spalten
auf der Erdoberfläche übrigbleiben, vorausgesetzt, daß die abge-
sunkenen Schichten, wie das bei Komati der Fall ist, nur an einer
Stelle aufgeschlossen sind.«e — Dem ersten Teil dieses Satzes ist
durchaus beizupflichten: Nur zu häufig hat man bloß aus der ver-
schiedenen Höhenlage von Schichten auf Brüche geschlossen, ohne
in Erwägung zu ziehen, daß jene Erscheinung auch durch Abbiegen
von Schichten erklärt werden kann. Dringend nötig erscheint uns
eine Revision der zahlreichen bloß konstruierten, nicht auch durch
Beobachtung sichergestellten Brüche der Erdkruste. Mit dem zweiten
Teile seiner Äußerung aber hat PassarscEe unrecht: Wir treffen die
abgebogenen Schichten nicht bloß bei Komati Poort, sondern können
sie von hier aus am ÖOstfuße der Lebombokette ununterbrochen bis
in das Zululand hinein verfolgen, und hier sehen wir, wie sie an-
steigen und sich landeinwärts bis in das Hochland von Transvaal
hinauf ununterbrochen erstrecken. Hier ist also die von Kynasron
gemutmaßte Abbiegung ununterbrochen zu verfolgen, worauf letzterer
bereits hingewiesen hat.
Es erübrigt jetzt nur noch zu zeigen, in welcher Weise die bei
Belfast aufgeschlossenen Karruschichten mit denen im nördlichen
Natal abgebogenen zusammenhängen. Südlich Belfast greifen im Ge-
biete von Carolina die Karruschichten weiter und weiter nach Osten
über die einzelnen Glieder des Transvaalsystems hinweg, bis sie
schließlich am rechten Ufer des Komatiflusses in der Gegend von
Steynsdorp bis unmittelbar auf deren Grundgebirge zu liegen kom-
men. Von hier an zieht sich ihr Ostsaum im Gebiete von Ermelo
allenthalben gegen das Urgebirge angrenzend über Amsterdam, Piet
Retief bis in die Gegend von Lüneburg am Pongola, an dessen Süd-
ufer wir sie dann bis ins Zululand ununterbrochen verfolgen können.
24*
248 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
Der geschilderte Ostrand des Karrusystems zwischen Komatifluß und
Pongola aber fungiert nicht als Wasserscheide, wie bei Belfast, son-
dern die Wasserscheide zwischen dem Vaalflusse und den Zuflüssen
des Indischen Ozeans liegt hier auf der Höhe des Hochlandes von
Transvaal, dessen Oberfläche sich also hier ebenso nach Osten ein
Stück weit sanft abdacht, wie sonst nach Westen hin. Die alten Ge-
steine des Swazilandes erscheinen sohin lediglich als der bloßgelegte
Sockel der sich ostwärts abbiegenden Karruschichten; den nördlichen
Drakensberg aber, dessen Gipfel die angrenzenden Karruschiehten an-
sehnlieh überragen, können wir dementsprechend als bloßgelegten
Kern einer außerordentlich flachen Aufwölbung der Karruschichten
ansehen.
So erweisen sich denn die beiden Teile des Drakensberges struk-
turell als erheblich voneinander verschieden: dem Bauplan des süd-
lichen liegt eine flache Einbiegung, dem Plan des nördlichen eine
sanfte Aufwölbung der Karruschiehten zugrunde; dabei sind aber
beide morphologisch nahe miteinander verwandt: beide sind Schicht-
stufen, echte Glinte, sich knüpfend an die widerstandsfähigen Glieder
der eingebogenen oder aufgewölbten Schichten. Diese beiden so ver-
schieden konstruierten Gebiete aber befinden sich längs einer Zone,
in welcher sich die Karruschiehten mit ihrem Sockel älterer Gesteine
zum Meere hin abbiegen.
Für die Altersbestimmung dieser großen Flexur ist von Bedeu-
tung, daß von ihr auch die Laven des Zululandes ergriffen werden,
von denen, wie schon erwähnt, die Mandelsteinlaven von Kynaston
mit denen des Basutolandes parallelisiert werden. Hiernach würde
unsere große Abbiegung erst nach den mächtigen Massenergüssen er-
folgt sein, die in Südafrika am Schlusse der Karruzeit, also nach Be-
ginn der Juraperiode, erfolgten. Allerdings stützt sich jene Paralleli-
sierung zur Zeit lediglich auf die Wiederholung der gleichen Sehiehten-
folge: rote Schichten, weißer Sandstein und Mandelsteinlaven im
Zululande ebenso wie im Basutolande, und bedarf noch einer schär-
feren Stütze durch den Nachweis der Stormbergflora in den unteren
Partien dieses Komplexes. Aber wenn dieser Nachweis auch noch
aussteht, so liegt doch andererseits auch kein Grund vor, in ähnlicher
Weise wie Passarer, der mehr oder weniger deutlich einen Zusammen-
hang zwischen Randbrüchen und vulkanischen Ergüssen mutmaßt,
nunmehr einen solchen zwischen der Entstehung unserer Flexur und
der vulkanischen Tätigkeit anzunehmen. Zu bezweifeln ist allerdings
nicht, daß dureh die Injektion gewaltiger Doloritmassen in die unteren
Abteilungen des Karrusystems vom Kaplande und Natal sowie auch
vom östlichen Transvaal eine merkliche Anschwellung dieser Schichten
Pener: Der Drakensberg und der Quathlambabruch. 249
verursacht gewesen sein muß, denn nach den Angaben von Rosers!'
machen die Intrusionen stellenweise etwa ein Viertel der gesamten
Schichtmächtigkeit aus, diese aber beläuft sich für Eeea- und Beau-
fortschichten insgesamt auf 2600 m, so daß wir eine Hebung von
600— 700m bloß auf Konto von Intrusionen setzen könnten. Allein
auch diese Intrusionen werden, wie uns das Bohrloch am Bluff bei
Durban lehrt, von der Flexur abgebogen; denn das Bohrloch hat
unter den oberen Kreideschichten auch Doleritintrusionen in den Eeca-
schichten erschlossen.
Für Beurteilung unserer Flexur ist weiter von Bedeutung, daß
längs ihr die Kreideschichten mit den verschiedensten Gliedern des
abgebogenen Komplexes in Berührung treten, und zwar kommen sie
auf immer ältere zu liegen, je weiter nach Süden wir gehen. Im
Zululande liegt am Fuße der Lebombokette ein kretazeischer Strand;
bei Durban lagern die Kreideschichten auf Eccaschiefern der unteren
Karru, um Umtamvuna am Fuße von Kliffen im Granit oder Tafel-
bergsandstein. Wir entnehmen hieraus, daß unsere Flexur keine be-
stimmte Schichtoberfläche, sondern eine alte Landoberfläche betrifft,
welche die verschiedensten Schichten, die wir am Ostabfalle des süd-
lichen Drakensberges kennen gelernt haben, durchschneidet. Es fehlt
nun nieht an Anzeichen dafür, daß eine solche alte Landoberfläche
noch heute vorhanden ist, und zwar tritt sie uns in Gestalt einer
Rumpffläche entgegen. Die Eisenbahn von Pietermaritzburg nach
Durban führt auf der Höhe zwischen Umgeni und Umlazi und ge-
stattet weite Ausblicke. Man hat, sobald man die Höhe erreicht
hat, den Eindruck, auf einer weiten Hochebene sich zu befinden.
Diese Hochebene nun schneidet bei Thornville (916 m) die Eeca-
schiefer, bei Camperdown (761m) den Dwyka-Tillit quer ab, führt
dann weiterhin über den Tafelbergsandstein auf den Granit von In-
changa (752 m) und bei Bothashill (739 m) wieder auf‘ den Tafelberg-
sandstein zurück; auf diesem senkt sie sich rasch abwärts, über Pine-
town (343 m) nach Malvern (170 m). Dort erreicht unsere Hochfläche
wieder den Dwyka-Tillit und kommt schließlich bei Durban auf Eeca-
schiefer. Die ganze flache Antiklinale der Küstenvorstufe wird durch
diese Rumpffläche quer abgeschnitten, und letztere ist es, welche
bei Durban untertaucht und den Kreideschichten des Bluff als Sockel
dient.
Wie weit sich diese Rumpffläche erstreckt, läßt sich heute nicht
mit Bestimmtheit sagen. Nach der Geländedarstellung der von der
geologischen Aufnahme von Natal herausgegebenen Spezialkarten ein-
! A. W. Rocers. The Geology of the Cape Colony. 1905. S. 273.
250 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
zelner Distrikte im Maßstabe ı: 94000 zu urteilen, reicht sie über
die gesamte Küstenvorstufe vom Zululande aus bis an die Grenze des
Kaplandes. In der Tat wird sie auch von ANDERSONn immer als ein
Plateau bezeichnet, und zwar das des Tafelbergsandsteins, wenn auch
Anperson daneben immer hervorhebt, wie sich an der Zusammen-
setzung dieses Plateaus sowohl der ältere Granit als auch die älteren
Karruschiehten beteiligen.
Von Wichtigkeit wird sein, das Verhältnis unserer von jung aus-
sehenden Tälern tief zerschnittenen Rumpffläche zu den Vorbergen des
Drakensberges und zu diesem selbst kennen zu lernen. Es sind zwei
Fälle denkbar: sie kann in bezug auf beide die Rolle einer jener Rumpf-
flächen spielen, die wir nicht selten am Fuße von Gebirgen antreffen,
z.B. am Nordfuße der Alpen in der Gegend von Murnau oder am
Fuße der Karpathen südlich von Witkowitz, und die wir durch seit-
liche Erosion der aus dem Gebirge kommenden Flüsse, also durch
Zusammenwachsen benachbarter Talböden, entstanden denken können.
Es ist aber auch möglich, daß sich unsere Rumpffläche hinwegwölbte
über den ganzen Drakensberg und seinen Vorstufen, und daß dieser
aus ihr herausgeschnitten wurde. Die Eisenbahnfahrt von Johannes-
burg nach Pietermaritzburg führt quer über das ganze obere Tugela-
gebiet hinweg; es geht vom oberen Buffalogebiet im Distrikte New-
castle (1186 m) zum Sunday River bei Elandslaagte und Klip River bei
Ladysmith (1001 m), es geht bei Colenso (962 m) über den Tugela,
bei Esteourt (1168 m) über den Bushmansfluß, bei Weston (1389 m)
über den Mooi River. Der Charakter aller dieser Täler, die teilweise
bis zur Höhe des Rumpfes auf der Küstenvorlandstufe eingeschnitten
sind, ist ein auffällig übereinstimmender: breite Furchen mit sanft
ansteigenden Gehängen, häufig mäandrierend, wie namentlich bei Est-
court. Breite, sanft fallende Talsohlen, die zu einem Rumpfe ver-
wachsen könnten, fehlen; vielmehr zeigen sich überall dort, wo die
Flüsse quer über Doleritlager fließen, Stromschnellen, manchmal aber
auch stattliche Wasserfälle. Ich habe nichts bemerkt, was die An-
nahme stützen könnte, der Rumpf auf der Küstenvorstufe Natals sei
ein Piedmontrumpf des Drakensberges und seiner Vorberge. Dagegen
ist die sanfte Westabdachung des Drakensberges abermals eine
Rumpftläche. Die Hochflächen des Burenhochlandes entsprechen,
wie wir gesehen haben, nicht einer bestimmten Schichtoberfläche. Sie
senken sich im ÖOranjegebiete sanft von den oberen, im Transvaal-
gebiete von den mittleren Karruschichten bis zu den unteren herab,
und die einzigen Erhebungen, welche hier die sanfte Abdachung unter-
brechen, knüpfen sich an widerstandsfähige Doleritlager oder -gänge;
alle die zahlreichen Kranz- und Spitzberge tragen den Charakter von
Pener: Der Drakensberg und der Quathlambabruch. 251
Monadnocks. Die Flüsse aber schneiden nicht in scharf ausgesproche-
nen Tälern ein, sondern fließen inmitten breiter, sich sanft nach ihnen
senkender Furchen. Diese Rumpffläche des Hochlandes bricht nun
ebenso auf der Kante des südlichen Drakensberges ab, wie die der
Küstenvorstufe in dessen Fußregion aufhört. Der naheliegende Ge-
danke, daß beide Rumpfflächen einander entsprechen, wird wesentlich
dadurch befestigt, daß zwischen dem nördlichen und dem südlichen
Drakensberge, im Gebiete von Ermelo und Carolina, die Rumpftläche
des Hochlandes sich auch nach Osten senkt, weswegen die Wasser-
scheide zwischen Vaal und Zuflüssen des Indischen Ozeans auf ihr zu
liegen kommt. Endlich habe ich im Gebiete von Vryheid, wo sich die
Karruschichten zwischen Pongola und Weißem Umfolozi zum Küsten-
saume herabbiegen, den Eindruck erhalten, als ob die Höhen einer
Rumpflläche angehörten. Der gesamte Landschaftscharakter ist hier
ebenso wie in Transvaal; die Erstreckung der ehemaligen Südafrika-
nischen Republik gerade in dieses Gebiet hinein erscheint als eine
Ausdehnung auf gleichem Boden.
So liegen denn nach dem dermaligen Stande unserer allerdings
noch recht lückenhaften Kenntnis die Dinge im Drakensberggebiete
ganz ebenso wie im Kaplande. Auch hier bricht das Burenhochland
längs eines Steilrandes jäh ab, den Rrumans anfänglich auch auf einen
Bruch zurückführte, während wir heute dank der eingehenden Unter-
suchungen der Kapgeologen wissen, daß eine Schichtstufe, ein typi-
scher Glint vorliegt. Davor liegt die ebene und hügelige Große Karru;
zwischen dieser und dem Meere erhebt sich aber der Schwarm der
Kapfalten. Die Flüsse nun, welche am Glinte entspringen, fließen im
Gouritzgebiete quer durch die Kapfalten hindurch. Anfänglich hat
man geglaubt, letztere hätten sich quer über dieses Flußsystem hin-
weg aufgewölbt und seien von dessen Gliedern währenddes durch-
schnitten worden. Bei der näheren Erforschung des Kaplandes hat
sich dann aber eine andere Vorstellung aufgedrängt: A. W. Rocers'
hat gezeigt, daß das Gouritzflußgebiet ein konsequentes ist, zur Ent-
wicklung gekommen auf einer kontinuierlichen Abdachung, die sich
vom Hochlandrande zur Küste zog; E. Scuwarz’ hat diese Abdachung
dann bestimmt als Peneplain im Sinne von W. M. Davıs bezeichnet
und von ihrer Verbiegung gesprochen. So erscheint uns Südafrika
zwischen Burenhochland und Kap sowie Natal als eine einzige groß-
artige verbogene Rumpfiläche.
A. W. Rocers, The Geological History of the Gouritz River System. Transact.
South African Philos. Soc. XIV, 4, 1903.
2 E. Schwarz, The Rivers of Cape Colony. The Geographical Journal. London
1906, XXVII, S. 265.
252 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
Diese Vorstellung habe ich bereits 1906 gelegentlich meines Vor-
trags auf der Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte in
großen Umrissen entwickelt, wobei ich mich allerdings, entsprechend
dem Charakter meiner Ausführungen, auf Einzelheiten nicht einlassen
konnte. Dies hat bei PassareE die durchaus irrige Vorstellung er-
weckt, als ob es sich lediglich um Wiedergabe der Eindrücke einer
kurzen Kongreßreise handle. Dank den erwähnten günstigen Um-
ständen habe ich mich vielmehr bei meinem Vortrag in Stuttgart
etwa in gleichem Umfange wie heute auf die Arbeiten südafrikanischer
Geologen stützen können.
Der südliche Drakensberg, nach seinem geologischen Bau eine flache
Synklinale, erscheint nach den hier entwickelten Anschauungen als eine
flache Aufwölbung, welche allerdings unbedeutender ist als die Syn-
klinale und letztere nicht zu verwischen vermag. Daß er über seine
Umgebung emporgehoben worden ist, wird auch von den Kapgeologen
angenommen, die ihn näher erforscht haben; denn anders ist nicht
zu verstehen, wieso er bei muldenförmiger Schichtlagerung seine Um-
gebung so weit überragen kann. Allerdings ist seine Höhe zu einem
guten Teile durch die mächtigen Massenergüsse des Basutolandes be-
dingt, aber wenn wir uns auch letztere hinweggenommen denken,
bleibt die Tatsache bestehen, daß die von Stormbergschichten ein-
genommene Muldenmitte den Muldenrand überragt. Daß diese ge-
hobene Synklinale wegen der ihr auflagernden Ergußgesteine zu einem
hydrographischen Zentrum wurde, von dem aus der Oranje und Vaal,
der Umzimvubu und Tugela ausstrahlen, erscheint begreiflich. Da-
gegen überrascht es, daß der nördliche Drakensberg kein Wasserteiler
ist, obwohl er, wie wir zu zeigen versuchten, einer sanften Auf-
wölbung der Karruschichten entspricht. Er wird in seiner ganzen
Breite vom Komati samt Krokodilfluß sowie vom Olifantfluß durch-
brochen; an seinem Nordende treten ferner Flüsse, deren Quellen am
Nordende des Strydpoortglint gelegen sind, in letzteres hinein und
queren es, wie Merrror kürzlich geschildert, in engen Schluchten. Wir
können diese verschiedenen Durchbrüche nicht in gleicher Weise er-
klären. Bei Strydpoortglint handelt es sich um Durchbrüche aus der
weitverbreiteten Familie der Glintdurchbrüche, die sich allgemein unter
der Annahme verstehen lassen, daß zur Zeit der Anlage der Durch-
bruchflüsse das Glint noch nicht herausgearbeitet war und eine Ab-
dachung vom Gebiete des heutigen Glintflusses über die Höhen des
Glintes hinweg sich erstreckte. Wir haben aus den Strydpoortdurch-
brüchen lediglich zu schließen, daß sich einst im Bereiche des nörd-
lichen Drakensberges eine Abdachung vom Gebiete der alten, seither
stark abgetragenen Gesteine in das der Transvaalquarzite erstreckte,
Penck: Der Drakensberg und der Quathlambabruch. 253
daß also eine Rumpfebene vorhanden war, die heute gänzlich zerstört
ist. Der Olifant-, Krokodil- und Komatifluß haben keine Glintdurch-
brüche. Sie sind, falls die in der Lagerung der Karruschichten an-
gezeigte Aufwölbung des nördlichen Drakensberges dort am beträcht-
lichsten war, wo die höchsten Erhebungen vorkommen, Antiklinal-
durchbrüche, wie solche in der Regel dort gebildet werden, wo Auf-
wölbungen quer über Flußläufen hinweg entstehen. Wir hätten sie
danach als antezedente Durchbrüche zu bezeichnen. Allerdings könnte
man sich auch vorstellen, daß die heutige Wasserscheide bei Belfast
als eine Antiklinalscheide über einer Aufwölbung des Rumpfes sich
entwickelt hatte, wie weiter südlich im Gebiete von Carolina und
Ermelo. Dann müßte man die höheren Gipfel des Drakensbergs, die
Mauch- und Andersonspitze sowie die Devils Bridge als Aufragungen
aus dem alten Rumpfe auffassen, so wie sie uns in Transvaal häufig
dort entgegentreten, wo die Gesteine des Transvaalsystems an die
Oberfläche kommen. Zwischen ihnen könnte eine ununterbrochene
Abdachung des Rumpfes bestanden haben, ähnlich derjenigen, welcher
der Limpopo heute zwischen Magaliesberg und Palalaplateau folgt.
So lassen denn gerade die hydrographischen Verhältnisse einiger-
maßen offen, ob die Achse der Aufwölbung der Karruschichten im
nördlichen Drakensberg mit jener Verbiegung der späteren Rumpf-
fläche genau zusammenfällt. Möglicherweise kann man die hier offen-
zulassende Frage durch Beobachtungen an den Höhen des nördlichen
Drakensbergs zur Entscheidung bringen, obwohl hier dank der kräf-
tigen Erosion der von den Monsunregen gespeisten Flüsse die vor-
kretazeische Rumpffläche so gut wie gänzlich zerstört ist; für ihre Fest-
legung haben wir zwischen Hochlandsaum und Lebombokette keinen
festen Anhaltspunkt. Die breite Ebenheit aber der Mandelsteinlaven
und Karruschichten vom Komatipoort, welche sich nach den Pro-
filen von Kysaston zu urteilen bis in das Bereich der alten Ge-
steine fortsetzt, ist jedenfalls jünger als die zerstörte kretazeische
Rumpffläche zwischen dem Burenhochland und Küste; denn sie liegt
tiefer als die Lebombokette, und ihre Abflüsse queren die letztere.
Die Dinge scheinen hier ähnlich zu liegen wie im südlichen Kap-
lande, wo Rocers und Scnwarz auch mehrere Rumpfebenen unter-
scheiden; speziell die in Rede stehende von Komati Poort erinnert
in vielen Stücken an die der großen Karru, deren Abflüsse ja auch
das Bereich der Kapfalten queren.
Die große präkretazeische Flexur, die sich sowohl im Sehicht-
bau, als auch in der Oberflächengestaltung der Küstenvorstufe im
Östen von Südafrika so deutlich ausspricht, fällt auf eine große Strecke
mit der Küste von Natal zusammen. Jedoch ist dieses Zusammen-
254 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
fallen kein absolutes. Im Norden, wo sich das Küstenland des Zulu-
landes erstreckt, erfolgt der Abfall zu den großen Meerestiefen ver-
hältnismäßig sanft in einiger Entfernung von unserer Flexur; im
Süden aber, im Bereiche des Pondolandes wird dieselbe von dem
Küstenverlauf schräg durchschnitten, und zwischen der Mündung des
Umtamvuna und der des großen Keiflusses senkt sich der Boden des
Meeres angesichts der Küste ungemein jäh zu großen Tiefen herab.
Wir können daher unsere Flexur nicht zu jenen großen Flexuren
rechnen, die wiederholt am Abfall der Kontinente gemutmaßt worden
sind, und müssen hervorkehren, daß sie mit jenem Abfalle einen
spitzen Winkel einschließt. Nahe liegt allerdings der Gedanke, daß
auch jener kontinentale Steilabfall den Charakter einer Flexur trägt,
und daß er im wesentlichen dadurch zustande gekommen ist, daß
sich an der einen Seite das Land aufwölbte und auf der anderen
das Meer einsenkte. Daß die durch die schräge Stellung der Rumpf-
fläche in der Küstenvorstufe angezeigte Aufwölbung des Landes noch
fortdauert, lehren uns die Flüsse, welche jene Rumpffläche zerschnei-
den. Ihre Täler sind durchschnittlich eng, so daß der Verkehr sie
meidet und die benachbarten Höhen aufsucht: das Gefälle ist noch un-
ausgeglichen, Stromschnellen und Wasserfälle kommen an den Flüssen
Natals auch unweit der Küste vor. Wir haben es also hier mit jugend-
lichen Talformen zu tun, welche im Bereiche eines Küstenlandes nur
auf eine kürzlich erfolgte oder noch anhaltende Hebung schließen
lassen. Wie es sich nun mit dem angrenzenden Meere verhält: ob
sich sein Boden einbiegt, wie es der Annahme einer Flexur ent-
sprechen würde, wissen wir nicht. Wir können lediglich aus der
Tatsache, daß vor den Mündungen der Flüsse von Natal ein Auf-
schüttungsschelf fehlt, schließen, daß hier Senkungen stattgefunden
haben. Lenken wir nun unsere Blicke auf den Küstenverlauf selbst,
so treffen wir hier bald Hebungs-, bald Senkungserscheinungen,
und zwar in unmittelbarer Vergesellschaftung miteinander. Im all-
gemeinen macht die Küste von Natal den Eindruck einer gesunkenen
Küste: die Flüsse münden in untergetauchten Tälern, die allerdings
in der Regel durch Sandbarren verschlossen sind und nur ganz aus-
nahmsweise, nämlich bei Durban, den Wert von natürlichen Häfen
erlangen. Wie tief die Senkung der Täler geht, lehren einige Daten
von Anperson': er berichtet, daß ein Bohrloch im Mündungstale des
Umzimkulu bei Port Shepstone bei 43 m Tiefe noch nicht den felsi-
gen Talgrund erreicht hat, so daß wir hier auf eine in jüngster geo-
! W.Anperson. On the Geology of Bluff Bore. Durban, Natal. Transact.
Geol. Soc. South Africa. IX. S.ııı. 1907.
Penex: Der Drakensberg und der Quathlambabruch. 255
logischer Vergangenheit erfolgte Senkung mindestens um diesen Be-
trag schließen müssen. Neben solchen Senkungserscheinungen haben
wir an der Küste Hebungserscheinungen, auf die bereits Gr&ssacn
hingewiesen hat. Solche zeigt beispielsweise das Bluff von Durban
an. Dieses Bluff ist ein sandiger Rücken, welcher sich parallel der
Küste entlang zieht und mit dieser den Hafen von Natal einschließt.
Letzterer erinnert an einen seewärts geöffneten Küstensee, das Bluff
hingegen an einen alten, ziemlich hohen, nunmehr gänzlich bewachse-
nen Dünenwall auf einer Nehrung. Seine stellenweise lose verkitteten
Sande haben die unregelmäßige Schichtung und das Aussehen von
Dünensanden. Unter ihnen heben sich stärker verkittete, schräg fallende
Sande hervor, welche an der Spitze des Bluff den Cave Rock bilden.
Über dem lockeren Sandstein des Cave Rock nun findet sich im Bluff
selber, bedeckt von dessen Sanden, 5—6 m über dem heutigen Meeres-
spiegel ein alter Strand mit Geröllen von Tafelbergsandstein und
schwarzen Gesteinen (Tillit?). Dazwischen fand ich einzelne Schalen,
die Dr. Sturanyv in Wien an Östrea cucullata Born. erinnerten, also
an eine Art, die heute an der Küste von Natal lebend vorkommt.
Möglicherweise entspricht dieser Strand dem von 20 Fuß Höhe
an der Außenseite des Bluff, den Anperson' erwähnt, vorausgesetzt,
daß dieser hier nicht eine in das Bluff hineingearbeitete Strandlinie
im Auge hat, und wahrscheinlich entsprechen ihm die marinen Sande
und Muscheln auf der Berea von Durban, von denen gleichfalls Anper-
son berichtet. Kaum 50 km südlich, unfern von den ausgesprochenen
Senkungserscheinungen in Port Shepstone nahmen Rogers und Schwarz
im Pondolande drei Terrassen wahr, die eine in 60 m, die zweite in
240 m, die dritte in 360 m Höhe über dem Meere, die sie als Litoral-
terrassen ansprechen, wie solche weiter im Süden an der Küste des
Kaplandes in großer Ausdehnung vorkommen. Ein solches Neben-
einander von Hebungs- und Senkungserscheinungen hat vielfach den
Gedanken an eine besonders große Beweglichkeit in der Lage des
Meeresspiegels geweckt, da man sich scheut, anzunehmen, daß das
Land in kurzen Intervallen den Sinn seiner Bewegungen so häufig
geändert habe. Es läßt sich jedoch leicht erkennen, daß ein der-
artiger häufiger Wechsel im Sinne der Bewegung der Uferlinie auch
mit der Bildung einer großen Küstenflexur in Beziehung stehen kann.
An einer solchen Flexur unterscheiden wir einen gehobenen
Flügel und einen gesenkten Flügel. Zwischen beiden liegt der Knoten
der Flexur, der stabil ist, und um den sich alles andere wie um
ein Scharnier dreht. Liegt nun (Fig. ıa) der Knoten K einer Küsten-
! W. Anperson, Preliminary Report on the Geology of the Neighbourhood of
Durban. 1I. Rep. Geolog. Survey of Natal. 1904, S. 105 (115).
256 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
Fig. 1.
Meeresspiegel u K =
flexur genau im Meeresspiegel, so hebt sich das Land und senkt sich
der Meeresboden, ohne daß Veränderungen der Küstenlinie eintreten;
liegt er über dem Meeresspiegel (Fig. ıb), so senkt sich mit dem
Boden des Meeres auch ein Stück des Küstensaumes, und wir erhalten
neben einem sich hebenden Lande Senkungserscheinungen an der Küste,
wie wir dies in so ausgesprochener Weise in Natal sehen. Liegt end-
lich der Knoten der Flexur unter dem Meeresspiegel (Fig. ı c), so erhebt
sich mit dem Lande auch ein Stück des Meeresbodens, und wir erhalten
neben einem sich senkenden Meeresbeecken Hebungserscheinungen.
Nun dürfte es in der Natur wohl kaum vorkommen, daß der Knoten
einer großen Flexur seine Lage unveränderlich beibehält, sondern
bei der Weiterbildung der Flexur dürften sich leicht Veränderungen
in seiner Lage ereignen. Liegt der Knoten nun durchschnittlich in
der Nähe des Meeresspiegels, so wird er daher bald über, bald unter
demselben erscheinen, und es wird dieselbe Küste bald Senkungs-,
bald Hebungserscheinungen aufweisen, obwohl sich das benachbarte
Land konstant hebt und das benachbarte Meer konstant senkt. Wir
können daher sagen, daß der unregelmäßige Wechsel von Hebungs-
und Senkungserscheinungen an der Küste von Natal mit der An-
nahme, daß sie eine Flexurküste sei, durchaus im Einklang steht.
Dagegen harmoniert der häufige Wechsel in der Bewegung der Strand-
linie an der Küste von Natal nieht mit der Vorstellung, daß sie eine
Bruchküste sei, entstanden durch das Absinken von Schollen, denn an
einer solchen Küste können wir ausschließlich und allein Senkungs-
erscheinungen erwarten. Mit der Erkenntnis aber, daß wir neben den
Bruch- und Faltungsküsten des Atlantischen und Pazifischen Typus
von Epvarn Surss auch noch einen dritten Typus der Flexurküsten
besitzen, bereichern wir nicht bloß die Zahl der prinzipiell wichtigen
Küstentypen, sondern eröffnen auch neue Ausblicke auf die Entstehung
der Ozeane und der Kontinente.
Bemerkungen zu den Profilen durch den Drakensberg (S. 257).
Die mitgeteilten Profile beruhen nicht auf direkter Beobachtung
in der Natur, sondern sind entworfen nach der vorliegenden Literatur,
und es konnte die Höhenlage der einzelnen Schichtglieder, nament-
257
Prncx: Der Drakensberg und der Quathlambabruch.
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258 Gesammtsitzung vom 27. Februar 1908. — Mittheilung vom 13. Februar.
lich im Bereiche des südlichen Drakensberges, nieht genau angegeben
werden. Entschieden zu hoch ist die Sohle der Mandelsteinlaven
in Profil III gezeichnet; sie liegt, wie ich während der Drucklegung
aus der Arbeit von Unurcrirı ersehe, nur wenig über 2000 m. Vor
allem aber mußten die Höhen, um den Schichtbau klar erkennen zu
lassen, sehr bedeutend, nämlich 2ofach überhöht werden. Dement-
sprechend erscheinen die Mächtigkeiten der flach gelagerten Schichten
im südlichen Drakensberg sehr viel ansehnlicher als die steiler ge-
neigten Schichten, z. B. der von Komati Poort. Entsprechend der
Überhöhung sind auch die Tangenten aller Fallwinkel 2ofach ver-
größert, und es erscheint das Einfallen der sich zum Indischen Ozean
abbiegenden Schichten sehr viel steiler, als es in Wirklichkeit ist.
Ausgegeben am 12. März.
259
SITZUNGSBERICHTE 1908.
Xı.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
5. März. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
*|. Hr. Auwers berichtete über den weitern Fortgang seiner Be-
arbeitung der älteren Brapreryr' schen Beobachtungen.
Seit der vorjährigen Berichterstattung sind die Einzelresultate der Beobachtungen
am Passageninstrument für die letzten ı2 Stunden der RA. zusammengestellt, die
Mittelörter für 1745.0, mit Ausschluss der wenigen nach dem vorigen Bericht einst-
weilen zurückzustellenden Tage, vollständig gebildet und alle stärker abweichenden
Beobachtungen revidirt worden. Darauf wurden die Quadranten-Beobachtungen in
Angriff genommen, und zwar zunächst die Durchgänge. Aus diesen sind für die ganze
Reihe 1743 —1753 die genäherten — noch mit den Fehlern des Limbus behafteten —
scheinbaren Rectascensionen, und die in demselben Sinne genäherten Rectascensionen
für 1745.0 bis zum 29. August 1744 abgeleitet, und die Fehler des Limbus bis dahin
durch vollständige Vergleichung der Beobachtungen mit dem Catalog für 1755 in erster
Annäherung bestimmt. Diese Fehler haben sich als sehr beträchtlich erwiesen, lassen
sich aber für den ganzen Bogen vom Zenith bis in die Nähe des Südhorizonts — we-
nigstens für die bis jetzt behandelte Periode, die nahe die Hälfte aller am Quadranten
beobachteten Durchgänge von Catalogsternen enthält — sicher genug bestimmen, so
dass gute Ergebnisse für die Reetascensionen auch von den Quadranten-Beobachtungen
erwartet werden dürfen.
*2. Derselbe legte ein von Hrn. Dr. Rıstexrarr zusammenge-
stelltes Verzeichniss grösserer Eigenbewegungen vor, die bei
der Bearbeitung der »Geschichte des Fixsternhimmels« aufgefunden
worden sind.
Die Übertragung der gesammelten Sternörter auf Aeq. 1875 ist seit Mitte v.J.
im Gange, zunächst für die Sterne nördlich vom Aequator, und für diese bis jetzt in
den ersten drei Stunden der RA. ausgeführt. Die dabei neu zum Vorschein gekom-
menen Eigenbewegungen sind vorläufig genähert bestimmt und werden zusammen mit
den früher bei den Eintragungen gefundenen grösseren Werthen aus den späteren
Stunden und für südliche Sterne in einer Liste von 174 Objeceten mitgetheilt, um neue
Bestimmungen dieser Sterne zu veranlassen. Die, später fortzusetzende, Liste wird in
den »Astronomischen Nachrichten« erscheinen.
3. Hr. Branca legte einen vorläufigen Bericht über die Er-
gebnisse der Trinil-Expedition der Jubiläums-Stiftung der
Stadt Berlin vor.
Die von Frau Prof. Serenka geführte Expedition hat in einigen 40 grossen Kisten
die reiche Ausbeute aus den Pithecanthropus-Schichten nach Berlin gebracht. Erst spä-
260 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 5. März 1908.
tere Untersuchung dieser fossilen Fauna kann genauen Aufschluss geben über ihre
Beziehungen zur heutigen und zur jungtertiären Fauna. Besonders bemerkenswerth
sind dabei ein Affen- (Anthropomorphen-?) und ein Menschenzahn, die beide fossil
sind. Auch angebliche Spuren menschlicher Thätigkeit sind in diesen Schichten ge-
funden, die jedoch — soweit sie bis jetzt untersucht sind — als beweisend nicht
angesehen werden können. — Endlich ist das geologische Alter der Pithecanthropus-
Schicht jetzt paläontologisch als ein diluviales festgestellt worden, indem in derselben
Süsswasser-Mollusken gefunden wurden, die nach den Bestimmungen von Hrn. MArrın
in Leiden sämmtlich noch heute lebenden Arten angehören.
Branca: Über die Trinil-Expedition. 261
Vorläufiger Bericht über die Ergebnisse der Trinil-
Expedition der Akademischen Jubiläums-Stiftung
der Stadt Berlin.
Von W. BrancA.
Dr Erträgnisse der von der Stadt Berlin bei Gelegenheit der Zwei-
hundertjahr-Feier dieser Akademie gemachten Jubiläums-Stiftung wur-
den im Jahre 1906 an Frau Prof. SeLexkA vergeben, zum Zwecke von
Ausgrabungen bei Trinil an der berühmten Fundstätte des Pithecan-
thropus erectus.
Die Vergebung der Stiftung an Frau SeLeskA findet ihre Erklärung
in drei Punkten: einmal hatte Frau SELEnkA bewiesen, dass sie wohl
imstande sei, ein Unternehmen wie dieses durchzuführen; denn sie hatte
bereits sehr viel Schwereres geleistet, indem sie' allein nach Borneo
ging, um dort an der Spitze einer Expedition ungefähr 4 Monate lang
im Urwalde das Material zu beschaffen, welches Prof. SELENkA für seine
Untersuchungen brauchte. Sodann verpflichtete sich die Genannte, zu
der ihr von der Stiftung zur Verfügung zu stellenden Summe noch
einen sehr namhaften Betrag aus eigenen Mitteln zuzuschiessen, wo-
dureh natürlich die Gewinnung einer sehr viel grösseren Ausbeute er-
möglicht wurde. Endlich aber erklärte sich Frau SrrenkA bereit, zur
Sicherung der nothwendigen geologischen und paläontologischen Beob-
achtungen einen Sachverständigen in den Dienst der Expedition zu
verpflichten.
Schon im Jahre zuvor machte Hr. Prof. Vorz während seiner Reise
nach Sumatra auf Bitte von Frau SeLenka einen kurzen Aufenthalt
auf Java, um noch vor Beginn der Ausgrabungen bei Trinil die Geo-
logie dieses Gebietes zu studiren. Das Ergebniss seiner Untersuchung
ging dahin, dass die knochenführenden Schichten, in denen der Pithec-
anthropus gefunden worden war, aus vulcanischen Schlammtuffströmen”
! Nach der in Folge von Krankheit nothwendig gewordenen Rückreise ihres jetzt
verstorbenen Mannes, des Zoologen SELENKA.
?2 Vgl. über Schlammtufiströme W. Branco, Schwabens Vulean-Embryonen. Jahres-
hefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg 1894 und 1895, Th. III,
Allgemeines über Tuffe S. 688.
Sitzungsberichte 1908. 25
262 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 5. März 1908.
beständen und höchstens alt-, vielleicht mitteldiluvialen Alters seien,
so dass die, übrigens von vielen ja nicht getheilte Vorstellung, Pithee-
anthropus sei ein directes zeitliches Bindeglied zwischen Mensch und
Affe gewesen, vollends hinfällig werde'.
Schon im selben Jahre, im Juni 1906, wurde mit der Anlage gross-
artiger künstlicher Aufschlüsse an beiden Gehängen des Soloflusses
begonnen. Diese wurden bis in den October des nächsten Jahres 1907
hinein fortgesetzt. Wegen der Bewältigung so grosser Erdarbeiten
war es wünschenswerth erschienen, einen in solchen technischen Dingen
bewanderten Mann zur Ausführung der tiefen Einschnitte zu gewinnen,
der dann in der Person des holländischen Mineningenieurs OPPENOORTH
das Technische der Grabungen von Anfang Februar 1907 an leitete.
Als Geologe kam Mitte März 1907 Hr. Dr. Erserr im Dienste der
Expedition nach Trinil. Mitte Juli gab derselbe seine Stellung bei
der Expedition auf, machte jedoch im Dienste derselben noch eine
etwa ıytägige Reise in das Pandang. An seine Stelle trat Mitte Juli
Hr. Dr. Carruaus, welcher bis zur Beendigung der Ausgrabungen Mitte
October dort verblieb.
Da es Frau Sereska wünschenswerth erschien, dass schon jetzt
eine kurze Mittheilung über das, was durch die Expedition erreicht
wurde, veröffentlicht würde, so stellte sie mir zu diesem Zwecke den
ihr von Hrn. Dr. Carruaus übergebenen Bericht und ebenso das von
demselben entworfene Profil und die Situationsskizze zur Verfügung.
Eine Veröffentlichung einer ausführlichen Arbeit des genannten Herrn
ist erst für später geplant.
Die folgenden Darlegungen haben also die Beobach-
tungen und Aufzeichnungen des in Java weilenden Hrn.
Dr. Carruaus zur Grundlage, zu der ich mir eigene Bemerkungen
hinzuzufügen gestatten werde.
Die Erlaubniss zur Vornahme der Ausgrabungen bei Trinil und
der unverkürzten Ausfuhr der zu gewinnenden Fossilien ist von der
Niederländisch-Indischen Regierung in dankenswerthester Weise ertheilt
worden; und in wahrhaft fürstlicher Liberalität hat diese hohe Re-
gierung der Expedition nicht nur einen grossen Theil der für die
Ausgrabungen nöthigen Arbeiter kostenlos zur Verfügung gestellt und
denselben militärische Vorgesetzte beigegeben, sondern auch freie Ver-
frachtung aller für die Expedition nothwendigen Transporte auf der
Insel und freie Fahrt für die Theilnehmer der Expedition bewilligt.
Auch noch für dieses Jahr, 1908, hat die Niederländisch -Indische
! Neues Jahrbuch f. Mineral. etc. Festland 1907, S. 256. Globus, Braunschweig,
Bd. 92, 12. Dec. 1907, S. 341.
Branca: Über die Trinil-Expedition. 263
Regierung der Frau Srrenka eine Erlaubniss zur Vornahme weiterer
Ausgrabungen bis zum ı. August gegeben, »soweit solche unter ihrer
Leitung stattfinden würden«, so dass sich, nachdem die grossen Auf-
schlüsse einmal hergestellt sind, die Möglichkeit weiterer Aufsamm-
lungen mit verhältnissmässig geringen Kosten ergiebt.
Der Norddeutsche Lloyd und die Deutsch-Australische Dampfer-
gesellschaft haben durch Gewährung freier Fracht bez. bedeutender
Frachtermässigung für die zahlreichen Kisten der Expedition gleichfalls
diese wissenschaftliche Expedition in dankenswerther Weise gefördert.
In paläontologischer wie geologischer Beziehung hat die Expe-
dition sehr erfreuliche Ergebnisse gezeigt. Die Ausbeute an fossilen
Knochen, welche die Expedition bei Trinil zusammengebracht hat,
liegt in Gestalt des Inhalts von einigen 40, zum Theil riesigen Kisten
vor uns, so dass sich nun über die mit Pithecanthropus vergesell-
schaftet gewesene Fauna in breitester Weise ein Bild wird gewinnen
lassen. Auch die Altersverhältnisse erfahren durch den Bericht des
Hrn. Dr. Carrnaus vollkommene Klärung. E. Dusors hatte bekanntlich
die Altersgrenze zwischen Jungtertiär und Altdiluvial gesteckt.
Vorz war zu einem mitteldiluvialen Alter gelangt, indem er das Alter
des Vulecanes Lawu, welcher das Material zum Aufbau der Pithecan-
thropus-Schichten lieferte, als höchstens altdiluvial feststellte.
Wenn man also bisher wesentlich aus geologischen Gründen, der
Lagerung u. s. w., auf ein diluviales Alter der Pithecanthropus-Schichten
hatte schliessen können, so ist jetzt durch die von der Expedition
gesammelten Mollusken aus diesen Schichten das diluviale Alter paläon-
tologisch begründet worden. Auf die fossile Säugerfauna konnte und
kann man meiner Ansicht nach bisher eine sichere Altersbestimmung
noch nicht begründen, da sie ja erst der genauen Untersuchung harrt.
Die leise Hoffnung freilich, dass ein glücklicher Zufall noch
weitere Reste des Pithecanthropus der Expedition in den Schoss werfen
könnte, hat sich leider nicht erfüllt. Indessen sind doch dort Dinge
gefunden, welche diesem zoologisch nahe stehen und hohes Interesse
besitzen: Zwei gut erhaltene, zweifellos fossile Zähne, von denen der
eine, wie es scheint, einer neuen Anthropomorphengattung, der
andere aber einem Menschen angehört. Dieser letztere ist freilich
nicht direct in den Knochenschichten gefunden, sondern am Ufer des
Flusses. Indessen unterliegt seine Fossilität, meiner Ansicht nach,
keinem Zweifel; und aus anderen, als den in Frage stehenden Schichten
kann er wohl nicht herrühren.
Der Bericht des Hrn. Dr. Carruaus giebt aber noch von weiterem
Nahestehenden Kunde. Er berichtet über das Auffinden von Holz-
kohle und von eigenthümlich gestalteten Knochenstücken, was ihm den
25°
264 Sitzung der physikalisch-mathematischen Ulasse vom 5. März 1908.
Gedanken nahelegte, dass es sich hier um Spuren menschlicher
Thätigkeit handeln könne. Das würde natürlich von ausserordentlicher
Wichtigkeit sein, wenn es sich bestätigen sollte; denn wir würden
dann in denselben Schichten mit Pithecanthropus zusammen bereits
Spuren menschlicher Thätigkeit haben; und jener Fund eines Menschen-
zahnes, dessen Lager sich leider durch direete Beobachtung nicht
feststellen lässt, würde dadurch genauer fixirt werden.
Ich möchte mich nun zunächst diesem letzteren Punkte zuwen-
den, der natürlich nur mit der allergrössten Vorsicht zu prüfen sein
wird. Ein sicheres Urteil vermag ich noch nicht abzugeben, da
gerade die Kisten, welche den grösseren Theil dieser Stücke enthal-
ten, noch unterwegs sind. Das aber, was ich bis jetzt von diesen
Dingen sehen konnte, kann als beweisend nicht gelten.
Vor Allem möchte ich betonen, dass den Stücken von Holzkohle
keinerlei Gewicht beigelegt werden darf, da sie in vuleanischem Ge-
biet und, noch mehr, direet in vuleanischen Tuffen gefunden worden
sind; denn die fraglichen Schichten bestehen aus solchen. In vul-
canischem Tuffe aber müssen vereinzelte Stücke verkohlten Holzes
viel eher auf die Thätigkeit der heissen Asche als auf diejenige des
Menschen zurückgeführt werden. Allerdings soll es sich hier bei
Trinil um die bei javanischen Vulcanen noch heute nicht seltenen
Schlammtuffe handeln, die als durchwässerter Brei zu Thale geflossen
und abgelagert sind; und in einem wässerigen Schlammtuffstrome
wird freilich keine Verkohlung eintreten können. Wohl aber könnte
die Verkohlung von Hölzern geschehen sein an irgend einer anderen
Stelle dieses Gebietes, an welcher der Breistrom nicht zu Thale ging;
oder aber bei einem anderen Ausbruche, bei dem es überhaupt nicht
zur Bildung von Schlammtuffströmen gekommen ist. Die auf solche
Weise entstandenen Kohlestückehen konnten dann sehr wohl in einen
Schlammtuffstrom später eingewickelt werden. Nur also, wenn man
ausgedehnte, direete kohlige Feuerschichten auf der Oberfläche einer
der Schichten des Trinilprofiles finden könnte, würde damit der Be-
weis geführt sein, dass die Kohlen vom Menschen herrühren.
Verdächtiger dagegen erscheinen mir zwei verkohlte Stücke, die
ihrer Struetur nach nicht aus Holz, sondern aus Knochenmasse be-
stehen dürften. Hier scheinen thierische Knochen vorzuliegen, die
bis in das Innerste hinein in Kohle verwandelt sind. Es ist aber
auch hier die Möglichkeit nicht durchaus von der Hand zu weisen,
dass ein Thier unter so heisser vulcanischer Asche begraben wäre, dass
es verkohlte. Gerade die glühenden Wolken des Mont Pele haben das
ja bekanntlich an ungefähr 30000 Menschen und zahlreichen Thieren
erwiesen. Indessen ist doch zu erwägen, dass einmal diese Wolken
BrancA: Über die Trinil-Expedition. 265
des Mont Pele eine ungemein viel höhere Temperatur besassen, als
sie den normal in die Luft aufgestossenen vulcanischen Aschen
beim Niederfallen dann noch zukommt; und zweitens habe ich den
Berichten über den Ausbruch des Mont Pele nur entnehmen können,
dass bei den glühenden Pelewolken lediglich das Fleisch der Menschen
bez. Thiere verkohlt, die Knochen aber nur ealeinirt worden seien.
Eine so vollkommene Verkohlung von Knochen bis in’s Innerste hin-
ein, wie das bei den in Rede stehenden zwei Stücken der Fall ist,
könnte daher doch den Gedanken erwecken, dass hier Wirkungen
eines vom Menschen erregten Feuers vorliegen; zumal es ja über-
haupt höchst fraglich ist, ob bei Trinil überhaupt derartige glühende
Wolken ausgestossen worden sind. Selbstverständlich aber bedürfte
es sichererer Beweise, um das Dasein des Menschen hier aus dem
Bereiche der Möglichkeit in den der Sicherheit zu rücken.
Als verdächtig könnte "man ferner eine Anzahl distaler Gelenk-
enden von Röhrenknochen ansehen wollen, welche von dem Schafte
abgebrochen sind. Der Umstand, dass die Bruchfläche immer ziem-
lich senkrecht zu der Längserstreckung des Knochens steht, kann so
gedeutet werden, dass hier mit Absicht durch einen Schlag auf die
Epiphyse letztere vom Röhrenknochen abgebrochen sei, um das Mark
aus letzterem zu gewinnen; denn bei Bruchflächen, die durch Trans-
port entstehen, werden, so könnte man geltend machen, oft auch
mehr der Länge nach gerichtete Bruchflächen entstehen. Hr. Dr.
CartHaus betont auch eine Schwärzung der Fpiphyse, die den Ein-
druck erwecke, als ob mit Hülfe von Feuer ein Flüssigwerden des
Markes bewirkt worden sei. Auch hier scheint mir indessen Vorsicht
geboten; denn wenn man nach Abschlagen des distalen Gelenkendes
das Mark aus dem Schafte auf solche Weise gewinnen wollte, so
würde man doch diesen letzteren erwärmen müssen, nicht aber das
erstere. Es würden also die Feuerspuren am Schafte haften müssen,
während sie sich doch gerade am Gelenkende befinden. Will man
also diese Schwärzung an den Knochen doch auf Feuer zurückführen,
so bleibt nichts übrig, als anzunehmen, man habe das Mark durch
Feuer flüssig machen wollen, bevor man die Epiphyse abschlug; und
das hätte eigentlich keinen Zweck.
Die anderen hier bis jetzt vorliegenden vermeintlichen Spuren
menschlicher Thätigkeit müssen wohl gleichfalls zunächst mit grosser
Vorsicht betrachtet werden: Einige Stücke von Proboseidier -Stoss-
zähnen könnten ganz sicher mit ihren schneidenden Schärfen als Werk-
zeug oder Waffe benutzt werden. Ob aber diese Stücke wirklich ab-
sichtlich von dem Stosszahne abgesplittert worden sind, das lässt sich
durch keinerlei Schlagmarken sicher erweisen.
266 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 5. März 1908.
Von anderen Knochen, welche aufgeschlagen zu sein scheinen,
lässt sich meines Erachtens ebenfalls nichts Sicheres sagen. Am auf-
fälligsten erscheinen noch zwei Stücke; ein kleines pfriemförmiges
und ein sichelförmig gebogenes, das an beiden Enden zugespitzt ist,
darum, weil man sie als Waffe oder Werkzeug benutzen könnte.
Ob man sie aber zu diesem Zwecke benutzt oder gar hergestellt hat,
lässt sich mit Sicherheit hier nicht sagen.
Selbst also, wenn an anderen Stellen Javas unzweifelhafte Spuren
menschlicher Thätigkeit oder gar Reste des Menschen gefunden werden
sollten, so wäre nach den mir bisher vorliegenden Stücken ein Gleiches
für Trinil noch keineswegs erwiesen. Es müsste auch weiter die Gleich-
altrigkeit, d.h. also das diluviale Alter, dieser an anderen Stellen
Javas gemachten Funde dann mit diesen Trinilschichten nachgewiesen
werden; denn sehr leicht könnte es ja sein, dass man in jüngeren
Ablagerungen, als die Trinilschichten es sind, menschliche Spuren an
anderen Orten Javas fände; und dann dürfte man selbst verständlich
aus diesen nicht Rückschlüsse auf das in den älteren Trinilschichten
Gefundene machen.
Das Gesagte bezieht sich wie gesagt nur auf das mir zur Zeit
vorliegende Material. Diesem gegenüber ist meiner Ansicht nach grosse
Zurückhaltung geboten. Nun schreibt aber Hr. Dr. CarruAaus, dass auch
noch 3 oder 4 Körbehen voll kleiner Knochensplitter gesammelt seien,
an denen er deutlich die Zeichen menschlicher Bearbeitung festgestellt
habe. Da diese Stücke noch nicht angekommen sind, so fehlt mir
jedes Urtheil über dieselben.
Das Weiteren berichtet Hr. Dr. Carruaus über die von ihm ge-
machten geologischen Beobachtungen bei Trinil, und ich entnehme
diesem längeren Berichte in verkürztem Auszuge das folgende Schichten-
profil sowie die beiden unten wiedergegebenen Kartenskizzen nach
ihrer verkleinerten Copie durch die Assistenten am Geologisch-Paläon-
tologischen Institute, Hrn. Dr. Hrxsıe (Fig. ı) und Hrn. KronEckEr
(Fig. 2). Die Nummern der hier aufgeführten Schichten entsprechen
den Nummern, welche sie in dem Profile (Fig. 2) haben. Zur besseren
Orientirung gebe ich in Fig. ı auch einen Theil der Situationskarte
wieder, welche Hr. Dr. Carrnaus von diesem Gebiete eingesandt hat.
Es lassen sich daraus der Verlauf des Solo-Flusses bei Trinil sowie
die Lage der beiden künstlichen Aufschlüsse (Bruch I und II) erkennen.
I. Marine Schichten.
Die knochenführenden Schichten von Trinil werden nördlich
von Trinil, bei Sonde, unterlagert von sehr jungen marinen Schichten,
Branca: Über die Trinil-Expedition. 267
die wesentlich aus Mergeln und Kalken bestehen; und nördlich von
Ngavi werden diese letzteren dann wiederum unterteuft von pliocänen
und selbst miocänen Schichten, die vorherrschend aus Sanden und
Gonglomeraten gebildet sind.
1. Die pliocänen Meeresschichten führen eine sehr reiche Fauna,
die in einem Thonmergel liegt, welcher hauptsächlich aus vuleanischem
Material besteht. Carruaus hat in diesen nicht weniger als 250
Species gesammelt, die meist den Lamellibranchiaten und Gastropo-
den angehören, jedoch auch von einigen Echinodermen, Brachyuren,
Fischen und einem Vogel herrühren. Der Umstand, dass beide
Klappen der Muscheln fast stets mehr oder weniger geschlossen sind,
weist nach CAarruaus darauf hin, dass alle diese Thiere bei einem
vulcanischen Ausbruche plötzlich zu Grunde gegangen seien. Auch
eine Korallenbank, welche diese Molluskenschichten überlagert, wurde
festgestellt (s. Fig. 1).
Ein kleines Kistehen mit einer Auswahl besonders bezeichnender
Molluskenschalen wurde von Trinil aus nach Leyden an den genauen
Kenner dieser Dinge, Hın. Prof. Marrıs, mit der Bitte um freund-
liche Bestimmung derselben gesandt. Das Ergebniss dieser Unter-
suchung wird mir von Frau SErenka mit der Bitte um Mittheilung
an dieser Stelle übergeben. Hr. Marrıy schreibt zunächst, dass
Fräulein IckE in seinem Institut die Bestimmungen vorgenommen habe
und fährt dann fort:
» Alle Arten, welche bestimmt werden konnten, habe ich bereits
von Sonde beschrieben. «
»Unter dem Materiale, welches Sie von Sonde sandten, befinden
sich 6 Arten, welche überhaupt von keinem anderen Fundorte
bekannt sind, während 9 von den 21 Species zu den häufigeren Ver-
steinungen des von mir bearbeiteten Fundorts gehören. Unter den
2ı Arten befinden sich 57 Procent noch lebender Arten.«
»Unter den ı5 Arten von Padas Malang gehören ı0 zu den
häufigeren Vorkommnissen des von mir bearbeiteten Fundorts von
Sonde; ı ist bisher nur von Sonde bekannt. Reichlich 53 Procent
der Arten kommt noch lebend vor.«
»Ein nennenswerther Altersunterschied zwischen den Schichten
von Sonde, welche ich früher behandelt habe, und dem von Ihnen
gesandten Material von Sonde und Padas Malang kann somit un-
möglich bestehen. Alles ist als Pliocän zu betrachten, indem
mehr als 50 Procent lebender Arten nachgewiesen sind.
Doch ist dieser berechnete Procentsatz unzweifelhaft noch niedriger
als der wirkliche, da die indische Fauna noch keineswegs voll-
ständig bekannt ist.«
268 Sitzung der physikalisch-ınathematischen Classe vom 5. März 1908.
Fig. 1.
Djenggrik \
2. Über diesen fossilreichen thonigen Schichten liegt eine Korallen-
bank, deren Versteinerungen noch nicht näher bestimmt sind. Sie
hat 1% —2 m Mächtigkeit, keilt sich jedoch auch aus.
II. Süsswasser- bez. terrestrische Schichten.
Diese pliocänen marinen Schichten von Sonde werden nun über-
lagert von einer Schichtenfolge, die wohl wesentlich oder ganz aus
vulcanischem Material besteht und zum Theil ein sandsteinartiges
Branca: Über die Trinil-Expedition. 269
10.
|
I
l
|
Fundstätte des
Pithecanthropus
erectus
Ä-----
12)
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1
|
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5
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Sandsteinartige Tuff-
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Gefüge angenommen hat.
Inmitten dieser Schichten-
folge liegt die knochen-
führende Ablagerung.
Hr. Dr. Carruaus giebt
die folgende Gliederung:
3. Zu unterst macht sich
eine Bank mit Melanien, Pa-
ludinen, Ampullarienu.s.w.
kenntlich, wodurch also
erwiesen wird, dass hier
bereits Süsswasserbildung
eingetreten ist.
4. Über diesen liegt eine
mehrere Meter mächtige
Ablagerung aus Stücken
von Augit- und Hornblende-
Andesit und Bimsstein in
buntem Durcheinander, die
» Conglomeratschichten «
des Profiles. Wären diese
Stücke bei einem Aus-
bruche in klares Wasser
gefallen, so würden die
porösen, lange schwimmen-
den Bimssteinstücke von
den schweren, sogleich zu
Boden sinkenden Andesit-
stücken getrennt worden
sein und obenauf liegen
müssen. Das ist aber nicht
der Fall, sondern beide
liegen in buntem Durch-
einander. Es handelt sich
daher hier jedenfalls, wie
CArTHAuSs betont, um einen
der bereits vorgreifend er-
wähnten, mehr oder weniger
diekflüssigen Schlammtuff-
ströme. In diesen Schich-
ten fanden sich bereits
einige wenige Knochen-
270 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 5. März 1908.
reste. Nach oben geht Schicht 4 vielfach in eine mehr thonige
Masse (5) über.
6. Erst über diesen aber folgt die Hauptknochenschicht, wie CARTHAUS
sie benennt, in einer Mächtigkeit von 0.40 bis Im. Das Gestein der-
selben ist ebenfalls vuleanischer Herkunft, besteht jedoch aus feineren
Massen von Aschen und Lapilli, in denen sich nur vereinzelt grössere
Andesitstücke finden. Ausser den zahllosen Knochen fanden sich aber
auch einige Molluskenschalen in dieser Schicht, von denen sogleich
Näheres angegeben werden wird.
Ganz ebenso wie unter dieser Hauptknochenschicht bereits ver-
einzelte Knochen auftreten, so liegen auch in den höheren Schichten
dann und wann noch vereinzelte Knochen.
Über die in dieser Schicht gefundenen Mollusken schreibt Hr.
Prof. Marrın an Frau Serenka das Folgende:
»Fräulein H. Icxz ist mit der Bestimmung der Fossilien aus
der Knochenschicht von Trinil fertig. Es gelang ihr, die fol-
genden Arten zu bestimmen: Bulimus citrinus Brue., Melania testudi-
naria v. ». Busch var., M. verrucosa Hınv., M. granum v. ». Buscn, M.
infracostata Mousson, M. Sarrinieri Bror., Paludina javanica v. n. Busch,
Ampullaria ampullacea Liss. Alle acht Arten sind noch lebend,
nur die eine Varietät weicht ein wenig von dem recenten
Vertreter ab.«
» Unbestimmt blieben nur: ı. zwei schlecht erhaltene Schalen von
Melania, 2. eine gebrochene Gastropodenschale, 3. zwei Arten von
Unio, die hier wegen mangelnden Vergleichsmaterials nicht bestimmt
werden konnten. Immerhin sind die vorgenommenen Bestimmungen
von Gastropoden derart befriedigend, dass sich aus ihnen mit
absoluter Sicherheit ein posttertiäres Alter der betreffen-
den Schichten herleiten lässt. Sie können Alles ruhig zum
Quartär rechnen.«
Durch diese von der Expedition gefundenen Mollusken ist nun
zum ersten Male mit völliger paläontologischer Sicherheit das dilu-
viale Alter des Pithecanthropus erwiesen (vergl. S. 3). Die mit Pithee-
anthropus vergesellschaftete Säugerfauna wird erst nach genauer Be-
stimmung der Arten zur weiteren Bestätigung dieser Schlüsse heran-
gezogen werden können.
Über der Hauptknochenschicht hat CArruAus in dem Profile noch
5 weitere Schichten unterschieden, Nr. 7 bis ıı des Profiles. Ich
bin, da zweimal von localen, und im Ganzen von 6 Schichten die
Rede ist, nicht völlig sicher, ob sich im Folgenden die hier im Texte
gegebenen Schichtennummern mit denen des Profiles genau decken,
oder um eins verschieben; denn auch die Bezeichnungsweise der
Branca: Über die Trinil-Expedition. Dr
Schichten in Text und Profil eorrespondiren nicht. Indessen ist das
von keinerlei Belang.
7. Local liegt auf Schicht 6 eine bituminöse "Thonschicht,
welehe von Interesse ist durch die zahlreichen fossilen Blattabdrücke.
Über diese Pflanzenreste entnehme ich einem Berichte des Hrn.
Dr. Vareron, Buitenzorg, verkürzt, das Folgende:
»Von Blattabdrücken fällt zunächst eine grosse Zahl unter sich
ähnlicher Formen auf, welehe denen der Derris elliptica, einer Liane,
besonders gleichen; nur hat diese Art die Eigenthümlichkeit, theils
elliptische, theils oboval-längliche Blättchen zu besitzen, während
jene fossilen Blätter ausschliesslich nur letztere Form, nie die ellip-
tische, zeigen. Absolut sicher aber ist diese Bestimmung nicht, da
ähnliche Blattformen auch bei vielen anderen Pflanzen vorkommen. «
»Mehrere Abdrücke mahnen sodann an 2 Ficus-Arten. Ein ein-
ziger Abdruck dürfte mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu Mallotus
moluccensis gehören. Ein einziger Fruchtrest gleicht ausserordentlich
einer Schima-Frucht. «
» Ausserdem fanden sich aber noch weiche Massen von pflanz-
lichem Detritus, welcher wesentlich nur die Blattnerven gut erkennen
lässt. Es scheinen hauptsächlich Grashalme zu sein.«
»Das ist aber auch Alles, was sich über diese schlechten Blatt-
reste sagen lässt. Alle anders lautenden Angaben sind hinfällig.
Ebenso unhaltbar sind auch die gemachten Versuche, aus diesen
Pflanzen auf ein kälteres Klima schliessen zu wollen, unter dem diese
Ablagerungen bei Trinil zu diluvialer Zeit sich gebildet hätten; denn
die genannten Pflanzen leben vom Meeresstrande an bis zu 1 500 m
Meereshöhe.« Zu einem gleichen Schlusse kommt auch Hr. Dr. Carrnaus,
indem er betont, dass die von ihm gesammelten, bereits besprochenen
Süsswasserkonchylien solche Formen seien, die dort nie in kühlere
Bergregionen hinaufrücken.
Aber auch noch andere pflanzliche Reste, auf welche GarrnAaus
Gewicht legt, fanden sich hier wie auch bereits tiefer, in der Haupt-
knochenschicht. Es sind das grosse Stücke von Holz, die eine so
sehr gute Erhaltung zeigen, dass er allein daraus schon auf ein recht
Jugendliches Alter dieser Ablagerung schliessen möchte. Einige dieser
nach Berlin geschickten Holzstücke zeigen, dass es sich um dunkel-
gefärbtes, aber keineswegs verkohltes Holz handelt, welches an das
Holz aus Torfmooren erinnert.
8. Über dieser localen Schicht, oder, wo diese fehlt, direet über
der Hauptknochenschicht, folgt eine weissstreifige, weiche, etwa ım
mächtige vulcanische Tuffbildung, die einen sandsteinartigen Eindruck
macht, da sie aus gleichmässigen Körnchen von Asche besteht.
272 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 5. März 1908.
9. Die Schicht 8 wird durch eine Wand grauen sandsteinähn-
lichen Gesteines überlagert, in welcher sich Schmitzen dunklen Thones
befinden. Dieser Thon führt Schalen von Melania, Limnäus und Unio.
ı0. In mehreren Metern Mächtigkeit folgt nun der graugrüne
»Laharsandstein«, wie CArtHuaus ihn nennt: Weisse Körnchen vulea-
nischen Materiales sind mit chloritartigen gemengt, die wohl aus der
Zersetzung von Augit oder Hornblende entstanden sind. Den Namen
Lahar hat CGarrmaus gewählt, weil die Javaner mit diesem Namen die
Schlammtuffströme benennen, welche ja noch heute nicht selten von
den dortigen Vulcanen ihren Ursprung nehmen.
ı1. Nun kommen Bänke hellen thonigen Sandsteines, aus ande-
sitischer Asche gebildet, bis zu 250 Gesammtmächtigkeit. Oben wird
diese Ablagerung zum Theil überdeckt von Gerölllagen. Zahlreiche
Kalkconcretionen durchsetzen diese Bänke.
Ganz local liegt über den genannten Bänken eine »fluviatile
Bildung, das heisst ein in grossen Klötzen vorkommender brauner
Thonsandstein«. Mir scheint das so zu verstehen zu sein, dass dieses
Gestein sich senkrecht verklüftet zeigt: Ein Vorgang, wie er bei dem
Austrocknen eines Schlammtuffstromes sich gewiss leicht einstellen kann.
ı2. Zu oberst liegt, mehr als 2" mächtig, übergreifend über alle
diese Schichten ausgegossen, ein eigentümlich zäher blauschwarzer
Thon, wohl die alluviale Verwitterungs- und Humusschicht.
Nach CArrnaus ist es wahrscheinlich, dass alle diese vuleanischen
Massen von dem Vuleane Wilis herabgekommen sind; doch könne
auch der Lawu-Vulcan sich daran betheiligt haben.
Bezüglich des Verhaltens der Knochen bei Trinil möchte ich mir
einige Bemerkungen erlauben. Aus der Darstellung geht hervor, dass
sie sich hauptsächlich in der Hauptknochenschicht finden, die nur die
geringe Mächtigkeit von 0.40 bisı m besitzt. Es liegt also auf der Hand,
dass eine Zusammenschwemmung, entweder zahlreicher ganzer Thiere
oder Thierknochen, durch einen einzigen Act erfolgt sein muss. Nun
hebt aber Carrnaus hervor, » dass sehr selten alle Knochen eines Thieres
zusammenliegen; es müsse also ein gewisser Transport der Thiere statt-
gefunden haben. Auf der anderen Seite aber könnten die Thiere doch
nicht weit verfrachtet sein, denn die Knochen seien an allen Ecken und
Kanten gut erhalten«, was freilich auch zum Theil durch die grosse
Weichheit des Schlammtuffstromes, in dem sie transportirt wurden,
seine Erklärung finden könnte. Hält man sich nun die zahlreichen
Schilderungen der Wirkung jäh hereinbrechender Schlammtuffströme
vor Augen, so sieht man, daß grosse Heerden lebender Thiere plötz-
lich fortgerissen, ertränkt bez. im Schlamme erstickt und mit dem-
selben an irgend einer Stelle abgelagert werden. Bei einem solchen
BrancA: Über die Trinil-Expedition. 273
Bilde aber, so scheint mir, liegt auf der Hand, dass ein jedes dieser
zahlreichen Thiere da, wo es begraben wurde, als Ganzes verfaulen
muss, so dass nun von einem jeden derselben auch das ganze zu-
sammengehörige Skelett vorhanden sein muss; natürlich abgesehen
von einzelnen, durch Blöcke abgerissenen oder abgequetschten Gliedern.
Aus dem Umstande aber, dass bei Trinil gerade umgekehrt nur
ganz ausnahmsweise die ganzen, zusammengehörenden Skelette ge-
funden werden, scheint mir nun hervorzugehen, dass hier entweder
bereits an anderen Orten gelegene Skelette von dem Schlammtuffstrome
mitgerissen, ihre Knochen dabei getrennt und dann durcheinander ab-
gelagert worden sind; oder dass zwar lebende Thiere plötzlich er-
tränkt, ihre Cadaver aber lange Zeit in einem Wasserbecken oder in
einem fliessenden Gewässer gelegen haben, bevor sie eingebettet wurden;
solange, dass sie erst macerirt wurden, auf diese Weise ihre Skelette
auseinander fielen und ihre Knochen dann durcheinander eingebettet
werden konnten.
Auf jeden Fall dürfte sich ergeben, dass wir uns nicht einfach
nur einen hereinbrechenden Schlammtuffstrom bei Trinil vorstellen
dürfen, der die Thiere sofort begrub, sondern dass, wie ja auch
Cartuaus hervorhebt, der Vorgang ein etwas complicirterer gewesen
sein muss. Solche Schlammtuffströme suchen erklärlicher Weise mit
Vorliebe die Betten von Bächen und Flüssen auf, mit denen sie sich
dann vereinen. Dadurch entstehen die verschiedensten Grade von
Dünn- bez. Dickflüssigkeit, und es können auch durch den Schlamm
und die Schuttmassen die Flüsse abgedämmt und zum Austritt ge-
zwungen werden, so dass seeartige Becken entstehen, in welchen
dann die Cadaver längere Zeit liegen. In diese Becken können nun
zu wiederholten Malen Schlammtuffströme sich ergiessen, so dass
dann erst allmählich eine Einbettung der Cadaver bez. ihrer einzelnen
Theile erfolgt. In solcher Weise könnte man eine Erklärung ver-
suchen wollen. Erwägt man nun aber, dass die Hauptknochenschicht
nur 0.4—ım mächtig ist, so leuchtet ein, dass hier von einem solehen
allmähliehen Einbetten nicht die Rede sein kann, sondern dass man
sich dennoch einen einzigen plötzlichen Akt denken muss. Bei einem
solchen aber macht sich wiederum die oben betonte Schwierigkeit
geltend, dass die Knochen nicht zu ganzen Skeletten vereinigt sind.
274 Sitzung der phys.-math. Classe v. 5. März 1908. — Mittheilung v. 20. Febr.
Das Reflexionsvermögen des Wassers.
Von H. Rugens und Dr. E. LADENBURG.
(Vorgetragen in der Sitzung am 20. Februar 1908 [s. oben S. 209].)
Üke Kenntnis der optischen Eigenschaften des Wassers ist nicht nur
für den Physiker, sondern auch für den Physiologen und Meteoro-
logen von großer Bedeutung. Dementsprechend sind zahlreiche Unter-
suchungen ausgeführt worden, welche die Messung der Absorption
und Dispersion des Wassers in flüssigem und gasförmigem Zustande
zum Gegenstand haben. Die Absorption des flüssigen Wassers ist in
dem Spektralgebiet von 0.2 u bis 8.0 x ziemlich genau bekannt'. Für
den Wasserdampf” erstrecken sich die Absorptionsmessungen sogar bis
zur Wellenlänge A= 204. Über die Dispersion des Wassers wissen
wir, besonders im Gebiet langer Wellen, erheblich weniger. Im Ultra-
violett freilich sind die Schwierigkeiten der Dispersionsmessung wegen
der guten Durchlässigkeit des Wassers nur gering. Hier liegen aus-
gedehnte Beobachtungen vor, welche von der Durchlässigkeitsgrenze
des Wassers bei 0.2 u bis in das sichtbare Spektralgebiet reichen’.
Im Ultraroten bereitet die dicht hinter dem roten Ende des sichtbaren
Spektrums beginnende starke Absorption den Dispersionsmessungen
große Schwierigkeiten. Durch die Benutzung der Prismenmethode ge-
lang es bis zur Wellenlänge 1.2 u vorzudringen‘. Die Anwendung der
refraktometrischen Methode hat es neuerdings möglich gemacht, die
Dispersion des Wassers bis zur Wellenlänge 2.1 x» zu ermitteln’.
Leider kann man an der Hand dieser Dispersionsmessungen noch
nicht mit Sicherheit die Frage beantworten, an welcher Stelle des
ultraroten Spektrums das Wasser die Gebiete metallischer Reflexion
! Kreuster, Ann. d. Phys. 6, S. 412, 1901. — E. Ascukınass, Wien. Ann. 55,
S. 401, 1895. — F. Paschen, Wıen. Ann. 51, S. 1; 52, S. 209, 1894.
®2 H. Rusens und E. Ascakınass, Wien. Ann. 64, S. 584, 1898.
® H. Ta. Sımon, Wien. Ann. 53, S. 542, 1894. — E. Frarow, Ann. d. Phys. 12,
S. 85, 1903.
* H. Rusens, Wien. Ann. 45, S. 238, 1892.
5° F. Seesert, Diss. Berlin 1908.
Rusens und E. Lapensurg: Das Reflexionsvermögen des Wassers. 275
besitzt, welche auf Grund der hohen Dielektrizitätskonstanten zu er-
warten sind. Freilich läßt sich unter der Annahme, daß nur ein
solches Spektralgebiet vorhanden ist, und mit Benutzung der Dielek-
trizitätskonstanten aus der Dispersion des Wassers in dem bisher
untersuchten Gebiet ein bestimmter Wert für die Wellenlänge be-
rechnen, für welche Wasser metallisch reflektiert', und es ergibt sich
diese Wellenlänge aus den genannten Daten zu 79.4.
Dieses Resultat scheint insofern eine Bestätigung zu finden, als
die Reststrahlen von Steinsalz und Sylvin, deren Wellenlänge (514
bzw. 614) sich derjenigen des so berechneten Gebietes metallischer
Reflexion bei dem Wasser nähert, von Wasser und selbst von Wasser-
dampf stark absorbiert werden’. Andere Angaben über das Reile-
xionsvermögen des Wassers sind bis jetzt kaum vorhanden.
Wir haben uns die Aufgabe gestellt, das Reflexionsvermögen
des Wassers einer eingehenden Untersuchung zu unterwerfen. Der-
artige Messungen lassen sich innerhalb eines viel größeren Spektral-
bereiches ausführen als die Bestimmungen der Dispersion, da man
hierbei nicht auf die Gebiete größerer Durchlässigkeit angewiesen ist.
Um zunächst festzustellen, ob Wasser überhaupt innerhalb des
der Untersuchung zugänglichen Spektrums selektive Reflexion besitzt,
haben wir die Reststrahlen des Wassers (den nach mehrfacher Re-
flexion an Wasserflächen übrigbleibenden Teil der Gesamtstrahlung
einer Strahlungsquelle) einer sorgfältigen Prüfung unterworfen.
Zur Erzeugung der Reststrahlen diente die folgende Anordnung:
Fig. 1.
Ein Glastrog G von 42 cm Länge, 7.5 cm Breite und 7.5 em
Tiefe wurde bis zu 3 seiner Höhe mit Wasser gefüllt. Über dem-
ı P. Drupe, Physik des Äthers S. 533.
® H. Rusens und E. Ascakınass, Wien. Ann. 65, S. 241, 1898.
276 Sitzung der phys.-math. Classe v. 5. März 1908. — Mittheilung v. 20. Febr.
selben befand sich ein 30 cm langer, 10 cm breiter horizontaler, ebener
Glasspiegel S, welcher auf der Unterseite versilbert war. Die von der
Liehtquelle A (Auerbrenner ohne Zugglas) ausgehenden Strahlen wurden
in der in Fig. ı angedeuteten Weise abwechselnd an der Flüssigkeits-
oberfläche und an dem Silberspiegel S reflektiert und gelangten dann
in einen Hohlspiegel H, welcher sie auf der temperaturempfindlichen
Lötstelle eines Bovsschen Mikroradiometers R vereinigte. Da das Re-
flexionsvermögen des Silbers im ultraroten Spektrum nahezu konstant
ist und einen sehr hohen Wert besitzt (97—100 Prozent), so bedingt
die Silberreflexion hier keine wesentliche Veränderung in der Stärke
und Zusammensetzung der Strahlung, und alle beobachteten Eigen-
tümlichkeiten der Reststrahlen sind auf die selektive Reflexion der
Flüssigkeitsoberfläche zurückzuführen. Durch Veränderung der in dem
Trog enthaltenen Flüssigkeitsmenge ließ sich der Abstand zwischen
dem Spiegel S und der Flüssigkeitsoberfläche derart variieren, daß
nach Wunsch 3, 4 oder 5 Reflexionen an dieser Oberfläche stattfanden.
Um den Charakter der beobachteten Reststrahlung festzustellen, haben
wir nicht die Methode der spektralen Zerlegung durch Prisma oder
Gitter angewandt, sondern uns mit der Feststellung der Durchlässig-
keit begnügt, welche einige Substanzen von bekanntem Absorptions-
spektrum für die untersuchte Strahlung besitzen. Auch hieraus läßt
sich ein einigermaßen deutliches Bild von der spektralen Zusammen-
setzung der untersuchten Strahlung gewinnen. Als Versuchskörper
für die Durchlässigkeitsprüfung wurden Platten von Quarz, Flußspat
und Steinsalz verwendet. Die benutzte Quarzplatte (senkrecht zur
Achse geschnitten, 12 mm dick) zeigt eine Absorption, welche bei
2.5 « beginnt und bei 4 x bereits nahezu vollständig ist; die Fluorit-
platte (6.5 mm diek) beginnt bei 7 » zu absorbieren und absorbiert
alle Strahlen jenseits 12 u vollständig. Die Steinsalzplatte (17 mm dick)
ist bis ı2 » vollkommen durchsichtig und absorbiert alle Strahlen von
größerer Wellenlänge als 19 u.
Tabelle ı.
Durchlässigkeit in Prozenten
Art der Strahl
rt der Strahlung Quarz | Flußspat | Steinsalz
Gesamtstrahlung des Auerbrenners 19 ser | 85.5
Reststrahlen von Wasser: |
3 Reflexionen 9.7 42 68
4 Reflexionen ıı 26.7 54
Reststrahlen von Alkohol:
3 Reflexionen 18.7 57-5 78.2
Rusens und E. LApengurg: Das Reflexionsvermögen des Wassers. 277
Tabelle ı gibt Aufschluß über die erhaltenen Resultate. In der
ersten Spalte ist die Art der Strahlung näher beschrieben, für welche
die in der zweiten bis vierten verzeichneten Durchlässigkeiten beob-
achtet worden sind. Die erste Horizontalreihe gilt für die Gesamt-
strahlung des Auerbrenners; die folgenden beiden für die nach drei-
bzw. vierfacher Reflexion an Wasseroberflächen übrigbleibenden Rest-
strahlen. Die vierte Reihe bezieht sich auf die Reststrahlen von 96 pro-
zentigem Alkohol. Aus der zweiten und dritten Horizontalreihe ist zu
ersehen, daß die Strahlung nach mehrfacher Reflexion an Wasserflächen
von sämtlichen Probeplatten stärker absorbiert wird als im ursprüng-
lichen Zustande, aber in allen Fällen besteht auch nach vier Reflexionen
eine noch merkliche Durchlässigkeit. Dasselbe gilt auch für Alkohol,
doch sind die Unterschiede hier geringer. Nach fünffacher Reflexion an
Wasserflächen war die Strahlung bereits so schwach, daß eine genaue
Untersuchung nicht mehr vorgenommen werden konnte. Aus diesen Ver-
suchen ist der Schluß zu ziehen, daß Wasser im ultraroten Spektrum
zwar eine ausgesprochen selektive Reflexion besitzt, derart, daß die
längeren Wellen im allgemeinen bei der Reflexion bevorzugt werden,
daß aber Streifen sehr starker metallischer Reflexion, wie solche bei
Quarz, Fluorit, Steinsalz und Sylvin vorhanden sind, innerhalb des
hier beobachteten Spektralbereiches entweder nicht vorkommen oder
daß sich die jenen Streifen entsprechenden Strahlen infolge geringer
Intensität der Beobachtung entziehen.
Es ist nämlich nicht unmöglich, daß für irgend ein Wellenlängen-
bereich des ultraroten Spektrums starke metallische Reflexion an
Wasser vorhanden ist, daß aber die Strahlung dieser Wellenlängen im
Wasserdampf der Zimmerluft eine so starke Absorption erfährt, daß
kein merklicher Bruchteil der Strahlung in das Radiometer gelangt.
Diese Möglichkeit läßt sich bei der hier getroffenen Versuchsanord-
nung nicht völlig ausschließen. Wir dürfen daher aus unseren Be-
obachtungen noch nicht den Schluß ziehen, daß langwellige Gebiete
starker Reflexion keinesfalls vorhanden sein können, aber ihr Bestehen
ist, wie sich weiter unten ergeben wird, nicht wahrscheinlich.
Wir gingen nun dazu über, das Reflexionsvermögen des Wassers
im ultraroten Spektrum für ein möglichst großes Wellenlängenbereich
einer systematischen Untersuchung zu unterziehen. Die hierbei be-
nutzte Versuchsanordnung ist in Fig. 2 dargestellt.
Die Strahlung einer Lichtquelle A wird durch einen vorderseitig
versilberten Planspiegel S, schräg abwärts geworfen und trifft die zu
untersuchende Flüssigkeitsoberfläche unter einem Inzidenzwinkel von
etwa 12°. Ein zweiter Spiegel S, empfängt die von der Flüssigkeit
reflektierte Strahlung und sendet sie in nahezu horizontaler Richtung
Sitzungsberichte 1908. 26
278 Sitzung der phys.-math. Classe v. 5. März 1908. — Mittheilung v. 20. Febr.
Fig. 2.
zu dem Hohlspiegel H, welcher die Strahlung auf dem Spalt C des
(in Fig. 2 nicht gezeichneten) Spiegelspektrometers konzentriert. Das
Spektrometer war nach dem Wapsworruschen Prinzip mit festen
Armen gebaut, und es war bei der Konstruktion in erster Linie auf
große Lichtstärke geachtet worden. Die Brennweiten der Hohlspiegel
betragen 32 em bei 5 em Öffnung. Für die verschiedenen Teile des
Spektrums mußten Prismen verschiedener Art verwendet werden. In
dem Spektralgebiet von ı# bis 74 wurde ein Flußspatprisma von
60° brechendem Winkel und 5 cm Seitenlänge benutzt, zwischen
74 und ı2n ein Steinsalzprisma, und zwischen ı2« und ISu ein
Sylvinprisma von angenähert gleichen Dimensionen. Für die Unter-
suchung des Spektralbereiches von ıSu bis 2ı u, in welchem die
Absorption des Sylvins bereits sehr erheblich ist, diente ein spitz-
winkeliges Sylvinprisma von etwa 20° brechendem Winkel. Die nach
der spektralen Zerlegung in dem Wapsworrtzschen Spektrometer aus
dem Okularspalt austretenden Strahlen wurden durch einen Hohl-
spiegel konzentriert und auf die geschwärzte Lötstelle eines Mikro-
radiometers geworfen. Beobachtet wurde in der Weise, daß für jede
untersuchte Wellenlänge eine Anzahl von Ausschlägen gemessen
wurde, sowohl wenn sich der mit Flüssigkeit gefüllte Trog F an der
in Fig. 2 gezeichneten Stelle befand, als auch, wenn F durch einen
vorderseitig versilberten Glasspiegel ersetzt war. Die reflektierende
Ebene dieses Spiegels wurde so justiert, daß sie genau die gleiche
Lage einnahm, welche vorher die Oberfläche der Flüssigkeit innege-
habt hatte. Als Strahlungsquelle wurde bei diesen Messungen im
kurzwelligen Spektralbereich (bis A=7 u) eine Nernstlampe, im Bereich
der längeren Wellen ein Auerbrenner verwendet, dessen relativer
Reichtum an langen Wellen eine große Reinheit auch des wenig
intensiven langwelligen Spektrums verbürgt. Die Resultate unserer
Messungen sind in Fig. 3 graphisch dargestellt.
Rusens und E. Lavensurg: Das Retlexionsvermögen des Wassers. 279
Fig. 3.
9
8
7
6
5
[78
3
28
4
Kurve A zeigt das Reflexionsvermögen des Wassers für etwa 12°
Inzidenz, Kurve B für etwa 50° Inzidenz. Hierbei sind die Wellen-
längen als Abszissen, die Reflexionsvermögen, ausgedrückt in Pro-
zenten der auffallenden Strahlung, als Ordinaten aufgetragen. Ferner
ist die Absorption einer 0.01 mm dicken Wasserschicht in dem Spek-
tralgebiet von ı bis 74 (Kurve C) und einer etwa 60 em dicken
Wasserdampfschicht von Atmosphärendruck zwischen 74 und 20 u
(Kurve D), wie sie sich bei früheren Messungen ergeben hat', ein-
gezeichnet. Auch hier sind die Abszissen die Wellenlängen, die
Ördinaten dagegen bedeuten die Absorption in Prozenten’. Kurve A
zeigt scharf ausgeprägte Maxima bei 3.2, 6.3 und 19.5 u, sowie
deutlich erkennbare Minima bei 2.7, 5.2 und 11.04. Die Maxima
der Reflexionskurve A entsprechen sehr angenähert den Stellen stärk-
ster Absorption in der Kurve Ö bei 3.1 und 6.1ıu°. Daß die in
Kurve A beobachteten Reflexionsmaxima, welche durch anomale Dis-
persion im Wasser veranlaßt sind, nicht genau mit den Maximis der
Kurve 6 zusammenfallen, sondern meist bei etwas größeren Wellen-
längen liegen, dürfte darin seinen Grund haben, daß auf der kurz-
welligen Seite des Absorptionsstreifens der Brechungsexponent einen
kleineren Wert besitzt als auf der Seite der längeren Wellen. Bei
geringeren Werten des Extinktionskoeffizienten erleidet dadurch das
Reflexionsmaximum eine Verschiebung nach dem ultraroten Ende des
! E. Ascakınass a.a.0. H.Rusens und E. Ascakınass a.a. 0.
Die hierzu gehörige Ordinatenskala ist bei A\=7 «in die Figur eingezeichnet.
3 Auch ist in Kurve A bei 4-5 # die Andeutung eines Maximums vorhanden,
welches dem Absorptionsmaximum bei 4.6 # in Kurve © zu entsprechen scheint.
2
26°
280 Sitzung der phys.-math. Classe v. 5. März 1908. — Mittheilung v. 20. Febr.
Spektrums hin. Kurve B ist mit einer etwas anderen Versuchsanord-
nung aufgenommen, welche bei unseren Vorversuchen verwendet wurde.
Sie zeigt einen sehr ähnlichen Verlauf wie Kurve A, nur wesentlich
höhere Reflexionswerte, entsprechend den größeren Inzidenzwinkeln.
Das Auftreten der Maxima in Kurve A lehrt uns, daß die zu
Anfang erwähnte einfache Berechnungsweise für die Lage des Gebiets
metallischer Reflexion aus der Dielektrizitätskonstanten und der Dis-
persion im kurzwelligen Spektrum bei Wasser nicht anwendbar ist.
Vielmehr zeigt die Kurve A in ihrem ersten Teile zwischen ıu und
34% deutlich, daß der Verlauf der Dispersion des Wassers in dem an
das sichtbare Gebiet angrenzenden ultraroten Teil vorwiegend durch
den Absorptionsstreifen bei 3.14 bestimmt ist.
Auch zwischen den Kurven D und A herrscht eine unverkenn-
bare Ähnlichkeit. Beide Kurven lassen das Minimum bei A =1ıu
und den steilen Aufstieg zu dem Maximum bei 20 u deutlich er-
kennen. — Daß zwischen dem Absorptionsspektrum eines Körpers
in flüssigem und dampfförmigem Zustand nahe Beziehungen stehen,
ist bereits bekannt‘. Indessen sind beide Absorptionsspektra, sowohl
in qualitativer wie quantitativer Beziehung, keineswegs identisch.
Insbesondere ist die Absorption des dampfförmigen Körpers auf viel
engere Spektralgebiete beschränkt. Auch sind die Absorptionsmaxima
in beiden Fällen beträchtlich gegeneinander verschoben. Endlich ist
es höchst wahrscheinlich, daß die Absorptionsspektra der Dämpfe im
Gegensatz zu denen der Flüssigkeiten aus vielen feinen Absorptions-
linien bestehen, welche spektrothermometrisch nicht getrennt werden
können, und so den Eindruck kontinuierlicher Absorption vortäuschen.
Hierauf wird bekanntlich bei den Gasen und Dämpfen die scheinbare
Ungültigkeit des Absorptionsgesetzes zurückgeführt, nach welchem
der Logarithmus der Intensität der durchgelassenen Strahlung der
Schichtdicke umgekehrt proportional sein soll. Vergleicht man spek-
trothermometrisch das Absorptionsvermögen einer Flüssigkeit und
ihres Dampfes in äquivalenten Schichtdicken, d.h. in solchen Schichten,
deren Dicke sich umgekehrt verhält wie die Dichtigkeit der betreffen-
den Phase, so erweist sich die Dampfschicht stets als sehr viel durch-
lässiger. Gerade bei dem Wasserdampf tritt diese Erscheinung außer-
ordentlich stark hervor, wie Hr. Äneströn beobachtet hat. Dasselbe
folgt auch aus der Tatsache, daß bis zur Wellenlänge A=1Iıu ein
beträchtlicher Teil der Sonnenstrahlung durch die Atmosphäre hin-
durch bis zur Erdoberfläche gelangt, während durch eine Wasser-
schieht von einigen Zentimetern Dicke, welche der in der Atmosphäre
! Ansıröm, Wien. Ann. 39, S. 267, 1890. — F. PascHen, a. a. O.
Rusens und E. LapensurG: Das Reflexionsvermögen des Wassers. 281
enthaltenen Wasserdampfschicht äquivalent ist, jenseits ı.2 u keine
Strahlung mehr hindurchgeht.
Diese Tatsachen lassen die Wahrscheinlichkeit bestehen, daß
Gebiete starker, metallischer Reflexion im Ultraroten sich durch Rest-
strahlen von genügender Intensität, trotz der Absorption in dem Wasser-
dampf der Zimmerluft, hätten bemerkbar machen müssen. Es kommt
noch hinzu, daß im Gebiet langer Wellen verhältnismäßig kleine Ab-
sorptionskonstanten a große Extinktionskoeffizienten y und mithin
starke metallische Reflexion ergeben '.
Daß sich von solchen Streifen metallischer Reflexion bei unseren
Reststrahlenversuchen keine Andeutung gefunden hat, scheint uns
hiernach dafür zu sprechen, daß die Gebiete starker anomaler Disper-
sion bei Wasser nicht in dem Spektralbereich liegen, welches uns mit
den hier beschriebenen Mitteln zugänglich ist.
Mit der gleichen Versuchsanordnung wurde nun auch das Re-
flexionsvermögen des Alkohols zwischen ıu und 191 untersucht.
Die Resultate sind in Fig. 4 wiedergegeben.
Fig. 4.
BENEN EAN N Pan
BREIRN a
Breeze
Kurve E stellt das von uns gefundene Reflexionsvermögen des
Alkohols dar. Kurve F zeigt das einer Arbeit von Hrn. CosLextz’
! Die Absorptionskonstante a ist der reziproke Wert derjenigen Weglänge, auf
I
welcher der Strahl in Wasser auf ze seiner Intensität geschwächt wird, der Extink-
R-1%+9
(na +1)2 +92 '
W. Cosren'z, Investigations of Infra Red Spectra, Washington 1905, Fig. 30.
. . ar . r
tionskoeffizient g = 7E und das Reflexionsvermögen R=
2
282 Sitzung der phys.-math. Classe v. 5. März 1908. — Mittheilung v. 20. Febr.
entnommene Absorptionsspektrum des Alkohols in einer 0.02 mm
dieken Schicht. Ebenso wie bei dem Wasser ist auch hier der Zu-
sammenhang zwischen den (Gebieten anomaler Reflexion und den
Stellen starker Absorption zu erkennen; im Gebiet der kurzen Wellen
tritt hier die oben genannte Verschiebung der Reflexionsmaxima nach
Seite der längeren Welle besonders deutlich hervor.
Weiter wie bis zur Wellenlänge 2ı u vorzudringen, war uns mit
der oben beschriebenen Spektralanordnung infolge der geringen Strah-
lungsintensität der langen Wellen und der Absorption des Sylvinprismas
nicht möglich. Dagegen gelang es uns ohne Schwierigkeiten, das
Reflexionsvermögen einer Wasserfläche für Reststrahlen von Flußspat
und für Reststrahlen von Steinsalz zu messen. Mit derselben Anord-
nung haben wir dann noch das Reflexionsvermögen einiger anderer
Flüssigkeiten für die beiden genannten Strahlenarten festgestellt. Zur
Ausführung dieser Versuche wurde das Spiegelspektrometer aus un-
serer zuletzt besprochenen Anordnung entfernt und an der Stelle ©
(Fig. 2), an welcher sich früher der Kollimatorspalt befunden hatte,
ein 3.5 em hohes und 1.5 em weites Diaphragma angebracht. Die aus
diesem Diaphragma austretenden Strahlen hatten vor ihrer Vereini-
gung auf der Lötstelle des Mikroradiometers entweder 3 Reflexionen
an Fluoritflächen, oder 4 Reflexionen an Steinsalzflächen zu erleiden.
Nimmt man als Strahlungsquelle einen Auerbrenner, und läßt man
die Strahlen an den Flächen unter möglichst geringen Inzidenzwinkeln
reflektieren, so ergeben sich unter diesen Bedingungen sehr reine
Reststrahlen von Flußspat. Auch die Reststrahlen von Steinsalz ent-
enthalten nur 4—5 Prozent Verunreinigung durch Wärmestrahlen von
kurzer Wellenlänge.
Zur Messung des Reflexionsvermögens der Flüssigkeiten wurde
hier ebenso verfahren, wie bei unseren Spektralbeobachtungen, d.h.
es wurden die Ausschläge des Mikroradiometers verglichen, wenn die
Strahlen einmal an der zu untersuchenden Flüssigkeitsoberfläche
(F Fig. 2), das andere Mal an einem an derselben Stelle befindlichen
Silberspiegel reflektiert wurden.
Tabelle 2.
Flüssiekeit | Reststrahlen von
üssigkei
= | Flußspat Steinsalz
7
Wasser 6.8 Prozent 10.6 Prozent
Gesättigte Chlorkalziumlösung | 10.2 » 13.2
Gesättigte Kochsalzlösung — 10.9 5
Alkohol 3.14 Se
Quecksilber | 94.7 » 96.0 »
Rusens und E. Lapensurg: Das Reflexionsvermögen des Wassers. 283
Tabelle 2 enthält die so gewonnenen Reflexionsvermögen. Die
Zahlen beziehen sich auf Silber = 100.
Das Wasser zeigt für die Reststrahlen von Fluorit und Stein-
salz etwas höheres Reflexionsvermögen wie für kurzwellige Wärme-
strahlen, was mit der starken Absorption des Wassers für diese
Strahlen, noch mehr aber mit ihrer großen Wellenlänge im Zusammen-
hang steht.
Bemerkenswert ist es, daß eine 2oprozentige Kochsalzlösung die
Reststrahlung von Steinsalz nicht wesentlich stärker reflektiert als
reines Wasser. Dagegen ergibt eine konzentrierte Chlorkalziumlösung
in beiden Fällen ein etwas erhöhtes Reflexionsvermögen.
Die Messung des Reflexionsvermögens von Quecksilber wurde
als Kontrolle für die angewandte Untersuchungsmethode ausgeführt.
Wie früher gezeigt worden ist', berechnet sich das Reflexionsvermögen
eines Metalles für lange Wellen nach der Formel
R=100— SS
Vxr-r
worin x das Leitvermögen des Metalls im elektromagnetischen Maße’,
? die Wellenlänge der Strahlung in # bedeutet. Hiernach ergibt sich
das Verhältnis der Reflexionsvermögen von Quecksilber und Silber
bei 18°C für die Reststrahlen von Flußspat zu 93.8 Prozent, für die
Reststrahlen von Steinsalz zu 95.6 Prozent. Diese Zahlen sind mit
den beobachteten Werten (94.7 bzw. 96.0 Prozent) in befriedigender
Übereinstimmung.
Das Reflexionsvermögen, welches der Alkohol für die Reststrahlen
von Flußspat und Steinsalz besitzt, ist von demjenigen für sichtbare
Strahlen nur wenig verschieden. Es ist bekannt, daß diese Flüssig-
keit erst in dem Gebiet Hrrrzscher Wellen die starke anomale Dis-
persion erfährt, durch welche die hohe Dielektrizitätskonstante von
25 erreicht wird. Für Wasser ist selbst für die kürzesten, bisher be-
obachteten Hrrrzschen Wellen von 4 mm Länge innerhalb der Fehler-
grenze dieselbe hohe Dielektrizitätskonstante von S0—90 festgestellt
worden, welche auch für statische Ladungen gilt. Auf Grund dieser
Tatsache und in Rücksicht auf die hier mitgeteilten Resultate ist es
wahrscheinlich, daß die kritische Stelle starker, anomaler Dispersion
bei dem Wasser in das noch unbekannte Spektralgebiet fällt, welches
sich von den langwelligsten bisher beobachteten Wärmestrahlen bis
! E. Hasen und H. Rusens, Ann. d. Plıys. ı1, S. 873, 1903.
2 z ist der reziproke Wert desjenigen Widerstandes in Ohm, den ein zylindri-
scher Leiter von ım Länge und ı qm Querschnitt besitzt.
® A. Laura, Wiener Ber. 105, 2a, S. 587 und 1049, 1896.
284 Sitzung der phys.-math. Classe v. 5. März 1908. — Mittheilung v. 20. Febr.
zu den kürzesten, auf elektrischem Wege erzeugten Hrrrzschen
Strahlen erstreckt. Hierauf scheint auch die von Drupe! beobachtete
starke Zunahme der Absorption hinzudeuten, welche sehr schnelle
elektrische Schwingungen mit zunehmender Frequenz im Wasser er-
fahren.
! P. Drupe, Wıen. Ann. 65, S.499, 1898.
Ausgegeben am 12. März.
285
SITZUNGSBERICHTE 1908.
XIn.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
5. März. Sitzung der philosophisch-historischen Olasse.
Vorsitzender Secretar: Hr. Dies.
1. Hr. vos Krkure sprach über Bildwerke, die sich auf den
Mythos von der Geburt der Helena aus dem Ei beziehen.
(Ersch. später.)
Zu den schon früher bekannten sind neue hinzugekommen, die zum Theil Un-
erwartetes bieten und den Anlass zu einer Revision der bisherigen Ansichten gaben.
2. Hr. Koserr legte eine Mittheilung vor: »Aus der Vorge-
schichte der ersten Theilung Polens«.
Nachtrag zu dem 1903 erschienenen 29. Bande der »Politischen Correspondenz
FRIEDRICH’S DES GROSSEN«.
3. Derselbe überreichte den 32. Band der »Politischen Corre-
spondenz FRIEDRICH’S DES GROSSEN«. Berlin 1908.
286 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 5. März 1908.
Aus der Vorgeschichte der ersten Teilung Polens.
Von REINHoLD Koser.
Bi den Vorarbeiten für die Herausgabe des soeben erschienenen
32. Bandes der »Politischen Correspondenz FRIEDRICHS DES GROSZEN« Sind
ein ungenau und ein falsch datiertes Schreiben, beide eigenhändig,
festgestellt worden, die beide in den im Jahre 1903 veröffentlichten
Band 29 der Sammlung einzureihen gewesen wären. Sie sollen in
einem für den Schlußband vorbehaltenen Nachtrag zum Abdruck ge-
langen; aber bei dem allgemeineren Interesse, das ihr Inhalt bietet, wird
ein vorgängiger Hinweis auf ihre Bedeutung und ihre Zusammenhänge
erwünscht sein.
Die Briefe FRIEDRICHS DES GROSZEN an seinen Bruder, den Prinzen
Herıseıcn, füllen im Geheimen Staatsarchiv eine Anzahl Lederbände,
zu denen sie nach dem Tode des Empfängers vereinigt worden sind,
ohne daß zuvor eine mehr als oberflächliche chronologische Ordnung
vorgenommen war. Die beiden hier zu erörternden Stücke befinden
sich zwischen den Briefen des Jahres 1772. Das eine trägt das Datum
»ce 25«,‘das andre hat wenigstens eine Monatsangabe vor jenem vor-
aus: »ce 25 juin«. Ihrem Inhalt nach kennzeichnen sie sich als Ant-
worten auf einen Ratschlag des Prinzen Heısrıcn zur Besitznahme
polnischen Gebiets: als ablehnende Antworten. Der König schreibt
in dem einen Briefe:
» Je vois qu’en fait de politigue vous ne manquez pas, mon cher
frere, d’avoir bon appetit; pour moi, qui suis vieux, jai perdu celui
que j’avais dans ma jeunesse. Ce n’est pas que vos idees ne soient
pas excellentes, mais il faut avoir le vent de la Fortune en poupe
pour reussir & de telles entreprises, et e’est de quoi je n’ose et ne
puis me flatter. Cependant il est toujours bon d’avoir de ces pro-
jets en reserve, pour les realiser, si l’occasion s’en presente. Nous
sommes places entre deux grandes puissances, l’Autriche et la Russie;
il est sür que, pour tenir sans risque la balance entre elles, nous
sommes jusques ä& present trop faibles, pour nous en bien acquitter;
mais le mal prineipal est que ni l’Autriche ni la Russie n’ont trop
grande envie de concourir A notre agrandissement.«
Koser: Aus der Vorgeschichte der ersten Theilung Polens. 287
In dem zweiten Briefe heißt es:
» Je suis certainement bien persuade de l’integrit@ de vos inten-
tions, et si l’on pourrait executer, mon cher frere, vos idees, il en
resulterait certainement de grands avantages pour l’Etat. On a sans
doute toujours devant les yeux de concilier ses inter&ts avee ceux
de ses allies, mais ces allies ne veulent pas toujours entrer dans de
telles mesures. Par exemple, tout ce que me vaut l’alliance de la
Russie, e’est la garantie des pays de Baireuth et d’Ansbach', qui,
selon toutes les apparences, ne viendra pas a &tre reclamee pendant
notre alliance, qui dure encore huit ans”. L’envie des puissances, les
unes contre les autres, nuit beaucoup A leurs avantages communs, et
quelquefois on accorderait plutöt des ennemis que des allies.«
Offenbar gehören beide Briefe eng zusammen, und offenbar setzt
der vom 4. Juni datierte den anderen voraus. Dann müßte in dem
älteren zu dem Tagesdatum »25« als Monat der Mai ergänzt werden.
Dieser Ergänzung würde es an sich nicht im Wege stehen, wenn der
König in dem Briefe erwähnt, daß seine Brunnenkur bis zum 1. Juli
währen wird. Wohl aber enthält der Brief eine weitere Angabe, die
unbedingt nötigt, wie sich dem Bearbeiter unserer Sammlung, Hrn.
Dr. Vorz, alsbald ergab, ihn in den Juni, und zwar in den Juni 1770,
zu setzen: »J’ai donne& quelques spectacles a la Landgrave pour l’amu-
ser jusqu’au temps que sa fille accouche, ce qui probablement ne
sera que le mois prochain.« Gemeint ist die Landgräfin KAroLınz von
Hessen-Darmstadt, die Mutter der Prinzessin FRrIEDERIKE, zweiten Ge-
mahlin des Prinzen von Preußen und nachmaligen Königs FrieprıcH
Wirnerm I. Die Landgräfin ist am ı3. Juni 1770 in Berlin einge-
troffen, die Geburt des Prinzen Frıeprıcn WırHerm erfolgte am 3. August.
Mit dieser Feststellung des Datums war zugleich erwiesen, daß
die Datierung des zweiten Briefes »4 juin« auf einem Schreibfehler
des Königs beruht. Es ist juillet statt juin zu lesen’.
Die beiden Briefe des Königs ergaben sich nun ohne weiteres
als die Antworten auf die beiden bereits seit einiger Zeit gedruckten
! Vgl. unten S. 289.
2 Das am ır. April 1764 abgeschlossene Verteidigungsbündnis zwischen Preußen
und Rußland war am 23. Oktober 1769 für die Zeit bis 1780 verlängert worden.
3 Jeder Zweifel wird ausgeschlossen durch die Stelle: »J’ai ete hier a Berlin
voir les exereices de l’artillerie ..... Pourqu’ä l’avenir cela aille mieux, je leur ferai
construire un polygone avec toutes les attaques, et, au lieu de s’assembler en ete, ils
s’assembleront au mois de septembre, ou rien ne les empeche de construire leurs
batteries selon toutes les regles.« Nach Ausweis der Zeitungen hielt der König die
Artillerieübung auf dem Wedding bei Berlin am 3. Juli 1770 ab; von 1771 ab fanden
diese Übungen, nach einer Hrn. Dr. Vorz durch den Großen Generalstab erteilten Aus-
kunft, regelmäßig im September statt.
288 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 5. März 1908.
Briefe des Prinzen Hrımrıcn vom 22. und vom 30. Juni 1770'. Der
österreichische Gesandte Graf Nusent von WALnosoTTo hatte in seiner
Abschiedsaudienz am 6. Mai die Andeutung fallen lassen, daß das
Land zwischen dem Meer und einer Linie von der Grenze des alten
preußischen Herzogtums über Graudenz, Thorn, Posen nach Glogau
die Verbindung zwischen den zerstückten Gebieten des preußischen
Staates herstellen würde; Nusenr hatte nicht hinzugesetzt, daß Fürst
Kauntz nur für den Fall einer Wiederabtretung von Schlesien an
Österreich geneigt war, dem Könige von Preußen das polnische Preußen
und etwa auch Kurland zu überweisen’. Der König hatte dem Prinzen
Heisrıcn von seinem Gespräch mit Nucenr Mitteilung gemacht, und
darauf bezieht sich der Prinz in dem Briefe vom 22. Juni: »J’avoue
que mon imagination a ete frappee de cette idee, a la premiere fois
que vous m’avez fait l’honneur de me parler des propositions quoique
vagues que vous furent faites. Mais si e’est a moi une chim£re, elle
est cependant si agreable que j’ai peine & y renoncer. Je voudrais
vous voir maitre des bords de la mer baltique, partager avec la
puissance la plus formidable de l’Allemagne l’influence que ces forces
reunies pourraient avoir en Europe. Si [e’est] un r&ve, il est tres
gracieux, et vous pensez bien que l’inter&t que je prends & votre
gloire, m’en fait souhaiter la realite.« Als der König, wie wir hörten,
diesen lockenden Traum von sich wies, machte der Prinz gegenüber
der Auffassung, daß weder Rußland noch Österreich zu einer Vergröße-
rung Preußens beizutragen geneigt seien, am 30. Juni u.a. geltend: »Je
me suis flatt@ que les circonstances ou la Russie et l’Autriche se trouvent
maintenant pouvaient contribuer ä la reussite d’un dessein aussi utile. «
In dieser Abfolge miteinander in Verbindung gebracht”, ergänzt
diese Gruppe von zwei Briefen des Prinzen und zwei Antworten des
Königs in willkommener Weise das Bild, das der Briefwechsel zwi-
schen beiden aus jener Epoche bietet.
Der Prinz drängt zu einem Versuch, den Staat durch polnisches
Gebiet abzurunden und zusammenzuschließen. Der König hält ihm
das Widerspiel, retardiert. Er will sicher gehen, er sieht für jetzt
die Gelegenheit nicht als sicher an. Überzeugt ist auch er davon,
! Mitgeteilt durch G. B. Vorz in den Forschungen zur brandenburgischen und
preußischen Geschichte XVIII, 187 (1905).
2 Vgl. A. v. ArnerH, Geschichte Marıa Treresıas VI], 145f.
3 Ich habe in meiner Darstellung »König FrıEDRIcH DER GroszE« ]I, 456 da, wo
ich des politischen Meinungsaustausches zwischen dem König und dem Prinzen über
die polnische Frage gedenke, die bezeichnendsten Stellen aus dem Briefe des Prinzen
vom 22. Juni und dem des Königs vom 25. Juni 1770, ohne beim Exzerpieren der
archivalischen Vorlagen die Chronologie ad hoc untersucht zu haben, schon nebeneinander
gestellt, sozusagen unwillkürlich, weil die innere Zusammengehörigkeit auf der Hand lag.
Koser: Aus der Vorgeschichte der ersten Theilung Polens. 289
daß die Erwerbung des polnischen Preußens für den Staat eine poli-
tische Notwendigkeit ist. Als solche hat er sie schon vor 40 Jahren
als Kronprinz bezeichnet. Als »politische Träumerei« schwebt sie
ihm im Testament von 1752 vor Augen. Sie bleibt in seinem Ge-
sichtskreis, als Rußland ihm den Krieg aufdrängt; für «den Fall eines
entscheidenden Sieges hält er es für möglich, den Russen die Zu-
stimmung zu dieser Vergrößerung Preußens abzugewinnen, und in einer
andern Kombination denkt er während des vierten Kriegsjahres daran,
sich in Polen eine Entschädigung für die Kosten und Opfer dieses
Krieges zu suchen. Daß er dabei immer Rußland als den Sitz des
Widerstandes gegen eine Vergrößerung Preußens nach der polnischen
Seite betrachtet, zeigt am deutlichsten das politische Testament vom
7. November 1768. Wie in dem älteren Testament ergeht sich der
Verfasser in »R£everies politiques«; er versetzt sich in eine Zukunft,
in der Polnisch-Preußen für seinen Staat gewonnen sein wird, und führt
aus, daß man erst dann, nach Befestigung einiger Plätze an der Weichsel
imstande sein wird, im Kriegsfall Ostpreußen gegen ein russisches Heer
wirksam zu verteidigen. Aber eben Rußland bezeichnet er hier als die-
jenige Macht, bei der man wegen des polnischen Preußen das stärkste
Hindernis finden würde. Er rät seinen Nachfolgern zu dem Versuche,
jenes Land Stück für Stück zu gewinnen, durch Verhandlung: dann,
wenn Rußland durch die Lage der Umstände auf den Beistand Preußens
angewiesen sein werde'.
Damals, imWinter, von 1768 auf 1769 betrachtete er den Augenblick
nicht als günstig für die Einleitung einer solchen Verhandlung. Er
schlug schon jetzt den Russen eine Verlängerung des am ı1. April
1764 auf acht Jahre abgeschlossenen Verteidigungsbündnisses vor; er
übersandte ihnen den Entwurf für einen neuen Vertrag, und obgleich
Rußland sich damals durch seine Einmischung in die polnischen Wirren
einen unbeabsichtigten Krieg mit der Pforte zugezogen hatte, forderte
er nichts weiter als die russische Bürgschaft für die dereinstige Nach-
folge der königlichen Linie seines Hauses in den fränkischen Neben-
landen Ansbach und Baireuth (vgl. oben S. 287). Der Vertragsentwurf
war bereits übergeben, als der König am 2. Februar 1769 seinem Gesandten
anheimstellte, nach Ermessen in aller Vorsicht — der einzuschlagende
Weg wurde genau vorgeschrieben — zu ergründen, ob Rußland, um
sich nicht bloß die preußische, sondern auch die österreichische Unter-
stützung gegen die Pforte zu sichern, zu einer Verteilung polnischer
Grenzlande an die drei Nachbarmächte geneigt sein würde. Wie es
scheint, veranlaßte ihn zu dieser diplomatischen Rekognoszierung die
! Vgl. »König Frıeprıch DER Grosze« 11, 452 (3. Aufl.).
290 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 5. März 1908.
Nachricht, daß Rußland den Wiener Hof unter Berufung auf ältere
Verträge um Waffenhilfe gegen die Türken zu ersuchen beabsichtigte'.
Der preußische Gesandte. Graf Sons, führte nach anfänglichen Bedenken
den ihm bedingungsweise erteilten Auftrag aus, und der Leiter der
auswärtigen Politik, Graf Nıxıra Panın, erteilte ihm ausweichend die
bekannte Antwort’, daß Rußland bereits mehr Land besitze, als es
zu regieren imstande sei. Und diese Stellungnahme Rußlands war es,
die den König von Preußen in dem Briefe vom 25. Juni 1770 urteilen
ließ, er wage sich nicht zu schmeicheln und könne sich nicht schmei-
cheln, daß der Wind für solche Unternehmungen günstig sei. Seine
in dem Testament vom 7. November 1768 ausgesprochenen Zweifel
schienen ihm bestätigt.
Nicht lange nachdem der König jene beiden Briefe an den Prinzen
Heimrıc# gerichtet hatte, erhielt er ein Schreiben KArHArımas II. vom
19./30. Juli mit einer Einladung nach Petersburg für den Prinzen
Herseıch, der inzwischen zu einem Besuch der Schwester, Königin
Luise Urrıke von Schweden, nach Stockholm gereist war. Die Ein-
ladung kam völlig überraschend, der König schrieb dem Prinzen, daß
man sie nicht ablehnen könne, daß er aus der Not eine Tugend machen
möge. Es ist vermutet worden, daß der Prinz für seinen Petersburger
Aufenthalt mit geheimen Weisungen für die Anbahnung eines Teilungs-
vertrags versehen worden sei. Der im 30. Band der »Politischen Corre-
spondenz« enthaltene Briefwechsel zwischen den beiden fürstlichen
Brüdern erweist das Gegenteil; ausdrücklich schreibt der König dem
Prinzen am 26. Oktober 1770 auf die Nachricht von dessen Ankunft
in Petersburg, er möge dort bleiben, solange als es ihm angenehm
sein werde, und als er den Interessen der schwedischen Schwestern
dort nützlich sein könne; im übrigen sei er, der König, entschlossen
»de ne me m£ler ni de la paix’ ni des affaires de Pologne et de
n’etre que simple spectateur des evenements‘.« Frreprıcan blieb also
durchaus auf der Linie, die er sich in jenen beiden Briefen vom voran-
gegangenen Sommer für sein politisches Verhalten in der polnischen
Frage vorgezeichnet hatte’.
Vgl. Politische Correspondenz XXVIII, 88 — 82. 84.
Ebend. 194.
Friedensverhandlung zwischen Rußland und der Pforte.
Politische Correspondenz XXX, 219.
Als der Prinz sich im Gespräch mit den russischen Staatsmännern SALDERN
und Panın auf die Erörterung einer Tripleallianz gegen die Pforte zwischen Preußen,
Rußland und Österreich unter dem unbestimmten Hinweis auf die Stipulierung von
»avantages reeiproques pour les trois couronnes« eingelassen hatte, wies der König
diesen Gedanken entschieden ab: »Point de convention nouvelle queleonque; cela n'est
pas du tout de saison.« Fbend. 269.
» O0 -
Koser: Aus der Vorgeschichte der ersten Theilung Polens. 291
Ganz gegen die Erwartung des Königs und wohl auch gegen die
Erwartung des Prinzen Hrısrıcn ist dann, als dieser bereits im vierten
Monat zu Petersburg verweilte, von russischer Seite die Anregung zur
Teilung Polens an ihn herangetreten. Wir wissen, daß seit lange zwei
Strömungen am Petersburger Hofe einander entgegenwirkten. Graf
Nıkıra Panın, der Minister des Auswärtigen, vertrat die Meinung, daß
man von der Erwerbung polnischen Gebietes absehen solle; sein System
ging darauf aus, durch stete Einmischung in die polnischen Wirren,
wozu er die konfessionellen Gegensätze ausgesprochenermaßen als Vor-
wand benutzte, Polen in politischer Abhängigkeit von Rußland zu halten.
Graf ZacuArıas TschErNYScHEw, der Kriegsminister, vertrat die Politik
der Annexion. Er hatte schon nach dem Tode des letzten polnischen
Königs im Oktober 1763 der Zarin eine Denkschrift' vorgelegt, in der
er die alsbaldige Besitznahme der Woiwodschaften Pskow und Witepsk
und des ganzen polnischen Teils von Livland befürwortete; der Vor-
schlag war damals von der Staatskonferenz als sehr nützlich und als
des weitern Augenmerks wert anerkannt, zugleich aber, als zur Stunde
bedenklich, für günstigere Zeit zurückgelegt worden. Diese Richtung
gewann jetzt die Oberhand, als der Wiener Hof im Sommer 1770 mit
der Besitzergreifung der Starosteien Neu-Sandek, Neumarkt und Czor-
sztyn, unter Berufung auf alte Rechtsansprüche, ein Beispiel gab. Graf
TScHERNYSCHEw, der Verfasser jener Denkschrift von 1763, war es, der in
den Gemächern der Zarin am Abend des 8. Januar 1771 an den Prinzen
Hemeıcn die Worte richtete: »Mais pourquoi pas s’emparer de l’ev&che
de Warmie? Car il faut, apres tout, que chacun ait quelgue chose.«
Und diesmal stand seine Gebieterin auf seiner Seite: »Mais pourquoi
pas tout le monde se prendrait-il aussi?« so fragte sie selber an jenem
Abend den preußischen Prinzen’.
König Frieprıcn, der den Bericht über diese vielsagenden Äußerun-
gen zunächst noch mit seiner alten Zurückhaltung aufnahm, ließ bei
der Rückkehr des Prinzen, Ende Februar 1771, seine Bedenken fallen,
wobei er nun allerdings mehr an polnischem Gebiet als das Ermland
von den Russen forderte und erhielt. Die Beweggründe, die den russi-
schen Hof bestimmten, gegen die bisher leitenden Gesichtspunkte seiner
Politik die von nun an Westpreußen genannte Provinz an Preußen zu
überlassen, fassen sich einfach dahin zusammen: es galt, inmitten des
Kampfes gegen den Halbmond und gegen die polnische Insurrektion
! Zbornik (Magazin) der Kaiserlich Russischen Historischen Gesellschaft LI, S. 9.
Andere Vertreter dieser Richtung waren General Irıa ALexanprowrıscn Bıeıkow und
Fürst Micnaer Worxonskı. Vgl. Politische Korrespondenz XXX, S.403. 406.
® Politische Korrespondenz XXX, S. 407.
292 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 5. März 1908.
und angesichts der drohenden Haltung Österreichs den König von
Preußen unter allen Umständen auf der russischen Seite festzuhalten.
Er aber hatte die Genugtuung, die Russen, von denen er noch vor
kurzem unüberwindlichen Widerstand gegen einen alten Wunsch der
preußischen Politik befürchtet hatte, kommen zu sehen. Seine Taktik
des Zuwartens, wie er sie in den beiden hier behandelten Briefen be-
gründet, war die richtige gewesen.
Ausgegeben am 12. März.
Berlin, gedruckt in der ReichsdruckereL
XIV.
- SITZUNGSBERICHTE
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADENIE DER WISSENSCHAFTEN.
nnitsitzung am 12. März. (S. 293)
IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.
'E F t : x En es „u
SE | om
Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften.
Aus $l.
Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei
fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte
der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «
und »Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie
der Wissenschaften«.
Aus $ 2.
Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberielite« oder die
»Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka-
demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in,der Regel
das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefern ist. Nicht-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.
$ 3.
Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll
in der Regel in den Sitzungsberiehten bei Mitgliedern 32,
bei Niehtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift
der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen
von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand-
lungen nieht übersteigen.
“Überschreitung diesen Grenzen ist nur mit Zustimmung
der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt-
haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu
beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver-
muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde,
so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen
von sachkundiger Seite auf’ seinen muthmasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lassen.
Ss4.
Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder
auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die
Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographiselie Original-
aufnahmen u. s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch
auf getrennten Blättern, einzureichen.
Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in
der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten
aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so
kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein
darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be-
treffenden Vorlagen mit dem schrittlichen Kostenanschlage
eines Sachverständigen an den vorsitzenden Sceeretar zu
riehten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und
weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln.
Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka-
demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten
ist -— wenn cs sich nicht um wenige einfache Textfiguren
handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen
beizufügen. Uberschreitet dieser Anschlag für die er-
forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark,
bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung
dureh das Secretariat geboten.
Aus $
Nach der Vorlegung und Einreichung des
vollständigen druckfertigen Manuseripts an den
zuständigen Secretar oder an den Archivar
wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen
Sehriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit-
glieder es verlangt, verdeekt abgestimmt.
Mittheilungen von Verfassern, welehe nicht Mitglieder
der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die
Sitzungsberichte aufgenommen werden. Bescehliesst eine
Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Nichtmitgliedes
in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungene,
so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die
Gesammt-Akademie.
5.
(Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.)
Aus $ 6.
Diean die Druckereiabzuliefernden Manuseripte müssen,
wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus-
reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes
und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen
Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden
Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehmen.
Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser
seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht.
Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen (ie
Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das
vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correctur soll nach
Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern
und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche
Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi-
girenden Seeretars vor der Einsendung an die Druckerei,
und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr-
kosten verpflichtet.
Aus $ 8. y
Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen
aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden,
Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von
wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im
Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sonder-
abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be-
treffenden Stücks der Sitzungsberiehte ausgegeben werden.
VonGedächtnissreden werden ebenfallsSonderabdrucke
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären.
$9. 2
Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberichten
erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei-
exemplare; ‘er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis
zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Sceretar an-
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be-
treffenden Classe. — Nichtinitglieder erhalten 50 Frei-
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Seeretar weitere 200 Exemplare auf
Kosten abziehen lassen. r
Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er-
hält ein Verfasser, weleher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres _30 Frei-
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis
zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abzichen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Sceretar an-
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be-
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 Frei-
_ exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen lassen.
8 17.
Eine für die akademischen Schriften be-
stimmte wissenschaäftliche Mittheilung darf
in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener
Stelle ande erweitig, sei es Sırel nur auszugs-
ihre
€
PURE
293
SITZUNGSBERICHTE 1908.
XIV.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
12. März. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. Munk las über die Functionen des Kleinhirns.
Die Untersuchung kommt dahin zum Abschluss, dass das Kleinhirn ein nervöser
Bewegungsapparat des Thieres ist, in dem Mark- und Muskeleentren der Wirbelsäule
einerseits und der Extremitäten andererseits derart mit einander in Verbindung gesetzt
sind, dass durch seine Thätigkeit unwillkürlich und unbewusst zweckmässige Gemein-
schaftsbewegungen von Wirbelsäule und Extremitäten zustande kommen, insbesondere
die Gleichgewichtsregulirung bei den gewöhnlichen Haltungen und Bewegungen des
Thieres.
2. Vorgelegt wurden: P. Vınocranorr, English Soeiety in the
Eleventh Century, Oxford 1908, und W.Huscıss, The Royal Society
(London 1906). Neuabdruck.
Die Akademie hat in der Sitzung am 27. Februar Hrn. Emıre
Bourroux in Paris, Mitglied des Institut de France, zum correspon-
direnden Mitglied ihrer philosophisch-historischen Classe gewählt.
[5
Sitzungsberichte 1908.
294 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
Uber die Functionen des Kleinhirns.
Von HERMANN Munk.
Dritte Mittheilung (Schluss).!
%
ka Verhalten der Thiere während der ersten Zeit nach der Klein-
hirnexstirpation sollten die Folgen des Kleinhirnverlustes zusammen
mit den Folgen des operativen Angriffs zum Ausdruck kommen’: und
so stellt es sich in der That heraus.
Als operative Folgen haben sich an anderen Theilen des Central-
nervensystems rasch an Grösse abnehmende Störungen der Art er-
geben, dass manchmal die Nachbarschaft des exstirpirten Theiles und
immer die niedereren motorischen Centren, zu denen vom exstirpirten
Theile motorische Bahnen gehen, in ihrem Functioniren beeinträchtigt
sind. In unserem Falle kommen Functionsstörungen der Nachbarschaft
nicht zur Beobachtung, offenbar weil das Kleinhirn nicht aus einem
ausgedehnten nervösen Zusammenhange mit der Umgebung durch das
Messer loszulösen ist, sondern, wie es als geschlossenes Ganzes gleich-
sam als ein Anhängsel lediglich durch seine Stiele mit dem übrigen
Centralnervensystem in Verbindung steht, durch die blosse Durch-
trennung dieser Stiele sich exstirpiren lässt. Aber die dem Kleinhirn
untergeordneten motorischen Centren, Mark- und Muskelcentren für
den Bereich von Wirbelsäule und Extremitäten, erweisen sich zunächst
nach der Operation ansehnlich beim Affen und noch beträchtlich mehr
beim Hunde in ihrer Erregbarkeit herabgesetzt, und diese Herabsetzung
nimmt mit der Zeit, beim Affen rascher, beim Hunde langsamer, bis
zu der geringen Grösse ab, in der sie die Folge des Kleinhirnver-
lustes ist und als solche verbleibt. So prägt sich die operative
Herabsetzung in dem Mühsamen, Schwerfälligen und Ungeschickten
der Aufstehversuche aus, die der Affe nach dem Ablaufe der Narkose,
! Die früheren Mittheilungen s. diese Berichte 1906. 443 ff. und 1907. ı6ff.
Sie sind in den folgenden Citaten mit I und II bezeichnet.
2 1 468.
Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. 295
der Hund in den ersten Wochen macht', im eonvexen Rücken und
gesenkten Kopfe, wie im Collabiren des Affen, wenn er in den ersten
Tagen nach der Operation an die Wand gelehnt sitzt’, in der anfäng-
lichen Schlaffheit der Hinterbeine am emporgehaltenen Hunde’, in
dem derzeitigen Greifen des Affen‘, in dem seltenen Auftreten isolirter
willkürlicher Bewegungen am Vorderbeine des Hundes während der
ersten Wochen’. Sie giebt sich aber auch in dem zu erkennen, was
früher auffallen durfte", dass die gröbere Art der Gleichgewichtserhal-
tung, die nach dem Kleinhirnverluste mehr und mehr als functioneller
Ersatz für die fehlende feinere Art der Gleichgewichtserhaltung ein-
tritt, nicht sogleich nach der Exstirpation, sondern erst nach einer
gewissen Zeit sich bemerklich macht, obwohl die Hirntheile, auf deren
Wirken sie beruht, unversehrt sind: die Thätigkeit dieser Hirntheile
muss erfolglos bleiben, so lange die Mark- und Muskelcentren für den
Bereich von Wirbelsäule und Extremitäten zu der Mitwirkung, die
sie, wie für die feinere, so auch für die gröbere Gleichgewichtserhal-
tung zu leisten haben, nicht fähig sind.
Der Verlust der feineren Gleichgewichtserhaltung als Folge des
Kleinhirnverlustes hinzugenommen, ist es dann in allen Stücken klar,
was das Verhalten der kleinhirnlosen Thiere in der ersten Zeit nach
der Operation charakterisirt, dass die Thiere nach anfänglichen ver-
geblichen Aufstehversuchen durch viele Tage am Boden liegen bleiben,
der Affe in der Brustbauch- oder Brustbeckenlage, der Hund in der
Seitenlage, ohne mehr als hin und wieder eine Lageveränderung dort
vorzunehmen oder einen Aufstehversuch zu wiederholen. Beim Hunde
ist die operative Herabsetzung der Erregbarkeit der genannten Öentren
so gross und erfolgt ihre Abnahme so langsam, dass der Hund
frühestens zu Ende der zweiten Woche nach der Operation dazu
kommt, sich auf die Beine zu stellen, und bleibt entsprechend die
funetionelle Compensation des Verlustes der feineren Art der Gleich-
gewichtserhaltung so weit zurück, dass der Hund fast erst um die-
selbe Zeit seine gewohnte Ruhestellung, die Brustbauch- oder Brust-
beckenlage, einzuhalten imstande ist. Beim Affen nimmt die von
vorneherein kleinere Herabsetzung rascher ab und macht sich dem-
gemäss auch die funetionelle Compensation früher geltend; daher der
Affe, wenn er in Angst oder Zorn versetzt ist, schon in den ersten
Tagen nach der Operation unter der im Affeet verstärkten Innervation
sich erheben, klettern, gehen, springen kann und nicht nur bald nach
der Operation sich in der Brustbauch- oder Brustbeekenlage, sondern
1 1453, 457- ® 1454—5, 469. ® I 2o. * 1474. ® 1466 —7.
Sag
237*
296 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
auch schon zu Anfang der zweiten Woche in der Sitzstellung zu be-
haupten vermag. Wie die Unfähigkeit der Thiere, sich aufzustellen
und die gewohnte Ruhestellung einzunehmen, die sogenannten Zwangs-
bewegungen mit sich bringt, haben wir schon früher‘ gesehen.
Mit dem Verhalten der Thiere nach der halbseitigen Kleinhirn-
exstirpation brauchten wir nach der Art unseres Vorgehens im grunde
nicht mehr uns zu befassen; denn wir könnten bei der Kenntniss der
Funetionen des Kleinhirns stehen bleiben, ohne weiter die Frage zu
verfolgen, welchen Antheil an diesen Funetionen die einzelnen Theile
des Kleinhirns nehmen. Aber wie die Forschung am Kleinhirn sich
entwickelt hat, wie man das Organ von jeher zu allermeist einseitig
angegriffen und neuerdings hauptsächlich die Folgen der halbseitigen
Exstirpation den Theorien des Kleinhirns zugrunde gelegt hat, würden
wir unsere Untersuchung nicht zum befriedigenden Abschlusse bringen,
wenn wir nicht noch an den letzteren Folgen die Zuverlässigkeit
unserer Ermittelungen prüften.
Zur übersichtlichen Orientirung kann hier die Schilderung die-
nen, wie sie Hr. Lucıanı vom Hunde gab’, und wie sie bei seinen
Nachfolgern im ganzen und grossen ebenso wiederkehrt. Zuerst liegt
der Hund am Boden und kommen Krümmung der Wirbelsäule gegen
die Exstirpationsseite hin, tonische Streckung des Vorderbeines der-
selben Seite und klonische Bewegungen der übrigen drei Gliedmaassen,
Spiraldrehung des Halses und des Kopfes nach der unverletzten Seite
hin, leichter Nystagmus, Strabismus, Rollen des Körpers in der Rich-
tung von der unverletzten nach der operirten Seite zur Beobachtung.
Diese »dynamischen«® Erscheinungen halten nur wenige (im Mittel
$—ı0) Tage an, während welcher die tonischen Spasmen schwächer
werden und (zuerst das Rollen, zuletzt der Pleurotonus) verschwinden,
indem sie den Charakter klonischer und oseillatorischer Bewegungen
annehmen. In dem Maasse, in dem dies geschieht, werden die Ver-
suche des Hundes, sich aufrecht zu halten und zu gehen, nach und
nach von Erfolg begleitet. Über 4 Wochen kann es sich hinziehen,
ehe der Hund dazu fähig ist; jedoch ist er schon während dieser
Zeit, wenn es ihm gelingt, die Flanke der Exstirpationsseite gegen
eine Mauer zu stützen, imstande, sich aufrecht zu halten und auch
regelmässige Schritte zu vollführen. Zunächst, wenn die dynamischen
Erscheinungen eben erst verschwunden sind, ist der Hund in den
Muskeln der Gliedmaassen der Exstirpationsseite, besonders der Hinter-
extremität, so schwach, daß er beim ersten Anblick mit einem von
1820622
® Cerv. 167—9, 186—8, 19I—5; Klh. 282—4, 290—2, 295—8.
® Vgl. 1461.
Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. 297
Hemiplegie betroffenen verwechselt werden könnte. Er kann nur auf
dem Hinterbacken der Exstirpationsseite kriechen und fällt, wenn er
sich erhebt, nach der Exstirpationsseite infolge des Einknickens der
Glieder dieser Seite. Aber in der Folge wird das Fallen immer sel-
tener, und schliesslich vermag der Hund dasselbe vollständig zu
vermeiden mittels des Compensationsmechanismus, dass er die Vor-
derextremität der Exstirpationsseite übermässig abdueirt und durch
Krümmung der Wirbelsäule nach der Exstirpationsseite die Stütze
der beiden Hinterextremitäten nach dieser Seite verschiebt, so dass
die Hauptachse des Körpers schräg zur Gangrichtung steht. Neben
der Schwäche zeigt der Hund die Schlaffheit der Extremitäten der
Exstirpationsseite, das übermässige Heben und Aufstampfen dieser
Extremitäten, ferner das Zittern des Kopfes beim Liegen, das Schwan-
ken des Rumpfes bei der aufrechten Stellung u. s.w., wie wir alle
die einschlägigen Abnormitäten bereits bei unserer Behandlung der
Totalexstirpation auch in ihrer Erscheinungsweise nach der halbseitigen
Exstirpation aufgeführt haben’.
Auf grund dieser Schilderung lassen sich sogleich wieder als
Folgen des halbseitigen Kleinhirnverlustes des Hundes Zittern, Schwan-
ken, Fallen, die mit der Zeit durch Compensation abnehmen, und
Störungen an den Extremitäten erkennen und ebenso wieder die be-
sonderen oder besonders grossen Abnormitäten in der ersten Zeit
nach der Operation dem Hinzutritt der Folgen des operativen An-
griffs zuschreiben. Zugleich springt an den Extremitäten und auch
sonst im Verhalten des Hundes eine Einseitigkeit der Folgen in die
Augen gegenüber der beiderseitigen Gleichheit der Folgen beim Ver-
luste des ganzen Kleinhirns. Damit ist uns die Richtung gewiesen,
die wir zu nehmen haben.
Zuvörderst constatiren wir, dass auch die halbseitige Exstirpation
nicht allgemeine Störungen der Motilität und Sensibilität nach sich
zieht, sondern lediglich auf den Bereich von Wirbelsäule und Extre-
mitäten beschränkte Störungen. Über den Bereich hinausgehend finden
wir nur die Angabe, dass Nystagmus und Strabismus vorkommen, und
damit verhält es sich hier nieht anders als nach der Totalexstirpation”.
Nystagmus und Strabismus treten, wie Brechbewegungen oder Athem-
störungen u.s.w., bei den Versuchen auf, die durch Nebenverletzun-
gen misslungen sind; sonst fehlen sie. Um letzteres mit aller Sicher-
heit auch für den Fall der halbseitigen Exstirpation vertreten zu
können, habe ich diese noch vollkommener zu gestalten mich be-
müht, als ich sie oben” beschrieb, und es ist mir gelungen, die Durch-
! 1476; Il zo, 23. 2 ] 451, 462. 2717452.
298 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
schneidung des Wurms auch an seinem vorderen Theile in der Median-
ebene durchzuführen. Es bedarf dafür nur des kleinen Kunstgriffs,
dass man nach der Loslösung der hinteren Wurmhälfte den vorderen
Theil des Wurms mit dem flach an seine Oberfläche angelegten Messer
etwas stärker nach hinten zieht und rasch das abgehobene Messer
so weit nach vorn bringt, dass sein freies Ende die obere Kuppe
des elastisch in die alte Lage zurückstrebenden Wurms auffängt; mit
dem Schnitte, den man jetzt glatt nach unten und etwas nach hinten
gegen das an die untere Fläche des Wurms angelegte Stäbchen führt,
wird auch vom vordersten untersten Stücke des Wurms, das ich
früher ungetheilt zurückliess, die eine Hälfte abgetragen. Auch bei
den so vervollkommneten Versuchen blieben Nystagmus und Stra-
bismus aus.
Die Störungen an den Extremitäten, deren Schlaffheit und
Sehwäche u. s.w., sind uns dann nicht nur in Übereinstimmung mit
Hrn. Lucrant's Angabe als einseitige, und zwar der verlorenen Klein-
hirnhälfte gleichseitige Störungen schon bekannt, sondern wir sind
auch bereits genauer mit ihrer Art und ihrem Wesen vertraut, da
wir sie in unsere Untersuchung der Motilitäts- und Sensibilitätsstö-
rungen von Wirbelsäule und Extremitäten bei der Totalexstirpation
mit einbezogen haben'. Als erwünschte Ergänzung dieser Unter-
suchung finden wir aber ferner noch entsprechende einseitige Stö-
rungen an der Wirbelsäule, die nur nicht der verlorenen, sondern
der erhaltenen Kleinhirnhälfte gleichseitig sind.
Am emporgehaltenen Hunde, wenn er nach den anfänglichen
Strampelbewegungen andauernd ganz schlaff herabhängt, zeigt die
Wirbelsäule eine nach der Exstirpationsseite concave Krümmung, die
zunächst nach der Operation am auffälligsten ist und in den ersten
Wochen bis zu einer geringeren Grösse abnimmt, auf der sie sich
erhält. Auch ist dieselbe Concavität an dem ruhig in der Seitenlage
verharrenden Hunde, besonders in der ersten Zeit, deutlich zu sehen,
wenn er, mit dem Kopfe an oder nahe dem Boden, auf der unver-
letzten Seite liegt, und zum mindesten daran zu erkennen, dass die
Hinterbeine dann ganz in der Luft sind, während sie, wenn der Hund
auf der Exstirpationsseite liegt, mit den Füssen dem Boden aufruhen.
Schiebt man nach Ablauf der ersten Tage den auf dem Tische in
der Seitenlage gehaltenen Hund mit dem Hinterkörper über den Tisch-
rand hinaus, so lässt der Hund, wenn er auf der Exstirpationsseite
liegt, den Hinterkörper herunterhängen und bewegt höchstens die
Hinterbeine, um auf den Tisch zu kommen, auch wenn man ihn
22.
Mvsk: Über die Functionen des Kleinhirns. 299
noch besonders, z. B. durch Kneipen des Schwanzes zu Bewegungen
anregt; dagegen er den Hinterkörper mit Streckung und Drehung
der Wirbelsäule hebt, wenn er auf der unverletzten Seite liegt. Wird
der Hund, wenn er wieder, ohne zu fallen, geht, durch Zuruf zu
rascher Umkehr auf seinem Wege veranlasst, so wendet er regel-
mässig nach der Exstirpationsseite hin in kleinem Bogen um. Und
ohne Zögern dreht sich der Hund unter noch stärkerer Concav-
krümmung der Wirbelsäule nach der Exstirpationsseite in kleinem
Kreise, wenn man auf dieser Seite ein Fleischstück in der Richtung
vom Kopfe nach dem Schwanze führt; während es, wenn man das
Fleischstück ebenso auf der anderen Seite des Hundes bewegt, äusserst
selten und erst nach vielen vergeblichen Versuchen einmal gelingt,
den Hund zu einer Drehung unter schwacher Goncavkrümmung seiner
Wirbelsäule nach der unverletzten Seite zu veranlassen. Mit Ver-
tauschung der Seiten zeigt sich demnach an der Wirbelsäule ein
analoges Verhalten wie an den Extremitäten: die Wirbelsäule-Muskeln
sind schlaffer und kommen schwerer und weniger in Bewegung auf
der unverletzten Seite, als auf der Exstirpationsseite.
Die althergebrachte Vorstellung von den Zwangsbewegungen als
Reizerscheinungen hat es verschuldet, dass dies nicht schon Hr. Lucıanı
erkannte, da er die Concavität der Wirbelsäule nach der Exstirpations-
seite hin sah, sondern eine Contracetion der Rumpfmuskeln dieser
Seite die Krümmung verursachen liess'. Man ist jedoch auch später
nicht ins Klare gekommen, als man die Zwangsbewegungen für Aus-
fallserscheinungen erklärt hatte. Hr. Lewanpowskv, der ferner noch
die Bevorzugung der Kreisbewegung nach der Exstirpationsseite be-
merkte’, hat doch diese Kreisbewegung und jene »Zwangshaltung«
mit dem Rollen des Hundes zum besonderen Symptomencomplex der
Zwangsbewegungen vereinigt, den er von den übrigen Erscheinungen
nach Kleinhirnverletzungen abtrennte® und für seine Theorie des
Kleinhirns nicht weiter in Betracht zog: und dabei sagt er selber,
dass es hinter den Thatsachen zurückbleibt, wenn man die Dauer
der Zwangsbewegung und der Zwangshaltung selbst nur zu vier
Wochen nach der Operation annehmen wolle’. Abgesehen von den
Zwangsbewegungen, haben Hr. Lucrası, Hr. Tnuomas und Hr. LewaAn-
DOWSKY, verführt offenbar durch das in die Augen fallende Verhalten
der Extremitäten, alle Muskeln der Exstirpationsseite und Hr. THonas'
sogar ausdrücklich die Rumpfmuskeln dieser Seite abnorm schlaff,
! Cerv. 168. — Später hat noch Russe (a. a. 0.860) einen Spasmus der pare-
tischen Rumpfmuskeln der Exstirpationsseite angenommen, in Übereinstimmung damit,
dass auch die paretischen Extremitäten dieser Seite im Spasmus wären.
ZEN a 0A ® Ebenda ı5r. Era 0.8327.
300 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
ihren Tonus vermindert sein lassen und demgemäss den Einfluss der
Kleinhirnverletzung als einen gleichseitigen oder — auf grund ihrer
Deutung der Restitution und der Folgen des Medianschnittes durch
das Kleinhirn — als vorwiegend oder wesentlich gleichseitigen hin-
gestellt'. Selbst die experimentellen Reizungserfolge am Kleinhirn,
die wiederholt dabei zur Sprache kamen, haben nicht zur richtigen
Erkenntniss hingeleitet, obwohl es nahelag, dass, wenn die einseitige
Reizung am Kleinhirn Bewegungen an den Extremitäten auf der
gleichen und an der Wirbelsäule auf der entgegengesetzten Seite
veranlasste’, die einseitige Exstirpation am Kleinhirn auch die Be-
weglichkeit der Extremitäten auf der gleichen Seite und der Wirbel-
säule auf der entgegengesetzten Seite schädigte.
Schliessen wir vorerst die Erscheinungen der ersten zwei Wochen
nach der halbseitigen Kleinhirnexstirpation von unserer Betrachtung
aus, so ist es also schon durch unsere früher durchgeführte Unter-
suchung” ausgemacht, dass durch den halbseitigen Kleinhirnverlust,
infolge des Fortfalls der beständig schwach erregten motorischen
centralen Elemente der Kleinhirnhälfte, die Erregbarkeit von Mark-
und Muskeleentren für den Bereich der Wirbelsäule auf der ent-
gegengesetzten Seite und für den Bereich der Extremitäten auf der
gleichen Seite unter die Norm herabgesetzt ist. Infolgedessen kann
es natürlich auch zu Gleichgewichtsstörungen des Hundes kommen,
zu Schwanken und Fallen, wie wir es in den ähnlichen Fällen sehen,
in denen die hinteren Wurzeln der Rückenmarksnerven für die beiden
öxtremitäten derselben Seite durchschnitten sind oder die Extremitäten-
regionen einer Grosshirnhemisphäre exstirpirt sind. Aber im Zittern,
Schwanken, Taumeln, Fallen nach der halbseitigen Kleinhirnexstirpation
bieten sich noch Störungen dar, die in diesen Fällen nicht vor-
kommen und durch jene Herabsetzung der Erregbarkeit nicht er-
klärlich sind. Diese besonderen Störungen hat Hr. Lucıanı, wie uns
durch die zusammenfassende Darlegung' seiner Ausführungen schon
bekannt ist, auf die mangelnde Continuität der Muskeleontraetionen
infolge unvollständiger Verschmelzung der Elementarimpulse oder
unvollkommener Summation der Einzelimpulse zurückgeführt, und
darum hat er seinen verstärkenden Einfluss des Kleinhirns ausser in
der tonischen und der sthenischen noch in der statischen Wirkung
sich äussern lassen.” Dem entgegen erkennen wir in den Störungen
! Lucıanı, Klh. 282, 335. — LEwAnDowskY, a.a.0. 157, 177.
?2 NornnAGEL, Vırcaow’s Archiv 68. 1876. 36ff. — Lewanpowsky, a.a. 0.
149— 50. — Louvre, Neurolog. Centralbl. 1907. 6353 ff.
Sl aa 4 1 476.
5 Lewanpowsky hat das, was gerade so charakteristisch für das Kleinhirn in
Bezug auf Function und Functionsausfall ist, derart verkannt, dass seine hierherge-
Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. 301
nur eine Schädigung wieder der feineren Gleichgewichtserhaltung beim
Liegen, Sitzen, Gehen u. s. w., die durch die Totalexstirpation als
Function des Kleinhirns sich ergab.
Nach unseren früheren ausgedehnten Erörterungen' darf ich
mich kurz fassen. Man kann, wenn man zuerst nach der halbseitigen
Exstirpation am liegenden Hunde das Zittern und Schwanken von
Kopf und Rumpf sieht, an zitterige Contraetionen denken, aber man
muss den Gedanken bald fallen lassen. Bei allen Bewegungen aller
Körperteile des Hundes verlaufen alle Muskelverkürzungen, sie seien
klein oder gross, kurz oder lang, der unverletzten oder der verletzten
Seite zugehörig, durchaus normal, ohne dass etwas Zitteriges an
ihnen zu sehen oder zu fühlen oder aus irgend einer Besonderheit
zu erschliessen wäre. Ein Uebergang anfänglicher tonischer Spasmen
in klonische und oseillatorische Bewegungen kommt gar nicht vor.
Der Hund kann von vorneherein den Kopf frei hochhalten, dann den
Vorderrumpf auf den vorgestreckten Vorderbeinen und schliesslich
auch den Hinterrumpf auf den gebeugten und unter den Bauch ge-
zogenen Hinterbeinen erhoben halten ohne jedes Zittern und Schwanken.
Diese stellen sich lediglich unter Umständen als Begleit- oder Ab-
schlusserscheinungen von Bewegungen, die der Hund macht, ein:
als Begleiterscheinungen, wie ich es beim Fressen genauer beschrieb’,
wenn Kopf und Rumpf erheblich aus dem Gleichgewicht gebracht
und so lange sie nicht wieder genügend unterstützt sind; als Ab-
schlusserscheinungen, wenn Kopf und Rumpf nach Ablauf‘ der Be-
wegung wieder ins Gleichgewicht kommen. Im ersteren Falle treten
gröbere und mit der Art der Bewegung wechselnde rhythmische
Schwankungen auf, im letzteren Falle regelmässige hin- und her-
gehende Oseillationen, Schwingungen mit abnehmender Amplitude
um die Gleichgewichtslage, — nach der halbseitigen Exstirpation in
ganz derselben Weise wie nach der Totalexstirpation. Daher ist die Ur-
sache des Zitterns und Schwankens nicht eine Abnormität der Art
der Muskelverkürzung, noch eine Abnormität der Spannung der
Muskeln in der Ruhe, sondern eine Abnormität in der feineren Gleich-
gewichtserhaltung des Hundes.
hörigen Bemerkungen nicht darüber hinausgehen, dass Lucıanı's Wort »statische
Funetion« »doch mehr eine Umschreibung als eine Erklärung bedeutet«, und dass
»das Schwanken als solches jedenfalls ein Symptom ist, das durchaus nicht aus dem
Rahmen einer sensorischen Ataxie herausfällt und sehr wohl auf Störungen des
Muskelsinnes von Rumpf und Extremitäten bezogen werden kann« (a.a.O. 156, 17L).
Wie dabei noch Lewanpowskyv unter »Muskelsinn« die ganze Sensibilität der Haut,
der Muskeln und der Gelenke verstand, haben wir schon oben II 22 gesehen.
ı 1469 — 80.
® 1479.
302 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
Auch beim Taumeln und Fallen des Hundes ist diese Abnormi-
tät zu erkennen. Die Lucrantsche Angabe, dass der Hund, wenn
er sich erhebt und im Gehen übt, nach der Exstirpationsseite infolge
des Einknickens der Glieder dieser Seite fällt, ist nicht ganz zu-
treffend. Richtig ist, dass beim ersten Aufstehen und Gehen des
Hundes das Fallen regelmässig nach der Exstirpationsseite hin erfolgt;
und das kann auch nicht anders sein, da der Hund aus dem Liegen
sich zuerst auf die Vorderbeine stellt und zuletzt mit dem in der
Motilität geschädigten Hinterbeine den Rumpf hebt, dabei nur soweit,
dass dieses Hinterbein mehr oder weniger schief nach unten innen
bleibt. Aber nachdem wird das geschädigte Hinterbein senkrecht
oder schief nach unten aussen gestellt, und dann fällt der Hund bei
seinen Gehübungen sowohl auf die Exstirpationsseite wie auf die an-
dere Seite, höchstens öfter auf die Exstirpationsseite um. Der Hund
trägt beim Gehen den Rumpf etwas nach der unverletzten Seite über-
hängend und fällt nach dieser Seite, wenn während des Gehens das
Überhängen sich verstärkt, nach der Exstirpationsseite, wenn es sich
verliert, — wie sich oft eonstatiren lässt, wenn dort die Beine der
verletzten Seite, hier die der unverletzten Seite gerade beide zugleich
schwebend in der Luft sind. Später kommt es nicht mehr zu einem
wirklichen Umfallen des Hundes, sondern bloss zu einem Taumeln
oder Schwanken nach der Seite, indem der Hund, sobald das Fallen
beginnt, ihm damit begegnet, dass er den Rumpf nach der entgegen-
gesetzten Seite wirft; wobei es allerdings zuweilen geschieht, dass
der Hund durch einen zu kräftigen Wurf nunmehr nach der letzteren
Seite umfällt. Manchmal hilft sich auch der Hund damit, dass er
in rascherem Weitergehen die Beine der Seite, nach der hin er
schwankt, stark abdueirt, die Beine der anderen Seite addueirt auf-
setzt, wodurch das sogenannte Drängen des Hundes nach der Seite
zustandekommt. Mithin kann man es zugeben, ohne sich erst weiter
auf tiefer eindringende Fragen einzulassen, dass zu einem Theile,
besonders in der ersten Zeit, durch das Einknieken oder die Schwäche
der Extremitäten das Fallen des Hundes herbeigeführt wird: immer
muss «doch zum anderen Theile eine Schädigung der feineren Gleich-
gewichtserhaltung die Ursache von Fallen und Taumeln sein.
Wie gross die Schädigung ist, darüber erhält man durch die
Gleichgewichtsstörungen nach der halbseitigen Exstirpation für sieh
allein nicht genügend Auskunft. Man muss dafür diese Störungen
und die nach der totalen Exstirpation vergleichend betrachten. Dann
stellen sich die letzteren in den ersteren abgeschwächt dar. Zittern,
Schwanken, Taumeln, Fallen treten nach der halbseitigen Exstirpation
von vorneherein seltener und weniger heftig auf, und manches, wie
Munk: Über die Funetionen des Kleinhirns. 303
das Umschlagen nach der freien Seite, wenn der Hund mit der anderen
Seite an die Wand angelehnt steht, und das Vorn- oder Hintenüber-
stürzen, wenn der Hund geht, kommt überhaupt nicht vor. Die
Störungen nehmen ferner viel rascher mit der Zeit ab und können
oft schon im zweiten Monate nach der Operation ganz verschwunden
scheinen, indem sie weiter nur noch ausnahmsweise und unter be-
sonderen Umständen, z. B. wenn der Hund übermüdet ist, zu beobachten
sind. Lediglich eine ansehnliche Beeinträchtigung oder ein partieller
Verlust der feineren Gleichgewichtserhaltung ist es darnach, was die
halbseitige Exstirpation mit sich bringt, gegenüber dem völligen Ver-
luste, der durch die Totalexstirpation herbeigeführt wird. Wie denn
auch der Hund nach der halbseitigen Exstirpation nichts von dem
eigenartigen, sprungartigen Gehen des kleinhirnlosen Hundes zeigt,
aus dem das Fehlen der feineren Gleichgewichtserhaltung sich ent-
nehmen liess', vielmehr das Gehen mit den normalen Gehbewegungen
der Extremitäten beibehält. Um das Fallen zu vermeiden, hebt er
nur zu Anfang meist das Hinterbein nicht ab, ehe das gegenseitige
Vorderbein auf dem Boden steht, und das Vorderbein nicht ab, be-
vor er das gleichseitige Hinterbein aufgesetzt hat, aber später bewegt
er die Beine gewöhnlich ebenso nach einander wie in der Norm.
Nehmen wir hinzu, was vorher über die Motilitäts- und Sen-
sibilitätsstörungen an Wirbelsäule und Extremitäten sich ergab, so
lässt sich sagen, dass die feinere Gleichgewichtserhaltung, wie nach
der Totalexstirpation gänzlich, so nach der halbseitigen Exstirpation
zu einer Hälfte verloren ist. Wenn dies in den Beobachtungen nicht
zu strengerem Ausdruck kommt und eine wesentlich kleinere Schätzung
des Verlustes nach der halbseitigen Exstirpation besonders dadurch
nahegelegt ist, dass der Hund nach einigen Wochen wieder gut geht
und steht, während nach der Totalexstirpation der Hund zeitlebens ein
schwerer Krüppel für Gehen und Stehen bleibt, so liefert die Er-
klärung die funetionelle Compensation. Sie greift rascher und tiefer
ein nach der halbseitigen Exstirpation als nach der totalen, indem
nicht bloss das Hirn ohne Kleinhirn dem kleineren Schaden leichter
und besser mit compensirenden Bewegungen abhelfen kann, sondern
auch noch die stehengebliebene Hälfte des Kleinhirms an der Ab-
hülfe sich betheiligt. Sehr wohl können dieser Kleinhirnhälfte die
Verschiebung des Beckens nach der Exstirpationsseite und das Über-
hängen des Rumpfes nach der unverletzten Seite in Rechnung zu
setzen sein. Jedenfalls aber wirkt auch die Kleinhirnhälfte, wie das
übrige Hirn, funetionell compensirend und liegt hier kein Anlass vor,
ı 11 16—19.
304 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
ihr noch ein anderes, »organisches«' Compensiren zuzuschreiben, be-
stehend in einer Abschwächung der Ausfallserscheinungen, dadurch
dass die zurückgebliebene Kleinhirnhälfte durch verstärktes Funetioniren
allmählich die Functionen der verlorenen Kleinhirnhälfte übernimmt.
Denn die Folgen des operativen Angriffs ausgenommen, die ihrer
Natur gemäss eine wirkliche Grössenabnahme mit der Zeit nach der
halbseitigen Exstirpation erfahren, sehen wir alle Störungen lediglich
durch neu auftretende Haltungen und Bewegungen des Hundes mehr
und mehr unterdrückt und soweit unschädlich gemacht werden, dass
der Hund im groben die frühere Leistungsfähigkeit wiedererlangt.
Und nachdem dies eingetreten ist, sehen wir jedesmal, dass die neuen
Haltungen und Bewegungen infolge von Ermüdung oder schlechter
Ernährung oder Erkrankung des Hundes nicht gut zustande kommen,
wenn selbst schon Jahr und Tag seit der Operation vergangen sind,
Zittern und Schwanken, Taumeln und Fallen wieder in der Weise
sich einstellen, wie sie früher sich gezeigt hatten.
Der vorgewonnenen Einsicht in die Folgen des halbseitigen Klein-
hirnverlustes entsprechen auch die Erscheinungen, die wir noch zu be-
trachten haben, die Erscheinungen in den ersten Wochen nach der halb-
seitigen Exstirpation, in denen jenen Folgen die Folgen des operativen
Angriffs beigesellt sind. Heften wir uns, um die Darlegung zu verein-
fachen, an die linksseitige Exstirpation, so ist eine Beeinträchtigung des
Functionirens der rechten Kleinhirnhälfte, an die man wegen der
Messerführung durch die ganze Länge und Dicke des Wurms zu denken
hat, nicht zu eonstatiren; sie kann in meinen Versuchen nur unbedeu-
tend und von sehr kurzer Dauer gewesen sein, da, wo sie zum min-
desten sich zu erkennen geben musste, an den rechten Extremitäten
schon am Tage nach der Operation keinerlei Abnormität zu bemerken
war. Dagegen stellen die anfängliche Concavität der Wirbelsäule nach
links’ und die anfängliche Schlaffheit des linken Hinterbeines® und
beschränkte Beweglichkeit der linken Extremitäten‘ ausser Zweifel, was
die Durchtrennung des Hemisphärenstieles erwarten lässt, dass Mark-
und Muskelcentren für den Bereich der linken Extremitäten und der
rechten Wirbelsäulenseite beträchtlich in ihrer Erregbarkeit herabge-
setzt sind, am meisten zunächst nach der Operation und mit der Zeit
abnehmend. Und durch diese Herabsetzung in Verbindung damit, dass
die feinere Gleichgewichtserhaltung, soweit sie der eben genannten
Centren bedarf, für immer aufgehoben, die funetionelle Compensation
seitens des Hirns ohne Kleinhirn aber bis dahin, dass die Herab-
setzung eine Zeitlang abgenommen hat, ausgeschlossen ist, erweist
1ET467: 2 S. oben 298. Salze. 2626:
Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. 305
sich alles Abnorme herbeigeführt, das sonst noch derzeit der Hund
darbietet. Er macht, am Boden liegend, verschiedenartige vergebliche
Aufstehversuche, wie der kleinhirnlose Hund', doch darin von ihm ab-
weichend, dass er einmal schon 2—3 Tage nach der Operation in der
Brustbeckenlage, einige Tage später auch in der Brustbauchlage sich zu
behaupten vermag und um den 10. Tag sich aufzustellen und zu gehen
versuchen kann, und dass er zweitens in den ersten Tagen die linke
Seitenlage bevorzugt und öfters, wenn er sich bewegt, einmal oder
mehrmals nach einander im Kreise linksherum um seine Längsachse sich
dreht. Dieses Verhalten findet jetzt in allen Stücken seine Erklärung.
Die lange andauernde Unfähigkeit des Hundes, sich aufzustellen,
hat Hr. Lucrası auf die Schwäche der linksseitigen Extremitäten zurück-
geführt; aber diese Schwäche kann nicht den ausschliesslichen und
nicht einmal den hauptsächlichen Grund abgeben, da ein Hund, dem
die Extremitätenregionen der rechten Grosshirnhemisphäre exstirpirt
wurden, kaum dass die Narkose sich verloren hat, obwohl es mit
seinen linken Extremitäten als Stützen nicht besser bestellt ist, doch
sich aufstellen kann. Von grösster Bedeutung ist die Störung der
feineren Gleichgewichtserhaltung, die ja rein für sich allein darin zum
Ausdruck kommt, dass unser Hund durch eine Reihe von Tagen selbst
nicht die normale Ruhelage am Boden einzuhalten vermag. Das tritt
auch weiter darin klar hervor, dass unserem Hunde, dem mit der
einen Kleinhirnhälfte ein Theil der feineren Gleichgewichtserhaltung
verblieben ist, früher aus der Seitenlage herauszukommen und die
Brustbecken- und Brustbauchlage zu behaupten gelingt, als dem Hunde,
der das ganze Kleinhirn eingebüsst hat.
Naturgemäss verfolgt, wie der Hund ohne Kleinhirn, so auch
unser Hund von der Zeit an, da er nach der Operation aus der
Narkose erwacht, sein Ziel, aus der Seitenlage zu kommen und sich
zu erheben, nicht nur den inneren und äusseren Anregungen gemäss
mit bald mehr, bald weniger andauernden und nach längeren oder
kürzeren Pausen wiederholten Bewegungen, sondern auch mit ver-
schiedenen Bewegungsarten, indem er, was ihm auf die eine Weise
misslang, unter Ausnutzung aller seiner Mittel auf andere Weisen
zu erreichen sucht. So versteht sich, dass auch hier während der
ersten Tage in buntem Wechsel die mannigfachen Aufstehversuche
zur Beobachtung kommen, wie ich sie für den Fall der Totalexstirpation
beschrieb', mit Zurückfallen in die alte Seitenlage, Rollen um 180°
in die andere Seitenlage, Hintenüberschlagen in die Seitenlage, Rück-
wärtsverschieben am Boden im Kreise; stehen ja unserem Hunde alle
"1457.
306 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
die Mittel zu Gebote, die der kleinhirnlose Hund besitzt. Doch über
noch mehr Mittel verfügt unser Hund mit der ungeschädigten Beweg-
lichkeit seiner rechten Extremitäten und seiner linken Wirbelsäulen-
seite; und gerade wie deshalb zu erwarten ist, dass er noch Aufsteh-
versuche anderer Art zustandebringt, kommt bei ihm das auffällige
Rollen im Kreise hinzu. Während beim kleinhirnlosen Hunde erst
durch starke Reizung hin und wieder Rollen im Kreise herbeigeführt
wird, und zwar Rollen rechtsherum oder linksherum im Kreise mehr-
mals nach einander', schiebt sich bei unserem Hunde öfters in die
Reihe der spontanen Aufstehversuche ein- oder mehrmaliges Rollen im
Kreise ein, tritt schon infolge leichter Aufregung des Hundes fast regel-
mässig ebensolches mehrmaliges Rollen auf und erfolgt all das Rollen
ausschliesslich linksherum. Für die volle Aufklärung dieses Rollens be-
darf es nur des näheren Zusehens. Schon im Rollen um 130° zeigt sich
dann Absonderliches. Solches Rollen kommt beim kleinhirnlosen Hunde
rechtsherum wie linksherum sehr häufig in der Art vor, dass Brust
und Bauch dem Boden zugewandt bleiben, und nur vereinzelt in der
anderen Art, dass Brust und Bauch nach oben kommen. Dagegen rollt
unser Hund, wenn er sich, wie es zumeist der Fall ist, in der linken
Seitenlage befindet, ebensowohl linksherum mit dem Bauche nach oben
wie rechtsherum mit dem Bauche nach unten in die rechte Seitenlage,
und wenn er auf der rechten Seite liegt, fast jedesmal linksherum
mit dem Bauche nach unten, nur ausnahmsweise rechtsherum mit dem
Bauche nach oben in die linke Seitenlage. Was er hiernach in der
linken Seitenlage voraushat, das Rollen mit dem Bauche nach oben,
und was er in der rechten Seitenlage so sehr bevorzugt, das Rollen
mit dem Bauche nach unten, wird aber von seinen ungeschädigten
Körpertheilen, den rechten Extremitäten und der linken Wirbelsäulen-
seite, geleistet und mit Leichtigkeit vollführt, während sonst alles
Rollen um 180° bei unserem und dem kleinhirnlosen Hunde nur
mühsam zustandekommt. Die Acte für das Rollen mit dem Bauche
nach oben, das Zurücknehmen und Seitwärtswenden des Kopfes, das
Drehen des Beckens und das Strampeln der oben liegenden Beine,
diese Acte, die sonst immer langsam, oft mit ansehnlichen Pausen
nach einander erfolgen, vollziehen sich rasch, wenn unser Hund aus
der linken Seitenlage linksherum rollt; und noch rascher bringt unser
Hund in der rechten Seitenlage mit den rechten Extremitäten den
Rumpf in die Höhe, mehr oder weniger hoch nach oben links, bis er
auf die andere Seite hinüberfällt, ja wirft er ihn meist blitzschnell aus
der rechten in die linke Seitenlage um. Unseren Hund befähigen
ı 1465.
Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. 307
also seine unversehrten Körpertheile zu nicht nur neuen, sondern be-
sonders auch leichteren Aufstehversuchen, und deshalb werden diese
vorzugsweise ausgeführt, insbesondere häufig und bald das Emporheben
des Rumpfes mit den rechten Beinen, so dass der Hund nur selten auf
der rechten Seite ruhend zu sehen ist!. Demgemäss rollt auch oft unser
Hund, nachdem er linksherum aus der linken in die rechte Seiten-
lage gerollt ist, sogleich weiter in die linke Seitenlage: es entsteht
so das einmalige Rollen linksherum im Kreise, das immer nur in
dieser Weise, nicht aus der rechten in die rechte Seitenlage erfolgt.
Und mehrmals nach einander wiederholt sich dasselbe Rollen im Kreise,
wenn der Hund aus inneren Gründen oder durch äussere Reizungen
zu länger andauernden Bestrebungen, sich aus seiner Lage zu befreien,
oder zu Fluchtversuchen veranlasst ist. Selbst noch wenn er in grosser
Aufregung sehr rasch so rollt, lässt die Ungleichheit des Rollens
von der rechten in die linke und von der linken in die rechte Seiten-
lage, das Hochheben des Rumpfes dort und das Verbleiben des Rumpfes
am Boden hier, deutlich erkennen, wie der Hund seine ungeschädigten
Körpertheile für die Bewegung ausnutzt. Zuweilen geschieht es in-
mitten dieses Rollens, dass der Hund einmal beim Heben des Rumpfes
in der Streckung der rechten Beine mit dem Hinterbeine gegen das
Vorderbein zu weit zurückbleibt; dann schlägt er von der rechten
Seitenlage rücklings hintenüber in die linke Seitenlage und rollt ohne
Unterbrechung linksherum weiter.
Mit der Ersehwerung, welche für die Bewegungen der linken
Extremitäten unseres Hundes die Schädigung von deren Mark- und
Muskelcentren mit sich bringt, findet es seine einfache Erklärung,
dass an den Aufstehversuchen unseres Hundes und seinem Strampeln,
z.B. wenn man ihn vom Lager aufnimmt, schon früh die linken Ex-
tremitäten sich betheiligen und bloss im Ausmaass der Beugungen und
Streckungen hinter den rechten Extremitäten zurückbleiben, isolirte
willkürliche Bewegungen aber, wie sie öfters an den rechten Extre-
mitäten als Beugung, Streekung, Abduetion, Adduetion zur Beob-
achtung kommen, in den ersten Wochen selten an den linken Extre-
mitäten auftreten. Daraus ist dann weiter verständlich, dass in den
! Lest man unseren Hund, nachdem man ihn eine Zeitlang vertical in der Luft
gehalten hat. mit seiner linken Seite auf den Boden, so bleibt er ruhig liegen, und
sein nächster Aufstehversuch, oft nach langer Zeit, ist in der Regel eine Rollbewegung
linksherum. Dagegen wirft er sich, wenu man iln auf die rechte Seite legt, sofort
mit den rechten Beinen auf die linke Seite um. Man kann dies verhindern, indem
man unmittelbar nach dem Hinlegen, während er den Rumpf emporzuheben beginnt,
die Hände lose auf seiner linken Seite hält: dann liegt er eine Weile — nach meinen
Erfahrungen längstens etwa eine Viertelstunde — in voller Ruhe, und die erste Be-
wegung, die er macht, ist, dass er sich mit den rechten Beinen umwirft.
308 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
ersten Tagen an unserem auf der Seite liegenden Hunde das linke
Vorderbein gewöhnlich gerade ausgestreckt sich zeigt, während das
rechte Vorderbein nur zu Zeiten so gestreckt, zu anderen Zeiten in
allen Gelenken gebeugt ist. Eine tonische Streckung oder eine teta-
nische Contraetion der Beinmusculatur besteht hier am linken Vorder-
beine gerade so wenig, wie nach der Totalexstirpation an beiden
Vorderbeinen, wie sich auf die früher angegebenen Weisen! constatiren
lässt, und wie hier überdies noch die Beobachtung darthut, dass das
ungeschädigte rechte Vorderbein manchmal durch Stunden unbewegt
in derselben Stellung verharrt wie das geschädigte linke Vorderbein.
Vielmehr verbleibt nur das linke Vorderbein in den Pausen zwischen
den Aufstehversuchen in der Streckstellung als Ruhestellung, weil es
nicht, wie das rechte Vorderbein, durch isolirte Beugebewegungen zu
anderen Ruhelagen gelangt. Ähnliches, den Umständen gemäss modi-
fieirt, bietet sich dar, wenn man unseren Hund emporhebt und mit
den Armen fest an der Brust umfasst senkrecht in der Luft hält.
Die Folgen des Verfahrens sind an einem unversehrten Hunde, dass
die Vorderbeine gestreckt nach vorn gehen und in der steifen Streckung
eine Zeitlang verbleiben, bis Beugung eintritt, die Dauer der Streckung
aber am grössten die ersten Male ist, wo sie einige Minuten betragen
kann, und unter der Wiederholung des Verfahrens kleiner wird, bis
das Beugen alsbald dem Strecken nachfolgt. Offenbar hebt der Hund
die reflectorische tonische Streckung, die ein natürliches Schutzmittel
für den Fall des Sturzes abgiebt, willkürlich auf, wenn er sich sicher
fühlt; man braucht nur im Festhalten des Hundes nachzulassen, um
sogleich wieder die gebeugten Extremitäten in Streckung übergehen
zu sehen. An unserem Hunde gerathen auch beide Vorderbeine in
steife Streckung, aber nur am rechten Vorderbeine folgt die Beugung
wie am unversehrten Thiere; am linken Vorderbeine bleibt in der ersten
Woche die Beugung aus, selbst wenn man die Beobachtung auf 10
bis ı5 Minuten ausdehnt, und tritt sie in den nächsten Wochen wesent-
lich oder zum mindesten deutlich später als am rechten Vorderbeine ein.
Als letzter Abnormität ist der Luvcıanr’schen Spiraldrehung von
Hals und Kopf” zu gedenken, der Drehung, die in den ersten Tagen —
neben der Concavität der Wirbelsäule nach der Exstirpationsseite —
an der Halswirbelsäule des in Ruhe befindlichen Hundes besteht. Wenn
unser Hund senkrecht emporgehalten sich nicht bewegt, hält er in
den ersten Tagen den Kopf regelmässig mit der Schnauze nach links
gerichtet. Ebenso gedreht zeigt sich der Kopf an dem auf dem Boden
liegenden Hunde, so lange dieser nach der Operation unter der ab-
1 1 466—7. ?2 S. oben 296.
Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. 309
laufenden Narkose noch nicht viel sich bewegt: in der rechten Seiten-
lage des Hundes berühren rechte Halsseite und Hinterkopf den Boden
und geht die Schnauze schief nach links oben in die Luft; in der
linken Seitenlage liegt der Hals hohl und berührt der linke Vorder-
kopf, manchmal die Schnauzenspitze den Boden. Haben die kräftigen
Aufstehversuche begonnen, so können infolge dieser Versuche und der
sonstigen freiwilligen Kopfbewegungen allerlei Hals- und Kopfstellun-
gen zur Beobachtung kommen, und man darf sich dadurch hinsichtlich
unserer Spiraldrehung nicht täuschen lassen, wie es Hrn. Lucrası er-
gangen ist, der diese Drehung (oder die Schnauze des Hundes) nach
der unverletzten Seite gerichtet sein liess', während sie die Richtung
nach der Exstirpationsseite hat, wie Hr. Russerr’, Hr. Tnomas’ und
Hr. Lewannpowsky” zutreffend angegeben haben. Erst recht ist natür-
lich nichts für die Spiraldrehung aus den oft ganz verkehrten Hals-
und Kopfstellungen zu entnehmen, die durch die Aufstehbewegungen
zustandekommen, wenn das Rollen im Kreise irgendwie, z. B. durch
die Wandungen des Käfigs behindert ist; so war bei dem von Hrn. Lr-
wanpowsky’ geschilderten links operirten Hunde, der in einer Ecke
des Käfigs auf der linken Seite lag, die Halswirbelsäule spiralig nach
links und hinten gekrümmt, so dass die rechte Halsseite den Boden
des Käfigs berührte, und lag die Schnauze auf dem Rücken, 'so dass
der Hund über sich selbst hinwegsah. Es lohnt im übrigen schwer-
lich, die Spiraldrehung weiter zu verfolgen; denn es ist nicht zu ver-
gessen, dass an dem Hunde die Nackenmuskeln bei der Operation
grob abgetrennt und grob mit ein paar Nähten wieder angelagert sind,
so dass sie auch durch die Vernarbung sich unregelmässig wieder
befestigen. Von Werth ist nur noch die Feststellung, dass, wenn
nicht gerade zur Zeit unser Hund einen Aufstehversuch macht, sein
Kopf in jeder Richtung ohne Widerstand passiv beweglich ist. Der
Spiraldrehung liegt darnach zugrunde, dass die Halswirbelsäule-Muskeln
auf der unverletzten Seite schlaffer sind, als auf der Exstirpationsseite,
wie es sich schon oben für die Wirbelsäule-Muskeln herausstellte:
und das entspricht auch der Erfahrung, dass einseitige Reizung am
Kleinhirn Drehung des Kopfes nach der entgegengesetzten Seite her-
beiführt’.
Nach alledem stehen beim Hunde die Folgen des halbseitigen
Kleinhirnverlustes in vollem Einklange mit dem, was sich vorher für
! Lucıanı hat die Spiraldrehung in der Ruhe mit der entgegengesetzt gerichteten
Spiraldrehung verwechselt, die das Rollen einleitet oder, wie er selber sagt (Klh. 256),
»das Zeichen einer Neigung zum Rollen darstellt«.
2 A.a.0. 836, 838. 2A an 07237,,307- 4 A.a.0. 139—40.
° S.oben 300 Anm. 2.
Sitzungsberichte 1908. 28
310 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
die Folgen des völligen Kleinhirnverlustes ergab. Und wie beim
Hunde, ist es auch beim Affen. Denn hier zeigen sich nach der halb-
seitigen, sagen wir wieder linksseitigen Exstirpation dieselben Ab-
normitäten, nur dass einzelne abgeschwächt erscheinen, theils bloss
wegen der grösseren Beweglichkeit und Geschicktheit des Affen, theils
weil die Schädigung durch den operativen Angriff kleiner ist und die
funetionelle Compensation rascher vor sich geht. An die Stelle der
eingehenden Untersuchung können deshalb die folgenden Bemerkungen
treten."
Rollen im Kreise kommt nur linksherum und nur dann zur Be-
obachtung, wenn man unseren Affen noch am Tage der Operation
durch Reizung zu energischen Fluchtversuchen veranlasst; von selber
führt es der Affe nieht aus. Aus der Aethernarkose erwacht, kommt
er schon in den ersten Stunden nach der Operation, nur etwas müh-
samer und später als der normale Affe, zum Sitzen am Boden, ja
hin und wieder bald auch auf der Querstange des Käfigs; und auf
den rechten Arm gestützt oder mit der rechten Hand an einem
Gitterstabe des Käfigs befestigt, kann er eine Zeit lang in der Sitz-
stellung verbleiben. Aber sobald er sich bewegt, schwankt er stark
hin und her, zuweilen so stark, dass er mit dem Kopfe wiederholt
heftig an die Wandungen des Käfigs schlägt, und fällt.er nach links
um oder herunter, manchmal nachdem er noch den Sturz dadurch
verzögert hat, dass er sich mit den rechten Extremitäten anderweitig
neu befestigte. Hat er dann eine Weile am Boden gelegen, so setzt
er sich von neuem auf und fällt früher oder später ebenso wieder
um. Am Tage nach der Operation ist er schon selten liegend zu
sehen und sitzt er auf dem Boden oder der Stange, mit Vorliebe an-
gelehnt und immer mit einer oder mehreren Extremitäten — mit den
rechten und auch, wennschon lockerer, mit den linken am Gitter
befestigt; er schwankt noch, sobald er sich bewegt, sehr hin und her
mit der Neigung, nach links zu fallen, aber er hält sich doch zu-
meist aufrecht, oft unter neuer Befestigung der Extremitäten, und
kommt nur selten wirklich zu Falle. Am folgenden Tage sitzt er
nicht nur regelmässig in derselben Weise, sondern bewegt er sich
auch schon in der Sitzstellung, vereinzelt sogar höher aufgerichtet,
! Die meisten Versuchsprotokolle meiner Vorgänger geben ein unzureichendes
und, was insbesondere gerade bezüglich der Affen V, W und X von Lucıanı (Cerv.
95— 103) wegen der operativen Nebenverletzungen gilt, ein unzutreffendes Bild des
Verhaltens des Affen. Lediglich der Versuch 6 von FErrıer und Turner — Exstir-
pation einer Hemisphäre, auf den Wurm hinten übergreifend — (a.a.O. 728—-30) ist
ein guter, reiner Versuch gewesen, und mit seinen Ergebnissen stimmen die meiner
Versuche überein.
Munk: Über die Funetionen des Kleinhirns. 311
auf dem Boden und der Stange, ohne umzufallen, und lässt er nur
öfters ein rasch vorübergehendes schwaches oder etwas stärkeres
Öseilliren von Rumpf und Kopf sehen. Und so gewinnt ferner der
Affe täglich mehr an Sicherheit. Sind 8—ıo Tage vergangen, so
kann er frei ohne jede Hülfe der Arme wie der normale Affe, doch
etwas nach rechts überhängend, am Boden sitzen und an die Wand
gelehnt oder mit einem Arme auf die Stange gestützt oder am Gitter
befestigt auf der Stange sitzen, dabei hier wie dort allerlei Bewegungen
machen und auch in Sitzstellung Ortsveränderungen vornehmen, ohne
dass mehr als ausnahmsweise einmal, wenn er weit nach der Nahrung
ausgreift oder sich kratzt oder nach einer Ortsveränderung sich setzt
und dergl. mehr, ein ganz kurzes schwaches Öseilliren von Rumpf
und Kopf eintritt. Weiterhin ist auch ein solches Oseilliren nicht
mehr zu bemerken; und nur wenn der Affe erkrankt und in der Er-
nährung sehr heruntergekommen ist, stellt sich in späterer Zeit Os-
eilliren oder stärkeres Schwanken von neuem ein. Dass unser Affe
auf der Stange ganz frei wie der normale Affe sass, dahin habe ich
es selbst in Monaten nicht kommen sehen. Schon 2—3 Tage nach
der Operation kann unser Affe freiwillig im Zimmer gehen, allerdings
zuerst schlecht, indem er den linken Arm nicht gut aufsetzt, das
linke Bein fast bloss nachschleppt und häufig nach links umfällt;
aber er macht so rasche Fortschritte, dass er nach 8 Tagen, ohne zu
fallen oder zu taumeln, geht, nach rechts überhängend mit abdueirten
linken Extremitäten, insbesondere linkem Arme, und nur wenn er in
Angst schnell läuft, taumelt und auch nach links oder rechts um-
fällt. Noch besser klettert der Affe, von Anfang an ohne merkliches
Schwanken, allerdings zuerst immer langsam; aber auch wenn er
nach einigen Tagen an den Gitterstäben in Angst rasch klettert und
mit einer linken Extremität einen Stab nicht gut fasst oder verfehlt,
tritt Hin- und Herschwanken von Rumpf und Kopf nicht ein. Die
Störungen an den Extremitäten haben wir bereits früher! behandelt;
sie sind in ihren Veränderungen mit der Zeit ebenso gut, wie für
den Arm am Greifen, für das Bein am Verfehlen oder schlechten
Treffen der Stange, wenn der Affe auf dieser geht, zu verfolgen.
Eine Krümmung der Wirbelsäule bei voller Ruhe des Affen habe
ich nieht constatiren können. Doch ist, dass auch hier, wie beim
Hunde, die Beweglichkeit der Wirbelsäule auf der rechten Seite ge-
schädigt ist, daraus zu entnehmen, dass, wenn der Affe nach der
Operation von der Lage am Boden in die Sitzstellung sich erhebt,
ebenso wenn er dann in der Sitzstellung einen Schritt geht, er sich
SATA 1 E22ifr:
28*
312 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
zugleich ein Stück um die Längsachse nach links dreht, dass er
ferner in den ersten Tagen, ruhig liegend oder sitzend, den Kopf
mit dem Kinn nach links gerichtet hält, und dass, wenn der Affe
später frei im Zimmer sich bewegt, er kurze Wendungen oder Dre-
hungen regelmässig nach links, nieht nach rechts macht.
Damit könnten wir unsere Untersuchungen abschliessen, erforderte
nicht noch das Schwimmen unserer Hunde eine besondere Betrach-
tung. »Den glänzenden Beweis«, sagt Hr. Lucıant', »das Experi-
mentum erucis, dass die cerebellare Ataxie nicht von dem Fehlen
der Fähigkeit abhängt, im Raume das Gleichgewicht zu erhalten,
sondern von dem asthenischen, atonischen und astatischen
neuromuseulären Zustand, liefert die von uns zuerst klar hervor-
gehobene Thatsache, dass ein Stadium der cerebellaren Ataxie existirt,
währenddessen das Thier nicht zu gehen vermag oder geht, indem
es bei jedem Schritt, den es ausführt, fällt und durch das Fallen
nach vorwärts getrieben wird; und dennoch ist es ausgezeichnet im-
stande, sich im Wasser, wo die Erhaltung des Gleichgewichts viel
schwieriger ist, an der Oberfläche zu erhalten oder sehr gut zu
schwimmen, ohne dass jemals das Gleichgewicht verloren ginge, und
vermag es sogleich wiederzuerlangen, sowie es verloren zu gehen
droht oder verloren gegangen ist, und kann endlich mit Leichtigkeit
durch geeignete Compensationsacte die Schwimmrichtung verändern,
um sich dem Rande des Bassins zu nähern und herauszusteigen.«
Und an anderer Stelle” heisst es im Hinblick auf die Zeit, da der
kleinhirnlose Hund nach dem Ablaufe der dynamischen Erscheinungen
»bei jedem Versuche sich aufzurichten bald auf die eine, bald auf
die andere Flanke fällt« und »später sich bloss auf den vorderen
Extremitäten zu erheben vermag«: »Dass dieser Zustand der Un-
fähigkeit des Thieres, die aufrechte Stellung anzunehmen und zu er-
halten, einzig und allein von der mehr oder weniger auf alle Muskeln
vertheilten Asthenie, der Atonie und der Astasie bestimmt ist
und nicht von der Unfähigkeit, die Bewegungen zu coordiniren, ab-
hängt und auch nicht von dem Fehlen des Gleichgewichtssinnes, das
wird klar durch die Thatsache bewiesen, dass in dieser Periode das
Thier vortrefflich zu schwimmen vermag, wie irgend ein normaler
Hund.« Auf diese Weise würden, wie man sieht, nicht nur die
älteren Vorstellungen, die das Kleinhirn das Gleichgewichtsorgan des
Thieres oder sein Coordinationsorgan sein liessen, sondern auch was
wir ermittelt haben, glänzend widerlegt sein, und wir müssen des-
halb noch untersuchen, was das Experimentum crucis auf sich hat.
ı Klh. 323. 2 Cerv. 198; Klh. 303.
Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. BE
Ich benutzte für die Schwimmversuche ein viereckiges Bassin
von 3 m Länge, ı$ m Breite und 2m Tiefe, das bis nahe zum
Rande mit Wasser gefüllt war. Frische Leichen von Hunden aller
Art gingen, in das Wasser gebracht, zum kleineren Theile sogleich
unter; zum grösseren Theile hielten sie sich, entweder in der Seiten-
lage oder in der aufrechten Stellung des stehenden Hundes und
höchstens etwas nach der Seite geneigt, an der Oberfläche, so dass
die oberste Partie des Rumpfes noch aus dem Wasser sah, selten
der Körper eben ganz eingetaucht war. Wurden diese Leichen ge-
waltsam aus ihrer Lage gebracht, aus der Seitenlage in die aufrechte
Stellung übergeführt oder aus der aufrechten Stellung auf die Seite
umgelegt, so kehrten sie alsbald zu ihrer alten Haltung an der Ober-
fläche zurück; wurde der dicht unter der Oberfläche befindliche Kopf
aus dem Wasser gehoben, so stellte sich die Leiche etwas schräg,
das Steissende tiefer ein. Diese Leichen verblieben auch in der
Mehrzahl an der Oberfläche; in der Minderzahl sanken sie nach den
ersten Minuten, indem aus Mund, Nase, Ohren, Haarkleid Luftblasen
aufstiegen, langsam zu Boden. Normale lebende Hunde nahmen im
Wasser meist sogleich die aufrechte Stellung ein, wiederum an der
Oberfläche, wie die Leichen, nur dass sie den Kopf höher trugen und
die Nase dieht über dem Wasser hielten; und so schwammen sie
unausgesetzt unter mässigen Gehbewegungen der Extremitäten rasch
geradeaus und wendend, das Wasser durchfurchend, ohne seinen
Spiegel zu trüben. Sie regten das Wasser erst auf, wenn sie am
Rande des Bassins aussteigen wollten und zu dem Ende sich schräg,
mehr senkrecht im Wasser stellten, den Vorderkörper bis zu den
Schultern aus dem Wasser gehoben, und mit den Vorderbeinen stark
auf das Wasser schlugen: wobei sie unregelmässig hin und her
schwankten, insbesondere nach vorn und hinten, und zuweilen es
geschah, dass sie rasch durch die senkrechte Stellung hindurch in
die hintenüber geneigte Stellung übergingen, jedoch alsbald, lange
bevor der Scheitel das Wasser berührte, in die vornüber geneigte
Stellung sich zurückwarfen. Dieselben Hunde konnten aber auch
andere Male, in das Wasser gebracht, von vorneherein und mitten im
Bassin die schräge, mehr senkrechte Stellung einnehmen und in dieser
Stellung unter dem Schlagen der Vorderbeine und dem Treten der
Hinterbeine ohngefähr an Ort und Stelle verbleiben oder langsam durch
das Wasser sich vorwärtsbringen; früher oder später, wenn sie müde
wurden, gingen sie zum Schwimmen in aufrechter Stellung über.
Anders verhielten sich die operirten Hunde. Nach der halb-
seitigen, sagen wir wieder linksseitigen Exstirpation schwamm der
Hund, S—ıo Tage nach der Operation in das Wasser gebracht, an
314 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
der Oberfläche mit horizontalem Rumpfe und gehobenem Kopfe oder
in schräger, mehr senkrechter Stellung, zwischen den beiden Stellungen
mehrfach wechselnd, und rollte dabei unausgesetzt linksherum im
Kreise, so dass er nur wenig oder unregelmässig vorwärtskam. Aber
so war es nur das erste Mal, dass der Hund in das Wasser kam.
Das zweite Mal und weiter schwamm er nur zeitweise so linksherum
rollend, zeitweise schwamm er, schief auf der rechten Seite liegend,
mit der linken Kopfhälfte und der Nase und einem Theile der linken
Brust- und Bauchseite über Wasser, gut und rasch, ohne das Wasser
aufzuwiegeln, in grossem Bogen nach vorn und rechts; jedesmal
dass er den Rücken nach links hob, um aus der Seitenlage in die
aufreehte Stellung überzugehen, stellte sich sogleich das Rollen links-
herum ein und setzte sich fort, bis der Hund wieder in der schiefen
rechten Seitenlage verblieb. Durch etwa 8 Tage trat keine Ver-
änderung weiter ein, als dass das Rollen, das zuerst häufig und
jedesmal mit vielen Kreisdrehungen nach einander erfolgt war, seltener
wurde und sich jedesmal in der Regel auf eine oder zwei Kreis-
drehungen beschränkte. Dann bei einer nächsten Prüfung lag der
Hund nicht mehr schief auf der rechten Seite und rollte auch nicht
mehr, sondern schwamm wie der normale Hund, lediglich mit der
Abweichung, dass er sowohl in der aufrechten wie in der schrägen,
mehr senkrechten Stellung ein wenig nach links überhing. Und
dabei blieb es für die Folge; es war höchstens noch zu bemerken,
dass er Wendungen im Schwimmen vorzugsweise nach links machte.
Der kleinhirnlose Hund, S—ıo Tage nach der Totalexstirpation in
das Wasser geworfen, überschlug sich, sobald er mit dem Kopfe voran
in die Höhe gekommen war, und setzte das Überschlagen nach vorn,
nach hinten und nach der Seite fort, bis er in kurzem in die Tiefe
sank. Wurde er aber in aufrechter Stellung in das Wasser gelegt,
so hielt er sich an der Oberfläche mit horizontalem Rumpfe und
rollte unter Beugen und Strecken der Beine unausgesetzt im Kreise,
sank dabei etwas tiefer in das Wasser ein, schlug plötzlich nach
vorn um und ging unter. Nach einigen Tagen hielt der Hund den
Kopf höher, so dass die Nase mehr während des Rollens ausserhalb
des Wassers war; der Hund rollte jetzt länger an der Oberfläche,
ging aber doch in etwa 2 Minuten kopfüber in die Tiefe. Das Rollen
erfolgte hier ohne Vorwärtsbewegung und sowohl rechtsherum wie
linksherum; es wechselte in der Richtung bei den verschiedenen
Prüfungen desselben Thieres, behielt aber bei jeder einzelnen Prüfung
die einmal angenommene Richtung bei. Nach wieder einigen Tagen
stellte sich der Hund zu Anfang schräg, mehr senkrecht und hielt
sich kurze Zeit in der Stellung, indem er mit den Vorderbeinen
Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. 315
kräftig auf das Wasser schlug, oder schwamm der Hund von vorne-
herein eine Weile gut mit horizontalem Rumpfe unter mässigen Geh-
bewegungen der Extremitäten; doch immer trat hier wie dort bald
wieder das Rollen mit zeitweisem Untertauchen des Kopfes ein und
sank der Hund schliesslich zu Boden. Bei einer späteren Prüfung
aber — in der 4. Woche nach der Operation — rollte der Hund
nicht mehr; und fortan schwamm er wie der normale Hund, von
diesem nur darin, aber darin auch scharf unterschieden, dass er,
wenn er von der schrägen, mehr senkrechten Stellung aus nach
hinten oder zur Seite überneigte, öfters wirklich umschlug und mit
dem Kopfe in das Wasser tauchte; er stellte sich dann sogleich
wieder hoch, nachdem er sich auf‘ die Bauchseite umgedreht hatte.
Vergleicht man diese Erfahrungen an den operirten Hunden mit
den Lucıant’schen, so ergiebt sich für die frühe Zeit nach der Operation
die Abweichung, dass dort in den Versuchsprotokollen weder des
Rollens des Hundes nach der halbseitigen oder totalen Exstirpation
noch seines Liegens auf der unverletzten Seite beim Schwimmen nach
der halbseitigen Exstirpation Erwähnung geschieht. Es muss dies be-
fremden, da es sich doch um recht auffällige und über Wochen sich
erstreckende Abnormitäten handelt, so dass sie auch Hrn. Tnomas schon
bei den wenigen Schwimmprüfungen, die er anstellte, nicht entgangen
sind!. Indess dürften die Abnormitäten sieh auch Hrn. Lucranı darge-
boten haben. Denn was er von »Evolutionen« des Hundes im Wasser
berichtet und von Manegebewegungen nach der unverletzten Seite,
denen Manegebewegungen nach der Exstirpationsseite voraufgingen
oder nachfolgten°, wäre, zusammengehalten mit dem was zur Beobach-
tung kommt, sonst nicht wohl zu verstehen. Zudem findet sich, wo
Hr. Lucranı bei der Aufführung seiner Versuchsergebnisse sagt”, dass
die Hunde vor der Fähigkeit zu gehen im allgemeinen erst die Be-
fähigung wiedererlangen, sich an der Oberfläche des Wassers zu er-
halten und zu schwimmen, einmal die Bemerkung, dass bei den
halbseitigen Exstirpationen, wenn eben das Phänomen des Rollens
auf dem Fussboden aufgehört hat, das Thier, das noch nicht auf
die Füsse sich zu stellen vermag, ins Bassin geworfen, häufig fähig
ist, sich an der Oberfläche zu halten, aber leicht das Gleichgewicht
verliert und einige Rollungen ausführt. Hr. Lucrası scheint nur dem
Schwimmen in der Seitenlage keine Bedeutung beigemessen zu haben
und ebensowenig dem Rollen im Wasser, das sich zeigte, als das
den vermeintlichen Reizerscheinungen zugehörige Rollen im Zimmer
bereits abgelaufen war.
1
Tuomas, a.a.0. 239, 244. 2. Cerv. 68, 78, 79, 127.
® Cerv. 169. — Klh. 284.
316 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
Darin aber stimmen unsere Erfahrungen mit den Lucıant'schen
überein, dass der Hund nach der halbseitigen wie der totalen Exstir-
pation schon gut schwimmen kann zu der Zeit, zu welcher er auf
dem Fussboden noch nicht ein paar Schritte machen kann, ohne zu
fallen. Und das soll also nach Hrn. Lucranı beweisen, dass die Un-
fähigkeit des Hundes, die aufrechte Stellung zu erhalten und zu
gehen, einzig und allein von der Asthenie, Atonie und Astasie der
Musculatur abhängt. Für den Fall der halbseitigen Fxstirpation, bei
dem jene Unfähigkeit einzig und allein von der Schwäche der Beine
der Exstirpationsseite abhängen soll', giebt er auch noch eine Er-
läuterung, die klar darthut, was er meint. »Das Thier«, sagt er’,
»ist nicht imstande, sich auf den Füssen zu halten und zu gehen, ohne
die Flanke der operirten Seite anzulehnen, weil die Schwäche der
Gliedmassen dieser Seite derartig ist, dass sie dem Thier nicht ge-
stattet, das Gewicht des eigenen Körpers auf sie zu stützen. Es
vermag jedoch sehr gut zu schwimmen, weil der Auftrieb des ver-
drängten Wassers die Last des Körpers entsprechend vermindert.
Beim Schwimmen hält es die Flanke der gesunden Seite höher oben
und dreht sich immer nach dieser Seite, weil die Bewegungen, die
es ausführt, oder die Schläge, die es dem Wasser mit den Gliedern
der gesunden Seite ertheilt, kräftiger und energischer sind als
die auf der operirten Seite. Denn durch das stärkere Rudern
mit den Gliedern der gesunden Seite drückt es mit diesen
kräftiger das Wasser von oben nach unten, was ein höher oben
Schwimmen der Flanke der gesunden Seite zur Folge hat, von vorn
nach hinten, was die Vorwärtsbewegung veranlasst, und von aussen
nach innen, wodurch die Krümmung und Drehung nach der ge-
sunden Seite zustande kommt.« Nun hat es ja damit seine Richtig-
keit, dass die Extremitäten nach der halbseitigen Exstirpation auf der
Exstirpationsseite und nach der Totalexstirpation auf beiden Seiten
schwächer sind als normal: trotzdem ist die Lucıanr’sche Beweisführung
verfehlt und, was bewiesen sein soll, unrichtig.
Nach den Versuchen an der Leiche ist das speeifische Gewicht
des Hundes —- infolge des Luft- und Fettgehaltes — ohngefähr das
des Wassers; und lassen wir es selbst am lebenden Hunde auch
während der Einathmung grösser als das des Wassers sein, so über-
trifft es doch das letztere nur so wenig, dass beim schwimmenden
Hunde der allergrösste Theil des Körpergewichts durch den Druck
des umgebenden Wassers getragen wird. Damit der normale Hund
sich an der Oberfläche des Wassers aufrecht halte und schwimme,
! Cerv. 186—7. ®2 Klh. 290. — S. auch Cerv. 137.
Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. aller
genügen deshalb wesentlich schwächere Gehbewegungen der Extremi-
täten, als damit der Hund sich im Zimmer aufrecht halte und gehe.
Zudem ist auch die Erhaltung des Gleichgewichts nicht, wie Hr.
Lucıanı meint', viel schwieriger, sondern leichter im Wasser als im
Zimmer. Denn das Gleichgewicht ist am stehenden und gehenden
Hunde sehr labil, weil der Schwerpunkt hoch über der Umdrehungs-
achse am Boden sich befindet, während es am schwimmenden Hunde,
dessen Schwerpunkt etwas unterhalb des Schwerpunktes der ver-
drängten Wassermasse gelegen ist, wie wiederum die Versuche an
der Leiche zeigen, stabil ist. Daher wird ein Hund, der wegen
Schwäche der Extremitäten oder wegen unzureichender Gleichgewichts-
erhaltung oder aus beiden Gründen sich nicht aufrecht im Zimmer
und im Wasser halten kann, immer, wenn die Abnormität mit der
Zeit abnimmt, eher sich aufrecht zu halten und zu schwimmen im-
stande sein, als sich aufrecht zu halten und zu gehen. Aber darum
ist nicht ohne weiteres umgekehrt, wenn ein Hund bei abnehmender
Schwäche der Extremitäten zu einer Zeit gut aufrecht schwimmen
kann, zu der er noch nicht sich aufrecht zu halten und zu gehen
vermag — ich will diese Zeit der Kürze halber die kritische nennen —,
der Schluss gestattet, wie ihn Hr. Lucıanı gezogen hat, dass die Un-
fähigkeit des Hundes, sich aufrecht zu halten und zu gehen, einzig und
allein von der Schwäche der Extremitäten abhängt. Denn es ist nicht
ausgeschlossen, dass zur kritischen Zeit doch eine Störung der Gleich-
gewichtserhaltung besteht, zu klein, um das gute Schwimmen, aber gross
genug, um das Aufrechtbleiben und Gehen des Hundes zu verhindern.
Einfach ergiebt sich denn auch die Unrichtigkeit des Schlusses
bei unseren Hunden. Der kleinhirnlose Hund, der gut schwimmen,
aber nicht ein paar Schritte aufrecht machen konnte, vermag später
längere Zeit zu gehen, ohne zu fallen oder selbst nur zu taumeln.
Wäre nun, was zur kritischen Zeit das Gehen unmöglich machte,
lediglich eine gewisse Schwäche der Extremitäten gewesen, so be-
stände diese Schwäche jetzt nicht mehr; und da der Hund, wie
längst gerade sein Schwimmen gezeigt hat, im Besitze der normalen
Gehbewegungen der Extremitäten ist, müsste er jetzt normal gehen.
Das ist aber nicht der Fall, der Hund kann zeitlebens nur hüpfend
oder sprungartig gehen und fällt, wenn er normal zu gehen versucht;
also kann die frühere Unfähigkeit, sich aufrecht zu halten und zu
gehen, nicht einzig und allein von der Schwäche der Extremitäten
abhängig gewesen sein. Noch weiter führt eine ähnliche Betrachtung
im Falle der halbseitigen Exstirpation. Hier kommt am schwimmenden
ı S. oben 312.
318 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
Hunde zur kritischen Zeit die Schwäche der Extremitäten der Exstir-
pationsseite, wie Hr. Lucranı richtig bemerkt hat, darin zum Ausdruck,
dass die Flanke der gesunden Seite höher oben schwimmt, dass der
Hund ein wenig nach der Exstirpationsseite überhängt. Wäre durch
diese Schwäche das Aufrechtbleiben und Gehen des Hundes ver-
hindert, so müsste später, wenn der Hund gehen kann, die Schwäche
abgenommen haben, und dementsprechend müsste die Haltung des
Hundes beim Schwimmen verändert sein. Eine solche Veränderung
zeigt sich jedoch nicht, vielmehr schwimmt der Hund nachher gerade
so überhängend wie zuvor. Daher kann die Schwäche der Extremi-
täten zur kritischen Zeit nicht einmal irgend wesentlich mitgewirkt
haben, dass der Hund sich nicht aufrecht zu halten und zu gehen
vermochte. Aber diese Einsicht hat auch gar nichts Überraschendes.
Denn schon jenes geringe Überhängen des schwimmenden Hundes
thut die Schwäche der Extremitäten als viel zu unbedeutend kund,
als dass durch sie nach unseren sonstigen Erfahrungen Stehen und
Gehen verhindert sein konnten; und dazu lehrt die Verfolgung der
Schlaffheit der Extremitäten, an der ihre Schwäche am besten sich
ermessen lässt, dass sie mit ihrer Abnahme nach der Operation zur
kritischen Zeit bereits die geringe Grösse erreicht hat, auf der sie
für die Folge verbleibt!. Hr. Lucranı hat allerdings öfters vom Ein-
knicken der Extremitäten gesprochen, auch wo der Hund zur kritischen
Zeit und später taumelte oder fiel, aber nach dem, was am Thiere
zu sehen ist, mit nicht mehr Recht und nicht weniger Willkür, als
wenn er gesagt hätte, dass derzeit die Extremitäten sich beugten,
weil der Hund taumelte oder fiel. Und wenn er sich darauf berufen
wollte, dass der Hund zur kritischen Zeit imstande ist, sich auf den
Füssen zu halten und zu gehen, wenn er die Flanke der operirten
Seite anlehnt”, so braucht man nur zu beachten, wie dafür zu dieser
Zeit schon eine sehr wenig ausgedehnte Anlehnung an die Wand,
schon eine ganz lose Anlehnung an die Hand ausreicht, um daran,
dass dann beim Gehen, wenn die Füsse nach einander abgehoben
werden, der Hund nicht niederbrieht, zu erkennen, dass die Extremi-
täten nicht zu schwach sind, die Körperlast zu tragen.
Mit dem Experimentum crucis ist es also nichts. Im Gegentheil
erweist sich das ganze Verhalten, das die operirten Hunde im Wasser
zeigen, durchaus entsprechend unseren früheren Ermittelungen. Durch
den Verlust des Kleinhirns ist zwar lediglich die feinere Gleich-
gewichtserhaltung untergegangen, aber zunächst nach der Operation
fehlt auch die gröbere und damit alle Gleichgewichtserhaltung, weil
! II 20. 2 S. oben 316. — Cerv. 187.
Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. 319
durch die herabgesetzte FErregbarkeit der Mark- und Muskelcentren
für den Bereich von Wirbelsäule und Extremitäten das Wirken der
stehengebliebenen Hirntheile ausgeschlossen ist. Im Zimmer kann da
der kleinhirnlose Hund zuerst in der Seitenlage, dann in der Brust-
bauchlage ruhig liegen; aber im Wasser muss er, um nicht unter-
zugehen, seine Extremitäten stets in Bewegung halten; und so kommt
es, weil er gleichzeitig das Bestreben hat, das ihm unversehrt ver-
blieben ist, den Rücken nach oben und den Bauch nach unten zu
bringen, zum vielen Überschlagen und fortgesetzten Rollen im Kreise.
Diese verlieren sich dann mehr und mehr und machen dem aufreehten
Schwimmen Platz in dem Maasse, in dem die Erregbarkeit der be-
zeichneten Centren zunimmt und die stehengebliebenen Hirntheile mit
der gröberen Gleichgewichtserhaltung zu Hülfe kommen; bis der Hund
schon zu einer Zeit, zu der er noch nicht gehen kann, gut schwimmt,
weil die Gleichgewichtserhaltung im Wasser leichter ist. Doch
schwimmt der Hund jetzt nicht »vortrefflich wie irgend ein normaler
Hund« und nicht »ohne dass jemals das Gleichgewicht verloren ginge «',
sondern verräth auch im Wasser jetzt und in der Folge den Verlust
der feineren Gleichgewichtserhaltung, indem er öfters von der schrägen,
mehr senkrechten Stellung aus umschlägt und mit dem Kopfe unter-
taucht. Nach der linksseitigen Exstirpation, nach der alle Störungen
nur halb so ausgedehnt sind und der Hund schon nach einigen Tagen
die Brustbauchlage am Boden einhalten kann, kommt es im Wasser
3— 10 Tage nach der Operation nur zum Rollen im Kreise und er-
folgt dieses Rollen ausschliesslich linksherum, weil die ungeschädigten
reehten Extremitäten, indem sie viel stärker als die linken stossen,
den Rumpf immer mit dem Wurfe nach links aus dem Gleichgewicht
bringen. Indess weiss sich der Hund hier bald dadurch zu helfen,
dass er von (dem Bestreben, den Rücken nach oben und den Bauch
nach unten zu bringen, ablässt und schief auf der rechten und immer
nur auf dieser Seite liegend schwimmt, so dass die Gehbewegungen
der rechten Extremitäten ihn an der Oberfläche des Wassers halten
und gut vorwärtsführen, aber nicht mehr nach links umfallen machen
und dadurch zum Rollen bringen. Durch diese Gehbewegungen bei
dieser Lage schwimmt er auch in grossem Bogen nach rechts”. Hat
! S. oben 312.
® Dass Lucıanı (Cerv. 187, 188 —9; 69, 73, 86, 92) bei aufrechter Stellung des
schwimmenden Hundes das functionelle Überwiegen (die stärkeren Ruderschläge) der
Extremitäten der unverletzten Seite zwangsweise Manegewindungen nach dieser un-
verletzten Seite herbeiführen lässt, ist mir unverständlich geblieben; ebenso seine
neuerliche Bemerkung (Klh. 290, s. oben 316), dass die Extremitäten der unverletzten
Seite das Wasser kräftiger »von aussen nach innen« drücken, wofür sich gar keine
thatsächliche Unterlage findet.
320 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
die Herabsetzung der Erregbarkeit der Centren soweit abgenommen,
dass der Unterschied in der Stärke der Gehbewegungen zwischen den
beiderseitigen Extremitäten nur noch gering ist, so ist auch der Ver-
lust der feineren Gleichgewichtserhaltung soweit durch die stehen-
gebliebenen Hirntheile funetionell eompensirt, dass der Hund gut in
aufrechter Stellung schwimmt, wiederum eher, als er sich aufzustellen
und zu gehen vermag. Sein leichtes Überhängen nach links zeigt
dann die restirende Schwäche seiner linken Extremitäten an, und
dieser lässt es sich auch neben der leichteren Beweglichkeit der links-
seitigen Wirbelsäule-Museulatur zuschreiben, dass der Hund fortan
die Wendungen im Schwimmen vorzugsweise nach links macht.
Merkwürdig ist, dass Hr. Lucıans, der so eifrig das Schwimmen
verfolgte, gerade auf das nicht aufmerksam wurde, was die bedeut-
samsten seiner Vorstellungen von den Folgen des Kleinhirnverlustes
bündigst widerlegen konnte. War das Rollen im Kreise, das nach
der halbseitigen Exstirpation der Hund am Boden vollführte, eine der
Reizerscheinungen, die in S—ıo Tagen nach der Operation sich ver-
loren, oder, was Hr. Lucranı neuerlich zu glauben vorzog', die Folge
eines zu derselben Zeit bestehenden Schwindels, so durfte es am
Hunde im Wasser nicht noch in der 2. und 3. Woche nach der
Operation auftreten. Und vor allem, rührten bei dem liegenden,
stehenden und gehenden Hunde das Zittern und Schwanken, das
Zögern oder die Unsicherheit in der Bewegung, der charakteristische
Mangel an Continuität, beziehungsweise an Festigkeit in den Be-
wegungen der Gliedmaassen und der Wirbelsäule von der Lucıast'schen
» Astasie« her, d.h. daher, dass die Muskeleontractionen in zitternder
Weise erfolgten, die Elementarimpulse unvollständig verschmolzen, die
Kinzelimpulse sich unvollkommen summirten’, so mussten ebensolche
oder ähnliche Abnormitäten beim schwimmenden Hunde sich zeigen;
aber da hat Hr. Lucranı nichts davon zu berichten gefunden, da ist nichts
davon zu sehen, nicht einmal das leiseste Zittern des durch andauernde
Muskelthätigkeit mit der Nase über Wasser gehaltenen Kopfes.
10.
Natürlich habe ich bei der Verfolgung der totalen und der halb-
seitigen Exstirpation, nicht nur bevor ich das zweckentsprechende
Operationsverfahren fand, sondern auch nachher, wenn die Exstir-
pation nicht wie beabsichtigt zur Ausführung kam, noch von vielen
anderen Verstümmelungen des Kleinhirns die Folgen für Hund und
ı Klh. 287. 2 Vgl. 1476.
nn
Monk: Über die Functionen des Kleinhirns. 321
Affen kennen gelernt. Den Rahmen unserer Untersuchung zu er-
weitern, gestatten diese Erfahrungen nicht; denn sie können, weil
die Ausdehnung der Verstümmelung von Fall zu Fall unregelmässig
wechselte, in Betreff der Bedeutung der kleineren Kleinhirnpartien
nur als Hinweis gelten, nicht als zuverlässige Auskunft, die wiederum
nur durch methodische Exstirpationen zu gewinnen sein wird. Sie
verleihen aber dadurch, dass sie anderweitige Abnormitäten nicht
aufwiesen und mit den vorgeführten Ergebnissen als Ergebnisse un-
vollkommener Versuche gut zusammenstimmten, noch erhöhte Sicher-
heit unseren Ermittelungen, die wir nunmehr im ganzen übersehen
wollen.
Das Kleinhirn ist darnach ein nervöser Bewegungsapparat des
Thieres, dessen Herrschaft sich auf Wirbelsäule- und Extremitäten-
Muskeln erstreckt, oder schärfer ausgedrückt, dessen motorischen
centralen Elementen Mark- und Muskelcentren für den Bereich von
Wirbelsäule und Extremitäten untergeordnet sind. Die Unterordnung
ist in dem Bereiche eine sehr weit ausgedehnte, doch nicht eine
allgemeine; so unterstehen die Centren der die Endglieder der Ex-
tremitäten bewegenden Muskeln dem Kleinhirn nicht. Jeder seitlichen
Kleinhirnhälfte sind die Centren für den Bereich der gleichseitigen
Extremitäten und der entgegengesetzten Wirbelsäulenseite zugehörig.
Im unthätigen Kleinhirn des wachen Thieres sind, wie in seiner
Grosshirnrinde, dem Hirnstamm und dem Rückenmark, die motorischen
centralen Elemente immer schon schwach erregt und halten dadurch
ihrerseits die ihnen untergeordneten Mark- und Muskelcentren in
schwacher Erregung oder erhöhter Erregbarkeit. Was die Erregung
der motorischen centralen Elemente des Kleinhirns unterhält, das
sind die sensiblen Erregungen, die beständig aus dem Bereiche von
Wirbelsäule und Extremitäten auf den Bahnen der Tiefensensibilität,
nicht der Hautsensibilität, zu den Elementen gelangen und auf dem
Wege über das Kleinhirn die Grosshirnrinde erreichen. Doch ist es
nicht ausgeschlossen und sogar wahrscheinlich, dass ausserdem noch
anderswoher stammende sensible oder sensorielle, wie intereentrale
Erregungen, die den Elementen zufliessen, ihre ständige schwache
Erregung veranlassen.
Thätig, leistet das Kleinhirn mittels Wirbelsäule- und Extremi-
täten-Bewegungen die feinere Gleichgewichtserhaltung oder Gleichge-
wichtsregulirung des Thieres, die unbewusst bei den gewöhnlichen
Haltungen und Bewegungen des Thieres, beim Liegen, Sitzen, Stehen,
Gehen, Klettern, Schwimmen u. s. w. sich vollzieht, so dass selbst
während der Bewegung es nicht zu einer gefährlichen Störung des
Gleichgewichts kommt und mit dem Abschlusse der Bewegung so-
322 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
gleich wieder das Gleichgewicht besteht. Sie ist zu unterscheiden
von der gröberen Gleichgewichtserhaltung des Thieres, die von
anderen Hirntheilen geleistet wird, wenn irgendwie eine gefährliche
Störung des Gleichgewichts des Thieres eingetreten ist, und die durch
ungewöhnliche willkürliche oder unwillkürliche Bewegungen dem
Fallen entgegenwirkt und das Gleichgewicht wiederherstellt oder
wiederherzustellen sucht. Nach Kleinhirnverlust fällt diesen anderen
Hirntheilen die functionelle Ersatzleistung zu, und sie erhalten auch
beim Liegen, Sitzen, Stehen, Gehen, Klettern, Schwimmen u. s. w.
des Thieres das Gleichgewicht, doch nur mit grösserem Kraftauf-
wande, als es seitens des Kleinhirns geschah, und ungeschickter und
unvollkommener mit Veränderung der normalen Haltungen und Be-
wegungen des Thieres.
Ferner noch leistet das Kleinhirn mit seiner Thätigkeit das kurze
Seitwärtswenden und Drehen des Thieres, und zwar sind von jeder
seitlichen Kleinhirnhälfte Wenden und Drehen nach der entgegen-
gesetzten Seite abhängig. Hier kommt es nach Kleinhirnverlust zu
einer Ersatzleistung durch andere Hirntheile nicht. Aber diese Lei-
stung des Kleinhirns, deren Fortfall nach den Exstirpationen, die wir
untersuchten, der Störung der Gleichgewichtserhaltung gegenüber in
den Hintergrund trat, bedarf jetzt noch der näheren Betrachtung.
Während in grossem Bogen das Thier, Hund wie Affe, nach
der totalen und nach der halbseitigen Exstirpation im Gehen, Klettern,
Schwimmen beliebig die Richtung ändert, kann es in kleinem Bogen
nach der halbseitigen Exstirpation nicht nach der unverletzten Seite
und nach der Totalexstirpation nach keiner Seite hin sich drehen.
Nicht nur kommen solche kurzen Wendungen und Drehungen nie-
mals bei den Bewegungen des sich selbst überlassenen Thieres zur
Beobachtung, sondern sie sind auch nicht durch passende Anregungen
des Thieres herbeizuführen; und will man sie erzwingen, indem man dem
Thiere die sonstigen Wege verlegt, so fällt das Thier im Gehen zu Bo-
den, stürzt der Affe im Klettern, wenn er sich nicht rückwärts bewegt,
ab, schlägt der Hund im Schwimmen um und taucht mit dem Kopfe
unter. Hin und wieder scheint der kleinhirnlose Hund, wenn er
lange nach der Operation sich munter auf dem Rasen bewegt, sich
in kleinem Bogen drehen zu wollen, aber jedesmal stolpert er als-
dann und stürzt er hin; auch kommt es vor, dass der Hund in einem
schmalen Gange auf seinem Wege kurz umzukehren strebt, aber er
fällt sogleich, und hat er sich aufgerichtet, fällt er nochmals, und
so wiederholt es sich, bis er durch die Verschiebungen beim Fallen
und am Boden schliesslich ohngefähr in die entgegengesetzte Rich-
tung gelangt und nunmehr wieder geht. Sogar schon ganz grob
Mvsk: Über die Functionen des Kleinhirns. 323
macht sich die Störung beim kleinhirnlosen Thiere bemerklich durch
das Ungelenkige, Steife, Hölzerne, das an dem Thiere auffällt, sobald
man es längere Zeit in seinen Bewegungen verfolgt. Wie man da
den Eindruck der Schwerbeweglichkeit der Wirbelsäule empfängt, so
lehrt es auch die unmittelbare Beobachtung, wenn man das Thier
dureh Lockung zu Drehungen im Gehen veranlasst und im Falle der
halbseitigen Exstirpation die beiden Seiten des Thieres in Vergleich
zieht', dass das Thier die Wirbelsäule viel weniger seitwärts biegen
kann als in der Norm.
Doch mit dieser Erkenntniss, bei der wir früher stehen blieben,
ist das Wesen der Störung noch nicht erfasst. Denn wenn der klein-
hirnlose Hund am Boden liegt, sehen wir ihn öfters, sogar schon zu
der Zeit, da er noch nicht sich aufzustellen und zu gehen vermag,
willkürlich die Wirbelsäule hakenförmig zur Seite biegen und drehen, so
dass die Schnauze den Oberschenkel erreicht; und ebenso sehen wir ge-
legentlich die Bewegungen der Wirbelsäule nicht merklich anders als
in der Norm erfolgen, wenn der Hund angelehnt steht und wenn der
kleinhirnlose Affe sitzt oder an den Gitterstäben des Käfigs hängt.
So krümmt sich auch der liegende kleinhirnlose Hund oder der
sitzende kleinhirnlose Affe, ohne die Extremitäten zu bewegen, haken-
förmig zur Seite nach hinten, wenn wir dort neben ihm den Futter-
napf aufgestellt haben, und holt mit dem Maule das Fleisch oder
mit dem Arme die Mohrrüben aus dem Napfe. Aber haben wir den
Napf in gleicher Höhe zur Seite angebracht, nur etwas weiter ent-
fernt, so dass das Thier ihn nicht durch jenes Krümmen erreichen
kann, so dreht sich unser Thier, so gierig es auch sichtlich ist, nicht
im ganzen kurz zur Seite um wie das normale Thier, sondern stellt
sich auf und geht ein Stück nach vorn und dann in grossem Bogen
zur Seite und endlich rückwärts, so dass es fast einen ganzer grossen
Kreis beschreibt, bis es zum Napfe gelangt. An sich oder für sich
allein sind also die Bewegungen der Wirbelsäule bei unserem Thiere
nicht beschränkt, so wenig wie die Bewegungen der Extremitäten
an sich, — diese Bewegungen kann das Hirn ohne Kleinhirn voll-
führen —; sondern was unserem Thiere abgeht, das sind die zweck-
mässig verbundenen Wirbelsäule- und Extremitäten-Bewegungen, die
eoordinirten (geordneten) Gemeinschafts- oder ecombinirten Bewegungen
von Wirbelsäule und Extremitäten, wie sie für das kurze Seitwärts-
wenden und Drehen des Thieres erforderlich sind. Die Herbeiführung
dieser Gemeinschaftsbewegungen macht demnach die Leistung des
Kleinhirns aus. Und das wird uns sogar durch die elektrische Rei-
ı S. oben S. 299.
324 Gesammtsitzung vom 12. März 1908.
zung am Kleinhirn (des Hundes) noch geradezu vor die Augen ge-
führt. Denn die einseitige, sagen wir linksseitige Reizung hat nicht
bloss Bewegungen der linken Extremitäten und Concavkrümmung der
Wirbelsäule nach rechts zur Folge', sondern liefert, wie ich sah, hat
man die passende Reizstärke getroffen, in rascher Folge genau die
Bewegungen, die das kurze Drehen des Thieres nach rechts zustande
bringen: zuerst wird das linke Vorderbein nach vorn und. weit nach
rechts gestreckt, dann krümmt sich die Wirbelsäule allmählich immer
stärker concav nach rechts, und dabei wird das rechte Vorderbein
gleichfalls nach rechts, aber weniger als das linke, vorbewegt und
das rechte Hinterbein etwas nach vorn gesetzt, und endlich wird das
linke Hinterbein mässig nach vorn und rechts gebracht.
Konnten zuerst die beiderlei Leistungen des Kleinhirns weit aus
einander zu liegen scheinen, so kommen sie nunmehr dahin zusammen,
dass wir unseren Ermittelungen den Ausdruck geben können: Das
Kleinhirn ist das Organ, in dem Mark- und Muskelcentren der Wir-
belsäule einerseits und der Extremitäten andererseits derart mit ein-
ander in Verbindung gesetzt sind, dass durch seine Thätigkeit un-
willkürlich und unbewusst zweckmässige (eoordinirte) (remeinschafts-
bewegungen von Wirbelsäule und Extremitäten zustande kommen,
insbesondere die Gleichgewichtserhaltung bei den gewöhnlichen Hal-
tungen und Bewegungen des Thieres, beim Liegen, Sitzen, Stehen,
Gehen, Klettern, Schwimmen u.s.w.; oder kurz: Das Kleinhirn ist
das Centralorgan für unbewusste eoordinirte Gemeinschaftsbewegungen
von Wirbelsäule und Extremitäten im allgemeinen und für die feinere
Gleichgewichtserhaltung des Thieres im besonderen. Ich habe keine
Erfahrung gefunden, die damit im Widerspruch stände; sogar das
Rollen im Kreise, das nach der halbseitigen Exstirpation in den ersten
Tagen beim Hunde auftritt, lässt sich ihm unterordnen.
Die feinere Gleichgewichtserhaltung ist besonders hervorzuheben,
weil sie die hauptsächliche und für die Existenz des Thieres wich-
tigste Leistung des Kleinhirns ist; aus dem Grunde wird sie auch
nach Kleinhirnverlust so bald und so gut als möglich funetionell er-
setzt, während für die nicht so nothwendigen Leistungen, wie das
kurze Wenden und Drehen, eine Ersatzleistung, die zum mindesten
in Unvollkommenheit gleichfalls seitens des Hirns ohne Kleinhirn ge-
liefert werden könnte, nicht eintritt. Zugleich wird dadurch Miss-
verständnissen vorgebeugt. So wenig das Kleinhirn das Gleichge-
wichtsorgan ist, so wenig ist es ein Coordinationsorgan über die
Grenzen seiner specifischen Aufgaben hinaus. Nicht einmal eoordinirt
ı S. oben S. 300.
Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. 325
es, wie Frourens glaubte, die Locomotionsbewegungen. Die coordi-
nirten Geh-, Kletter-, Schwimm- und dergl. Bewegungen der Extre-
mitäten, das erste Erforderniss zum Gehen, Klettern, Schwimmen
u.s.w. des Thieres, haben nichts mit dem Kleinhirn zu thun, sondern
werden vom Hirnstamm herbeigeführt, von Prineipalcentren', die den
Markeentren der einzelnen Extremitäten übergeordnet und wahrschein-
lich im Pons gelegen sind; und lediglich das zweite Erforderniss, die
feinere Gleichgewichtserhaltung, leistet das Kleinhirn mittels eoordi-
nirter Bewegungen von Wirbelsäule und Extremitäten. Durch die
engen nervösen Verbindungen, die zwischen Pons und Kleinhirn be-
stehen, ist deren richtiges Zusammenwirken gesichert. Für seine
speeifischen Leistungen hat das Kleinhirn eigene Verbindungen mit
den Mark- und Muskelcentren von Wirbelsäule und Extremitäten in
den Nervenfasern, die nach der Kleinhirnexstirpation in den Rand-
partien der Vorder- und Vorderseitenstränge des Rückenmarks dege-
neriert gefunden werden.
Wie die Prineipaleentren, kann das Kleinhirn unabhängig vom
Grosshirn thätig sein. An den kleinen Säugethieren (Kaninchen,
Meerschweinchen, Ratte)’ und — nach Gorrz’ Schilderung seiner Ver-
suchsthiere® — am Hunde vollzieht sich die feinere Gleichgewichts-
erhaltung beim Liegen, Stehen, Gehen, Laufen noch nach dem völligen
Verluste des Grosshirns; und die Erfolge der experimentellen Rei-
zungen des Kleinhirns lassen übersehen, dass auch sonst Leistungen
des Kleinhirns ohne Zuthun des Grosshirns zustande kommen können
infolge von mechanischen, entzündlichen u. dergl. unmittelbaren An-
griffen des Kleinhirns, wie unter Umständen wohl auch infolge von
peripherischen Reizungen oder Reizungen eng mit dem Kleinhirn ver-
bundener centraler Organe. Aber in der Norm ist das Kleinhirn dem
Grosshirn unterthan, wird vom Grosshirn, wie die Folgen unserer
Kleinhirnexstirpationen lehren, das Kleinhirn als eigens vorgebildeter
Bewegungsapparat, soweit dessen Leistungen reichen, für die Herbei-
führung und Unterhaltung von willkürlichen Haltungen und Bewe-
gungen des Thieres benutzt, werden vom Grosshirn zweckmässige
Gemeinschaftsbewegungen von Wirbelsäule und Extremitäten mittels
des Kleinhirns zur Ausführung gebracht. Und wenn so das Gross-
hirn die Leistungen des Kleinhirns in Anspruch nimmt, geschieht es,
wie wenn das Grosshirn mittels der Prineipaleentren des Hirnstammes
die Geh-, Lauf- und Kletterbewegungen der Extremitäten herbeiführt,
! Diese Ber. 1893. 774ft.
2 Vergl. H. Munx, Über die Functionen der Grosshirnrinde, 2. Aufl. Berlin
1890. 219ff.
® Prrüser’s Arch. 51. 1892. 570ff.
Sitzungsberichte 1908. 29
326 Gesammitsitzung vom 12. März 1908.
dass es die Leistungen des ihm untergeordneten Organes mit eigenen
weiteren Leistungen unterstützt.
Jene Geh-, Lauf- und Kletterbewegungen erfahren seitens der
Extremitätenregionen der Grosshirnrinde eine Vervollkommnung oder
Verfeinerung, indem die Bewegungen der Extremitäten und besonders
die den Prineipalcentren ebensowenig wie dem Kleinhirn unmittel-
bar unterstehenden — Bewegungen ihrer unteren Glieder den gege-
benen äusseren Verhältnissen, wie Form, Härte, Glätte des Bodens
oder der Stange u. s. w., auf refleetorischem Wege angepasst werden."
Solche Rindenreflexe kommen auch den Leistungen des Kleinhirns
zu Hülfe, vor allem seiner feineren Gleichgewichtserhaltung beim Gehen
und Stehen, die ja durch ein schlechtes Aufsetzen und Aufstehen der
Füsse des Thieres erschwert sein würde und unwirksam werden könnte.
Von den vielen Belegen, welche dafür die Folgen der Schädigung
der Extremitätenregionen liefern, sei nur des interessantesten und
bündigsten gedacht, dass der Hund, dem die Extremitätenregionen
beider Grosshirnhemisphären vollkommen exstirpirt sind, und der
längst wieder gut läuft, wenn er unter anscheinend normaler Haltung
aller seiner Körpertheile steht, trotz der Unversehrtheit des Klein-
hirns das Schwanken des kleinhirnlosen Hundes zeigt, weil die Füsse
nur lose und leicht verschiebbar auf dem Boden sind’. Durch diese
Hülfleistung der Reflexe der Extremitätenregionen gewinnen am nor-
malen Thiere die Hautsensibilität und diejenige Tiefensensibilität der
Extremitäten, deren Bahnen zum Grosshirn nicht den Weg über das
Kleinhirn nehmen, obwohl sie unmittelbar nichts mit dem Kleinhirn
zu schaffen haben, mitunter doch Bedeutung für dessen Leistungen.
! Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1878. 174. — Diese Ber. 1893. 776—7; 1895. 598.
® Diese Ber. 1895. 597.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
1908. XV. XVL
SITZUNGSBERICHTE
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Sitzung der philosophisch-historischen Classe am 19. März. (S. 327)
von Wıramowırtz-MoELLENDORFF: Pindar’s siebentes nemeisches Gedicht. (S. 328)
Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 19. März. (S. 353)
k
Lanporr: Untersuchungen über die fraglichen Änderungen des Gesammtgewichtes chemisch sich
umsetzender Körper. (S. 354)
BERLIN 1908.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
‚IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.
Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften.
Aus $1.
„Die Akademie gibt gemäss $41,1 der Statuten zwei
fortlaufende Veröffentlichungen heraus: » Sitzungsberichte
der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «
und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie
der Wissenschaften«.
Aus 82.
Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die
» Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka-
demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel
das druckfertige Manuscript zugleich einzuliefern ist. Nicht-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.
83.
Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll
in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32,
bei Niehtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift
der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen
von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand-
lungen nicht übersteigen.
Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung
der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt-
haft, und ist bei Vorlage der Mittbeilung ausdrücklich zu
beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver-
muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde,
so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen
von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lassen.
SA.
Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder
auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die
Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original-
aufnahmen u. s. w.) gleichzeitig mit dem Manuscript, jedoch
auf getrennten Blättern, einzureichen.
Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in
der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten
aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so
kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein
darauf geriehteter Antrag ist vor der Herstellung der be-
treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage
eines Sachverständigen an den vorsitzenden Seeretar zu
richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und
weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln.
Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka-
demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten
ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren
handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen
beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er-
forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark,
bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung
durch das Secretariat geboten.
Aus $5.
Nach der Vorlegung und Einreichung des
vollständigen druckfertigen Manuscripts an den.
zuständigen Secretar oder an den Archivar
wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen
Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit-
glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt.
Mittheilungen von Verfassern, welehe nicht Mitglieder
der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die
Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine
Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Nichtmitgliedes
in die dazu bestimmte Abtheilung der » Abhandlungen«,
so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die
Gesammt-Akademie.
b
Aus $ 6.
Diean die Druckereiabzuliefernden Manuscriptemüssen,
wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus-
reiehende Anweisungen für die Anordnung des Satzes
und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen
Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden
Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehmen.
Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser
seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht.
Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die
Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das
vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach
Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern
und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche
Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi-
girenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerei,
und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr-
kosten verpflichtet.
Aus $ 8.
Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen
aufgenommenen wissenschaftliehen Mittheilungen, Reden,
Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von
wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im
Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sonder-
abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be-
treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden,
VonGedächtnissreden werden ebenfallsSonderabdrucke
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären.
89. x
- Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberichten
erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertheilung olıne weiteres 50 Frvei-
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
“ auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis
zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigivenden Seeretar an-
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be-
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei-
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen lassen.
Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er-
hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei-
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis
zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar an-
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be-
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 Frei-
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen lassen.
8 17.
Eine für die akademischen Schriften be-
stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf
in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener
Stelle anderweitig, sei es auch nur EI
(Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.)
327
SITZUNGSBERICHTE 1908.
XV.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
19. März. Sitzung der philosophisch-historischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Diers.
1. Hr. von Wıramowrtz-MoELLENDoRrrFE las über Pindar’s siebentes
nemeisches Gedicht.
Das Gedicht, wahrscheinlich 485 verfasst, will neben der Feier des Sieges den
Dichter rechtfertigen, der mit seiner Behandlung des Neoptolemos in einem delphischen
Päan Anstoss erregt hatte. Dieser Päan ist auf dem Papyrus Oxyrynch. 841 zum
grossen Theile erhalten und bestätigt die Erklärung des Siegesliedes.
2. Hr. F.W.K. Mürzer legte eine Arbeit des Hrn. A. vos L£ Coo
aus Berlin vor, betitelt »Ein manichäisch-uigurisches Fragment
aus Idiqut-Schahri«. (Ersch. später.)
Der Werth dieses Manuscripts besteht darin, dass zum ersten Male ein manichäisch-
religiöses Textfragment in uigurischer Sprache und Schrift vorliegt. — Anhangsweise
ist eine Liste alttürkischer Wörter beigefügt, deren Consonantengerippe durch die
manichäische Schrift einwandsfrei überliefert ist. Es wird hierdurch für künftige Publi-
cationen eine gesicherte Umschreibung ermöglicht.
3. Hr. von Wıramowırz-MoELLEnDorRFF legte die Publication des
eorrespondirenden Mitgliedes Hrn. KAgsapıas in Athen vor: Die Aus-
grabung der Akropolis. Mit G. KawerAav. Athen 1907. (BisrioeAkH
tAc En Aehnaıc Apxaionorikc "ETaipelac).
Sitzungsberichte 1908. 30
328 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 19. März 1908.
Pindars siebentes nemeisches Gedicht.
Von ULricHh von WILAMOWITZ-MOELLENDORFF.
Das Gedicht auf Sogenes von Aigina gilt nicht mit Unrecht für be-
sonders schwierig, und der Verkehr mit seinen modernen Kommen-
taren, von Herrmann (Opusc. II) und Borcku-Dissen ab (jetzt zu kon-
trollieren durch ihren Briefwechsel), erweckt die Stimmung, in der
ich vor einigen Jahren mir an den Rand schrieb: nihil perspicio nisi
nihil adınodum esse perspectum. Daher geht die folgende Erklärung nur
von den Worten des Dichters aus, deren Einzelverständnis durch die
Scholien wesentlich gefördert wird. Ich glaube meiner Sache sicher
zu sein, denn die Entdeckung des Päans, auf den sich das Gedicht
bezieht, hat meine Erklärung in keinem Stücke geändert, nur ihre
Veröffentlichung hervorgerufen. Das Proömium schreibe ich aus; weiter-
hin muß der Leser schon einen Text zur Hand nehmen.
"Eneleyıa TTAPeApe MoIPAN BABY$PÖNWN
TTAl METANOCBENEOC AKOY-
coN HPaAc rENETEIPA TEKNWN’ ÄNEY CEBEN
0Y $AOC 0Y MENAINAN APAKENTEC EY®PÖNAN
TEAN AAENGEÄN ERAXOMEN ÄTAAÖTYION HBan.
5 ÄNATINEOMEN A OYX ÄATIANTEC EI) IcA,
EIPrFEI A& TIOTMWI ZYrENE ETEPON ETEPA’ CYN A& TIN
Kal TIalc 6 OeAPiwnoc ÄPETAI KPIBEIC
EeYAOEOoC AclacTAlı Cwr&enHc METÄ TIENTAEENOIC.
TTÖNIN TÄP ®IAÖMOATION OIKEI AOPIKTYTIWN
10 ÄlAKIAAN, MAnA A EBEnON-
TI CYMTIEIPON ATWNIAI @YMON AMYETTEIN.
el A& TYXHI TIC &PAwN, MEAI®PON” AITIAN
Poalcı MoıcAn EneBane. KAI Meränal TÄP ÄnkAl-
! enesane haben die Scholien, Esane die beiden einzigen Handschriften; doch
was durch die Recensio erledigt ist und sonst Selbstverständliches berücksichtige ich
nicht. Dahinter ist TAI überliefert; aber der Artikel ließe keine andre Erklärung zu
als die demonstrative »diese«, und selbst wenn man das als Ai TolafTAı faßt, bleibt es
schief, während das intensive Kal neben merAnaı beinahe erwartet wird.
von Wıranowrrz-MoELLENDORFF: Pindar’s siebentes nemeisches Gedicht. 329
CKÖTON TIOAYN YMNWN EXONTI AECÖMENAI'
EPFOIC AE KANOIC ENOTITPON ICAMEN ENI CYN TPOTIWI,
15 el MnAamocYNnAac EKATI AITTAPÄMTTYKOC
EYPHTAI ÄTIOINA MÖX8WN KAYTAIC ETIEWN AOIAAIC.
Hier können wir innehalten, obwohl der nächste Gedanke sich
noch daran lehnt, und wollen nun paraphrasieren; das war der Weg
der antiken Grammatik, den ich immer mehr schätzen lerne.
»Eileithyia, Beisitzerin der Moiren, Tochter Heras, die du die Kinder
geboren werden läßt, höre. Durch dieh treten wir in das Leben und
erreichen deine Schwester Hebe; nur wird unser Leben verschieden,
da ein jeder an sein besonderes Geschick gekettet ist. Mit deiner
Hilfe hat auch Sogenes, Thearions Sohn, im Fünfkampfe gesiegt und
wird nun durch ein Lied gefeiert. Denn er ist aus Aigina, und da
ist man musikalisch und hat besonderes Gefallen an dem Wetturnen.
Wer mit der Tat Erfolg hat, ruft die Poesie wach, ohne welche selbst
das Heldentum im Dunkel bleibt. Denn bekanntlich findet nur im
Liede die edle Tat ihren Spiegel. «
Ich hätte den Inhalt auch kurz formulieren können »Sogenes,
noch ein Kind an Jahren, hat im Pentathlon gesiegt; daher bringen
ihm seine Landsleute ein Ständehen, und ich habe das Gedicht dazu
gemacht«. Denn das ist der einfache Gedanke, den Pindar mit seiner
Kunst verziert hat. Das letzte, daß die Tat des Helden (und ent-
sprechend wird nun einmal in dieser Gesellschaft ein Turnsieg gewertet)
und das Werk des Dichters korrelat und gleichwertig sind, ist Pindar
nie müde geworden einzuschärfen, seit er damit vor seinen Standes-
genossen gerechtfertigt hatte, daß er nicht Athlet, sondern Dichter ge-
worden war'!. Die Beziehung der nörıc sınömonnoc auf die Sänger
des Liedes war ihnen und ihren Hörern unmittelbar verständlich;
Pindar, der seinen Chor meist nur als Instrument behandelt, hebt bei
seinen lieben Ägineten gern hervor, daß sie musikalisch genug waren,
seine Lieder selbst vorzutragen. Oft hat er sie ihnen selbst einstudiert;
hier deutet nichts auf seine Anwesenheit, und er wird vorgezogen
haben, seine Sache abwesend zu führen. Eigentlich sollte auch der
Eingang mit den vielen Götterpersonen einem Leser Pindars deutlich
sein; aber schon im Altertum hat man sich nieht zu helfen gewußt,
und immer noch wird darin gefunden, daß auf Aigina oder gar in
Verbindung mit der Familie des Siegers ein Heiligtum der Eileithyia
bestanden hätte. Ich hole daher weiter aus. Die Siegeslieder sind
zum Teil in bestimmten Heiligtümern oder an bestimmten Festen vor-
getragen; das wird dann natürlich gesagt und wirkt auf das ganze
! Dies ist das wichtigste in Pyth. 10, das ich noch einmal zu erläutern hoffe.
30*
330 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 19. März 1908.
Gedicht ein. Oft haben sie aber keine sakrale Anlehnung, wurden
also in oder vor dem Hause des Siegers vorgetragen, und gerade
dann schickte es sich, sie durch die Anrufung einer himmlischen Person
zu weihen, wenn das auch nur ornamental war. So versteht jeder,
wenn Bakchylides die Kleio (3), Phema (2. 10), die Chariten (9), die
Nike (11) anredet. Den Tag, nämlich den sechzehnten Parthenios, an
dem in Olympia die Preisverteilung war, anzurufen (7), ist recht ge-
sucht, zeigt aber um so deutlicher, daß der Poet darauf aus ist, etwas
Neues zu finden. Auch bei Pindar geht der Weg von der Muse (N. 3)
zu den Anazıeöpmirrec Ymnoı (Ol. 2) und der xpyc&a eörmırz (P. ı). Da-
neben sehe man die Tyche (Ol. ı2), die Euphrosyne (N. 4)', die Hesychia
(P.8), um den Reichtum und die Frische der Pindarischen Erfindsam-
keit zu schätzen. Wundervoll ist die Theia (l. 5) aus einer Hesiodi-
schen Füllfigur zu dem alles, sinnlich und metaphysisch, verklärenden
Himmelslichte entwickelt; aber das läßt sich nicht im Vorbeigehen
erklären. Die Hora (N. 8) läßt sich nicht von Gesuchtheit freisprechen,
so schön gerade ihre Anrufung ist, wenigstens kann eine besondere
Bedeutsamkeit nur geraten werden”. Die Olympia (Ol. 8) ist durch
andere Lokalnamen besonders deutlich als die Ortsnymphe am Alpheios
gekennzeichnet, und doch wird das Gedicht in Aigina gesungen; es
gilt einem nemeischen Siege mit, und Pindar deutet den Umstand,
daß zwei Leute desselben Hauses an diesen Zeusfesten gesiegt haben,
auf eine besondere Beziehung der Familie zu dem höchsten Gotte. Man
darf also nicht fingieren, es wäre auch in Aigina ein Heiligtum des
olympischen Zeus gewesen, denn dessen Ortsnymphe würde doch die
! Wenn man auf große Anfangsbuchstaben Wert legt (daß sie in Wahrheit irre-
führen, lehrt diese Ausführung), muß man schreiben APıcToc EY»PocYNA TIÖNWN KEKPI-
MEN@N IATPÖC, Al A& cowAal MoIcAN SYrATPec AolAAl BEAEAN NIN ÄTITÖMENAI. Denn die
Festlust ist der Arzt, und die Musentöchter sind seine Assistentinnen und massieren
die verstauchten Gelenke des siegreichen Ringers.
® Das Gedicht stammt aus Pindars reifster Zeit und hat mit dem auf Sogenes
gemein, daß Pindar eine Selbstverteidigung einflicht, die ihm besonders am Herzen
liegt. Er hat die Lust an dem Neuen, an freien Erfindungen, verloren und Aias ist
ihm ein Beleg für die Mißgunst, unter welcher die Tüchtigsten zu leiden haben. Nicht
mehr auf seine Dichterkraft, die freilich längst über jeder Kritik stand, sondern auf
seine Redlichkeit legt er das Hauptgewicht; in der llinsicht wird er sich also ange-
griffen fühlen. In dieser Stimmung war ihm nicht unlieb, daß der Tod des einen der
beiden Sieger, für die er dichtete, das Siegeslied zum Trostlied machte. Um so stär-
ker kontrastiert der Eingang, die Anrufung der Hora, der Jugendschönheit, die den
Menschen zur Liebe zwingt, wo dann das beste Los ist, in den Schranken des Maßes
zu bleiben und doch seine »gute Lust«, aber nur diese, befriedigen zu können. Recht
gewaltsam geht es von da zu dem Beilager des Zeus und der Aigina (das ähnlich wie
in dem neuen delphischen Paian behandelt wird) und zu ihrem Sohne Aiakos. Leicht
kommt man auf den Gedanken, daß der Sieger Deinis mit seiner Hora den Sinn Pin-
dars entzündet hatte, ÄATIPOCIKTWN A’ EPOTWN ÖEYTEPAI MANIAI.
von Wıramowrrz-MoELLENDORFF: Pindar's siebentes nemeisches Gedicht. 331
Olympia vom Alpheios nicht sein: »empfange diesen Festzug, Olympia«,
ist nichts anderes als »diese Feier gilt dem im Bereiche der Olympia
gewonnenen Siege«. So ist denn auch Eileithyia nur angerufen, weil
der Sieger noch ein Kind ist, noch nicht zu der Hebe oder Hora
gelangt, also auch noch nicht für die erotischen Huldigungen reif,
die Pindar gern den Siegern darbringt, wenn sie &ensoı und Wraloı
sind wie Asopichos (Ol. 14), Thrasybulos (P. 6), Epharmostos (0. ı 1).
Wenn man es nur mit dem Verstande auffaßt, so ist Eileithyia
Tochter Heras, weil Kinder nach der Hochzeit kommen, Schwester
Hebes, weil sie der Mannbarkeit zureifen, ganz wie Tyche für Himer:
Tochter des Befreiers Zeus ist, weil oi "Imeraloı cYn ed Enevaepweentec
eytyxo?cı. Die Modernen pflegen von Personifikation zu reden, und
es macht allerdings wenig Unterschied, ob einzelne dieser Abstrakta,
wie sie es nennen, einmal im Kultus als Personen verehrt sind, wie
Hora Eros Nike, auch Euphrosyne, wenn man so will, als eine der
Chariten: für Pindar gilt doch alles gleich. Daß die Eileithyia in
unseren mythologischen Handbüchern als eine Göttin geführt wird,
Hesyehia nicht, macht ihm keinen Unterschied. Ihm war Eileithyia
nur ein Name, aus Hesiod und Homer bekannt, daher vornehmer, als
wenn er eine Kurotrophos oder Genetyllis genannt hätte. Es steht
doch außer Frage, daß der Name sogar vorgriechisch war', daher ist
der Kult dieser Karerin auf Kreta und den Inseln verbreitet, hat ihn
das ionische Epos gekannt, Hesiod aber schon nur aus diesem ge-
nommen. In Böotien sucht man den Kult vergebens, und auch die
Frauen der Ägineten werden in ihren Wehen und zum Schutze ihrer
Kleinen andere Namen genannt haben. Aber unter dem epischen Namen
birgt sich eine Empfindung, die ihm nur minder kongruent ist, als
wenn die unmittelbar verständlichen, wie Euphrosyne und Hesychia,
angerufen werden. Personen sind auch diese: man kann sie doch
leibhaft sehen, wenn man angebliche Abstrakta auf den Vasen als
Weiber in der Umgebung des Dionysos findet (wo man nicht von
Mänaden reden sollte), oder in anderer Verbindung auf den späteren
Vasen mit Goldschmuck. Die angeblichen Personifikationen, z.B. von
Rat und Volk usw. auf den Reliefs attischer Psephismen, sind gleicher
Art. Und hat etwa Hesiodos die Fähigkeit gehabt, Abstrakta zu personi-
fizieren, wenn er Dutzende soleher Personen einführt? Die Modernen
verderben sich mit ihrer blassen Abstraktion, ihrem Wirtschaften mit
Begriffen ganz und gar das Verständnis der wirklichen Religion, die
etwas besseres ist als Theologie oder Mythologie. Wo der Verstand
! Rwrgers van DEN Loerr, De ludis Eleusinüs, Leyden 1903, hat das treffend
bewiesen. Als koyYpotpösoc kann man sie z.B. aus ihrem parischen Heiligtume gut
kennen lernen, IG. XII 5, 183—209.
332 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 19. März 1908.
etwas Abstraktes später einmal finden wird, ist für das Gefühl eine
wirkende, lebendige Kraft gegeben, deren Macht der Mensch in sich
oder an anderen wahrnimmt. Damit ist ihm ein Wesen gegeben, das er
benennen und anreden kann, nötigenfalls auch in menschlicher Bildung
wahrnehmen und darstellen. Für die Griechen war nun einmal jedes
Wirkende und Lebende eine Person, eigentlich sogar schon für die
Sprache, die daraus Mann und Weib gemacht hatte. Diese Besee-
lung, die schließlich auch zu der Ausstattung mit einem Menschen-
leibe führt, ist freilich etwas Schöpferisches, Poetisches; daher
vermitteln uns die Poeten die wahre Religion, nicht die Theologen
oder gar die alten Weiber, die sympathetische Kuren machen. Die
Hesychia, die Pindar mit besonderer Innigkeit anredet, ist ihm gewiß
nicht in wesentlich anderem Sinne ein Gott gewesen, als Goethen die
Phantasie oder die Hoffnung oder die Wahrheit, aber lebendige Mächte
sind diese auch für Goethe gewesen, und wem sie das nicht sind, der
soll seine Finger nicht bloß von den Poeten, sondern auch von den
Göttern lassen.
Ein Satz in dem Proömium weist aus dem Zusammenhange hinaus,
also auf etwas, das wir in dem Spätern suchen müssen, »unser Leben
ist gemäß unserm persönlichen Potmos verschieden«. Das wird auf-
genommen, wo Pindar in seiner Art geradezu sagt, daß er den bis-
her verfolgten Faden fallen läßt und einen neuen aufnimmt, V.54
®YÄl A’ EKACTOC AIABEPOMEN BIOTÄN, AAXÖNTEC Ö MEN TA TÄ A Annol. Hier
macht die eyA den Unterschied, dort der Potmos'. Man sieht, wie
sich das berührt. Unsre Lebensführung bestimmt sich danach, was uns
angeboren ist oder auch was uns mit dem Leben »zugefallen« ist: in
beidem liegt, wozu wir geboren sind. Das ist kein Determinismus, der
den freien Willen aufhöbe; es können auch viele Anärkaı unsre #yYA be-
meistern; aber freilieh wird das dann marÄ molpan sein, und wer aus
seiner Bahn geworfen wird, wird auch Änortmoc werden. Man sieht,
! Den führen unsere Mythologien nicht, und die Editoren gönnen ihm nur zum
Teil einen großen Anfangsbuchstaben, wenn er Anaz heißt (N. 4, 92). Und doch
»schreibt er uns das Ziel vor, zu dem wir ahnungslos streben« (N. 6, 7). Der cyrren#c
TTörmoc entscheidet über alle Taten (N. 5, 40) und führt ein Geschlecht, das Schiff-
bruch gelitten hatte, zum alten Wohlstand zurück (Isthm. 1, 39). Den Hieron begleitet
immer eine MolPa eYAAimonlac (er hat immer ein Stück von Seligkeit; man kann auch
eine Moira neben ihm stehend, oder auch ihn krönend denken), weil der große Potmos
für den König vor allen Menschen ein Auge hat (P. 3, 85). An dem Gedeihen des Fürsten
hat das Geschick der Welt ein Interesse. Diese Wertung des Potmos scheint allerdings
speziell pindarisch. Die Niobe des Aischylos sagt (Fm. 159) »mein Potmos, der an
den Himmel reichte, stürzt zu Boden und lehrt mich, Irdisches nicht zu hoch zu
schätzen.« Das ist wirklich nur Metapher. Euripides sagt oft TINI TIöTMwI, wo es fast
dasselbe wie TPöro! ist, Fall und Wendung. Man überlege sich, wie häufig AAIMoN für
möTMoc eintreten könnte, was meines Erachtens zu AAlw gehört (üc TINEYMaN, CTHM@N).
von Wıranowrrz-MoELLENDORFF: Pindar’s siebentes nemeisches Gedicht. 333
wie die Sprache noch lebendig ist: Pindar und seine Leute hören in
tötmoc das titten, in nAxecıc das narxÄneın, in molpa das meroc. Was
in dem pAma steckt, wird im önoma als Person zusammengefaßt. Wem
die Sprache lebendig ist, der versteht das Gefühl, und dann auch
seine Exponenten, die Götter. Aus dem Gefühl aber sind auch die
einmal geboren, deren Persönlichkeit uns und dem Volke, das wir hören
und sehen, bereits als ein geschlossenes Individuum gegeben war.
Deren cırönta Onömara werden freilich niemandem, am wenigsten den
Exorzismen der Etymologie (selbst der richtigen) ihr Wesen offenbaren.
Nachdem Pindar sein Thema angegeben und die bekannte Tat-
sache konstatiert hat, daß die Tat des Kämpfers nur reflektiert von
den Worten des Dichters dauert, fährt er fort:
CO®0l AE MEANONTA TPITAION ÄNEMON
EMABON OYA YTIO KEPAEI BAÄBEN.
A®NEÖC TIENIXPÖC TE BANATOY TIAPÄ!
CAÄMA NEÖNTAI.
»Die Heldentat spiegelt sich nur in dem Liede, und die cosoi wissen
den kommenden Wind zwei Tage vorher und lassen sich nicht durch
Aussicht auf Gewinn verführen. Sterben muß arm und reich. Ich
glaube, man erzählt von Odysseus mehr, als er wirklich durehgemacht
hat”; das liegt an Homer, dessen trügliche Kunst ihn geadelt hat. Die
cosia weiß ja zu täuschen, und die Menge ist blind’. Sonst, wenn
sie fähig wäre, die Wahrheit zu durchschauen, hätte sich Aias nicht
das Leben nehmen müssen. Aber die Todeswoge kommt über jeden,
hoch und niedrig‘.« Der letzte Satz ist mit Anna rAp angeschlossen
! Einen bessern Ausdruck, als daß sie "zum Ziele des Todes gelangen’, kann man
nicht denken. Die Kontraktion von NneönTAl, die wir durch den Akzent bequem
bezeichnen können, liefert untadelhaftes Versmaß; daß die anlautende Länge sonst als
Doppelkürze erscheint, tut gar nichts. rIAPA am Versende steht genau so O. 9, 17, wo
die Anastrophe der Modernen nur ein Scheinmanöver ist. Wer darf sich denn ge-
trauen, für den Böoter zu bestimmen, inwieweit die Präposition einer eigenen Be-
tonung fähig war. WIESELERS 8ANATOY TIEPAC AMA ist gewiß sinnreich, und obwohl Ama
eigentlich simul ist, nicht pariter, mag man es angesichts von Stellen wie Ol. 8,45 er-
tragen; aber die Notwendigkeit der Änderung leuchtet nicht ein.
2 TINeoNA AÖroN A TIÄSAN ist nominal dasselbe A öcaA Enasen, wie OÖ. 12,8 TIPÄEIC
ECCOMENA, ÖTWC TIPAZOYCIN. Die Sprache ist noch schmiegsam und verstattet verbalen
und nominalen Ausdruck, wo später eins von beiden gilt.
3 Mit A& reiht Pindar nur zu oft Gedanken aneinander, deren logisches Ver-
hältnis durch diese Partikel gar nicht bezeichnet wird. Das ist ungelenk, und der Leser
muß die richtige Beziehung aus sich hinzutun.
* mece A’ ÄAÖKHTON EN Kal Aokeonta kann, da das Subjekt KYmA ist, sowohl be-
deuten KAl T&I TIPOCAOKÖNTI ENETTECEN ÄTIPOCAÖKHTON, was hier gar nicht paßt, als auch
KAI TÖI TIPOCAOKÖNTI Kal TÖI MA, denn das Adjektivum verbale kann sehr wohl aktive
Kraft haben, oder aber Kal T®I eYaözul Kai mA, und dies ist wegen der Parallele Aoneöc
TIENIXPÖC TE vorzuziehen, was man auch meist tut. Ob man das Adverb des Ortes EN
334 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 19. März 1908.
und bringt genau denselben Gedanken wie oben »sterben muß arm und
reich«; der Begriff der Gesamtheit ist nur durch eine andere komplemen-
täre Halbierung gegeben, die hier in aor&wn AaökHToc an das trügerische
Urteil der Menge gemahnt. Folglich heißt das »breechen wir ab und
kehren wir zu dem angefangenen Gedanken zurück«. Der Satz » sterben
müssen alle« ist von der Digression zu sondern und findet seinen Fort-
gang in dem, was auf seine zweite Anführung folgt. An der ersten
Stelle trennt ihn von dem Vorhergehenden das Asyndeton: es führt
in den Sumpf, wenn man da eine Verbindung sucht. Denn was soll
der Gedanke »wenn auch der weise Schiffer den kommenden Wind
voraussieht und sich nicht durch das augenblickliche schöne Wetter
verführen läßt, eine gewinnverheißende Fahrt zu unternehmen, so müssen
doch alle einmal sterben«. Vielmehr geht der Gedanke des Eingangs
darin weiter, daß die Heldentaten sich in dem Liede spiegeln und
die cosoi ohne Rücksicht auf xeraoc den kommenden Wind vorher
wissen. Die cosoi sind freilich zunächst die Wetterkundigen (keines-
wegs bloß Schiffer, auch der Bauer braucht die Wetterprognose, und
der Schäfer Thomas versteht sie), aber wer bei Pindar cosöc hört, der
denkt sofort an die Diehter, von denen eben die Rede war, und hört
unter dem Bilde, daß der Dichter unbeirrt durch den Vorteil, den ihm
die Rücksicht auf die Stimmung des Momentes bieten könnte, weiß,
wie man später der Wahrheit die Ehre geben wird. Dieser Gedanke,
unausgesprochen freilich, führt zu dem allgemeinen Satze von dem
Tode, der alle erwartet, und von selbst ergänzen wir den notwendigen
Fortgang »aber den Nachruhm gibt nur der Dichter«. Dazwischen
drängt sich ein Exempel, das zwar die Macht der cosia ebenso be-
weist, die auch wieder genannt wird, aber freilich so, daß der Dichter
selbst mehr als verdienten Ruhm zu verleihen vermag. Das muß eine
neue Begründung erhalten und findet sie in der Urteilslosigkeit des
Publikums. Nur dafür ist der Äginete' Aias, den in der kleinen Ilias
ein ungerechter Richterspruch der Achäer in den Tod trieb, ein Bei-
spiel. An den in attischem Sinne coeö6c Odysseus und die Redekünste,
die er in den späteren Arönec aörwn bewies, darf man nicht denken.
Man mag es tadeln oder loben, daß Pindar die Ausführung über die
trügliche Diehtkunst Homers zwischengeworfen hat, nachdem er be-
reits einen neuen Gedanken begonnen hatte, so daß er nachher den
zum Verbum oder zum Nomen näher bezieht, verschlägt nichts; seine Akzentuation ist
ganz ins Belieben gestellt: die sarela bezeichnet ja doch nur Tiefton im Satze, genau
dasselbe wie kein Akzent.
! 27 spielt auf Alkaios oder ein aus diesem abgeleitetes Skolion an, dessen
schlichte Worte unverhältnismäßig aufgeputzt sind. Ich habe das früher ausgeführt,
Arist. u. Athen 2, 320.
; : e 2 96
von Wırauowrrz-MoELLENDORFF: Pindar's siebentes nemeisches Gedicht. 335
Anfang wiederholen muß: daß er es getan hat, ist unbestreitbar; dem
hat also die Interpretation zu folgen. Wenn ihm bei der Behauptung
von der Unbestechlichkeit des wahren Dichters einfiel, daß ein Diehter
freilich auch das Urteil der Nachwelt zu trüben vermöchte, und er das
nachtrug, so kam ihm besonders darauf etwas an, die Urteilslosigkeit
des Publikums zu konstatieren, denn um so wichtiger war es, daß
ein ehrlicher Dichter sich eines toten Helden annahm. Das wird, wenn
auch unausgesprochen, in dem folgenden wichtig werden. Die Stimmung
also ist einheitlich und erzeugt die Wendungen des Gedankenganges.
Gewiß ist der Ausdruck ungelenk; aber wenn man nur die Worte
ganz scharf interpretiert und daneben die Stimmung von innen heraus
erfaßt, so kann gar kein Zweifel bleiben'.
»Sterben müssen alle, TImA A& rIrneTAı
ÜN BEÖC ÄBPÖN AYEZHI” AÖTON TEONAKÖTWN
BOABOWN " TOI TIAPÄ METAN ÖMBAAON EYPYKOATIOY
MÖAON X80NÖc, EN TIyeioıcı A& AATIEADIC
Keltaı TTpıAmoy TIönın Neortönemoc Emel TIPÄABEN.
Darin ist mar aus den Scholien eingesetzt; die Handschriften geben
toırp, was Pindar nicht hat, auch nichts ähnliches: es widerstreitet
auch dem sonst innegehaltenen Maße. Ferner gab es schon im Alter-
tum sowohl mönon wie mönen. Es ist also eine anerkannt unsichere
Stelle. Uns hilft die Einsicht in den Zusammenhang. Der Gedanke,
daß alle sterben müssen, erfordert das Komplement, »und Ehre findet
nur, wem nach dem Tode Gott eine süße Rede gedeihen läßt, die
imstande ist, das Urteil der blöden Menge richtigzustellen«. Mit an-
dern Worten, reenakötun gehört unbedingt zu üön. Der neue Satz be-
ginnt mit Toi: was dazwischen steht, kann also nur soAeewn oder
Boasdon sein, was beides auch schon vermutet ist; keins von beiden
ist im Grunde eine Änderung. Vorzuziehen ist natürlich das zweite,
denn zu Hilfe kommt eben der äspöc aöroc, und G. Hermann, der so
geschrieben hat, hat auch schon an die Emikoypoc nörwn daöc Ol. I, 1IO
erinnert. In dem neuen Satze muß der Übergang zu Neoptolemos
! Ich darf hier noch nicht in Rechnung setzen, was später herauskommt, daß
ihm vorgeworfen war, er wendete seine coela dazu an, den Ruhm eines toten Helden
zu verkleinern, der Gedanke ihm also nahelag. Wer darum wußte, wie das Publi-
kum, für das er zunächst dichtete, der verstand es leicht, »nur der Dichter vermag
dem Helden den Nachruhm zu bewahren, und der Dichter ist nicht so blind wie die
Mitwelt. Das heißt, er kann gewiß auch zu viel sagen, aber ich bin für Neoptolemos
vielmehr als BoHeöc aufgetreten«.
® Den Konjunktiv geben die Scholien wieder; daß die Handschriften AYzeı
haben, ist ganz gleichgültig; für ihre Schreiber und die Schreiber ihrer Vorlagen, ja
schon für die alexandrinischen Schreiber, klang beides gleich, die letzteren schrieben
es auch gleich, und Pindar, der es verschieden sprach, hatte es doch gleich geschrieben.
336 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 19. März 1908.
gemacht sein. Das versucht die unzulässige Änderung ToırAr; das
Relativ roi ist überhaupt nicht möglich, seitdem es nicht mehr auf
unvorstellbare soaeödoı bezogen werden kann: die beiden Fehler be-
dingen einander. Nach Delphi ist Neoptolemos freilich gekommen,
und so könnte er Subjekt sein, falls man mönen schriebe: aber gerade
weil sich der Singular konstruieren läßt, ist er verdächtig. Denn
daß Delphi mit verschiedener Umschreibung zweimal bezeichnet wird,
sprieht entschieden dafür, daß die beiden Verba auch zwei verschie-
dene Subjekte hatten; auch die Stellung von Neorröremoc spricht da-
gegen, daß er schon mönen regiert hätte. Kurz und gut, es ist wieder
eigentlich nur eine andere Deutung der Überlieferung vorzunehmen
und Toi in röı zu ändern', dann ist alles vorzüglich. Denn dann wird
mönon erste Person; der Anschluß ist genau wie Isthm. 8, 6 Töı kai
erw alteomal. »Darum (nämlich als Träger des nöroc soHeöc) bin ich
nach Delphi gegangen, wo Neoptolemos begraben liegt.« Ein besserer
Übergang zu der Geschichte von Neoptolemos ist gar nieht denkbar.
Diese Geschichte wird dann so erzählt, daß sie ihm wirklich die Ehre
wahrt oder herstellt. Sie gipfelt darin, daß er durch einen unglück-
lichen Zufall sterben mußte, weil ein Aiakide im Heiligtume sein
sollte, um bei den Festopfern auf Ordnung zu halten’. »Für eine gute
Sache werden drei Worte genug sein (d. h. weiter brauche ich nicht
zu erzählen): nicht trügt der Zeuge für die Taten deiner Söhne,
Aigina«, d. h. die Ehrenstellung, die Neoptolemos noch jetzt in Delphi
einnimmt, ist der beste Beweis für seinen Wert und den seines Ge-
schlechtes. Auf dieses wird der Ruhm ausgedehnt und Aigina selbst
' Die Korruptelen sind älter als Aristophanes von Byzanz; wundern können
sie uns nicht, denn die Handschrift der Päane hat die Festigkeit des Textes neben
kleinen Varianten am Rande bestätigt (die für unsere Bücher meist verschwunden sind,
also durch Konjektur ersetzt werden müssen, soweit sie das richtige boten). Aber sind
es nicht bloß falsche Deutungen? Pindar sprach kein o1; ob er es geschrieben hat,
ob er überhaupt @ geschrieben hat, wüßte ich nicht zu entscheiden; daß sein Text
der konventionellen Iyrischen Sprache des 5., 4. Jahrhunderts angeglichen ist, liegt
zutage. Es ist sehr wohl denkbar, daß er das jonische H, aber nicht das & verwandte.
Auch die Korinther unterschieden die e-Laute, aber nicht langes und kurzes o.
2 38 Monocclac A’ EMBACINEYEN ÖNIFON XPÖNON. ATÄP TENOC Acl BEPEI TOYTO Ol TEPAC.
Da hat »ereı D gegen »eren B, Ecxen erklären die Scholien; man sieht, wie sie
den Aorist für das Imperfekt einschwärzen, das nur erträglich wäre, wenn zu Pindars Zeit
das Geschlecht erloschen gewesen wäre. Aus D hat OÖ. Scurozper gleich darauf sehr
richtig das rare KTEATA aufgenommen. Wir lernen aus den Päanen, daß Pindar sich
AEMAI erlaubt hat (6, So) und HToPi 6, 12; dies kannten wir zwar aus Simonides (36, 6),
aber mit der Variante Heel. Alles sind merkwürdige Künsteleien, von denen die
lebendige Sprache nichts wußte; die Athener weisen sie mit richtigem Sprachgefühle
ab. 44 steht expAn als Spondeus und ist nicht zu vertreiben, also eine Mißbildung,
die sonst erst bei Euripides eindringt. Pindar muß also hier einen Vulgarismus zu-
gelassen haben, den er und die gebildete Sprache überhaupt sonst noch lange vermied;
er hat sich in diesen Gedichten wirklich noch etwas gelıen lassen.
von Wiranowerz-MoELLENDoRFF: Pindar's siebentes nemeisches Gedicht. 337
angeredet, weil Pindar auf Aigina spricht: epacy moi T6A’ eittein AcN-
NAIC APETAIC ÖAON KYPIAN AÖTWN OIKÖBEN.
Hierin könnte der Akkusativ nur Apposition zu Töae sein; das
Verbum substantivum läßt sich nicht ergänzen, und es würde auch
keinen Sinn geben ich behaupte dies zuversichtlich, nämlich daß es für
große Vorzüge einen Weg von Hause aus gibt .... Aber nicht besser
ist ich habe den Mut, dies zu sagen, nämlich einen Weg der Rede
..... Einen Weg sagt man nicht, den findet oder sucht man, wie es
Ol.ı, 110 heißt, an der Stelle, aus der oben die öAöc nörwn Enikovyroc als
Parallele zu dem nöroc soHeöc anzuführen war. Offenbar steht die Er-
klärung »dies kann ich mit Zuversicht behaupten« parallel zu »drei
Worte sind genug«. Das deiktische Pronomen hat bei Pindar immer
volle Kraft, schärfer als im Attischen. Es bedeutet hier » diese meine
Behauptung«, ganz im allgemeinen, also das Lob des Neoptolemos und
der Aiakiden. Das duldet keine Apposition; wir erwarten eine Begrün-
dung, wie sie eben asyndetisch hinter TPia Eriea alarkeceı stand. »Strah-
lende Tugenden haben von Hause aus eine Kyria önöc nörwn«; sie lie-
fern selbst die AsopmA; KYrioc steht wie in KYrıoc mAn (O1.6, 32) und
in Kypla Hmepa ErkaHcla nezıc. Es ist also ein alter Fehler zu tilgen; der
Nominativ war durch falsche Verbindung in den Akkusativ umgesetzt,
wie gleich nachher (60) cyYnecın in den Nominativ.
So ist Pindar am Ende der Neoptolemosgeschichte zu ihrer Ein-
führung zurückgekehrt. Er war mit einem soHeöc nöroc für Neo-
ptolemos nach Delphi gegangen; wenn er dessen Geschichte hier wieder
erzählt, so muß jener frühere nöroc nieht genügt haben. Daher be-
tont er am Ende, daß er seiner Sache ganz sicher sei, liege doch
in dem delphischen Kulte des äginetischen Helden das beste Zeugnis
für dessen Würde, und wiesen die Taten der Aiakiden überhaupt
ihrem Lobe von selbst den Weg: ayYroi Eaytolc BoHeoFcın. Unmöglich
wird er sich früher mit ihrem unwidersprechlichen Zeugnisse in
Widerspruch gesetzt haben, vielmehr war er auch vorher als ihr soHeöc
aufgetreten. Er ist doch ein co#ö6c und wird sich durch die Aus-
sicht auf momentanen Effekt nicht haben verführen lassen, da er vor-
aussah, wie bald der Rückschlag eintreten müßte.
Nun bricht er ganz wie oben (30) mit AnnA rAp ab »aber Abwechs-
lung verlangt man überall«. Das ist ein ihm geläufiger Übergang, der
nur etwas geschmückt wird. Es kommt also etwas Neues. ®yAı a’ Eka-
CTOC AIABEPOMEN BIOTÄN, AAXÖNTEC Ö MEN TA, TA A Annoi'. Das greift, wie
wir sahen, auf das Proömium zurück. »Unser Leben verläuft je nach
! Ich habe interpungiert, damit man BIOTAn richtig zu AlAwEPOMEN ziehe; nach
dem, was wir mitbekommen, differenziert sich unser Leben.
338 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 19. März 1908.
unserer besonderen Anlage verschieden. Volle eYarımonia zu gewinnen,
ist unmöglich; wenigstens wüßte ich keinen zu nennen, dem es beschie-
den gewesen wäre. Du Thearion hast ein angemessenes Teil davon (önsoc
gleich eyarımonia), denn du hast die Initiative zum guten (ehrenhaften),
und das beeinträchtigt doch deine Einsicht nicht (du bleibst bei allem
Unternehmungsgeist besonnen). Mir als Fremdem liegt jede Mißgunst
fern! (kakonöroı a& monitaı Pyth. 11, 28), ich will dieh, meinen Freund,
mit echtem Lobe erquicken; für einen Ehrenmann ist das der beste
Lohn.« Wenn der Vater des unmündigen Siegers diese nicht gerade
übertriebenen Komplimente erhält und Pindar sein Wohlwollen noch
besonders betont, so tut er dieses wohl auch, weil es auf seine Stellung
zu Neoptolemos ein Licht zurückwirft; man wird aber schließen,
daß Thearion nicht ganz zufrieden mit seinem mörmoc war und auch
bei seinen Mitbürgern nicht ungeteilte Anerkennung fand. Zum Ath-
leten war er nicht geschaffen und etwas Besonderes hatte Pindar
nicht zu rühmen. »Wenn ein Achäer von dem fernen ionischen
Meere (also einer der mit Neoptolemos aus Phthia nach Epirus ver-
schlagenen Achäer) in unserer Nähe ist, wird er mir auch keine Vor-
würfe machen. Ich vertraue auf meine Proxenie und zu Hause brauche
ich meine Augen nicht niederzuschlagen; ich halte mich von Hoch-
mut frei und stoße alle Gewaltsamkeit von mir: möge die Zukunft
gnädig sein (für meine Zukunft wünsche ich eYerocynH). Erst unter-
richte man sich, ob ich ein schiefes Wort gesprochen habe (was man
ja nun nach meiner Erklärung tun kann) und proklamiere danach
sein Urteil’.« Nachdem Thearion abgetan ist, redet der Dichter von
ı Didymos hat dies richtig gefaßt; das Lob wird mit dem Wasser verglichen,
weil es den Ruhm nährt, Nem. 8,40. Nur der metrische Anstoß bleibt, daß zeinoc
EIMI CKOTEI- — v — vu — gemessen werden soll. Bekanntlich kennt das Epos so etwas
nur im Falle von Verszwang; Homer nur bei dreisilbigen Wörtern von der Messung
»- = mit doppelkonsonantischem Anlaut (unvermeidliche Eigennamen außer CKETIAPNON,
bei dem aber das anlautende c abgefallen sein kann), Hesiod einmal bei dem iambischen
ckıf; dies eine Nachlässigkeit, da es sich vermeiden ließ. Das würde für Pindar hier
genau so gelten. Vielleicht ist aber zenoc zu sprechen und die freie Responsion
vu - u - anzunehmen. Wenn Schrorper den bekannten Wechsel von Choriamb und
Diiambus hierher zieht, so ist das unzulässig, weil hier eben keine Choriamben vor-
handen sind.
2 Anepel natürlich Futurum von AnarorpeYein; nicht sich allein soll er ein Urteil
bilden, sondern es öffentlich erklären, als ein Herold für Pindars Unschuld. Das
Futurum hat bei Pindar ganz gewöhnlich die Bedeutung des Optativs mit An; der
reine Optativ tritt auch so auf: aber das Futurum mit An ist ein Scheusal, für das
freilich immer wieder Liebhaber auftreten. Ol. 1, 109 hat O. ScuroEpeEr es durch eine
treffende Emendation vertrieben, auf die ihn die Recensio führen mußte. Auch in
dem so seltsam mißdeuteten megarischen Epigramm hat Sornsen (Athen. Mitteil. 31, 342)
diesen einen Fehler leider sogar verteidigt. TAI A’ Entilaec, Al TE KA ANH, K’ Al K' ÄAH, BAYAN
tÄAe TPOTIOI (d. i. TPOTIWI) TIöNEoC, d. h. ENTIIZOMEN AE BAYEIN AYTON ENeAAe (in diesem
von Wiramowrrz-MoELLENDoRFF: Pindar’s siebentes nemeisches Gedicht. 339
sich. Den gewiß unwahrscheinlichen Fall, daß ein Epirote in der
IKorona anwesend sein könnte, die sich um das Haus des Thearion
bei dem Feste versammelt hat, fingiert er, damit er sich auch von
len Landsleuten des Neoptolemos das Zeugnis geben lassen kann,
kein schiefes Wort gesagt zu haben. Da er durch die Verleihung
der Proxenie den Molossern (an deren Staat ist nur zu denken) ähn-
lich wie ein Bürger verbunden ist, werden sie ihn nicht anders be-
urteilen wollen als seine Thebaner, auf deren notorisches Urteil er
sich berufen kann. Und jedenfalls sollen alle seine Verteidigung nur
hören, dann werden sie ihn schon freisprechen.
ir besaß also schon die Proxenie der Molosser. Wer aus den
Inschriften diese Dinge richtig schätzen gelernt hat, wird zwar nicht
zweifeln, daß Pindar im Laufe der Zeiten sehr viele solche Dekorationen
erhalten hat, aber ohne besonderen Anlaß schwerlich. Der ist natür-
lich nicht zu raten, doch denkt man daran, daß er ein Kultlied
für den Zeus von Dodona gedichtet hat. Proklos führt in der Chresto-
mathie als eine besondere Gedichtgattung neben dem AArenHeoPIKön, das
wir aus Pindar kennen, ein TPıroaHsorıkön, das die Thebaner bei einer
Prozession nach Dodona sangen. Es liegt sehr nahe, auch dies auf Pin-
dar zu beziehen, der also zu Hause Verbindungen mit Dodona vorfand.
Nun kehrt er mit voller Anrede des Siegers in seine Umgebung
zurück. »Sogenes, ich schwöre dir, ich bin nicht beim Speerwerfen
zu weit vorgetreten, so daß ich nicht zum Ringen zugelassen wäre,
was freilich blaue Flecke’ spart.« Der Knabe hatte den Fünfkampf
Kenotaph), EAN TE AnnH Kal EAN AnnH Al, d.h. KEHTAI oder #EPHTAI TO COMA AYTOY.
Durch die Wiederholung eite AnaH elite AanH wird die Verallgemeinerung wbi ubi be-
zeichnet; die disjunktive Verbindung ist ebenso berechtigt wie die konjunktive. TÄ
EPYEPA AANH KAl Anah EreYeı Hippokrates 1. YrPön xPfcioc XI 445 Cn.
! EYzeniaA TIATPABE Cürenec ATIOMNYo, damit respondiert KOANAI XPYCON EN TE NEYKÖN
ENESANO ’ÄMA, also -35- | v-u- | vw-u-: damit, daß man Kürzezeichen darüber setzt,
wird der Vokativ der ersten und die Stammsilbe von xPycöc nicht kurz. Weder die
lesbische Deklination noch die Verkürzung von XPYceoc und anderen Weiterbildungen
können hier etwas ausmachen. In den anderen Strophenpaaren entspricht Ze |
vuu—u-, steht also das Telesilleion. Identisch ist das nicht, aber ein Dimeter ist es
auch, und seit ich gezeigt habe, daß es (normal) achtsilbige Verse gegeben hat, die
erst allmählich als Dimeter oder ‘äolische Kola’ differenziert sind, muß man auf ähn-
liche freie Responsionen gefaßt sein, wie wir sie für die viersilbigen Metra kennen.
Aber überhaupt soll man in Maßen, deren Bau wir erst allmählich lernen, metrische
Singularitäten, wenn die Worte kritisch unanfechtbar sind, nicht nur nicht vertilgen,
sondern ganz besonders aufmerksam verfolgen, damit man die Metrik lernt, die die
Muse kunstvoll gebildet hat, was schwerer ist, als Systeme zu offenbaren. eiPein
CTE®ANOYC EnA®PöNn, aber Blumen welken.
2 AYXENA Kai CoeNoc ÄAIANTOC. Dies Wort verstand ich nicht, als ich es zu Bak-
chylides 17, 172 besprach (Gött. G. A. 98, 154), aber ich forderte das richtige. Jese
redet noch von “unbenetzt’. Es ist AAIÄNTOC, von AINEIN KATAKÖTITONTA TITIccein, Phot.
Berol. ANANTA.
340 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 19. März 1908.
nach allen Regeln durchgemacht, und die blauen Flecke werden nicht
gefehlt haben. Wenigstens dieser Scherz wird also dem Jungen ver-
ständlich sein und Spaß machen; sonst ist das Gedicht ja nichts für
ihn. »Ich habe nicht zuerst durch etwas Inkommentmäßiges die Zu-
lassung zur weiteren Konkurrenz verwirkt, sondern ganz wie du auch
die Lasten und Schmerzen des weiteren Kampfes getragen. ei mönoc
ÄNn, TO TEPTINON TIAEON TreAepxeTAl.« Das kann nur bedeuten, daß diese
Schmerzen freilich weh tun, aber der Genuß doch überwiegt. Für
wen? Für den Sieger natürlich, also hier für Pindar, denn er redet
ja von sich und ranaicmata und riöncı sind bildlich. Da das Vorige
durch die Scholien aufgeklärt ist (ich mag wenigstens kein Wort an
moderne Künsteleien verlieren), ist am Sinne kein Zweifel. Nur glaube
ich nicht, daß die dritte Person reaerxeraı erträglich ist, so oft auch
die alte Sprache das unbestimmte Subjekt unbezeichnet läßt: was
wir fordern und was mit einem Schlage die ganze Partie lichtvoll
macht, ist so gar billig zu haben: meaerxomaı. »Ja, mein lieber Junge,
ich habe auch kämpfen müssen, auch manches auszuhalten gehabt,
aber nun nach dem Erfolge ist das alles vergessen. Laß mich ge-
währen; dem Sieger, also dir, zu Gefallen will ich gern zurücknehmen,
wenn ich in meinem lauten Rufe etwas zu weit gegangen bin.« Also
zu weit gegangen ist Pindar vielleicht; es war nur kein Verstoß,
der ihn von der Konkurrenz ausschlösse, und um dem Sieger eine
Freude zu machen, ist er bereit, ein zu lautes Wort zu revozieren.
Was das ist, sagt er nicht; natürlich dasselbe, was möglicherweise
auch der Epirote übel deuten könnte. »Kränze winden ist leicht;
das schiebe hinaus (das kann dir jeder leisten, wenn du danach noch
verlangst): die Muse verarbeitet Gold, Elfenbein und weiße Korallen. «
Die hohe Kunst der Muse, meine Kunst, tut mehr, als Kränze winden:
sie liefert ein kompliziertes Schmuckstück, in dem das Disparate ver-
einigt ist. Gewiß ist dabei an einen goldenen Kranz gedacht im
Gegensatz zu einem Blätterkranze'); gewiß ist es interessant, zu lernen,
daß man damals, in einer Zeit, die Edelsteine noch sehr wenig an-
! Es scheint, daß Simonides einmal die cTesHTAöKol, die nur nach Farbe und
Geruch die Blumen auswählen, und die Bienen, die selbst den härtesten und herbsten
Kräutern den Honig zu entnehmen wissen, in Gegensatz gestellt hat (Plutarch de
audiendo 8, de prof. in virt. 8, de amor. prol. 2, Julian 8 p. 241a; Theodor. Prodr. epist.
10 bei Craner An. Ox. 3, 173 lehrt nichts über diese Stellen hinaus), und dann ist
sehr wahrscheinlich, daß die Biene der Dichter oder der wahre Diclter war, wie bei
Aristophanes Vög. 746, Horaz IV 2, 29 (wegen des Thymian sicher nach Simonides,
aber der Gegensatz zu Pindar ist horazisch). Aber der Niederschlag in zwei Simonides-
apophtheginen (Srernzach, Comm. Ribbeck. 358) hilft auch nicht zu sicherem Verständ-
nis. Um so weniger kann man eine Beziehung zwischen der Simonideischen und dieser
Pindarischen Stelle erschließen, obwohl sie vorhanden gewesen sein ınag.
von Wiıranowrrz-MoELLENDorRFF: Pindar’s siebentes nemeisches Gedicht. 341
wandte, außer Elfenbein auch Korallen, und zwar weiße, mit Gold-
schmuck vereinigte (die Archäologen mögen nach solchen Stücken
Umschau halten); aber wir suchen hier den Sinn, der sich hinter der
Metapher verbirgt. »Ein gewöhnliches Siegeslied mußt du heute nicht
verlangen; das kannst du dir immer noch machen lassen. Meine
echte Musenkunst macht etwas Komplizierteres.« Was sie macht,
ist natürlich eben unser Gedicht, in dem Disparates vereinigt ist, was
Pindar gleichzeitig entschuldigt und als einen Vorzug hinstellt. Eine
frühere gewagte Äußerung revoziert er dem Sieger zuliebe, fühlt
sich aber als der unangreifbar überlegene Dichter, da er das Lied
auf den Ägineten hat machen dürfen, während manche ihm wegen
jenes halb und halb eingestandenen Fauxpas das weitere Auftreten
verwehren wollten. Es ist aber auch ein künstlerisches Bekenntnis,
wenn er sich über ein bloßes Siegeslied so vernehmen läßt. Seine
Weise muß doch wirklich von den gewöhnlichen Epinikien stark ab-
gestochen haben; Bakchylides hat es anders gemacht, und wo er
Ähnliches versucht, pindarisiert er eben. Wie sollte er nieht vielen
besser gefallen haben? Wie sollte nicht Pindar eine Zeit des Kampfes
durchgemacht haben, ehe sein Dichterruhm so fest stand, daß man auch
seine Härten und Dunkelheiten in den Kauf nahm. Vor der sizili-
schen Reise, als er außer für Aigina, soviel wir wissen, nur für Nord-
griechenland dichtete, hatte er diese Stellung noch nicht; seine Weise
ist aber in den ältesten datierten Stücken, P.10. 12.6, schon völlig
ausgeprägt, und er hat hier kein unpassendes Bild für sie gefunden.
Im Gegensatz zu dem allzu lauten Rufe, den er zurückgenommen
hat, erklärt er nun dem Zeus von Nemea, der bei dem nemeischen
Siege Erwähnung forderte, leise' ein Lied singen zu wollen, denn hier
gebühre ihm eine Erwähnung mit bescheidener Stimme; hier habe er
den Aiakos, nämlich mit der Aigina’, erzeugt.
EmAI MEN TIONIAPXON EYWNYMWI TIÄTPAI,
"HPAKneeC C&o A& TIPOTIPHONA ZEINON ÄAEABEON TE"
1 gemepAı örı hat D, eamepAı B. Selbst wenn dieses eine Variante ÄmeraI liefert,
verdient sie nicht den Vorzug. Paßt denn Hmeroc, der Gegensatz von Arrioc® Hatte
Pindar wie ein Tier oder wie ein Barbar gebrüllt? eemeröc ist doch zu rar, als daß
es Schreibfehler sein könnte, und wie passend es ist, lehrt die eemerärnc Alaoc der
Okeaniden, Aisch. Prom. 134. Gewiß, die Kongruenz der entsprechenden Verse ist
dann aufgehoben; aber das anapästische Metron gleich dem Dochmius ist im Drama
notorisch.
2 Auf den Namen kommt es an; der wird auf Aigina in Yrıö MATPOAöKOIC FONAIC
verstanden.
® TIPOTIPEÖNA MEN ZEINON überliefert mit der Erklärung mpöeymon. Die Verbesse-
rung stammt von Berk, der sie freilich verschmäht hat. men ist erst eingesetzt, den
Vers zu füllen, als rırormfona geändert war, warum, weiß ınan ebensowenig wie man
342 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 19. März 1908.
Auf Herakles will er hinaus, weil dem das folgende gilt; darum redet
er ihn hier schon an. Eine Beziehung von ihm zu dem eine Genera-
tion ältern Aiakos konnte von der Sage nicht wohl gegeben sein, und
Pindar bringt auch nur Allgemeinheiten. Vielleicht vermittelte der
zwischenstehende Satz. Aber zu welcher Stadt stand Aiakos im Ver-
hältnis des rroniarxoc? Zu Aigina, sagen die meisten seit alter Zeit
und suchen das durch Interpretation oder Änderung (&Aı) hineinzu-
zwängen. Aber daß der Sohn Aiginas auf Aigina herrschen wird,
ist selbstverständlich. »Als Stadtherrscher für sein eigenes Vaterland «
das taugt nichts; der Stadtherrscher oder das Vaterland ist überflüssig.
»Meine Stadt« kann bei Pindar nur Theben sein, und neben Herakles
wird eben dieses erwartet. Aber was bedeutet moniarxoc? Ein Scholion
ist nicht erhalten; in der Paraphrase steht soneöc. Belegt ist das
Wort außer als Eigenname nur bei dem Verfasser des Rhesos 381,
wo der Chor der Troer zu dem heranziehenden Bundesgenossen Rhesos
sagt KAnöN @ OPÄIKH CKYMNON EePEeYac TIONIAPXON Taein. Da ist »Stadt-
herr« unsinnig, soHeöc passend. Der Verfasser des Rhesos hat nach-
gewiesenermaßen Böotismen': so dürfte auch dieses einer sein, über
dessen Ursprung in dem böotischen Bundesstaate man leicht etwas ver-
muten, aber zur Zeit nichts beweisen kann. Bei Pindar wird also
die Überlieferung und die Paraphrase nicht angetastet werden dürfen,
aber freilich als etwas Unverstandenes, denn auch von einem Hilfs-
zug des Aiakos für Theben ist uns nichts bekannt, und hier muß eine
bestimmte Geschichte gemeint sein”.
»Schon unter Menschen ist ein guter Nachbar höchst erfreulich,
und wenn gar ein Gott ein solches Verhältnis aufrechthält’, da wird
die Glosse rIPdeymoc versteht. TIPOTIPH@N, -onoc lıat Choeroboskos (Herodian) I 71 Gais.
notiert, neben TAIH@N, das genügt, TIPOTIPH@N gegen SCHROEDERS Vorwurf foedus tonis-
mus zu verteidigen, TIPFHÖN — TIPON ist bekannt und steckt in rIPAon Yrıepexon bei Hesych.
Es mag also den Gastfreund bezeichnen, der ein überragender, schützender Patron ist.
Natürlich bleibt ein solches Araz Kelmenon halb unverständlich.
! Berliner Klassikertexte V 2, 28.
® N.8 hören wir, daß der Herrschaft des Aiakos sich Spartaner und Athener
fügten (d. h. alle Griechen; gesagt natürlich, als die beiden sich in die Hegemonie
teilten, was schon allein das Gedicht einigermaßen datiert, nach 478). Dann taten es
natürlich auch die Thebaner. Eine solche Suprematie liegt in dem äginetischen Kult
des Zeus TTanennAnioc, aber es braucht nicht mehr als dieser Kult und sein AITIoN
(Diodor IV 61) darin zu liegen. Für Nem. 7 läßt sich das nicht verwenden.
® ANEXEIN im Sinne von BACTÄZEIN AYZANEIN TIMAN war den alten Grammatikern
bekannt, deren Erklärungen der Thesaurus zusammenstellt. Hier gibt die Paraphrase
TIAPEXxOI (in TIAPEXeI verschrieben). Aber ein Grammatiker verband falsch ei A&, oeöc
ToYT’ AN Exol, und dem folgen die Scholien und die Betonung der Handschriften, und
da sie nur an abgeteilte, akzentuierte Texte gewöhnt waren, ließen sich Hermann und
Boecku von AN €xoı als etwas Überliefertem imponieren. ei A& eeöc TOYT’ Ane&xoı (TOYTo,
nicht xAPmA, sondern was als solches prädiziert ist, also die Nachbarschaft), En TIN
K’ &oenoı Corenhc EYTYxÖc NAlein. Das ist unlogisch zusammengezogen für eyryxHc
von Wıramowriz-MoELLEXDoRFF: Pindar's siebentes nemeisches Gedicht. 343
Sogenes unter deinem Schutze, Herakles, seinen Vater beglückend auf
dem väterlichen Gute wohnen'; dir gehören ja die beiden Nachbar-
grundstücke’. So bitte denn Zeus und Athena (die dir in deinem
Leben beigestanden haben), und du hast auch selbst die Kraft, den
Menschen in manchen Lagen zu helfen. Mögest du sie denn (Vater und
Sohn) durch Jugend und Alter in Glückseligkeit geleiten und ihre Kin-
deskinder in gleichen oder höheren Ehren halten.« Alles ist auf den
Augenblick berechnet, wo das Lied auf dem Hofe T'hearions angesichts
der Heraklesgrundstücke gesungen wird; Hsa und r#rac gemahnen an die
Eileithyia des Einganges, und das Kind wird nicht als Sieger, sondern
als Hoffnung des Vaters bedacht. Ein volltönender herzlicher Schluß.
Und doch kommt noch ein für unser Gefühl störender Nachtrag,
»niemals werde ich zugeben, den Neoptolemos mit unpassendem Worte
angegriffen zu haben: aber zwei-, dreimal dasselbe zu sagen, macht
nur den Eindruck, als wüßte man sich nicht zu helfen, wie den Kindern
der marynakac Aıöc Körineoc”. Ein Beispiel erläutere diesen: es geht
ein Wanderer durch ein Dorf, die Kinder laufen ihm nach und hänseln
ihn: er scheucht sie zuerst mit dem Fluche »der Teufel holt euch«;
aber als er auf erneute Belästigung immer wieder mit demselben Fluche
kommt, merken die Kinder seine Atmopia, und der Teufel wird ihnen
ein Hund, der nur bellt, aber nicht beißt. Die Grammatiker, die das
Spriehwort mit Berufung auf diese Stelle em T@n Em’ oYaeni Teneı Arei-
AOYNToNn gesagt nennen, haben es richtig aufgefaßt'.
AN EIH 6 EN AYTGI NAION, OION NYN En coli Curenuc. Man will das jetzt vermeiden, in-
dem man hinter dem zweiten Bedingungssatze den Nachsatz (monY mAanon) unterdrückt
glaubt und dann einen neuen Satz asyndetisch beginnen läßt. Auf dem Papier geht
das mit einem Gedankenstrich; aber gesprochen kann man es nicht verstehen, denn
was auf den Bedingungssatz folgt. hat ganz die Form seines Nachsatzes. Also ist die
Inkonzinnität hinzunehmen.
1 EN TIN K’ eaenol ... EYTYXÖC NAIEIN TIATPI CWrENHC ATANON AMBETIWN OYMÖN TIPO-
FÖN®N ArYIAN. Darin ist ATANON AMoeTIo@N eYMmön Periphrase des Homerischen ATANA
®PONeEon und bezeichnet nur das Kindesalter des Sogenes; den Dativ maTpi könnte es
niemals regieren. Der gehört also zu eyTyxöc wie eyryxäc TAı mröneı Euripides Plıön.
1208. &eenw zeigt hier wie manchmal gerade in älterer poetischer Sprache den Ansatz
zu einer Periphrase des Futurs, was es im Griechischen schließlich geworden ist. In
Fällen wie Eur. Tro. 28 TA TON eeßn oY TimAceaı eeneı erklären die Alten einel,
pilegt. Das steht dem ganz nahe. to will im Englischen hat genau dieselben Bedeu-
tungsnuancen erhalten.
2 TeMm&nH brauchen keine lepA zu sein; es genügt, daß das Land dem Gotte ge-
hörte. Nichts zeugt dafür, daß wir in der Stadt sind, denn ein Arvieyc wird auch vor
dem Bauernhofe nicht fehlen.
® Die Handschriften betonen Alockörineoc wie AlöckoyPol; natürlich ist das ganz
ohne Bedeutung und kann eine falsche Etymologie des karischen Ortsnamens, von der
man besser schweigt, nicht stützen.
4 Zenobius Athous r, 66; sonst wird das Wort nur auf TAYTÄ TPIC TETPAKI T’ ÄM-
rionein gedeutet. Die verschiedenen Aitia lehren für seine Herkunft oder Bedeutung
überhaupt nichts.
Sitzungsberichte 1908. al
344 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 19. März 1908.
So viel lag Pindar an seiner Selbstverteidigung, daß er diesen
Nachtrag zufügte, der uns die Stimmung des Schlusses stört. Wir
erkennen um so deutlicher die Nebenabsicht, mit der er das Sieges-
lied gemacht hat, das wir nun durchgesprochen haben. Wohl hat
er seiner Aufgabe Genüge getan, und den Thearion zu dem Siege
seines Sohnes beglückwünscht, aber ebensoviel Worte gemacht, sich
wegen einer Äußerung zu rechtfertigen, die er in Delphi über Neo-
ptolemos getan hatte und die als unehrerbietig gegen diesen auf-
gefaßt war. Neoptolemos stammte zwar durch seinen Großvater aus
Aigina, man kann ihn aber kaum einen äginetischen Helden nennen
und wundert sich etwas, daß man auf der Insel eine Äußerung über
ihn so schwer genommen hatte; Pindar führt ja auch als besonders
interessiert einen Epiroten ein. Aber das ist nun einmal geschehen,
und Pindar hat die Gelegenheit benutzt. sich eben dort zu verantworten.
Er hatte die Empfindung, daß sein Gedieht zwiespältig ward, aber
das suchte er als etwas Höheres gegenüber einem bloßen Siegesliede
hinzustellen, und wenn er auch den Ton seiner früheren Äußerung
preisgab, er wollte doch nichts anderes getan haben, jetzt und früher,
als was des ehrlichen Diehters hoher Beruf war, also die Ehre des
toten Helden durchaus gewahrt haben.
Das Gedicht trägt als einziges unter den nemeischen und isthmi-
schen ein Datum in den Scholien. Sogenes hätte als Erster im mentaenon
TTAIAWN gesiegt, KATA TAN a (so B, aber D xa’) NemeAan. ETeon Ag 6
TIENTABAOC TIPWTON KATA TAN Ir NemeAaa. Gemeint ist natürlich die Ein-
führung des mentaenon maiawon, denn für Männer wird dieser Kampf
überhaupt nie gefehlt haben. Wie lange es dauerte, bis ein ägineti-
scher Knabe einen solehen Sieg errang, kann niemand raten: die
Differenz zwischen beiden Zahlen kann also beliebig sein, und die
Änderung der zweiten Zahl ist ganz unberechtigt. Wer mit Scholiasten
verkehrt, wird nicht nach einer besonderen Absicht suchen, die den
Grammatiker bestimmt hätte, die Notiz über die Stiftung des Knaben-
agons beizufügen. Die erste Zahl ist unsicher überliefert und sicher
verdorben. Denn wir wissen zwar noch keineswegs sicher, zu welchem
Jahre Hieronymus die Stiftung der Nemeen beigeschrieben hat, und
noch viel weniger, ob das Jahr in den eusebischen Kanones richtig
vermerkt war, aber groß können die Schwankungen nicht sein, und
zugrunde lag die durchaus glaubwürdige alexandrinische Chronographie.
Also mit Reserve darf man an 573 glauben. Dann muß der unsicher
überlieferte Zehner in dem Secholion falsch sein, denn das Fest wird
ja ein Jahr um das andere gefeiert und 545 oder 525 sind schlecht-
hin unmöglich. Dann sollte man sich doch aber längst gesagt haben,
daß das Datum unverwendbar ist, und auf Hermanns Einfall na” zu
vox Wırastowrrz-MoELLENDoRFF: Pindar’s siebentes nemeisches Gedicht. 345
bauen eine bare Willkür. ma’ liegt mindestens ebenso nahe'; aber die
paläographische Wahrscheinlichkeit einer Änderung gibt bei einer
Zahl keine Garantie. Es ist überhaupt ganz sonderbar, daß dies ein-
zige Mal gezählte Nemeaden vorkommen, sonst nicht der mindeste
Anhalt dafür ist, daß die Siegerchronik publiziert war. Aber erfunden
ist das Zeugnis doch nicht; wir werden darauf nieht bauen, vielmehr
wenn wir eine Datierung gewinnen, die sich mit ihm leicht und gut
vereinigen läßt, dies für seine Glaubwürdigkeit in die Wagschale werfen.
Daß die antiken Grammatiker das Gedicht als Ganzes zu ver-
stehen keinen Versuch gemacht haben, kann nicht befremden; das
haben sie nie getan. Wohl aber wirft es ein schlimmes Licht auf
sie, daß erst Aristodemos, Aristarchs Schüler, das delphische Gedicht
aufgesucht hat, in dem Pindar von Neoptolemos gehandelt hatte. Es
war ein Päan, und da seine Anfangsworte bekannt waren, hatte
ich ihn datieren können (Sitzungsber. 1900, 1287). Der Anfang ist:
nmpöc "OnymmioyY Aıödc ce XPYC&aA KAYTÖMANTI TIyveoı
niccoMmAI XAPITECCIN TE KAl CYN AsPoalTAl
EN ZABEWI ME ACHAI XPÖNMI
Aolaımon TTiıepiawn TIPOSATAN”.
Darauf bezieht sich der Anfang von Pyth. 6:
AKOYCAT. H rÄP Enikwrlaoc "ABPoAITAC
APOYPAN H XAPITWN ANATIONIZOMEN.
Erst die Rückbeziehung macht den Ausdruck »wieder pflügen« ver-
ständlich”. Nun ist Pyth. 6 auf 490 datiert; folglich ist der Päan
etwas, aber nicht viel älter. Einige, aber nicht zu viel Jahre da-
nach muß die Verteidigung des Päan fallen: 485 ergibt die leich-
teste Änderung ma’ aus Ka’; ıa stammt ja von ır“.
Seit wenigen Wochen besitzen wir große Stücke jenes Päans
dank dem Papy